MFG - 1917
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St. Pöltens gute Seite

1917

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2010
1917 wurde in der k. u. k Monarchie das sogenannte Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz erlassen, „mit welchem die Regierung ermächtigt wird, aus Anlass der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen.“ Ein Gesetz, das 16 Jahre später von der Dollfuss-Regierung ausgenutzt wurde, die Demokratie auf pseudorechtlicher Ebene per Notverordnungen auszuknocken und sukzessive ein faschistisches Regime zu etablieren. Verbot von Wahlen und Versammlungen. Einschränkung von Rede- und Pressefreiheit etc. Alles auf Basis des alten Kriegsgesetzes unter Umgehung der Volksvertretung – zum Schutze der Wirtschaft?!
Warum ich Ihnen das alles erzähle? Weil auch das neue Anti-Terrorgesetz das Zeug hat, in falschen politischen Händen zu einem solchen Demokratie-Killer zu mutieren. Dieses Gesetz ist sozusagen mit Zeitzündern versehen, die im worst case Totalitarismus, Denunziantentum und Staatsterror Tür und Tor öffnen. Das sehe nicht nur ich so, das bereitet auch Verfassungsexperten wie Bernd Christian Müller-Funk („Ich halte die Regelung für nach wie vor überzogen.“) oder auch dem Präsidenten des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages Gerhard Benn Ibler („Rechtsstaatliche Grundsätze werden unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung über Bord geworfen.“)  Kopfzerbrechen.
Was am neuen Gesetz neben dem Verbot der Teilnahme an Terrorcamps bedenklich stimmt, ist nicht nur, wie bei allen derartig gelagerten Gesetzen, die prinzipielle Frage der Definition von Terrorismus an sich (was ist Widerstand, wo fängt Terrorismus an), sondern vor allem die Ausdehnung auf verbale Felder. So wird auch das öffentliche „Gutheißen terroristischer Straftaten“ bereits unter Strafe gestellt, zudem Hetze sowie Beschimpfung und Verächtlichmachung von Personen(gruppen) aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, Weltanschauung (!), Staatsangehörigkeit, Abstammung, Geschlecht, Alter oder sexueller Orientierung.
Damit begibt man sich auf äußerst dünnes Eis. So könnte etwa die – zugegeben oft geschmacklose – Suderei und Lamentiererei am Wirtshausstammtisch zur gefährlichen Gradwanderung zwischen Meinungsfreiheit und potentieller Hasspredigt werden. Oder was ist, wenn – wie unlängst bei einem Fußballmatch erlebt – ein degenerierter Zeitgenosse meinen Mitspieler „Türkenhure“ schimpft? Nicht, dass dieses Verhalten hinzunehmen ist. Da verlangt es eben Zivilcourage, Mündigkeit, den Querulanten unmissverständlich zur Rede zu stellen – aber ein Fall fürs Gericht? Eine strafbare Handlung? Und wie sieht es mit Burgenländerwitzen und Co. aus? Alles, was nicht political correct ist, könnte theoretisch hier mithereingenommen werden – von Staatsseite auch, um die Meinungsfreiheit einzuschränken.
Sie werden sich vielleicht denken, diese Beispiele sind Haarspalterei. Wir leben doch in einer gesunden Demokratie, in stabilen Verhältnissen, wie man so schön sagt.
Mag sein. Jetzt. Aber ein Gesetz bildet stets eine potentielle Handlungsgrundlage. Und wie schnell in einem vermeintlich stabilen Staat die Verhältnisse kippen können, zeigte zuletzt das Beispiel Griechenland. Wer hätte für möglich gehalten, dass in einem EU-Land innerhalb kürzester Zeit eine derartige Eskalation passiert, dass es sogar Tote gibt! Und wer hätte gedacht, dass an sich seriöse Journalisten für dieses Land, das seit 1974 die Militärjunta überwunden hat, allen Ernstes die Option einer vorübergehenden Machtübernahme durchs Militär zur Beruhigung der Lage anempfahlen.
Was also, wenn sich dereinst die Zeiten ändern? Die Parameter. Die politische Kultur. Die Definitionen. Ist mit dem nun geschaffenen Gesetz nicht ein allzuleichtes Instrumentarium geschaffen, um darauf fußend gegen „Andersdenkende“ vorzugehen? Vielleicht ist es dereinst ja bereits Hetze, gegen eine absolute Regierung und deren „Weltanschauung“ aufzutreten – die dann die Gegner auf diesem Gesetz fußend im Gefängnis verschwinden lässt. Woher wollen wir wissen, was in der Zukunft als „Terror“, als „Verhetzung“ gilt?
Österreich geht mit diesem Gesetz ein unnötiges Hasardspiel ein. In unserem Regulierungs- und Selbstentmündigungswahn trotten wir unkritisch wie die Lemminge hinterher – hoffentlich nicht à la longue in den Untergang unserer persönlichen Freiheit. Denn eines lehrt die Geschichte am Beispiel des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes: Vage Gesetze können ihre Zeitzünder und unsäglichen Konsequenzen auch Jahrzehnte nach ihrem Inkrafttreten, in einem dann veränderten, „passenden“ Milieu aktivieren. Das neue Anti-Terrorismusgesetz ist ein solch vages, damit gefährliches Gesetz. Und wurde es gar bewusst in diesem nebulösen Duktus abgefasst – umso bedenklicher!