MFG - Krise
Krise


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St. Pöltens gute Seite

Krise

Text Johannes Reichl
Ausgabe 02/2009
Okay, jetzt ist es passiert.  Ich hab mich vom Krisenfieber anstecken lassen. Was war ich früher für ein glücklicher Mensch, doch jetzt bekomm ich bei allem und jedem die Krise...
Ich krieg die Krise, wenn ich gehirnwäschegleich und omnipräsent zu hören bekomme, dass wir in der Krise stecken.
Ich krieg die Krise, wenn bei Wirtschaftsempfängen Funktionäre und Politiker krisengeschüttelten Unternehmern erklären, dass es uns eigentlich eh voll super geht und die Krise ja gar nicht so schlimm ist.
Ich krieg die Krise, wenn die EU jetzt wieder voll auf Atomkraft setzt, ohne eine Lösung für den Atommüll parat zu haben, und dabei das enorme Sicherheitsrisiko, das uns Katastrophen wie Harrisburg oder Tschernobyl gelehrt haben, völlig negiert.
Ich krieg die Krise, wenn die Innenministerin im Fall Arigona Zogaj deren „rehbraune Augen“ ins Spiel bringt, als hätten diese irgendetwas mit dem Schicksal oder der Entscheidung an sich zu tun, die auf Hunderte Arten hätte rechtskonform UND menschlich gelöst werden können, wenn man nur wollte.
Ich krieg die Krise, wenn Banken bis vor kurzem gewisse Wertpapiere als „krisensicher“ anpriesen (die mittlerweile den Wert eines Wurstsemmerls – ohne Gurkerl! – erreicht haben), und ihre Anleger zum Spekulieren animierten, und jetzt provokante Werbekampagnen fahren wie „Konservativ liegt wieder im Trend“, so dass man sogar als rechtschaffener Bürger sich kurz mit dem Gedanken trägt, einen klitzekleinen Brandsatz in die Auslage zu schmeißen.
Ich krieg die Krise, wenn die österreichische Politik zu feig ist, ein ordentliches Tabakgesetz zu erlassen  und stattdessen nach dem Motto „entweder und oder“ einen völligen Verhau herausgibt, der das pure Chaos zur Folge hat und in Wahrheit nur darauf spekuliert, dass dann die böse EU ein völliges Rauchverbot verordnet, „wofür wir gar nix dafür können!“
Ich krieg die Krise, wenn Jugendliche mittlerweile derart dämlich sind, dass sie sich lustige Cocktails aus Felgenreiniger und Fruchtsaft mixen, und nur deshalb mit dem Leben davongekommen sind, weil das Lokalpersonal so schnell und richtig reagiert hat.
Ich krieg die Krise, wenn auf Puls 4 in der österreichischen Westentaschen-Version von „Germany‘s  Next Topmodell“ ein Heidi Klum-Verschnitt namens Lena Gercke gemeinsam mit einem Bruce Darnel für Arme mit dem bescheuerten Namen Alamande Belfor (okay, er heult wenigstens weniger als sein deutsches Alter Ego) mit todernster, inszenierter Weltuntergangsmiene arme Mädchen quälen.
Ich krieg die Krise, wenn Josef Fritzl ernsthaft plant, aus seinem Haus ein Museum zu machen.
Ich krieg die Krise, wenn der erzkonservative Papst einen erzkonservativen (okay, durchgeknallt läge mir auch auf der Zunge) Weihbischof bestellt, der bei Harry Potter „Satanismus am Werk wähnt“ und die Naturkatastrophe von New Orleans für eine gerechte Strafe Gottes für eine unmoralische Stadt hält, wo doch – wenn überhaupt – wohl eher er eine Strafe für die armen Linzer ist. Ganz abgesehen davon, dass der Papst auch gleich die Exkommunikation eines Holocaust-Leugners aufgehoben hat.
Ich krieg die Krise, wenn sich Leo Koll aus der Gastronomie zurückzieht, und ich in Hinkunft auf meine geliebte Schnitzl-Semmel mit Schnick-Schnack samt Hirter Bier dazu verzichten muss.
Ich krieg die Krise, wenn wir vollmundig „Yes We Can“ nachplappern, bei der erstbesten Gelegenheit aber, nämlich in der Frage der Übernahme von Guantanamo-Häftlingen, sofort kneifen und plötzlich ein „We Cannot“ auf den Lippen tragen.
Aber das ist in Wahrheit alles nichts! Denn wissen Sie, wann ich wirklich eine Krise bekomme: Wenn ich auf den Valentinstag vergessen sollte!