„In vier, fünf Monaten ohne Fußball habe ich am meisten gelernt“
Text
Thomas Schöpf
Ausgabe
05/2025
Das historische Doppel gab’s noch nie: Beim Hamburger SV sind sowohl die Männer (nach sieben Jahren) als auch die Frauen (nach 13 Jahren) in die Bundesliga aufgestiegen. Die Frauen bekennen sich zur Entwicklungsarbeit und haben deswegen die Ex-St. Pöltnerin Liése Brancão verpflichtet.
Sieben Meistertitel, sechs Cupsiege, drei Mal in der Champions-League-Gruppenphase – achteinhalb Jahre, oder 229 Spiele lang war Liése Brancão Trainerin des SKN St. Pölten. Knapp vor Weihnachten zog die Brasilianerin trotz Tabellenführung selbst einen Schlussstrich. „Ich hatte keine Energie mehr“, blickt sie im Gespräch mit dem MFG-Magazin zurück. „Ich habe 25 Jahre lang immer nur daran gedacht, wie ich das nächste Spiel gewinnen kann.“ Zunächst als Spielerin (bis 2014), dann als Trainerin. Den SKN hat sie gemeinsam mit Langzeit-Präsident Wilfried Schmaus von einem Amateurverein zu einem europäischen Top-Klub gemacht. Mehr als die Hälfte der Spielerinnen vom aktuellen österreichischen A-Nationalteam standen zumindest eine Zeit lang unter ihren Fittichen. Genau deswegen hat sie der deutsche Bundesliga-Aufsteiger HSV geholt. „Liése hat in den vergangen Jahren eindrucksvoll gezeigt, dass sie Teams nachhaltig weiterentwickeln kann“, sagt Saskia Breuer, die Koordinatorin Frauenfußball beim HSV, „ihre fachliche Kompetenz, ihre klare Spielidee und ihre authentische, offene Art haben uns überzeugt.“
57.000 Fans im Pokal-Halbfinale
„Ich wäre auch dorthin gegangen, wenn sie in der 2. Bundesliga geblieben wären“, sagt Brancão. Das war nach ihrem ersten Besuch vor Ort klar: „In Hamburg leben alle für den HSV, egal ob die Männer oder die Frauen spielen, oder die Basketballer.“ 57.000 Fans pilgerten zum DFB-Pokal-Halbfinale der Frauen gegen SV Werder (1:3 nV) ins Volksparkstadion. Nicht zuletzt deswegen dürfen die Frauen nun auch alle ihre Bundesliga-Spiele im Stadion austragen, gerechnet wird mit einem Schnitt von 5.000 bis 6.000 Fans.
Brancãos Batterien sind zwischenzeitlich voll aufgeladen. Ein Besuch mit ihrer Familie bei ihrer Mutter in Novo Hamburgo ist sich auch ausgegangen. Und sie hatte ausreichend Zeit, um zu reflektieren: „In vier, fünf Monaten ohne Fußball habe ich am meisten gelernt.“ Natürlich ist der HSV in die Bundesliga gekommen, um zu bleiben. Dennoch hat die Entwicklungsarbeit bei den Hanseatinnen Vorrang. „Ich werde zunächst einmal Bewegungsfreiheit schaffen. Die jungen Spielerinnen sollen lernen, dass sie Fehler machen dürfen. In den ersten drei Monaten werden wir vielleicht noch nicht allzu viel gewinnen“, weiß Brancão. Die UEFA-Pro-Lizenz macht sie „nebenbei“ als einzige weibliche Trainerin neben einem Dutzend Trainern beim ÖFB fertig. In der Bundesliga muss sie keine „Pionierarbeit“ leisten, da ist sie neben Friederike Kromp (Werder), Britta Carlson (1. FC Köln) und Ailien Poese (Unin Berlin) die vierte Frau.