Die Sache mit den Bubendummheiten
Text
Werner Harauer
Ausgabe
Okay, man könnte uns ja eine gewisse Faulheit unterstellen – aber nennen wir es einfach Pragmatismus. Nachdem Werner Harauer im Cityflyer sehr gut die Hintergründe und die Philosophie des MFG-Magazins im Gespräch mit Johannes Reichl herausgekitzelt hat, dachten wir, das würde in Auszügen doch auch wunderbar in unsere Jubiläums-Ausgabe passen. Voilá – besten Dank an Werner für die Freigabe. Und falls jemand glaubt, er hat ein Déjà-vu – es ist eines!
Im November 2004 erschien die erste Ausgabe von MFG – Das Magazin. Kannst du dich noch erinnern, wer die Idee zum MFG hatte? Gibt es so etwas wie einen Gründungsmythos?
Die Idee zu einem Magazin hatten René Voak und ich, wenngleich anfangs in ganz anderem Sinne. Im Vorfeld meines beruflichen Wechsels zu NXP machten wir uns Gedanken, welche Marketing- und Werbetools für die VAZ Bewerbung sinnvoll sind – unter anderem waren wir uns schnell einig, dass ein Kundenmagazin Bindung schaffen könnte. In einem erweiterten Projekt-Kreis um Michael Müllner, der damals noch das Joynt Magazin herausgab, die Anfangs-Mitherausgeber Norbert Bauer sowie Thomas Wagner und Matthias Steinperl von wagner&steinperl setzte sich dann rasch die Überzeugung durch, dass wir eigentlich ein richtiges Magazin umsetzen müssen. Kein Mythos, sondern Tatsache: In dieser Zeit kochte gerade der Priesterseminarskandal hoch – Codewort Bubendummheiten. Darüber wurde auf der ganzen Welt ausführlich berichtet, von profil über stern bis CNN. In St. Pölten dahingegen, wo der Skandal stattfand, wurde der Ball medial extrem flach gehalten. Das verfestigte die Idee der Notwendigkeit eines neuen Magazins nachhaltig.
Welche Überlegungen standen hinter dem Wunsch, ein eigenes Medium zu publizieren?
Das Gefühl, dass ein derartiges Medium in der Stadt schlicht fehlt – u. a. aus zuvor genanntem Grund. Das ist nicht gut für die Hygiene, Offenheit und Entwicklung einer Stadt. St. Pöltens Medienlandschaft war damals von zwei großen Gamblern geprägt, St. Pölten konkret – das offizielle Amtsblatt/Magazin der Stadt einerseits, und die NÖN andererseits. Beide waren sehr klar politischen Lagern zugeordnet, vielleicht gar nicht so sehr nur in dem, was sie berichteten, sondern in dem, was sie nicht berichteten bzw. wie die Geschichten aufbereitet wurden. Das war aus unserer Sicht oft sehr einseitig und führte bei politischen Themen rasch zu einer Polarisierung. Es wurde generell damals oft schwarz-weiß gemalt, die bunten Schattierungen dazwischen bzw. auch der gesamtheitliche Blick auf Themen gingen dabei verloren, wodurch die Stadt in ihrer eigentlichen Vielfalt nicht medial ausgedrückt wurde. Viele – aus unserer Sicht notwendige Diskurse – fanden nicht statt, weil sie schlicht medial nicht vorkamen.
Was wolltet ihr also mit dem Erscheinen erreichen?
Ein realistischeres, nuancierteres, bunteres Bild der Stadt, wie sie eben ist. Verschiedene Lebenswelten, auch Subszenen aufzeigen, die existieren und die Stadt mitausmachen. Diskurse anstoßen und begleiten, ja Raum für solche überhaupt erst schaffen, indem man verschiedene Blickwinkel auf eine Sache aufzeigt, damit vielleicht aber auch neue Wege. Im Grund genommen wollten wir die Fenster öffnen und frische Luft hereinlassen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, sehr wohl aber St. Pölten selbst – nämlich sehr zum Positiven, auch was diese Vielfalt betrifft.
An welches Publikum richtet sich das MFG?
Wie formulieren wir es in unseren Mediadaten: „an alle, die gerne Magazinpapier in ihren Händen halten und nicht nur an der Oberfläche kratzen, sondern gerne in die Tiefe gehen möchten.“ Das betrifft Reportagen, Interviews, Portraits ebenso wie die politische Berichterstattung. MFG wendet sich an alle, ob on- oder offline, die sich nicht damit zufriedengeben, Sachverhalte nur aus einem Blickwinkel zu betrachten oder nur in ihrer Bubble zu verweilen, sondern die wissen möchten, was sagen auch die „anderen“ dazu, wie ordnen das Experten ein, wie empfinden das direkt Betroffene. Es geht darum, eine fundierte Informationsbasis zu schaffen, auf der man sich seriös selbst eine eigene Meinung bilden kann.
In welcher Tradition würdest du das „MFG“ einordnen? Ist es mehr profil? Oder mehr Stadtzeitung wie der Falter? Oder mehr die NÖN im Vierteljahresrhythmus?
In der Vorbereitungsphase stand eindeutig als Vorgabe, dass wir auf Basis gründlicher Recherche ein Magazin mit langen Strecken, umfangreichen Portraits und Interviews umsetzen möchten. Das gab es in St. Pölten damals nicht. Hierfür haben wir uns im Vorfeld praktisch alle damaligen Magazine am Markt näher angeschaut, wie die das so machen. Daraus geworden ist dann MFG – Das Magazin, ein doch sehr eigenständiges Wesen.
Ich habe uns da nie wirklich großartig in irgendeiner Tradition gesehen, es gibt auch praktisch nichts Vergleichbares in Österreich. Im Grunde genommen versuchen wir, neben den aktuellen Themen der Stadt, die wir beleuchten und durchdringen, auch die große Welt, die großen gesellschaftlichen Fragen hereinzuholen – aber ebenfalls auf die Region, die Stadt heruntergebrochen und auch auf dieser Ebene abgehandelt. Was bedeutet das konkret hier, bei uns? Dadurch entsteht auch eine andere Unmittelbarkeit und Betroffenheit.
In eurem Impressum steht, ihr seid „fast unabhängig“. Von welchem letzten Rest seid ihr abhängig?
Ich gestehe, das habe ich ehemals vom Red Bulletin abgekupfert, weil es mir sehr gut gefallen hat. Unsere Abhängigkeit bezieht sich dabei auf uns selbst, auf unser Unternehmen NXP als Herausgeberin. In allen anderen Beziehungen sind wir tatsächlich unabhängig, weil MFG privat herausgegeben wird. Es gibt keine Institution, keine Körperschaft, keine Partei, keinen Konzern oder ähnliches hinter uns, wir bekommen auch keine Presseförderung oder werden sonst irgendwie von außen finanziert. Aber genau diese Unabhängigkeit und Freiheit machen die Qualität und Seriosität des Magazins aus. Für mich ganz persönlich auch den Reiz der Arbeit und die Liebe zum MFG.
Ist es in einem Dorf wie St. Pölten aber nicht wesentlich schwieriger unabhängig zu sein? Da hier jeder jeden kennt, ist man bald in einem Netzwerk von Verbindlichkeiten gefangen ...
Ich glaube nicht. Ob du unabhängig bist oder nicht hat zum einen schon mal mit der Gründungsabsicht zu tun – manche Medien werden ja ganz bewusst für einen Zweck gegründet, die haben also von vornherein, zumindest nach innen, nicht den Anspruch unabhängig zu sein, wenn vielleicht im Impressum auch was anderes steht. Ansonsten ist Unabhängigkeit eine Frage des persönlichen journalistischen Anspruchs und der persönlichen Integrität. Die kann man durchaus bewahren, auch wenn man viele Menschen persönlich kennt. Man muss einfach wissen, für wen man als Medium sozusagen da ist und wem man sich verpflichtet fühlt – und das ist im Idealfall der Leser, die Leserin, die man mit bestmöglicher, fundiert recherchierter, seriöser Information versorgen möchte.
Wie viele Stunden Arbeit stecken in einer Ausgabe?
Keine Ahnung, das haben wir noch nie hochgerechnet. Immens viel jedenfalls. Aber um ein konkretes Beispiel zur Einordnung zu bringen: Für den Prozessbericht über den Pflegeheimskandal in Kirchstetten hat Michael Müllner inklusive Prozessteilnahme, Recherche und Schreiben damals rund 100 Arbeitsstunden aufgewendet – für eine Story!
Wie kann sich das rechnen?
Da ist die Frage, wie man „rechnen“ definiert. Wenn du es aus monetärer Sicht meinst: Da schaffen wir es dank unserer langjährigen Werbekunden und -partner seit Jahren, dass sich das MFG sozusagen selbst trägt. Wir haben aber dank unserer Herausgeber den unendlichen Vorteil, dass das Monetäre beim Magazin nicht im Vordergrund steht – zum einen, weil es auch ein Werbemedium für die NXP Gruppe ist und das einen Wert hat, zum anderen weil René und Bernard Voak vom selben journalistischen Idealismus beseelt sind und daher das Magazin aus all den angeführten Gründen finanzieren.
Man kann „rechnen“ aber auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten, und in diesem Sinne würde ich MFG verorten: Ein solches Medium, davon bin ich überzeugt, schafft einen Mehrwert für die Stadt, für die Bevölkerung, für das Selbstverständnis St. Pöltens, für Selbst- und Fremdwahrnehmung, für die Entwicklung hin zu einer offenen, diskursiven, selbstkritischen, aufgeklärten, urbanen Gesellschaft. Ob dies tatsächlich so ist, müssen natürlich andere beurteilen – aber immerhin gibt es uns schon 20 Jahre, alles andere denn eine Selbstverständlichkeit in der Medienbranche.