Die Tangente-Testpiloten
Text
Beate Steiner
Ausgabe
Für eine umfassende Berichterstattung hat das MFG auch Erfahrungsberichte eingeholt, quasi ein Sample von Menschen mit divergierenden Perspektiven auf Kultur und quantitativ unterschiedlichen Erfahrungen mit Kunst- und Kulturveranstaltungen.
Der kulturelle Hobbyflieger
Unser anonymer Tester ist männlich, mittleren Alters. Er hat seine Gattin zu einigen Tangente-Veranstaltungen begleitet. Seine persönliche Einschätzung des Festivals:
„Es waren großteils sehr ungewohnte Veranstaltungen, eher für ein Nischenpublikum geeignet und insgesamt zu umfangreich für die Einwohnerzahl St. Pöltens. Positiv formuliert: Es war mal was Neues in der Stadt.“ Angesehen hat sich unser kultureller Hobbypilot so einiges: „The Way of the Water“, „Wasteland“, das Konzert von Voodoo Jürgens. Besonders beeindruckt war er von „Shared Landscapes“ und „Kampf um die Stadt“ – „Das waren tolle Erfahrungen zu einem günstigen Preis.“ Weniger begeistert war unser Anonymus von den Veranstaltungen auf dem Glanzstoffgelände, „Hands made“ in der Turbinenhalle („Da habe ich mir etwas anderes vorgestellt.“) und „Wasteland“ hinter der ehemaligen Spinnerei.
Der Stadt St. Pölten könnte das Festival für Gegenwartskultur schon etwas gebracht haben, denkt unser Tester, weil es überregional stark beworben wurde. Allerdings: „Ein Großteil der heimischen Bevölkerung hat aber offensichtlich eine negative Einstellung dazu, wegen der Themen, mit denen wenige etwas anzufangen wussten, und wegen der hohen Kosten in finanziell schwierigen Zeiten.“
Die kulturelle Vielfliegerin
Eva Heimberger-Maringer besucht seit Jahren sehr viele Kulturveranstaltungen, von Wien bis Linz, vom Waldviertel bis Graz. Und sie war sehr neugierig auf das heimische Festival, hat sich auf die Tangente gefreut. „Der Start mit der Oper ‚Justice‘ war fulminant – gestört hat mich aber sehr, dass im Anschluss ein Buffet angeboten wurde, statt das dafür ausgegebene Geld genau den Menschen zu spenden, die von dieser Katastrophe betroffen waren.“ Ihre großen Erwartungen, wie es wohl mit dem Festival weitergeht, wurden dann ziemlich gedämpft. „Es war mir lange nicht möglich, weitere Programmpunkte oder eine Übersicht herauszufinden – nicht im Internet, keine Zusendung eines Programms, keine Infos im öffentlichen Raum.“ Die großen Transparente über der Autobahn, in Wien, auf Autobussen sind Eva Maringer zwar aufgefallen, „aber in St. Pölten gab es einfach zu wenig Konkretes und auch kaum Berichte in den Medien, abgesehen von einem nicht besonders ansprechenden ORF-Bericht.“ Auch in der Tangente-Zentrale in der Linzer Straße konnte unsere kulturelle Vielfliegerin ihr Informations-Defizit nicht verringern: „Oft war niemand da, und wenn schon, waren die Leute sehr nett, aber nicht zuständig.“
Etwas positiver sieht Eva Heimberger-Maringer das Fest im Regierungsviertel. „Das hätte sich ganz interessant entwickeln können, aber auch da hatte ich das Gefühl, dass sehr dilettantisch gearbeitet wurde, lange kein Programm, keine Linie, die sich durchgezogen hätte.“
Und die kulturinteressierte ehemalige Volksschullehrerin zieht einen Vergleich zu anderen Veranstaltungen und Festivals, die sie besucht hat: „Die Tangente hatte für mich keine Seele, keinen Spirit, kein Herzblut. Beim Festival für Gegenwartskultur fehlte es einfach an der Umsetzung der an sich recht guten Ideen, am neugierig Machen und an der passenden Werbung.“ Ebenfalls gefehlt hat der kulturellen Vielfliegerin eine anschließende objektive Berichterstattung, auch über die Kosten.
Eva Heimberger-Maringers Fazit: „Die Tangente war eine große Chance für St. Pölten, die nicht genutzt wurde, besonders, weil heimische Künstler und Künstlerinnen, die Bevölkerung und St. Pöltner Institutionen zu wenig eingebunden wurden. Die Tangente hat St. Pölten nicht tangiert, nicht berührt, sie ist an den St. Pöltnern vorbeigegangen.“
Die kulturelle Profi-Pilotin
Christa Amadea ist akademische Künstlerin, sie unterrichtet an der Kunstuniversität Linz Fotografie und Performance Art. Die gebürtige St. Pöltnerin, die in Wien lebt, hat sich einige Projekte der Tangente angesehen, ausführlich zum Beispiel „The Way of the Water“. Sie hat mit St. Pöltner Freunden eine Führung gemacht, ist mit ihnen entlang der Traisen spaziert, wo verschiedene Künstler und Künstlerinnen ihre thematischen Arbeiten zum Thema „Wasser“ skulptural installiert hatten. „Interessante Kommentare waren da zu hören – dass meine Freunde ohne den Parcours nie an diesen Ort gekommen wären, und wie schön es doch an der Traisen ist.“ „The Way of the Water war das Tangente-Highlight für Christa Amadea: „Die Idee war wirklich genial, ich hoffe, dass sie weitergeführt wird. Eben weil es in St. Pölten keinen Ort für internationale bildende Kunst gibt, wäre es eine charmante Variante, diese Idee weiter zu verfolgen und den öffentlichen Raum zu bespielen.“
Mitgemacht hat die Künstlerin auch beim Rimini Protokoll. „Diese performativen Audiostücke in der Natur mit den Wiesen, Wäldern und Feldern in der Nähe von Pyhra waren eine Besonderheit, die ich als sehr gelungen empfand.“
„X-Erinnerung“ war ein weiteres Highlight für Christa Amadea. „Da kam man an unterschiedlichste Orte in St. Pölten, die man ohne diese Theatertour nicht gesehen hätte. Man konnte in eine sonst verschlossene Welt eintauchen.“
„StadtLandFluss“, das Fest im Landesregierungsviertel, hatte für die Kultur-Expertin „eine zauberhafte Sommer-Atmosphäre mit einem endlich wieder bespielten Klangturm. Was für eine Freude, diesen Turm in seiner ursprünglichen Funktion zu erleben. Ich kann nicht verstehen, warum der Klangturm in Stille leben muss.“
Nicht optimal war für Christa Amadea die Information über das Festival. „Für die Tangente hätte ich mir eine bessere Kunstvermittlung gewünscht, einen Ort, der nonstop besetzt ist. Am besten am Bahnhof einen ‚Tangente-Stand‘ für das ganze Projekt. Gleichzeitig ein Ort der Kommunikation, wo alle Leute, die mit dem Projekt zu tun haben, Diskurse über das Projekt schaffen.“ Das Tangentebüro in der Linzerstraße sieht die kulturaffine Besucherin als Fehler, „viel zu kompliziert zu finden, außerdem war es sonntags geschlossen.“
Es sei nicht einfach, ein Festival in einer Stadt zu platzieren, mit dem sich alle identifizieren können, und natürlich soll Kultur Diskurse auslösen, weiß die Künstlerin, allerdings wäre dabei eine klare Positionierung der Politik hilfreich: „Die Kulturfestivals haben oft eine koloniale Verhaltensweise für die ansässigen Künstler und Künstlerinnen. Jeder will dabei sein, und die Auswahl der Projekte ist oft subjektiv und nicht immer nachvollziehbar.“
Für Christa Amadea war es ein Erlebnis, St. Pölten in einem experimentellen Zustand zu sehen, sie wünscht sich eine Fortsetzung der Tangente, mit dem Kunstparcour an der Traisen, mit „StadtLandFluss“ im Regierungsviertel, mit einem belebten Klangturm und mit einer städtischen Galerie für internationale zeitgenössische Kunst: „Die Chance dafür wurde beim Festival heuer nicht genutzt.“