Tangente - Die Statements
Ausgabe
DIE INNENWAHRNEHMUNG – KÜNSTLER/VERANSTALTER
Grundfragen:
Wie haben Sie die „Tangente“ erlebt/wahrgenommen?
Ein explizites Ziel betraf die Integration und Förderung der heimischen Künstlerszene, sowohl im Zuge des Festivals an sich als auch im Sinne einer Anschubwirkung für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Szene über 2024 hinaus. Ist dies in Ihren Augen gelungen oder nicht gelungen?
WALTER BERGER, Künstler
Zur Kunst im öffentlichen Raum:
Domplatz: „Florian“: eine Holzskulptur mit Schrumpfkopf und einer Mohnkapsel statt einer Lanze zum Preis von ca. 280.000 Euro.
Domplatz: „Dead, I’m still Paper“ von M. Castillo Deball: Thomas Trenkler, 30. 8. 2024 Kurier: „Ein Himmel voller Stofffetzen, die keinen Schatten spenden.“
„The Way of the Water“: polnisch-mexikanisches Netzwerk. Von den 23 Installationen ein Drittel brauchbar, ebenfalls viele Stofffetzen. STUPID ART!
Stadtgalerie: Kein Kommentar!
ANDREAS FRÄNZL, Musiker/Künstler – Tangente Kurator „Stadtprojekte“
Ein Fazit Tangente St. Pölten Festival für Gegenwartskultur
Wie haben Sie die „Tangente“ erlebt/wahrgenommen?
Ich war auch Teil der Gruppe von Kulturschaffenden (KulturhauptStart) die sich 2017 dafür eingesetzt haben, dass Stadt und Land sich dafür entscheiden sich als europäische Kulturhauptstadt zu bewerben. Die Enttäuschung war sehr sehr groß, als wir nicht den Zuschlag bekommen haben, und somit kam es zum schon vorher angekündigten Plan B.
Dass der begonnene Prozess fortgesetzt wurde, fand ich natürlich grundsätzlich sehr begrüßenswert, nachdem so viel Energie investiert wurde.
Mir war aber schnell klar, dass ein Festival für Gegenwartskultur nicht dasselbe ist wie das Programm einer europäischen Kulturhauptstadt. Christoph Gurk konzipierte im Grunde ein neues zeitgenössisches Festival und es wurde nur ein relativ kleiner Teil der Bidbook-Programmskizzen in die Tangente mitgenommen. Da wäre sicher noch mehr möglich gewesen, wenn man noch etwas stärker auf bereits Vorhandenes aufgebaut hätte bzw. angedockt hätte, wie z. B. an Formate wie das Bürger*innentheater udgl. Mein zentrales Anliegen war, nach intensiver Vorarbeit in der Bewerbungsphase, dass möglichst viel in die Tangente einfließt! Formate, an denen ich ursächlich beteiligt war wie „Stadt Land Fluss“ oder die „Visionale“, verlangten nach einer Fortführung – im neuen Kontext. Es freute mich, dass auch das Working Class Festival in das Tangente Programm aufgenommen wurde und die Klimakonferenz im Sonnenpark ein wichtiger Teil es Ökologie Schwerpunkts wurde!
Es war schön gewisse Wege fortsetzen zu können, aber auch ziemlich herausfordernd für mich im Alltag damit konfrontiert zu werden, dass auch einiges des Programmes nicht so bei den Locals angekommen ist, wie man es sich gewünscht hätte. Ich glaube, es war etwas zu viel reingepackt und in der Fülle nicht ausreichend gut kommunizierbar. Schade, denn Formate wie X Erinnerungen, der Kunstparcours, Vorstellungen im Landestheater oder Festspielhaus aber auch ambitionierte Communityformate im Norden hätten sich mehr Zuschauer:innen verdient. Bei, auf den ersten Blick, nicht so zugänglichen Formaten hätte es wahrscheinlich auch noch mehr Vermittlungsarbeit und vor allem mehr Zeit gebraucht, um es den St. Pöltnern näher zu bringen. Umso wichtiger ist es jetzt zu evaluieren, zu reflektieren und ein „Learning“ mitzunehmen. Wir werden diese Erkenntnisse wahrscheinlich noch brauchen können.
Ein explizites Ziel betraf die Integration und Förderung der heimischen Künstlerszene, sowohl im Zuge des Festivals an sich als auch im Sinne einer Anschubwirkung für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Szene über 2024 hinaus. Ist dies in Ihren Augen gelungen oder nicht gelungen?
Als jemand, der schon relativ lange im Kulturbereich in verschiedenen Rollen St. Pölten tätig ist (lames, sonnenpark, café publik, bauchklang etc.), ist es mir natürlich ein großes Anliegen, dass möglichst viel überbleibt und es ambitioniert weitergeht!
Die etwas unbeachtete Kulturstrategie 2030, die schon bei der Bewerbung vor 5 Jahren entwickelt wurde, spielt hier auch eine nicht unwesentliche Rolle für die Weiterentwicklung der Szene über 2024 hinaus. https://www.st-poelten.at/images/Folder/Kulturstrategie_stp2030_druck.pdf
Rückschlüsse der Tangente Aktivitäten auf diese Kulturstrategie sind wichtig – auch um zu gewichten, was in Zukunft unbedingt weiterverfolgt werden sollte!
Bei den meisten Bereichen, wo ich in der Tangente involviert war, ging es darum lokale Protagonist:innen zu aktivieren bzw. einzubinden. Es gab einige Open Calls wie beispielsweise den Songwriting Call, einer Kooperation mit musik.stp und dem Freiraum. Hier ist es, meiner Ansicht mit mehr Mitteln und neuen Synergien sehr gut gelungen auf Bestehendes aufzubauen (musik.stp sampler). Ich fand es auch wichtig die lokale Künstlerschaft anzuregen sich mit den Festivalthemen, Ökologie, Erinnerung und Demokratie zu beschäftigen. Diese Themen waren auch bei der Visionale und Stadt-Galerie relevant, wo wir den öffentlichen Raum und Leerstand bespielt haben. Die Beteiligung lokaler Künstler:innen und Initiativen wie „Hippolyt & Töchter““ und der NDU war hier sehr wichtig – ebenso Budgets zu haben, die professionelles Arbeiten ermöglicht haben!
Innerstädtischer Leerstand und öffentlichen Raum generell mehr zu bespielen, besser zu nutzen, zu gestalten ist etwas, das wir unbedingt weiterverfolgen sollten!
Ein spezieller öffentlicher Raum, das Regierungsviertel / der Kulturbezirk wurde beim Stadt-Land-Fluss Festival von vielen lokalen Protagonst:innen als Auftrittsort genutzt.
Die Tangente hat geholfen Stadt-Land-Fluss auf einen neues Level zu heben und auch in Zukunft solls weitergehen – inklusive Klangturmbespielung und Tiefgaragen-Dancefloor! Wichtig ist, dass auch hier Land / die NÖKU Institutionen und die Stadt gemeinsam mit der Kulturszene, der Bevölkerung – auf Augenhöhe – weiterplanen, das Format weiterentwickeln.
Die Klimakonferenz mit starker Einbindung der lokalen Nachhaltigkeits-Szene in Verbindung mit Kunst und Kultur ist ebenso etwas, das nach Fortsetzung schreit! Dass sich der Sonnenpark als perfekter Ort für dieses Format anbietet, war keine Überraschung. Der zweite freie Szene Ort. der Löwinnenhof*, der auch als Festivalzentrum diente – bleibt auch als innerstädtischer, wichtiger Kristallisationspunkt bestehen. Es wär schön, wenn man die gesamte Linzer Straße als Kulturviertel (ähnlich wie Lendviertel in Graz) weiterdenken würde. Wichtig wäre auf jeden Fall die aktivierte Energie aufrecht zu halten, die gutes Basis zwischen Stadt und Land zu nutzen, mit alle Player im Austausch zu bleiben, womöglich Arbeitsgruppe zu bilden und sich auf einen gemeinsamen Nach-Tangente Prozess einzulassen!
THOMAS FRÖHLICH, Autor, Veranstalter
Für mich stellte es ein unglaublich schlecht organisiertes, übel kommuniziertes und letztendlich an der Bevölkerung und an der heimischen Szene (Ausnahmen bestätigen die Regel) vorbei produziertes Millionengrab dar, in dem ein paar woke Bobos ihren Spielplatz hatten. Klar gab?s auch Momente, die gut waren – das waren aber meistens jene, bei den die Tangente einfach ihren Namen dazu urgiert hat – diese Veranstaltungen hätten aber auch ohne Tangente stattgefunden.
EDITH HAIDERER, „Hippolyt & Töchter"
Ich war so ziemlich vom Anfang bis zum Schluss (Stadtgalerie) dabei ... vieles ist passiert ... Hippolyt und Töchter hat mit viel Humor und unerschütterlichem Durchhaltevermögen die Teilnahme an der Stadtgalerie erkämpft. Hochwertige Objekte zu präsentieren ist den fünf Frauen nicht schwergefallen, weil das Ausstellen in den Auslagen im Herrenhof ja nix Neues für die Künstlerinnen war.
Letztendlich habe ich also trotz aller Schwierigkeiten erreicht, was ich wollte ...
Freunde bzw. Freundinnen habe ich keine gefunden und Netzwerk hat sich auch keines ergeben.
WERNER HARAUER, Chefredakteur Cityflyer
Für mich ist die Tangente bereits Geschichte und für die Veranstalter scheinbar auch. Dabei wäre ein "Revue passieren lassen" eine gute Gelegenheit auf Fehlersuche zu gehen, um diese bei zukünftigen Großveranstaltungen zu vermeiden. Und Fehler passierten meiner Meinung nach nicht wenige: bei der Organisation, bei der Konzeption und bei der Vermittlung.
Ich für meinen Teil fand genug interessante Veranstaltungen, wenn auch einiges an Gedankenakrobatik notwendig war, diese einem der drei Schwerpunkte zuzuordnen (= Konzeption. Der Demokratieschwerpunkt litt besonders am Mangel eines stringenten Plans). Ob die (meine Lieblings)Projekte den Aufwand rechtfertigen, wage ich zu bezweifeln.
Das hätte man billiger auch haben können.
Die Tangente ins Leben zu rufen war letztendlich eine politische Entscheidung und das merkte man ihr auch an. Der "Zwang zum Erfolg"
veranlasste die Verantwortlichen, die Semiprofessionellen außen vor zu lassen. Während sich die Gemeinde mit ihrer bescheidenen Kulturabteilung zurücknahm und nur jenes in Aussicht stellte, was sie auch zu leisten imstande war (Geld ?!, Locations und das Einbringen sowieso stattfindender Veranstaltungen), überhob sich die NÖKU dramatisch. Die Kulturarbeiter dort arbeiten im Normalbetrieb schon am Limit und bekamen hunderte zusätzliche Veranstaltungen aufgehalst. Meiner Meinung nach hätte die NÖKU das Personal mit kompetenten Personen massiv aufstocken müssen (= Organisation).
Traurig auch das Versagen der Medien. Außer den (bezahlten) Presseaussendungen fand man kaum Lesenswertes. Was schlussendlich auch nicht überrascht, weil die Redaktionen aus Spargründen ebenfalls kein kulturaffines / kompetentes Personal haben. Das betrifft zwar nicht die Tangente, aber ohne Medien keine Vermittlung. Ohne Vermittlung keine Besucher. Wo wir bei der Medienpolitik wären und die betrifft - wie der Name schon sagt - die Politik, die ein Interesse an einer seriösen Berichterstattung (nicht nur) der Tangente haben müsste.
Ob die Integration und Förderung der heimischen Künstlerszene gelungen ist, weiß die Künstlerszene wohl besser als ich. Meinen Beobachtungen nach ist sie nicht gelungen. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass man sich darum große Mühe machte. Ich wüsste auch nicht, wer der Verbindungsmann hätte sein sollen zwischen NÖKU und heimischer Künstlerszene bis Andi Fränzl spät auf den Plan trat.
Wie sich die Szene weiterentwickelt, wissen die Götter. Da spielen einfach zu viele ungekannte Faktoren rein (wirtschaftliche und politische Entwicklung,...), und "Kaffeesud-Lesen" bringt niemandem etwas.
PHILIPP HUBMANN, SOLEKTIV
Durch die Bewerbung von St. Pölten als Kulturhauptstadt sind auch dem Sonnenpark von Stadt und Land großzügige Baugelder zugestanden worden. Ähnlich wie andere Bauvorhaben wird auch unser Kulturstandort nachhaltig von diesem Investment profitieren. Der Freien Szene von St. Pölten werden ab dem kommenden Frühjahr tolle Räumlichkeiten zur Verfügung stehen, die es ohne diese Förderung nicht gegeben hätte.
Unser renoviertes und erweitertes Hauptgebäude wird voraussichtlich im März/April 2025 eingeweiht.
Unmittelbar vor der Tür steht, genauer gesagt am Samstag, den 30.11., das reOpening des Schwarzen Raums mit Konzerten und DJ-Sets.
PETER KAISER, Autor, Brache-Herausgeber, Buchhändler
"Wer aber zürnte der geistlosen Heuschrecke, wenn sie Staub aufwirbelnd Felder kahl frisst und Wüsteneien hinterlässt?
Jenem aber, der sie herbei lockte mit des Volkes Honigtöpfen, jenem aber entziehet fürderhin das Mandat. (Petr. Imp. 4.11)"
RENATE KIENZL, Theatermacherin, Veranstalterin
1. Wahrnehmung:
Das Tangente-Festival für Gegenwartskultur kämpfte von Anfang an mit der Schwierigkeit, zu erklären, was es sein will und wie es das den Leuten/dem Publikum näher bringen könnte. Das fing mit dem Titel an, das ging im umfangreichen, jedoch unverständlichen 1. Programmbuch weiter, das keinen Terminkalender enthielt, an dem man sich hätte orientieren können. Was aber klar war, weil Vieles noch unfertig war, wie etwa die heimische Künstlerszene zu integrieren. Zugegebenermaßen auch schwierig für ein Team, das St.Pölten ja gar nicht kannte. Und alle Kunstsparten abzudecken ist auch nicht einfach.
Die großen, eingekauften Acts für Festspielhaus und Landestheater gingen über die Bühne, hinterließen gemischte Gefühle, wie es auch sein darf. Nur war das halt „Hochkultur“, da gibt es eine Publikumsschicht und viele, viele Menschen gehen da nicht hin. Schon allein wegen der Kartenpreise, die übrigens meiner Meinung nach bei vielen Veranstaltungen zu hoch waren. Je länger die Tangente dauerte, desto vielfältiger wurde sie, desto lockerer, desto lässiger. Die 3 Peaks machten Sinn, waren gut gewählt.
Auf Kikula, Synagoge, Domplatz etc. möchte ich nicht eingehen, da wurde bereits alles gesagt.
Ja, ich finde schon, dass die Tangente St. Pölten sehr gut tat. Es wurde Vielfalt gezeigt und gelebt, unsere Sicht auf diese so unberechenbar und undurchsichtig gewordene Welt wurde erweitert. Unser aller Akzeptanz für Diverses, sei es in der Kunst, sei es im Alltag wurde „verfeinert“, sensibilisiert.
2. Die heimische Künstlerszene:
Sie hat groß aufgezeigt, als man sie endlich ließ, Sonnenpark war präsent wie nie, Tipping Time war dort gut platziert, StadtLandFluss war ein Highlight des Sommers, Blätterwirbel Spezial festigte seinen Ruf als Literaturinstanz, …
Anschubwirkung: hoffentlich geht’s da weiter, das Festivalzentrum gehört ordentlich genutzt, das hat ein riesiges Potenzial. Werkstätten gehören gefüllt mit Leben, StadtLandFluss, Sonnenpark, About home gehören unterstützt, die Linzer Straße neu gedacht, weil so ist sie vergeigt, Stadt-Galerie sollte weiter bestehen, etc. Die soziale Komponente kam beim Festival zu kurz, da ging noch viel, viel mehr und wäre in Muss. Das wäre ein eigenes Kapitel.
Was mir noch aufgefallen ist, dass alles, was in und mit der Natur stattfand, großen Anklang hatte und angenommen wurde. Auch da, weiter, weiter…
ERNEST KIENZL, Künstler, Künstlerbund St. Pölten
Wie haben Sie die „Tangente“ erlebt/wahrgenommen?
• Im Anfang ziemlich elitär und vor allem auf die großen Häuser ausgerichtet – gegen Ende wesentlich offener.
Viele Programmpunkte interessant. Die inhaltliche Nähe zu den Wiener Festwochen fragwürdig.
• Vieles wurde erst zu spät oder gar nicht verwirklicht (Überdachung Karmeliterhof)
• Namen und Reifenlogo erscheinen mir fragwürdig
• Innerstädtische Öffentlichkeitsarbeit bzw. die Vermittlung der Inhalte an potentielles Publikum aus St. Pölten war sehr schlecht. Das „dicke Tangentebuch“ war nichtssagend und eigentlich kontraproduktiv.
• Die Aufteilung in drei Peaks war sicher sinnvoll, wenn auch im Programm nur ansatzweise nachvollziehbar. Die lange Sommerpause vor dem dritten Peak hat den Festivalcharakter zerrissen.
• Preise, insbesondere für die kleineren Veranstaltungen, waren zu hoch und teilweise abschreckend.
• Es wurde zu wenig vermittelt, dass Infrastrukturmaßnahmen und Programm finanziell zwei verschiedene Paar Schuhe waren und der Zeitpunkt 2024 budgetär vorgegeben war.
• Bildende Kunst war enttäuschend, vor allem der Way of the water, von dem bestenfalls 3 Positionen interessant und auf die Traisen bzw. den Mühlbach bezogen waren. Dass es in St. Pölten auch den Nadelbach (unterirdisch) gibt, wäre sicher auch ein interessanter Punkt gewesen - vor allem in Hinblick auf frühere Überschwemmungen.
Dass ein einziges Team aus St. Pölten dazu eingeladen wurde (das übrigens zu den 3 interessanten Positionen zählte) und von Seiten der für die bildende Kunst Verantwortlichen (Joanna Warsza, Lorena Vera) keinerlei Kontakt mit heimischen Künstlern gesucht wurde, ist jedenfalls befremdlich.
• Domplatzinstallationen:
Bad für Florian: von der Grundkonzeption her interessant. Durchführung mäßig, Florianstatue indiskutabel.
Still paper: Hätte sicher auch besser gelöst werden können (Berücksichtigung des Grundrisses der Pfarrkirche für die Stahlkonstruktion, Berücksichtigung der Himmelsrichtung wegen Schattens und Wind). Wurde später einigermaßen „repariert“.
• Kinderkunstlabor:
Vielversprechende Initiative, vor allem in der Vorlaufphase.
Start leider holprig. (Offen, geschlossen, noch kein Programm)
Ich warte noch auf die ursprünglich angekündigten „großen“ Künstlerinnen und Künstler und deren Werke und neue Vermittlungsmöglichkeiten, die wesentlich über das, was in KIndergärten und Volksschulen bereits gemacht wird, hinausgehen.
Altoonapark hat davon profitiert - weil jetzt wirklich ein Park und keine "Gstettn".
• Renovierung von Synagoge und Jüdischen Friedhöfen war notwendig
Ein explizites Ziel betraf die Integration und Förderung der heimischen Künstlerszene, sowohl im Zuge des Festivals an sich als auch im Sinne einer Anschubwirkung für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Szene über 2024 hinaus. Ist dies in Ihren Augen gelungen oder nicht gelungen?
• Die heimische Szene mit Ausnahme "Solektiv" wurde erst sehr spät – über großen Druck verschiedener Initiativen – zumindest periphär eingebunden.
Beispielsweise wurde mein Vorschlag, die Linzer Straße nach Vorbild der New Yorker Highline als Wiese mit einem zweispurigen Feldweg für notwendige Zufahrten und Bäumen und Skulpturen zu gestalten, bereits Christoph Gurk und dann auch Tarun Kade und den Architekten der Biennale Urbana nahegebracht und erst kurz vor Ende der Tangente von Marcus Weidmann-Krieger in Ansätzen umgesetzt (Aber leider mit dem letzten Tag der Tangente wieder entfernt) Begründung war: Autobusse müssen durch die Fußgängerzone fahren können. (Was sie dann ja auch ausgiebig taten und damit die Fußgängerzone ad absurdum führten.)
Aber vielleicht wird es ja mit der nächsten Renovierungsphase noch was.
• Aus dem Kulturzentrum Löwinnenhof könnte was werden, was bei der Schlusspressekonferenz auch öffentlich be- bzw. versprochen wurde und scheint jetzt in einer vereinsmäßigen Überstruktur zu wachsen. „Möge die notwendige finanzielle Ausstattung dieses Vorhabens auch wirklich langfristig gesichert sein“. Das Festivalzentrum sollte auf jeden Fall weiterhin vor allem der freien Szene zur Verfügung stehen.
KULTURDOYEN
Sie, die schon so viele Intendanzen von der Auswahl her professionell gelöst haben, griffen bei jenen der TANGENTE in kaum vorstellbarer Weise verlässlich daneben.
Leute von der muffigen „Spiritualität“ des Wiener Volkstheaters u.ä., von internationalen Agenturen gepushte Player/innen, sie glaubten uns mit Tonnen von Papier, bedruckt in einer pseudo-elitären, belehrenden Diktion, überhäufen zu müssen. Sogar eine demokratieförderliche Attitüde legte man sich noch zu. Hingegen wurden Kooperationen wie etwa eine des KIKULA mit der nur über die Gasse entfernte, österreichweit hoch angesehene Anstalt für Kindergartenpädagogik (und deren KunsterzieherInnen) nie in Betracht gezogen …
Dort, wo die TANGENTE an ihre Zielgruppe herankam, hatte sie sich einfach an seit Jahren erfolgreiche Formate angehängt. Erspar mir eine Aufzählung. Es stellt sich die Grundfrage, ob die tatsächlich historischen Früchte des neuen Klimas mit „dem Land“ (Synagoge, ja, auch KIKULA, Alumnatsgarten etc.) nicht auch ohne den Wanderzirkus einer TANGENTE vorstellbar gewesen wären.
ANITA LACKENBERGER, Filmemacherin
Tangente, was soll man zur Tangente sagen? Da waren viele Hoffnungen für Kultur-Aufbruch im Raum und ganz, ganz neue Aspekte für die Stadt St. Pölten als Kulturhoffnungsträger.
Bis diese zum ersten Aufbruch mit Christoph Gurk, dem neuen Kulturhoffnungsträger von St. Pölten – lange Gespräche, über ein Jahr keine Antworten – ernüchtert wurden. Zwischenzeitig wurde das Budget vergeben, an viele – aber nicht an die ProvinzlerInnen, vor allem nicht, wenn sie nicht Sonnenkinder, jung und alternativ waren. Es war der große Wunsch, so war der Eindruck, KünstlerInnen einzukaufen, die einen Hauch von Nichtprovinz in die Stadt bringen sollen. Was für Angst vor der Provinz? Dafür wurde dieser deutsche Dramaturg eingekauft, der uns alle, so wie wir waren, zu Nichtexistenzen erklärt hat. Auf Diskussionsversuche kamen keine Antworten, bis zu dem Moment, wo der Tangente-Heilsbringer, der uns dieses schöne Wort „Tangente“, über das er sicher lange nachgedacht hatte, hinterlassen hat. Es war klar: Die große Geldbescherung war für alle gedacht, nur nicht für die Menschen und Künstler vor Ort, und wer sich dagegen verwehrte wurde abgekanzelt, abgespeist, für unwürdig erklärt. Das war nicht nur der unselige Christoph Gurk, das war erwünscht, so wurde mir kommuniziert, und wer hätte schon gedacht, dass es anders sein sollte.
Die Tangente sind keine 16 Millionen verlorene Chancen, denn einiges wurde ja geschaffen, einige KünstlerInnen waren ein wirklicher Genuss für die Stadt, wobei hier – sehr lustig – die dann oft genug von der Kulturnomenklatura nicht einmal wahrgenommen wurden – ich denke da an den John Zorn.
Wie kann so viel Geld ausgegeben werden und die Menschen vor Ort so nachhaltig verärgert werden?
Und der Ärger ist anhaltend: es gibt ja jetzt Tangente-Projekte, die weitergeführt werden. Aber auch diese sind wieder so geplant, dass wieder Menschen, die nicht in das Kultur-Schema passen, nicht berücksichtigt. Sie werden wieder keine Budgets erhalten, sie werden und das passiert ja auch laufend nach Landesausstellungen, sogar mit massiven Kürzungen konfrontiert werden. Denn all die neue geschaffenen Häuser und Strukturen brauchen Heizungen, Licht und Personal, und das muss alles bezahlt werden. Da das öffentliche Geld nicht mehr wird, werden alle anderen KünstlerInnen das bezahlen.
Und ja, wenn man mich fragt, ja die Tangente war auch ein Aufbruch. Ich habe einige der dort arbeitenden Menschen auch schätzen gelernt: eine Angelika Schopper die Geschäftsführerin, eine Integre, eine Durchhalterin, ohne die es das Festival nicht gegeben hätte. Tarun Kade, der, auch wenn viel zu spät, doch ein Gespür für unsere Stadt St. Pölten entwickelt hat. Viele der Frauen, stellvertretend Lena Weiderbauer, die dem ganzen Spektakel auch ein menschliches und engagiertes Antlitz gegeben haben.
Wir St. PöltnerInnen sind großartige Menschen! Wir haben das finanzielle Füllhorn über Kunst und Kultur ausgeschüttet. Weil es nicht ganz unseres war, wurden wir als „Banausen“ abgetan, und weil wir uns über ausschließlich „englische Titel“, durch die wir zweifellos „internationaler“ geworden sind, nicht gefreut haben, und weil wir keine Freude mit Kolonialisierung haben, sind wir letztlich an der Tangente gescheitert. Die Tangente ist nicht gescheitert, sondern wir sind an ihr gescheitert, und wir werden dann die Rechnungen, die bleiben, weiter bezahlen.
Letzte Gespräche, die ich mit so manchen Verantwortlichen geführt habe, lassen mich weiter erstaunt zurück.
Kultur ist auch: alle mitzunehmen, Eliten nicht zu fördern und letztlich in Zeiten wie diesen Hoffnung zu geben, denn Kultur ist letztlich die Kraft, die uns ein Stück weiterbringt, auch in unruhigen Zeiten.
In dem Sinn tangiert uns Kultur, die Tangente hat uns wenige „tangiert“. Es war ein Gegenwartsfestival der verlorenen Chancen, leider – ich hätte mir etwas anderes gewünscht.
MARTINA MEYSEL, BORG St. Pölten
Das Projekt „Visionale“ des St. Pöltner Gegenwartskunstfestivals „Tangente“ beteiligte Jugendliche und junge Erwachsene am gemeinsamen Entwickeln und Erschaffen von großen Wandbildern, „Murals“, die sich mit Zeitgeschichte, Gesellschafts- und Zukunftsthemen auseinandersetzen. So ist es zur spannenden Zusammenarbeit mit dem St. Pöltner Künstler Andi Rabel, „rabe.anders“, und Schüler:innen der 6. und 7. Klasse des künstlerischen Schwerpunkts des BRG/BORG St. Pölten gekommen. Die intensive Beschäftigung mit den Fragen zur Demokratie, behutsam angeleitet von Andi Rabel, fand auf der vier Meter hohen „Demokratiewand“ in der Dr.-Karl-Renner-Promenade am Eingang zur Linzer Straße Ausdruck. Und letztlich brauchte es zur Bewältigung dieses Großprojekts ein gutes Zusammenspiel, Courage und Durchhaltevermögen."
Dieses Zitat und die Bilder von unserer Homepage zeigen ganz deutlich das gelungene Miteinander von Künstlerszene und Schule im gemeinsamen Einsatz für die Demokratie - ein in jeder Hinsicht gelungenes Festival, das nach einer Fortsetzung verlangt.
PERPETUUM, Theatergruppe
Fritz Humer, Georg Wandl
Zu Anfang: Warum muss man zeitgleich mit der Kulturhauptstadt Bad Ischl das Festival veranstalten und nicht etwa ein Jahr später? Das riecht etwas nach schlechtem Verlierer.
1. Kunst ist Kunst. Uns muss nicht alles gefallen.
Fritz: Einiges fand ich gut, einiges dumm und bei den Highlights, den Konzerten im Juli, war ich auf Urlaub. Die habe ich leider verpasst.
Dass das Festival stattgefunden hat, finden wir abgesehen vom Termin gut.
Aber was bleibt nachhaltig davon?
2. Perpetuum wurde (wenn auch sehr spät) gefragt, ob wir mitmachen. Es war am Anfang sehr holprig, aber wir haben uns bemüht, einen gemeinsamen Weg zu finden und das auch geschafft. Phasenweise hatten wir den Eindruck, ein St. Pöltner Feigenblatt zu sein.
3. Größter Kritikpunkt:
Die Kommunikation war furchtbar schlecht. Angefangen vom Programmbuch. Man wusste, dass es die Tangente gibt, denn das war überall plakatiert. Aber wenn man Informationen über etwas Konkretes brauchte, musste man schon sehr bemüht sein.
Und auch mit uns als Künstler war die Kommunikation zwar immer freundlich, aber sehr schwach und immer spät.
Wir haben zwar mitgemacht, aber das Festival war zum überwiegenden Teil von außen übergestülpt, es hätte überall sein können. Da war kein spezieller Bezug zu St. Pölten. Eine Art Kolonisierung der Provinz durch Berlin und München.
VERONIKA POLLY, Schauspielerin
„Schade, dass die heimische Kulturszene so wenig eingebunden wurde. Da hätte es Luft nach oben gegeben. Ich finde, dass das Festival zu sehr im eigenen Saft gebraten hat, und in Gesprächen mit anderen Einwohnern unserer Stadt hatte ich den Eindruck, dass dieser Saft nicht all zu vielen geschmeckt hat.
Die im Zuge der Tangente erfolgte Restaurierung der ehemaligen Synagoge finde ich sehr positiv. Auch das Kinder Kunst Labor ist eine gute Sache, die das Angebot für Kinder, sich kreativ zu betätigen und auszudrücken, aufwertet. Die Ausstellung „Blick in den Schatten. St. Pölten und der Nationalsozialismus“ im Stadtmuseum, die ja noch über das Ende der Tangente hinaus weiterläuft, möchte ich mir noch anschauen. Dass die Fahrer der TangENTE noch immer fleißig in die Pedale treten und die Menschen von A nach B bringen, finde ich lustig.“
STEVE PONTA, Warehouse
Unsere Erfahrung war enttäuschend: Es kam niemand aktiv auf uns zu, und es gab keine Einladung zu einem Treffen. Dabei schien es im Rahmen der Kulturhauptstadt-Initiative zunächst so, als sei man daran interessiert, gemeinsam mit der Stadt Projekte zu gestalten und im Austausch zu stehen. Doch bei der Tangente war alles anders. Das erste Gespräch kam erst zustande, nachdem ich mich lautstark beschwert hatte, da ein von mir angefragter Künstler dort ohne unsere Beteiligung und bei freiem Eintritt auftrat.
Nach dreifachem Nachfragen, was eigentlich los sei und ob man zumindest Termine mit uns absprechen könnte, wenn schon keine direkte Kommunikation erfolgte, kam schließlich ein Treffen zustande, bei dem Andreas Fränzl und Tarun Kade mich im Warehouse besuchten. Während des Gesprächs versuchte ich, unsere Ausrichtung, unsere Möglichkeiten und auch unsere Vernetzung mit Jugendlichen zu erklären, was auch durch Andreas Fränzl unterstützt wurde. Schließlich fragte ich gezielt nach Kooperationsmöglichkeiten und betonte mit Nachdruck, dass wir das 20-jährige Jubiläum des Warehouses feiern und dass dies eine Gelegenheit wäre, die sich gut integrieren ließe. Die Antwort war jedoch klar: „Wir haben eigentlich kein Budget mehr.“ Daraufhin beendete ich das Gespräch.
Unser zweiter Kontakt kam über Thomas Kern, einen ehemaligen St. Pöltner, der für einen Abend das Programm co-kuratieren sollte. Er rief mich an und meinte, dass er die Veranstaltung gerne im Warehouse durchführen würde, da er die Möglichkeiten bei uns großartig fand. Nachdem er dies auch mit Herrn Kade besprochen hatte, trafen wir uns und vereinbarten nur eine reguläre Miete. Leider kam es zu keiner künstlerischen Kooperation, und es standen auch keine Künstler aus St. Pölten auf der Bühne. Zusätzliche Technik wurde extern dazu gemietet, leider auch nicht von einem St. Pöltner Anbieter. Durch das schlechte Marketing kamen dann nicht einmal genug Besucher, sodass wir von unserer Seite nicht von einem positiven Event sprechen können.
Ich bin jetzt über 20 Jahre in der Eventbranche und kann garantieren, dass allein das Event, das bei uns stattgefunden hatte, großes Potenzial gehabt hätte, viele glückliche Besucher in unsere Veranstaltungsstätte zu holen. Wir hätten uns sehr gerne präsentiert und auch neues Publikum willkommen geheißen.
Die Tangente hätte ein großartiges Festival mit St. Pöltner Einfluss werden können. St. Pölten hat einen extrem hohen Output an großartigen Künstlern, aber auch kreative Veranstaltern, Kuratoren bis hin zu extrem hochwertigen Technikfirmen zur Umsetzung von Projekten. Sehr schade, dass man bei all dem nicht auf St. Pölten gesetzt hat.
EVA RIEBLER, Litges
Die LitGes hat ihr Heft zum Tangente-Thema „Erinnerung“ im Tangente-Eventraum präsentiert. Und die Zusammenarbeit war keine positive. Das terminliche Ausmachen hat geklappt, allerdings hat man mir zu spät mitgeteilt, dass die Verköstigung null ist. Wir mussten das Buffet selbst bezahlen. Unsere Veranstaltung war nicht im Programm der Tangente angeführt — die Besucher wurden dann aber als „Tangente“-Besucher gezählt. Ich habe das Plakat zwei Wochen vorab geliefert, plakatiert worden ist es im hinteren Hof — nirgendwo ein sichtbares Plakat, kein Ständer für den Eingangsbereich.
Und um 22 Uhr mussten wir fertig sein, damit die Tangente-Leute mit ihren Gästen essen und Musik machen konnten.
Und sonst: Die übrigen Tangente-Programmpunkte waren meist zu lang, um bei der Hitze mitzutun — Landscape in Pyhra dauerte sieben Stunden, die Erinnerungsgänge durch die Wohnungen drei Stunden. Die „Hände“ in der Fabrik Glanzstoff und die „brache“ waren mehr als fad und unterschwellig.
Die Domkonzerte waren beide gut, aber die gibt es ohne Tangente auch.
Sehr gut waren das Eröffnungsstück (über den Chemie-Unfall in Afrika 2019) im Festspielhaus und der dortige Schlusspunkt, das Road-Stück ...
Das Wasserprojekt in der Glanzstoff wurde vom Anwesenden nur auf Ansuchen erklärt, das Wasserprojekt an der Traisen war zu weitläufig und unscheinbar und teilweise kaputt.
Das Schaufenster-Bespielen gibt es schon seit vier Jahren durch Fotografin Edith Haiderer. Es ist kein Erfolg der Tangente.
Wären mehr Künstler vor Ort eingebunden gewesen, wäre das Publikum gekommen. Die Ablehnung der Unsrigen und Hiesigen, im Vorfeld bereits, war eklatant: Die Projektsprache war Amtssprache Englisch, auch das vom Bürgermeister befürwortete Projekt von Edith Haiderer durfte den Tangente-Leuten nicht einmal fünf Minuten vorgestellt werden, wurde dann abgelehnt und sollte als Tangente-Projekt auferstehen.
Die Nachhaltigkeit der Veranstaltung ist gleich Null.
Schade um den Löwenhof mit dem ehemaligen Paradies der Fantasie. Das Eventlokal dort verkommt nun als bessere Kantine, ist trotz des Umbaus nicht für zwei Events gleichzeitig geeignet. Und während der Tangente sah man Monate hindurch unter der Treppe im Löwenhof eine Unzahl an Gerümpel und schmutzigen Blumentöpfen, sodass einem das äußerst liebevoll gekochte und interessant zusammengestellte Mittagsmenü an den Tischen im Freien nicht so wirklich schmecken konnte — schade!
Etwas Positives ist die weitere Nutzungsmöglichkeit des winzigen LÖWINNENhofes! für Projekte, die vor Ort angestrebt werden und nicht „aufgesetzt und fremd-verordnet“ von der nicht mehr vorhandenen Tangenteverwaltung sind.
MARTIN ROTHENEDER, Musiker, frei.raum
Ich hab zwei Blickwinkel auf die Situation, einerseits als Künstler, andererseits in meiner Arbeit im Freiraum bzw. für musik.stp.
Als Künstler hab ich mich nicht wahrgenommen gefühlt, ich bin auch – ebenso wie viele andere meiner Kollegen aus der lokalen Musikszene – nicht beim Tangente Festival vorgekommen. Ich bin heute deswegen persönlich nicht verärgert oder beleidigt, rein künstlerisch finde ich es aber dennoch schade, wenn ich mitbekomme, wie jene Kolleg*innen, die aktiv an Projekten beteiligt waren, von den Kontakten und den Impulsen von außen profitiert haben. Also ein Quäntchen Traurigkeit darüber ist schon geblieben.
Ich hatte immer den Eindruck, dass der urbane Blick des Festivals mit dem künstlerischen Output der hiesigen Szene – geprägt durch die Größe und geografische Lage der Stadt, nicht ländlich, nicht urban, wenig studentisch, viele junge Familien... – nicht kompatibel genug waren, vielleicht sogar der Wert der Szene nicht ganz (an)erkannt wurde. Aber gerade das als USP aufzugreifen und mit künstlerischem Input von außen auf Augenhöhe zu befruchten wäre schon super gewesen, zumindest für mich persönlich.
Ganz anders hab ich das in meinem Tätigkeitsbereich als Kulturarbeiter erlebt. Das Songwriting Camp, das wir als Kooperation von musik.stp und Tangente umgesetzt haben, hätte es ohne das Festival nicht gegeben, ebenso die Workshops im BORG, der Musikschule und der Musikmittelschule Körner – dort gab?s für mich etwa einen starken Moment der Dankbarkeit gegenüber dem Tangente-Festival, dass wir das so umsetzen können, das ist mir bis heute sehr positiv in Erinnerung geblieben. Und auch die Arbeit mit den 8-12 jährigen Kids im Musikschulensemble, zu sehen was für Ideen sie entwickeln und wie sie umgesetzt werden, das werd ich mein Leben lang mitnehmen, das war großartig! Das war für viele, die noch nicht so aktiv in der Szene vertreten waren, ein super Einstieg und Motivator mit relativ hohem Nachhaltigkeitswert.
Und natürlich gab es auch Kooperationen der Tangente mit hiesigen Artists, etwa beim Stadt-Land-Fluss, im Löwinnenhof oder am Domplatz. Aber das war aus meiner Sicht halt eben nur die kleine Spitze eines großen Eisbergs.
MARIE RÖTZER, Landestheater Niederösterreich
Die „Tangente“ hat das Kulturleben in der Stadt St.Pölten und im Land Niederösterreich und über seine Grenzen hinweg mit vielfältiger Gegenwartskunst bereichert und befruchtet. Lokale Künstler*innen sind internationalen Gästen begegnet und haben sich gegenseitig inspiriert. Am Landestheater Niederösterreich haben wir mit dem holländischen Künstlerkollektiv „Wunderbaum“ und dem iranischen Regisseur Amir Reza Kohestaani in Form von Koproduktionen mit der „Tangente“ erfolgreich und vielbeachtet experimentelles Gegenwartstheater präsentiert. Ein Highlight der „Tangente“ war für mich die Veranstaltungsreiche „Neue Freundschaften“. Hier wurde mit Menschen mit Migrationshintergrund, mit Jugendlichen, Künstler*innen an Orten wie dem Kulturheim Nord oder der Villa im Glanzstoff-Areal gemeinsam gekocht, gegessen und geredet. So entstanden neue Beziehungen und gemeinsame Räume für eine offene und inklusive Gesellschaft. Ich hoffe, dass die Offenheit für Neues und die Neugier auf Unbekanntes des niederösterreichischen Publikums nachhaltig wirksam bleibt.
FRANZ RUPP, Obmann Künstlergruppe Penta
Meine Stellungnahme bezieht sich ausschließlich auf den Bereich der bildenden Kunst!
Zum ersten Punkt: Die Künstlergruppe PENTA hätte gerne beim Festival mitgewirkt. Daher habe ich als Obmann seit April 2023 mehrmals versucht, einen Kontakt zum seinerzeitigen Projektverantwortlichen Christoph Gurk herzustellen. Persönliche Vorsprachen im Tangente-Büro bei der sehr interessierten und freundlichen Frau Lorena Moreno-Vera führten aber wegen der Erkrankung von Herrn Gurk vorläufig zu keinem Ergebnis ....
Mein damals vorgebrachter Themenvorschlag war:
"St. Pölten - Stadt für Tanz, Musik und Erholung". Auch die Umsetzung dieser Vorstellungen hatten wir bereits vereinsintern abgehandelt. Wie ich später allerdings erfuhr, war der (auch für PENTA in Frage kommende) Kunstparcour entlang der Traisen und der Badeseen schon an "international anerkannte Künstlerinnen und Künstler" vergeben ....
Ob meine Vorstellungen (siehe Themenvorschlag) von den Verantwortlichen der Tangente als zeitgemäß für eine "Gegenwartskultur" angenommen worden wären, entzieht sich meiner Kenntnis.
Zum zweiten Punkt: Von einer nachhaltigen Integration und Förderung der heimischen Kunstszene ist mir nichts Konkretes bekannt. Ob das auch auf die NÖ Kunstvereine oder Kunstschaffenden (die ich eingebunden hätte) zutrifft, weiß ich nicht.
SALAMIRECORDER, Musiker
Also, ob die Tangente wirklich etwas bewirkt hat in diesem Zusammenhang, lässt sich aus jetzigem Stand der Zeit nicht sagen. Prinzipiell finde ich die Idee sehr schön, das ehem. Festivalzentrum im Löwinnenhof weiterhin bespielt zu halten. Auch die grundsätzliche Idee, die komplette Stadt zu bespielen, fand ich wirklich super. Ich hätte mir jedoch seitens Tangente etwas mehr Liebe zum Detail gewünscht. Es passierte soviel und selbst ich als Innenstadtkapazunder bekam viele Sachen lediglich peripher mit. Die Frage, ob es auch wirklich darum ging, die Leute abzuholen (siehe Design der Tangente Plakate), stelle ich jz einfach mal so in den Raum. Warum auch, wenn das Budget davon nicht abhängt? Es wär halt schön, wenn sich (durch das Tangente Festival z.B.) das Publikum für Kunst & Kulturzeug vergrößert, weil das mitunter auch zu einem organischem Szenewachstum führe.
J. F. SOCHUREK, Kulturschaffender
Mein Gedächtnisprotokoll im Kurztext zur Kontaktierung bzw. durch Nichtkontaktierung
der „TANGENTE ST. PÖLTEN“.
Chronologie:
1) April 2022, 19 Uhr. Vorstellung des TANGENTE-Teams im Verein LAMES.
Übergabe von SOCHUREK-Ausstellungs-Katalogen und Kontaktdaten an Herrn Christoph Gurk mit der Bitte, diese an die zuständige Person zu übergeben.
Keine Kontaktaufnahme.
2) Anfang Mai. Treff mit Christoph Gurk im CINEMA PARADISO.
Übergabe von Unterlagen und Kontaktdaten mit der Bitte um Weitergabe an Frau Nele Kaczmarek (bei der Tangente für Bildende Kunst und Kunst im Öffentlicher Raum zuständig).
Keine Kontaktaufnahme.
3) Juni 2022. Eine Vorstellungs-Mail an Nele Kaczmarek mit der Bitte um 2 Treff-Termin-Vorschläge für eine Konzept-Besprechung. Speziell GLANZSTOFF-Fabrik (10 Jahre betrieb ich in der produzierenden Fabrik ein 450 Quadratmeter großes Atelier. 2015 erfolgte meine große Ausstellung POWER STATION GLANZSTOFF in der Konerei.
Keine Kontaktaufnahme.
4) Februar 2023. Frau Ines Müller, Assistentin der Geschäftsführung.
Persönliche Übergabe einer Kurz-Darstellung eines von mir entworfenen Projekts (nachhaltig), verortet an einem Kristallisationspunkt im Öffentlichen Raum. Arbeitstitel CONVERSATION CORNER samt adäquaten Unterlagen und ein Kostenvorschlag, mit der Bitte um Weitergabe an Herrn Gurk, der gerade bei einer Besprechung weilte.
Keine Kontakaufnahme.
DAS WARS DANN FÜR MICH.
Ich habe mich bemüht, die Situation korrekt darzustellen.
Dieses Nicht-Beachten entsprach sicher nicht den ursprünglich geplanten Anspruch des Teams und des Festivals für Gegenwartskultur.
Diesem Tangente-Management 2024 ist die Anschubwirkung nicht gelungen.
Für mich wäre es gut und richtig ein Kulturfestival-Format, aber unter besseren Auspizien mit adäquatem Management und unter echter Einbindung der heimischen Kulturschaffenden, weiterzuführen.
PS. Die temporäre Kunst –Installation „Dead, I am Still Paper“ von Mariana Castillo Deball hat dem Domplatz gutgetan. (Leider keine Nachhaltigkeit).
SZENEKENNER
Nein ihr deutschen Kultur-Abzocker, es war nicht euer Geld, es war aber auch nicht Stadlers oder Mikl-Leitners Geld, es war unser Geld, Steuergeld! Und mit diesem, unserem Geld wurden auch die tollen Hotel-Auslastungen von hinten herum finanziert, die bei der Abschluss-PK laut als Erfolg verkündet wurden, weil nämlich diese ganze Gang wochenlang in diversen St.Pöltner Hotels logierte und beim Frühstücksbuffet arrogant, laut und selbstherrlich herumgockelte (selbst miterlebt). Aber solche pikanten Details dringen halt selten bis gar nicht ans Licht, weil das genau niemand mitbekommt, und es vermutlich – so wie die entbehrenswerte Tangente – genau niemanden interessiert.
Die Veranstalter, Verantwortlichen, Sponsoren, Fördergeld-Ausschütter, Künstler, Kuratoren, Werbe-Fuzzis feiern sich bei diesen Gelegenheiten ohnehin nur mehr selbst, da sie in ihren Ego-Blasen, abgeschottet von dem was „draußen in der Welt” vorgeht gar nicht mehr mitbekommen, was der Kultur-Konsument will und braucht. Es wird ihm vorgesetzt und er hat zu konsumieren – oder eben nicht. Und wenn nicht, dann ists dennoch ein Erfolg den man sich schönfärberisch herbei-fantasiert.
KLAUS-MICHAEL URBAN, STARTraum
2024 stand für den Verein KulturhauptSTART ganz im Zeichen der Kooperation mit der Tangente, bei der unser vollstes Augenmerk auf der lokalen Kulturszene lag. Mittels Open Calls haben wir unseren STARTraum für neue Ideen ausgeschrieben oder gemeinsam mit lokalen Akteur:innen neue Formate ausgearbeitet. Eine Vielzahl an Ausstellungen, diversen Performances z. B. beim 25. Höfefest waren das Produkt dieses Engagements. Besonders wichtig war uns, darüber hinaus an Konzepten für die Zukunft des Löwinnenhof* als fest verankertes Kulturzentrum im Herzen St. Pöltens zu arbeiten, um unsere Pionierbarbeit an diesem Ort fortführen und auf ein nächstes Level zu heben. Wir wünschen uns, dass der Löwinnenhof* weiter wachsen kann und dafür von Stadt und Land ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, damit 2024 kein einmaliges Aufblühen war.“
WALDORF & STATLER, Künstlerkombinat
Es ist erstaunlich, mit welcher Hybris größtenteils inferiore Pennäler„kunst" um derart horrende Summen als vorgeblich repräsentative Gegenwartskunst verkauft werden kann. Löw*innenhof und Linzer Straße glichen eher einem Kindergarten als einem Herzstück eines durchdachten, ernstzunehmenden Festivals. Anstatt Nägel mit Köpfen zu machen und die eigentlich schöne Straße als Fußgängerzone zu belassen, um ihr nach jahrzehntelangem Koma eine allerletzte Chance einer Reanimation zu geben, hat man sich zu einer halbweichen „Begegnungszone" breitschlagen lassen. So wird das nichts.
Das inflationäre Verwenden vorangestellter Hashtags, interponierter Sternchen und mittlerweile zur Unerträglichkeit degenerierter Begriffe wie nachhaltig, woke und divers machen aus einfältigen Texten noch lange keine Literatur, selbst wenn sie in mittelmäßigem Englisch dargebracht werden. Man hätte mit bedeutend weniger Geld mehr Qualität und weniger Ramsch bekommen können. Der ewige Fluch St. Pöltens, mehr scheinen zu wollen als sein zu können geht in die erschütternde Verlängerung.
Unendlich schade für eine vergebene Chance, welche sich so bald wohl nicht wiederholen wird.
DANIELA WANDL, ehem. Leiterin Bühne im Hof
Wie haben Sie die „Tangente“ erlebt/wahrgenommen?
Ich habe sie vordergründig durch die flächendeckende und großflächige Werbung vor allem im Raum Wien wahrgenommen. Und durch die leidenschaftlichen Diskussionen rund um die Installationen und Performances am Domplatz und Rathausplatz. Die künstlerische Wahrnehmung reichte von „interessant“ bis zu „geht so“, so richtig begeistert hat mich wenig. Aber das mag auch daran liegen, dass ich das falsche und in Summe wenig gesehen habe. Ich fand es relativ schwierig, zeitgerecht auf dem Laufenden zu bleiben und habe ein stinknormales, gedrucktes, informatives (!) Programmheft vermisst. Ganz grundsätzlich habe ich es schade gefunden, dass die Tangente zeitgleich mit der Kulturhauptstadt 2024 stattgefunden hat – dadurch hat das Festival nicht nur für mich halt nie den Geschmack des „Nicht-Verlieren-Könnens“ verloren. Was ich gut fand, war der Versuch, der Stadt durchaus Kontroverses und Sprödes zuzumuten – was natürlich nur dann möglich ist, wenn man über ein dementsprechendes Budget verfügt.
Ein explizites Ziel betraf die Integration und Förderung der heimischen Künstlerszene, sowohl im Zuge des Festivals an sich als auch im Sinne einer Anschubwirkung für eine nachhaltige Weiterentwicklung der Szene über 2024 hinaus. Ist dies in Ihren Augen gelungen oder nicht gelungen?
Ich glaube nicht. In den ersten Jahren der Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt war das noch eine starke Initiative der heimischen Szene – mit einer begeisterten und breiten Beteiligung. Das fand ich richtig super damals. Das ist irgendwann im Bewerbungsprozess verloren gegangen und gefühlsmäßig erst wieder kurz vor Beginn des Festivals wieder zum Thema geworden, wobei – geredet wurde eh immer wieder davon in verschiedenen Diskussionen und Events, passiert ist wenig. Ich habe mit PERPETUUM am Schwerpunkt Erinnerungen im Juni teilgenommen und das hat uns auch Spaß gemacht. (Siehe auch der Kommentar von PERPETUUM). Verändert hat es für uns nichts. Ob eine Anschubwirkung für die Szene also solches zu erkennen ist, kann ich nicht sagen. Vielleicht ist es dafür auch noch zu früh. Initiativen wie KulturhauptSTART wollen sich da offenbar durchaus ins Zeug legen – ob sie auch weiter unterstützt werden, werden wir sehen. Natürlich gibt es die „Leuchtturmprojekte", die bleiben werden. Das Kinderkunstlabor ist dabei als einziges eigentlich neu, die ehemalige Synagoge, den Sonnenpark oder den Domplatz gab es auch vorher schon – da hätte es keine Tangente gebraucht. Und der heimischen Szene hilft das genau nix. Aber da ich grundsätzlich versuche, das Positive zu sehen, hoffe ich einfach, dass beispielsweise der Löw:innenhof als Zentrum bestehen bleibt und ein wenig Keimzelle und Heimat für junge künstlerische Initiativen werden kann und darf.
RENÉ VOAK, Veranstalter
Zeitgenössische Kunst polarisiert. Darf polarisieren. Muss polarisieren.
Für künstlerisch affine Personen hat die Tangente durchaus spannende Exkurse und Erlebnisse geboten. Zweifellos.
Wahrnehmbar waren subjektiv empfundene Berührungsängste mit einem breiteren Publikum sowie publikumswirksame Künstlerinnen und Künstler bzw. Aktionen.
Man kann sich dem Eindruck nicht verwehren, dass hier vor allem landesnahe Veranstaltungsstätten und Personenkreise in den Fokus gerückt sind und gefördert wurden.
Darf zeitgenössische Kunst und Kultur auch Mainstream und / oder populär sein? Die breite Masse wurde eher selten erreicht und auch kaum angesprochen.
Auch wenn das Programm für den einen oder anderen interessant und ansprechend war, so muss man die Relation zwischen Budgetgröße und Programmerfolg hinterfragen.
Alle anderen in St. Pölten wirkenden Kunst- und Kulturschaffenden sowie Programmgestalter bestreiten mit diesem Budget wohl über mehrere Jahrzehnte ihre Programmierung und würden es dann noch immer nicht aufgebraucht haben.
Eine etwaige Nachhaltigkeit ist auch in diesem Fall mit großen nachhaltigen Kosten verbunden. Mut kann man diesem Projekt aber keinesfalls absprechen. Und das in jeder Sichtweise.
STEFAN ZENKL, klassischer Sänger
Als Musiker bin ich über jede Initiative, die mit Musik und Kunst zu tun hat, sehr dankbar. In meinem Bereich der „E-Musik“ habe ich einen ganz guten Einblick und schreibe auch gerne darüber.
„Als Familie waren wir bei „Ein Bad für Florian“, „Justice“, „Shared Landscapes“ und „The way of the water” live dabei und haben es genossen. Meine Frau Dimana Lateva (dimanalateva.de) durfte auch bei der Stadtgalerie mit „Archäologie des Alltags“ ein Schaufenster gestalten. Was man in Venedig, Kassel oder Graz erlebt, war auch in St. Pölten spürbar.
Lichtblicke sind der neue Grillparzer-Campus, der Volks– und Musikschule verbindet und Kinder ideal fördern wird, und die Neuausrichtung des Barockfestivals mit Alois Mühlbacher. Ich habe dennoch das Gefühl, dass sich regionale Vereine und Veranstalter nicht wirklich mit dem Festival beschäftigt haben oder es sie tangiert hat und umgekehrt. Wird es im Bereich „Neue Musik“ mit ähnlichen Veranstaltungen wie jetzt weitergehen? Bräuchten wir nicht in Niederösterreich ein Ensemble in dieser Sparte, das aus dem Land kommt, hier stationiert ist und auch wieder hineingeht? Es wurde keine regionale Initiative auf die „nächste“ Stufe gestellt. An der Donau von Melk bis Hainburg sind alle bedeutenden E-Musik-Festivals, Institutionen und auch das Landesorchester stationiert. An der Traisen dürfen wir GastgeberIn sein.
DIE TESTPILOTEN
Die Grundfragen
Wie waren Ihre persönlichen Erfahrungen mit den Tangente-Veranstaltungen? Was haben Sie sich angeschaut?
Gab’s für Sie besondere Highlights, besondere Flops?
Wie ist Ihre persönliche Einschätzung des Festivals insgesamt — auch im Vergleich zu anderen Kulturveranstaltungen?
Hat die Tangente St. Pölten was gebracht? Wenn ja, was?
CHRISTA AMADEA, die kulturelle Profi-Pilotin
Die Tangente St. Pölten war ein Kulturprojekt, das sich in den verschiedensten Bereichen versucht hat.
Selbst habe ich mir ausführlich „The Way of the Water“ angesehen.
Entlang der Traisen, von der ehemaligen Glanzstoff bis zum Kulturverein Solektiv eh. Lames, hatten verschiedenste Künstler*innen ihre thematischen Arbeiten zum Thema „Wasser“ skulptural installiert. Ich selbst habe mit Freunden eine Führung gemacht und ihnen einen Teil der Strecke gezeigt.
Interessante Kommentare waren, dass sie ohne diesen Parcours nie an diesen Ort in St. Pölten gekommen wären. Obwohl die meisten gebürtige St. Pöltner*innen sind, und wie schön es doch an der Traisen wäre.
Die künstlerische Arbeit an den Säulen im Wasserbecken des Landesregierungsviertels war wegen ihres partizipativen Charakters sehr beliebt.
Um den gesamten Weg „The Way of The Water“ zu erfassen, war Durchhaltevermögen gefragt. Ich würde mir wünschen, dass diese Idee erhalten bleibt und nicht in der Geschichte der Tangente 2024 untergeht.
Weiters habe ich mir den Audiowalk von Rimini Protokoll angehört, angeschaut und mitgemacht, und das Stück hatte stellenweise einen sehr immersiven Charakter. Diese performativen Audiostücke in der Natur mit den Wiesen, Wäldern und Feldern in der Nähe von Pyhra waren eine Besonderheit, die ich als sehr gelungen fand. Hier kamen viele Sammelbusse aus verschiedenen Richtungen an.
„X-Erinnerung“ war ein weiteres Highlight, es gab 3 verschiedene Touren durch St. Pölten, durch die man gelotst wurde und an verschiedenen Orten wie Privatwohnungen, verlassenen Fabriken wurden kurze Stücke zum Thema „Erinnerung“ in Form von Performances aufgeführt. Zum Beispiel im Festsaal des Rathauses oder in einer Privatwohnung in der Kremsergasse usw.
Hier kam man wieder an verschiedenste Orte in St. Pölten, die man ohne diese Theatertour nicht gesehen hätte. Man konnte in eine sonst verschlossene Welt eintauchen.
Ein gelungenes Fest war das Stadt Land Fluss Fest im Juni im Landesregierungsviertel.
Eine unglaubliche Atmosphäre mit einem endlich wieder bespielten Klangturm, der wie Dornröschen aus dem Dornröschenschlaf geweckt wurde. Was für eine Freude, diesen Turm in seiner ursprünglichen Funktion zu erleben. Niemand versteht warum der Klangturm in der "Stille" lebt, oder leben muss.
Die zwei Festbühnen, eine davon im Wasserbecken, der Ort ist wie geschaffen für Konzerte und war perfekt als Bühne zu bespielen. Ich habe hier „Endless Wellness“ kennengelernt, ein Boot ist mit den Besucher*innen während der Konzerte herum gefahren.
Zwischen den beiden Bühnen gab es Kunstmarktstände, an denen einzelne Kunstwerke angeboten wurden. Es war eine zauberhafte Sommeratmosphäre.
Für die Tangente hätte ich mir eine bessere Kunstvermittlung gewünscht, einen Ort, der nonstop besetzt ist. Am besten am Bahnhof einen „Tangente-Stand“ für das ganze Projekt. Gleichzeitig ein Ort der Kommunikation, wo alle Leute, die mit dem Projekt zu tun haben Diskurse über das Projekt schaffen.
Ich finde die Verortung des Ticket und Kulturvermittlungsbüro in der Linzer Straße war ein Fehler, viel zu kompliziert zu finden, außerdem war es Sonntags geschlossen.
Ich habe mich selbst mit Büchern und dem Internet auf die Suche gemacht, was etwas zeitaufwändig war.
Mein Highlight war der Parcours „The Way of the Water“.
Die Idee dieser Aktion war wirklich genial, ich hoffe, dass sie weitergeführt wird und wenn die Kommunikation dafür professionalisiert wird, kann es ein kulturelles Steckenpferd von St.Pölten werden. Eben weil es in St. Pölten keinen Ort für internationale bildende Kunst gibt. Das wäre eine charmante Variante, diese Idee weiterzuführen, und den öffentlichen Raum zu bespielen.
Auch das Landesregierungsviertel örtlich so einzubeziehen war eine sehr schöne Idee.
Es ist wahrscheinlich nicht so einfach, ein Festival in einer Stadt zu platzieren, wo alle damit zufrieden sind, wo sich alle damit identifizieren und vor allem, welche Partizipationen entstehen?
(Bei Salzkammergut 2024 gab es eine andere, vielfältigere Aufteilung der Themen, für die meist sehr ortskundige Expert*innen mit der Leitung betraut wurden, z.B. Simone Barlian für die Bildende Kunst. Sie lebt selbst im Salzkammergut/Gmunden, und hat natürlich einen vertrauten Blick auf die Region, und ihr internationales Wissen ist hilfreich, um die Bedürfnisse eines Kulturfestivals zu verbinden).
Die Kulturfestivals haben teilweise eine koloniale Verhaltensweise für die ansässigen Künstler*innen.
Jeder will dabei sein und die Auswahl der Projekte ist wie so oft subjektiv und nicht immer nachvollziehbar.
Kultur soll und kann Diskurse auslösen, eine klare Positionierung zu Kultur und Kunst der Politik in St.Pölten wäre hier hilfreich.
St. Pölten ist, glaube ich, die einzige Stadt dieser Größenordnung, die keine städtische Galerie oder gar ein Museum für bildende Kunst hat. Es wäre eine Chance gewesen, internationale zeitgenössische Kunst vor Ort zu etablieren.
Eine niederschwellige Galerie neben dem Cinema Paradiso würde Sinn machen.
Für mich persönlich war die Tangente ein Erlebnis, St. Pölten in einem experimentellen Zustand zu sehen.
Und natürlich wünsche ich mir eine Fortsetzung.
Zukünftig:
1) Der Kunstpacours „The Way of The Water“ an der Traisen, vielleicht zweijährig?
2) Das Stadt Land Fluss Festival im Landesregierungsviertel
3) Der Klangturm braucht unbedingt eine Belebung, und nicht nur an einem Wochenende im Jahr.
Zu meiner Person:
Senior art.Dipl.art Christa Amadea, MA
beschäftigt an der Kunstuniversität Linz für Fotografie und Performance Art
EVA MARINGER, die kulturelle Vielfliegerin
Ich war sehr gespannt und neugierig auf die T, der Start mit der Oper "Justice" war fulminant - gestört hat mich aber sehr, dass im Anschluss ein Buffett angeboten wurde statt das dafür ausgegebene Geld genau den Menschen zu spenden, die von dieser Katastrophe betroffen waren – hatte dann große Erwartungen wie es wohl mit dem Festival weitergeht –
ABER: Es war mir lange nicht möglich, weitere Programmpunkte, eine Übersicht herauszufinden – nicht im Internet, keine Zusendung eines Programms, keine Infos im öffentlichen Raum. Zwar große Transparente über der Autobahn, in Wien, auf Autobussen, aber zu wenig Konkretes einfach in St. Pölten.
Auch während der langen Laufzeit des Festivals hörte und sah ich kaum Berichte in den Medien.
Ziemlich zu Beginn war in einer Kultursendung des ORF ein Bericht, der aber eher verwirrend als ansprechend war, keine Aussagekraft.
Bei meinen Besuchen in der Linzerstraße-„Zentrale“ – war entweder niemand da oder ich fand niemanden, der für Konkretes zuständig war, sehr nett alle, aber ...
Im Sommer war ich längere Zeit nicht in St. Pölten, hab dann den Anschluss an das Festival total verloren, da ich keine Anreize und Infos bekommen habe.
Das Fest im Regierungsviertel hätte sich ganz interessant entwickeln können, aber auch da hatte ich das Gefühl, dass sehr dilettantisch gearbeitet wurde, lange kein Programm, keine Linie, die sich durchgezogen hätte ...
Im Vergleich zu anderen Veranstaltungen, Festivals, die ich schon besucht habe, fehlte es bei der T einfach an der Umsetzung der an sich recht guten Ideen (hab jetzt noch einmal im Internet, jetzt ist es ja leicht zu finden, über einige Projekte gelesen), an dem Neugierig-machen und der entsprechenden Werbung.
Hatte für mich keine Seele, keinen Spirit, kein Herzblut!
Nach dem Festival fehlt mir eine objektive Berichterstattung über:
- Anzahl der Veranstaltungen
- Besucherzahlen
- Aufschlüsselung der Kosten: Veranstaltungen, Infrastruktur, beteiligte Personen - Verwaltung, ...
Die T war eine große Chance für St. Pölten, die nicht genutzt wurde (Einbindung von St. Pöltner Künstlern, Bevölkerung und Institutionen war zu wenig gegeben) und die an den St.Pöltnern eher vorbei gegangen ist als sie TANGIERT zu haben.
Definition von T: T ist eine Gerade, die eine Kurve oder eine Figur in einem Punkt berührt
TESTPILOT, der kulturelle Hobbyflieger
Wie waren Ihre persönlichen Erfahrungen mit den Tangente-Veranstaltungen? Was haben Sie sich angeschaut?
Bei den wenigen Veranstaltungen, die ich sah, war die Betreuung in Ordnung , wobei gegen Ende der Tangente die Motivation der Betreuer etwas nachzulassen schien …
Shared landscapes, Hands made, Wasteland, The way of the water, Kampf um die Stadt, Voodoo Jürgens
Was hat Ihnen gefallen? Was weniger? Warum?
Shared landscapes und Kampf um die Stadt waren tolle Erfahrungen zu einem günstigen Preis.
„Hands made“ – hier hätte ich mir etwas anderes vorgestellt.
Wasteland – leider an einem extrem heißen Tag besucht, sonst vielleicht positiver in Erinnerung
Gab’s für Sie besondere Highlights, besondere Flops?
Highlights: Shared landscapes und Kampf um die Stadt
Flops: kann ich nicht beurteilen, was ich gesehen habe, ev. Wasteland
Wie ist Ihre persönliche Einschätzung des Festivals insgesamt — auch im Vergleich zu anderen Kulturveranstaltungen?
Großteils sehr ungewohnte Veranstaltungen eher für ein Nischenpublikum. Insgesamt zu umfangreich für die Einwohnerzahl St. Pöltens.
Positiv formuliert: mal was Neues….
Hat die Tangente St. Pölten was gebracht? Wenn ja, was?
Das Festival wurde stark beworben, Bekanntheitsgrad hat sich dadurch vermutlich erhöht.
Ein Großteil der eigenen Bevölkerung hat aber scheinbar eine negative Einstellung.
Insbesondere in finanziell schwierigen Zeiten: Themen, mit denen wenige etwas anzufangen wussten.
Hohe Kosten, Zankapfel Linzer Straße…
AUSSENWAHRNEHMUNG:
Grundfragen
Wurde in Ihrem Medium über die Tangente St. Pölten (mit Ausnahme der Eröffnung im April) redaktionell berichtet? (Warum ja, warum nein, so ja, welche Themen).
Wurde die Tangente St. Pölten (mit Ausnahme der Eröffnung im April) Ihrem Empfinden nach in der (Wiener) Kulturszene wahrgenommen?
Hat die Tangente St. Pölten aus Ihrer Sicht eine nachhaltige Wirkung auf das Bild von der Stadt St. Pölten erzielt? (warum ja, warum nein, welcher Art)
MATTHIAS DUSINI, FALTER
Der Falter hat in seiner Programmbeilage über die Highlights des Festivals berichtet. Nach den großen Geschichten im Vorfeld der Eröffnung erschienen allerdings keine ausführlichen Artikel mehr. Das lag nicht an der Qualität der Veranstaltungen, sondern an der nachlassenden öffentlichen Aufmerksamkeit. Gerade im Sommer gibt es eine Vielzahl von Angeboten, die St. Pölten Konkurrenz machten. Was den Blick aus Wien betrifft, würde ich sagen, dass es sehr wohl Neugier gab. Das an experimenteller Kunst interessierte Festwochen-Publikum blickte nach Niederösterreich, wo einige bekannte Gruppen und Künstler aufgetreten sind. Insgesamt würde ich aber sagen, dass ein einmaliges Festival nicht ausreicht, um die Marke im Bewusstsein zu verankern. Das Image eines verschlafenen Ortes in einem konservativen Bundesland hat sich durch die Tangente indes etwas verändert. Wer hierher kam, lernte eine lebenswerte, mittelgroße Stadt mit einer ausgezeichneten kulturellen Infrastruktur kennen. Nachhaltig in Erinnerung blieb mir mein Besuch der ökologischen Initiativen im Sonnenpark. Als im September das Hochwasser überschwemmte, blieb dieses weitläufige Areal verschont. Die Wassermassen versickerten in den unversiegelten, wurzelreichen Böden.
STEFAN GRISSEMANN, profil
Man muss sich, angesichts der „Festivalisierung“ des Kulturbetriebs nicht nur hierzulande, natürlich immer fragen, welchen Sinn ein weiteres aus dem Boden gestampftes Multispartenfestival haben, was es einem zunehmend ennuyierten Kunstpublikum noch vermitteln kann. Ein leises Misstrauen gegen die Tangente hegte ich, offen gestanden, im Vorfeld durchaus – auch ihrer schwierigen Genese wegen. Mich hat dann aber die Eröffnungswoche eines Besseren belehrt. Schon der Start mit Milo Raus & Hèctor Parras Oper „Justice“ erschien sehenswert (wenn auch vielleicht zu Festwochen-nahe), und das konzentrierte Konzert der Drone-Avantgardistin Kali Malone im St. Pöltner Dom war ein kleiner Coup des Gegenwartsmusik-Kuratierens.
Am spannendsten geriet dann aber jene siebenstündige Kunst- und Performance-Wanderung, die Anfang Mai, perfekt organisiert von Caroline Barneaud und Stefan Kaegi, unter dem Titel „Shared Landscapes“ stattfand und in einer grandiosen Text- und Klangarbeit des spanischen Duos El Conde de Torrefiel gipfelte. Avancierter, zugleich unterhaltsamer kann man Kunst im Wald- und Wiesen-Umfeld tatsächlich nicht gestalten.
Die Außenwirkung der Tangente ist sicher noch ausbaufähig, der Überdruck all der anderen flächendeckenden Frühlingskulturprogramme war gerade 2024 heftig. An inspiriert kuratierten und liebevoll in Szene gesetzten Festivals wie diesem sollte man unbedingt festhalten.
ANDREA RADOVAN, Fremdenführerin
Ich bin Austria Guide und heuer war natürlich das „Tangente“ Festival auch bei den Stadtführungen ein großes Thema. Ich habe das Gefühl, dass viele St. Pöltner:innen und auch Personen von außerhalb das Festival nicht richtig greifen konnten und sich in der Fülle des Programms verloren haben bzw. sich nicht vorstellen konnten, was auf sie zukommt.
Des Öfteren habe ich gehört „Ich habe mir das Programm durchgelesen und eigentlich nix verstanden“. Besonders die performativen Formate waren vielen einen Tick zu schräg. Ich denke, dass etwas mehr Kulturvermittlung und eine entgegenkommendere Kommunikation geholfen hätten. „Ja, wenn man eine Erklärung dazu bekommt, ist es ja gar nicht so schlecht“ ist nur ein Statement dazu.
Es ist natürlich nicht einfach, ein neues Format zu etablieren und auch die erleb- und erfühlbare Umsetzung eines Konzepts stellt eine Herausforderung dar. Der abschließende Satz eines Gesprächs war dann oft: „Na ja, aber wenigstens war was los heuer“.
HEINZ SICHROVSKY, NEWS
Das Programm war schlicht erstklassig, vielfältig, von international konkurrenzfähiger Beschaffenheit, ich verweise partes pro toto auf Messiaen, Stadt ohne Juden, Justice. Wahrgenommen wurde es in Wien weit unterhalb seiner Bedeutung, ein Symptom des durchaus verwerflichen Eisernen Vorhangs zwischen Wien und den Bundesländern. Ich nehme mich da selbst nicht aus und fordere mich zur Abhilfe bei nächster Gelegenheit auf.
JONAS VOGT, DIE ZEIT Österreich / Der Standard
St. Pölten lässt mich heuer nicht los. Ich hab nicht nur journalistische Storys über die Stadt geschrieben, sondern soll jetzt auch bereits zum zweiten Mal 2024 in diesem Medium meine Eindrücke aufschreiben, diesmal mit Fokus „Tangente und ihre Nachwirkungen“. Irgendwer muss es ja tun. Vorab: Das Ganze ist streng subjektiv und aus der „leicht snobistischen Perspektive eines Einwohners von Wien“ (MFG 06/24)) geschrieben. Es hat über weite Strecken gar nicht den Anspruch, richtig oder falsch zu sein und ist wahrscheinlich auch nicht immer gerecht.
Sagen wir es zuerst mal freundlich: Die Tangente war ein Signal, das auch wahrgenommen wurde. Das positive Medienecho als Stadt im Aufbruch, das St. Pölten im Frühjahr genoss, hätte es ohne das Festival als Anlass nicht gegeben. Das hat Menschen erreicht, und davon bleibt sicher auch etwas hängen. Das weiß ich unter anderem deshalb, weil erst letzte Woche jemand mir gegenüber einen Witz über St. Pölten und seine Imagepolitur gemacht hat. Jetzt kommt allerdings das Aber. „Stadt im Aufbruch“ und „positives Medienecho“ sind Formulierungen, die auch aus einer Power-Point-Fräsentation der Marketing St. Pölten GmbH stammen könnten. Und dahinter verbirgt sich eine etwas unangenehme Wahrheit: Außerhalb St. Pöltens wurde die bloße Existenz der Tangente vermutlich mehr wahrgenommen als ihre Inhalte.
Wer einen Blick in die überregionalen Medien wirft, wird ab Mitte Oktober zwei Rückblicke auf das Festival finden. Der Verriss von Thomas Trenkler im Kurier („Gescheiterter deutscher Nationalismus“) mag weh tun. Eigentlich noch schmerzhafter ist aber, dass der Rest eine inhaltliche Rückschau offenbar für nicht notwendig hielt und sich mit einer Agenturmeldung („Festival Tangente St. Pölten lockte 56.000 Besucher an“) zufrieden gab. Das kann der Landeshauptfrau und dem Bürgermeister gefallen, der künstlerischen Leitung eigentlich nicht. Die thematischen Schwerpunkte des Programms wie Demokratie, Erinnerung oder Ökologie strahlten nicht aus und hätten mich – ohne die Recherche, für die ich bezahlt wurde – vermutlich nicht erreicht.
In meinem persönlichen (Wiener) Umfeld und meiner Instagram-Timeline tauchte die Tangente spärlich auf. Am meisten noch mit dem (leider verregneten) Domplatzkonzert von Fever Ray. Über die Gründe dafür ließe sich diskutieren – zum Beispiel darüber, ob die kommunizierten sechs Monate Dauer das Programm nicht zu sehr streckten und es dünner ausschauen ließen, als es war –, aber das ist ein bisschen müßig. Ein Kulturfestival in St. Pölten für St. Pöltner muss auch gar nicht den Anspruch haben, die Wiener Kulturbobos zu erreichen. Aber wenn man das will, dann braucht es dafür wahrscheinlich ein paar Highlights mehr. Angeln funktioniert ohne Köder schwer.
Die Tangente hatte den Anspruch, nach innen wie nach außen zu strahlen. Inwiefern Ersteres gelungen ist, müssen andere bewerten. Ebenso die Frage, ob das Budget gut eingesetzt war. Was ich sagen kann: Das Jahr 2024 hat sicher geholfen, St. Pölten als Ort, an dem Kultur stattfindet, bei mehr Menschen auf den Radar zu kriegen. Das ist nicht nichts. Damit daraus dauerhafter Nutzen entsteht, muss halt in St. Pölten jetzt auch weiter interessante Kultur stattfinden. So einfach ist das.
THOMAS WINKELMÜLLER / DATUM
Ich muss gestehen, mich hat die Tangente kaum berührt. Einerseits, weil ich in großen Teilen ein Kulturbanause bin. Andererseits, weil es für mein Stamm-Medium, DATUM, keinen besonderen Grund gab, eine Geschichte über das neueste Kulturangebot der Landeshauptstadt zu machen.
Ein großkopferter Zyniker könnte jetzt argumentieren, dass die Existenz eines St. Pöltner Kulturangebots allein eine Geschichte sei. Das wäre aber falsch. St. Pölten hat viel Energie darin investiert, dieses Klischee abzulegen und war damit durchaus erfolgreich. Wiener Bekannte, die es wohl nie in meine alte Heimat verschlagen hätten, posteten plötzlich Instagram-Stories vom Domplatz. Sogar Die Zeit, hat St. Pölten einen Text gewidmet. Das spricht für die Außenwirksamkeit der Tangente und das ordentliche Kulturangebot der Stadt. Sie hat sich mit ihrem Fortschritt aber auch eines Grundes beraubt, warum über sie geschrieben werden sollte. Der Spannungsbogen vom Gerechtigkeitskampf einer missverstandenen Stadt ist mit der Zeit überspannt und lasch geworden. Zum Glück, möchte ich argumentieren.
Vielleicht verträgt St. Pölten nun eine neue Erzählung. Kunstausstellungen und Konzerte der Tangente waren dabei sicherlich ein erster Schritt. Sie allein reichen aber nicht, um die Stadt dauerhaft näher in den Mittelpunkt der hiesigen Kulturszene zu rücken. Und obwohl ich ja wenig von Kultur verstehe und noch viel weniger von Mathematik: Der logische nächste Schritt kann also nur die Umbenennung von „Tangente“ in „Sekante“ sein. Was das für die Zukunft konkret bedeutet, sollte sich aber besser jemand anderes überlegen.