MFG - Kultur St. Pölten 2024 ≠ Tangente
Kultur St. Pölten 2024 ≠ Tangente


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Kultur St. Pölten 2024 ≠ Tangente

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2024

„Landeskulturhauptstadt“, so lautete der erste Brand, den Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner und Bürgermeister Matthias Stadler am Tag des Scheiterns der St. Pöltner Bewerbung zur Europäischen Kulturhauptstadt 2019 für Jahr 2024 ankündigten. Über die Jahre schliff er sich zu „Kultur St. Pölten 2024“ ab.

Dies zum einen, weil man den Terminus Kulturhauptstadt als möglichen Affront gegenüber Bad Ischl hätte (fehl)interpretieren können und nicht als schlechter Verlierer dastehen wollte. Zum anderen wurde der Claim „Kultur St. Pölten 2024“ erst so richtig forciert, als das neu im Entstehen befindliche Festival Tangente mit dem Abgang des künstlerischen Leiters nicht einmal ein Jahr vor dem offiziellen Start für schlechte Schlagzeilen sorgte. In der Wahrnehmung der Bürger war die Tangente das eigentliche Nachfolgeprojekt der Kulturhauptstadtbewerbung, dabei war sie stets „nur“ Teil des großen 24er-Pakets: Mit rund 17 Millionen Euro Budget in Relation zwar der finanziell gewichtigste, zugleich wurden aber auch über 30 Millionen Euro in diverse Kultur-Infrastrukturprojekte gesteckt, die ohne Zweifel als nachhaltig bezeichnet werden können. Für die Tangente, die nicht fortgesetzt wird, scheint dies weniger ausgemacht. Möglicherweise findet man deshalb in der Presseunterlage zu „Kultur St. Pölten 2024“ den Namen des Festivals weder im Zitat der Landeshauptfrau noch in jenem des Bürgermeisters. Lieber sprach man über die „Projekte und Vorhaben, die im Laufe des Jahres auf den Weg gebracht wurden“, und die waren zahlreich. So verwies die Landeshauptfrau auf die Impulse, „die über 2024 hinaus Bestand haben werden: Dabei denke ich vor allem an das KinderKunstLabor und die ehemalige Synagoge. So haben wir die Weichen für eine lebendige Erinnerungskultur sowie für eine zukunftsweisende Kreativitätsförderung unserer Kinder und Jugendlichen gestellt.“ In dieselbe Kerbe schlug Bürgermeister Matthias Stadler, der zusätzlich noch den Grillparzer-Campus oder die neue Bibliothek hervorhob, womit „bleibende Infrastrukturprojekte für Generationen“ errichtet wurden. Auf der Infrastruktur-Habenseite führte man weiters die Instandsetzung des Jüdischen Friedhofs sowie ein Kunstprojekt für den ehemaligen Jüdischen Friedhof am Pernerstorferplatz, die Attraktivierung des Altoona-Parks oder die Öffnung des Alumnatsgartens an. Nicht mehr fertig, aber mit 5,5 Millionen Euro fürs kommende Jahr budgetiert, wurde das Projekt „Überdachung Karmeliterhof“. Ebenso wird die Sanierung der Gebäude am SKW83/Sonnenpark erst im kommenden Jahr abgeschlossen – der Schwarze Raum wurde aber bereits als ers­ter Baustein von Solektiv wieder eröffnet. Außerdem verweist man auf die Einführung einer Museums­card, eine verstärkte Kooperation zwischen Kunstschule und Festspielhaus in Bezug auf eine Jugendtanzcompagnie, die Fortsetzung des Festivals „StadtLandFluss“, die Etablierung eines Nachhaltigkeitsfestivals sowie das Bekenntnis zu einem Kulturzentrum Löwinnenhof*. Was zudem Bestand haben wird: „Das Land und seine Hauptstadt sind zusammengerückt“, wie der Bürgermeister überzeugt ist.

... analoge Beiträge:

Foto rdnzl - stock.adobe.com

Nach dem Blick von außen, interessierte uns natürlich auch der Blick der heimischen Kulturszene auf das Tangente-Festival. Dazu baten wir zahlreiche Künstler und Veranstalter um ein Statement (nicht alle wollten eines abgeben), so dass ein Stimmungsbild entstand – ein sehr inhomogenes. Bisweilen konnte man den Eindruck gewinnen, hier wird nicht von einem, sondern von verschiedenen Festivals gesprochen. Was der Tangente aber im Künstler- und Veranstalterbereich  ...


Foto SAMYA - stock.adobe.com

Sie hat ein bisserl gefremdelt die Tangente, sagen die St. Pöltner. Nein, nicht, weil importierte Organisatoren und Projektgestalter fürs Programm gesorgt haben. Auch nicht, weil – wenige – heimische Künstler nur im Abspann des Fes­tivals für Gegenwartskultur mitmachen durften. Gefremdelt hat die Tangente, weil sie mit nieder­österreichischer Gegenwartskultur wenig Schnittmenge hatte, nicht angedockt hat an die Menschen in der Stadt. Wenn ich begeistern will, wenn ich Menschen  ...


Foto Margo_Alexa

Ein explizites Ziel der Politik bestand darin, mittels der Tangente die Außenwahrnehmung und das Image St. Pöltens zu heben. Um herauszufinden, ob dies gelungen ist, nahmen wir nicht nur die nackten Zahlen näher unter die Lupe, sondern wollten von renommierten (Kultur)Redakteuren wissen, ob die Tangente über das Jahr hinweg Thema im überregionalen Feuilleton geblieben war, ob das Festival in der Kulturszene wahrgenommen worden war und ob eine nachhaltige positive  ...


Foto Byron Moore - stock.adobe.com

Der kulturelle Hobbyflieger
Unser anonymer Tester ist männlich, mittleren Alters. Er hat seine Gattin zu einigen Tangente-Veranstaltungen begleitet. Seine persönliche Einschätzung des Festivals: 
„Es waren großteils sehr ungewohnte Veranstaltungen, eher für ein Nischenpublikum geeignet und insgesamt zu umfangreich für die Einwohnerzahl St. Pöltens. Positiv formuliert: Es war mal was Neues in der Stadt.“ Angesehen hat sich unser kultureller Hobbypilot  ...


Foto Nijat - stock.adobe.com

Unterm Strich und erst recht am ersten Blick sind Zahlen oft beeindruckend. Wir haben uns deshalb näher mit den Zahlen, Daten und Fakten rund um das Tangente Festival beschäftigt und nachgefragt. Bei der Abschlusspressekonferenz wurde etwa stolz darauf hingewiesen, dass von den mehr als 2.000 Künstlerinnen und Künstlern beinahe 60 Prozent lokale Künstler waren. Über tausend Künstler aus St. Pölten und Umgebung? Das hat uns überrascht, also haben wir nachgefragt,  ...


Foto Tatjana Balzer - stock.adobe.com

Zum Geleit
Im Grunde genommen mutet(e) es wie ein Kampf gegen Windmühlen an: Das Tangente Festival im Nachgang zu beleuchten ist so komplex, dass man wohl nie alle Aspekte einfangen kann, zumal mit dem Anspruch, es vor allem ausgewogen zu tun, was angesichts der teils diametral entgegengesetzten Wahrnehmungen zum Scheitern verurteilt scheint. Wir versuchten es trotzdem – immerhin war die Tangente Teil des, wie es die Politik formulierte, „größten  ...