MFG - Gut gebrüllt Löwin
Gut gebrüllt Löwin


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Gut gebrüllt Löwin

Text Johannes Reichl
Ausgabe 11/2024

Der Löwenhof war schon vieles in seiner Geschichte. Wohnort, Einkaufsmeile – wo weiland etwa Schuster Schober in den 80ern die Absätze meiner Clarks doppelte – ein Fortgehmekka rund um die Kultdisco „Löwenkeller“, ein „Paradies der Fantasie“ für Kinder und zuletzt ein zum Löwinnenhof* mutierter Ort der Kreativität, wo 2024 auch das Festivalzentrum der Tangente situiert war. Ein Kulturzentrum, soviel wurde bei der Bilanz-„Pressekonferenz“ zum Kulturjahr 2024 seitens der Politik angekündigt, soll er auch in Hinkunft bleiben.

Vielleicht ist dies – jedenfalls auf lokaler Ebene – auf Sicht der substanziellste Nachhall des Tangente Festivals. Dessen Karawane zieht weiter bzw. löst sich auf, die Kultur im Löwenhof aber bleibt – wenngleich sie dort auch schon zuvor vertreten war. Seit 18 Jahren etwa ist der Künstlerbund dort im „KUNST:WERK“ beheimatet, nutzt den Raum für wechselnde Ausstellungen. Altobmann Ernest Kienzl erinnert sich noch lebhaft an die Zeit zurück, als er ein passendes Areal für die – heute rund 30 – Kunstschaffenden des Vereins suchte und schließlich vom damaligen Kulturamtsleiter Thomas Karl den Raum im Löwenhof angeboten bekam. So froh man über die neue Bleibe war, „so stellte der Löwenhof zugleich immer auch eine Herausforderung dar, weil jedes Eingreifen in den Raum zum Kampf wurde. Dass wir etwa die runden Fensterbögen durchsetzen konnten, grenzt fast an ein Wunder“, erzählt Kienzl nicht ohne Stolz. Das Problem? Große Teile des Areals stehen unter Denkmalschutz. Dort, wo heute das KUNST:WERK logiert, waren einst Stallungen für Kutschpferde. Erste Erwähnungen einer Bebauung gehen bis ins 12. Jahrhundert zurück, relevant ist aber vor allem das Jahr 1649, als erstmals vom „Gasthof zum Goldenen Löwen“ (im Biedermeier mondäner als „Hotel Lion D’Or“ bezeichnet) die Rede ist – der Ursprung des „Löwenhofs“, der inzwischen in einer Variante auch zum Löwinnenhof* mutiert ist – wenngleich das noch nicht vollends „ausverhandelt“ scheint: Die Immobiliengesellschaft der Stadt ließ das gleichnamige Schild kurz nach dem Tangente-Festival wieder abmontieren – Wetten werden angenommen, wann in einer Guerilla-Aktion ein neues angebracht wird. Kultur-Kampf im ureigensten Sinne – für ein Kulturzentrum mit gesellschaftspolitischem Touch nicht unpassend. 
Die Stadt ließ Kultur im Löwenhof jedenfalls zu, siedelte 2010 etwa das „Paradies der Fantasie“ an (das man 2021 dann relativ brutal wieder liquidierte) und fördert bis heute die Einrichtungen vorort unter anderem, indem man nur die Betriebskosten verrechnet, aber auf Miete verzichtet. Schon in der Anfangszeit des KUNST:WERK, so erinnert sich Kienzl, entstand die Idee, den Löwenhof kulturell größer zu denken „und ein richtiges Kulturzentrum zu schaffen, mitten in der Stadt, das die Landeshauptstadt als Kulturhauptstadt etabliert.“ Dass man eine solche auch europäisch denken kann, dafür zeichnete in Folge der Verein KulturhauptSTART verantwortlich, der 2016 mit der Mission gegründet wurde, eine Bewerbung St. Pöltens  als Europäische Kulturhauptstadt 2024 auf den Weg zu bringen, unter starker Einbindung der Bevölkerung. Klaus-Michael Urban, heute Obmann und Mitgründer des Vereins, erinnert sich: „Wir sind mit der Idee durch die ganze Stadt gezogen, haben an verschiedensten Orten zu Jour fixes geladen“ – mit Erfolg. 2017 griff schließlich auch die Politik die Idee auf … und machte sie zu ihrer. „Das war für uns insofern eine schwere Zeit, weil wir vermittelt bekamen ‚Super, danke, ihr habt das gut gemacht. Aber jetzt übernehmen wir.‘ Wir wollten uns aber natürlich weiter einbringen, hatten ja zahlreiche Ideen, Konzepte zusammengetragen und entwickelt.“ 2018 mischte sich der Vorstand neu durch, frisches Blut kam dazu – etwa auch Lena Weiderbauer – und ein neuer Gedanke griff Raum. „Wir müssen auch physisch sichtbar werden!“ Nach dem KUNST:WERK zog so 2018 KulturhaupSTART in den Löwenhof und öffnete den „STARTraum“. Jour fixe, Foren, Exkursionen, Partizipationsprojekte blieben an der Tagesordnung, man kämpfte um Berücksichtigung im offiziellen Kulturhauptstadtprojekt – mit durchwachsenem Erfolg. Zwar wurde man lose eingebunden – etwa für einen Bidbook-Beitrag zum Thema Partizipation, freie Szene, lokale Initiativen – „aber die Verantwortung blieb bei der GmbH.“ Den STARTraum selbst legte die Plattform von Beginn an auch als „sichtbare Anlaufstelle an, wo man sich über aktuelle Entwicklungen der Bewerbung informieren kann, erfährt, wie man sich beteiligt etc.“, so Weiderbauer, die in Folge aber mit dem Grätzellabor zwischenzeitig eigene Wege ging, das späterhin gemeinsam mit Johanna Figl 2022 zum Projekt „ZUKKER – Zusammen Kunst und Kultur erleben“ mutierte. Der 40 Quadratmeter große STARTraum weitete derweil „auf sehr informelle Weise“, wie Urban schmunzelnd anführt, seinen Radius aus. „Wir haben sukzessive den Hof in Beschlag genommen, haben ihn begrünt, Möbel aufgestellt, den kleinen Kiosk geschaffen“ – und zahlreiche Veranstaltungen durchgeführt, Tendenz steigend. „Im Jahr 2023 hatten wir 26 verschiedene Formate zu Gast“, so Urban. Der Verein versteht sich dabei bis heute als Plattform, „an die man andocken kann und wo man Raum für seine Ideen findet, ohne dass man großartig Vereinsmitglied sein muss. Der Kontakt soll dabei so niederschwellig wie möglich erfolgen. Wenn man kann, zahlt man Miete für den Raum, wenn nicht, sammelt man Spenden ein dafür – oder auch nicht“, skizziert Urban. Die Kulturschaffenden unterzeichnen lediglich eine Nutzungsvereinbarung „wo Basics geregelt sind, wie dass man zum Beispiel seinen Müll wieder wegräumt“, lacht Weiderbauer. Urban begreift das Engagement von KulturhauptSTART vor allem als kulturelle Basisarbeit, die über das rein Künstlerische hinausgeht und auch soziokulturell wirksam wird. „STP Pride hat etwa im START­raum erste Treffen abgehalten, wir haben gemeinsam mit dem hier angesiedelten Frauenzentrum Formate kreiert, foodsharing beherbergt und ähnliches.“ 
Über die Zeit entsteht so dank KUNST:WERK und KulturhauptSTART ein reges Kulturleben im Löwenhof, das auch den politisch Verantwortlichen nicht verborgen bleibt und ohne Zweifel mit ausschlaggebend war, ebendort 2024 das Tangente-Festivalzentrum zu etablieren. Für Ernest Kienzl ein Meilenstein allein aus der Tatsache heraus, „dass dadurch viel, was zuvor marod war, saniert wurde, wie etwa die Räumlichkeiten über uns – die sahen vorher verheerend aus.“
Für KulturhauptSTART wiederum bedeutete der Schritt eine noch stärkere Annäherung an die Tangente, die die freie Szene vorort mitintegrieren sollte, wenngleich dies häufig nicht in dem Ausmaß geschah, wie man es sich seitens des Vereins  wünschte. „Wir mussten uns vieles erkämpfen, wobei es im Laufe des Festivals besser geworden ist“, resümiert Urban. Als Bindeglied zu lokalen Kulturinitiativen fungierte dabei übrigens eine alte Bekannte, Lena Weiderbauer, die seitens der Tangente mit der Koordination des Festivalzentrums betraut wurde – ein schwieriger Spagat, der bisweilen „auch mit Frustrationen einherging.“ Zugleich öffnete diese Liason aber am Ende des Tages jenes Fenster, das die seit gut zwei Jahrzehnten eingeleitete Entwicklung auf eine neue Ebene heben wird. „Dank der Tangente und die damit einhergehende bessere budgetäre Ausstattung, neue Raummöglichkeiten, die höhere Programmdichte konnten wir bei Verantwortungsträgern Bilder generieren, die eine Vorstellung von dem gegeben haben, was der Löwinnenhof in unseren Augen schon immer sein soll und sein kann: Ein lebendiges Kulturzentrum.“  

Kulturzentrum Löwinnenhof*
Dieses „Zentrum für die freie Kulturszene“, wie es der Bürgermeister im Zuge einer „Pressekonferenz“ formulierte, ist dabei über das Stadium einer reinen Willensbekundung schon hinaus und konkretes Work in Progress. Vor gut einem Monat wurde hierzu der Verein „Kulturzentrum Löwinnenhof*“ aus der Taufe gehoben, Lena Weiderbauer und Klaus-Michael Urban sind darin Vorstandsmitglieder, weiters Corinna Danninger, Elisabeth Sedlacek und Muhammet Ali Baş. Wer in diesem – die Stadt wünscht sich einen „Dachverein“ – am Ende des Tages aller vertreten sein wird, ist noch nicht ausgemacht. „Der Verein soll jedenfalls breiter sein, als die Initiativen hier vorort – es gibt viel Raum, der bespielt werden kann“, klärt Urban auf, und Weiderbauer umreißt die Grundaufgaben: „Wir sind die Schnittstelle zu den öffentlichen Stellen. Der Verein soll die verschiedenen Räumlichkeiten koordinieren und ist für die Programmierung zuständig, wobei wir eigenes Programm ebenso umsetzen wie Raum für externe Gastspiele bieten möchten.“ Aktuell befinde man sich in der Vernetzungsphase, möchte mit lokalen Vereinen in Kontakt treten „um das hier bestehende Biotop zu bereichern.“ Zudem gilt es den bereits angelaufenen „Rückbauprozess“ des Tangente Festivalzentrums zu begleiten. Dieses hatte ja nur eine temporäre Betriebsstättengenehmigung, „wir streben aber natürlich eine dauerhafte an!“ Hierfür müssen zahlreiche räumliche Adaptionen vorgenommen werden, um die gesetzlichen Auflagen – etwa in Sachen Notausgänge, Brandschutz, Sanitäranalgen etc. – zu erfüllen. „Die jetzt sichtbaren Ziegel werden dann unter weißem Putz verschwinden“, meint Urban mit einem Hauch Wehmut in der Stimme „aber man kann hier so viel machen, es ist ein toller Veranstaltungsraum. Auch ein gastronomisches Element wäre schön, vielleicht sogar fix, als Ankerpunkt in der Stadt, mit dem Hof hätte das sicher eine Ausstrahlkraft bis weit über die Linzer Straße hinaus“, ist er überzeugt.
Finanziert wird der Umbau übrigens noch aus Mitteln des „Tangente-Festivals“, das mit Ende Dezember offiziell liquidiert wird, weshalb es jetzt schnell gehen muss, „zumal wir im Frühling bereits in Betrieb gehen möchten.“ Wohin die Reise inhaltlich gehen soll, dazu wurde im Herbst ein Symposium abgehalten, zudem lädt man jeden letzten Donnerstag im Monat im STARTraum zum „Zukunftsstammtisch“, „wo wir auch über die aktuellen Entwicklungen Auskunft geben“, so Weiderbauer. „Wir haben während der Tangente jedenfalls unter Beweis gestellt, was hier möglich ist, wie lebendig dieser Ort sein kann, wenn in die Struktur, das Programm, ins Personal investiert wird“, führt sie aus. Und für Urban steht außer Streit, dass im künftigen Kulturzentrum regelmäßig Veranstaltungen stattfinden müssen. 
Das kostet freilich Geld, weshalb Weiderbauer die Notwendigkeit einer „seriösen Budgetierung des Kulturvereins“ unterstreicht. „Ohne professionelle Struktur mit auch hauptamtlichen Mitarbeitern wird es schwierig, einen derartigen Kulturbetrieb seriös zu führen. Die Leute bringen ja alle große Expertise mit ein, das kann man nicht im Ehrenamt allein bewerkstelligen.“ Auf ein Wunschbudget angesprochen, nennt sie eine Summe von einer halben Million Euro jährlich „die ideal wäre, um die Kosten für Programm, Miete, Betriebskosten, Personalkosten etc. abzudecken.“ Finanziert werden soll das aus Fördermitteln von Stadt und Land, „im Idealfall aber auch Bund“, zudem möchte man Einnahmen über Einmietungen lukrieren, „und auch Sponsoren sind herzlich willkommen“, ergänzt Urban.  

Ein Leuchtturm mit Strahlkraft 
Die Protagonisten im Löwinnenhof* sind jedenfalls voller Tatendrang. Wie ihre Vision in Zukunft aussehen könnte, wenn die Übung sozusagen gelingt? „Der Löwinnenhof* soll ein Ort sein, wo man einfach gerne hinkommt und sich wohlfühlt. Ein Ort der Offenheit, wo es keine Rolle spielt, woher man kommt, ob man arm oder reich ist,  wie alt man ist und wo auch gesellschaftlich Marginalisierte sichtbar und abgeholt werden. Ein Ort, wo man staunen kann und berührt wird, wo gesellschaftliche Fragen neu verhandelt und gedacht werden, wo man sich ausprobieren kann, kreatives Schaffen möglich wird und man sich – auch im Austausch mit anderen – entfalten kann. Letztlich ein Ort, der dazu beiträgt, St. Pölten weiterzuentwickeln“, so Weiderbauer, und Kienzl ergänzt „Ein Ort, der auch vom Räumlichen her super ist, etwa Platz für Artists in Residence bietet, und auch auswärtige Leute anlockt, die sagen: ‚Wow, und das gibt’s in St. Pölten?!‘„
Urban wünscht sich ebenfalls Strahlkraft über St. Pöltens Grenzen hinaus. „Das soll ein nieder­österreichweites Leuchtturmprojekt sein, das man in 10/15 Jahren wie selbstverständlich überall im Land kennt, auch und vor allem wegen der coolen Sachen, die hier stattfinden. Zugleich soll es ein Ort der gesellschaftlichen Verhandlung und Auseinandersetzung sein, wo 24/7 etwas los ist, Auftritte, Residencies, Werkstätten, Workshops, kreative Kinderbetreuung und was sich alles entwickeln mag, möglich sind.“ 
Eines ist dabei aber allen wichtig: Trotz der geplanten Professionalisierung muss die Freiheit des Kulturzentrums Löwinnenhof* erhalten bleiben: „Das darf kein Standardbetrieb werden, der in fixen Strukturen erstarrt, sondern der Löwinnenhof* muss etwas Offenes, Durchlässiges sein“, wünscht sich Kienzl, und auch Urban kann sich schwer vorstellen, „dass da quasi schon heute bekannt ist, was in drei Jahren gespielt wird. Der Löwinnenhof* muss ein Raum für Spontanität sein!“  

NEXT IM LÖWINNENHOF*
9. Dezember
STARTraum
KulturhauptSTART-Geburtstagsfeier mit Präsentation der Filmdoku über den Löwinnenhof*

Noch bis 21. Dezember
KUNST:WERK St. Pölten
VIERUNDZWANZIG 24