MFG - Unser Thema - Kein Thema?
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Unser Thema - Kein Thema?

Text Althea Müller
Ausgabe 09/2012

Wir Redaktionsleute vom MFG sind uns ja relativ selten einig, aber in diesem Fall sagten wir es im Chor: AIDS und HIV interessiert sowas von keinen mehr – egal, wo und bei wem wir nachfragen. Zeit also, den verstaubten Deckel von einer erstaunlicherweise gleichzeitig unpopulären und aktuellen Akte zu heben...

Wie schaut’s aus in unserem Land? Da Niederösterreich neben dem Burgenland das einzige Bundesland ist, das über keine eigene Stelle der Aids Hilfe Österreich verfügt, wende ich mich mit unseren Fragen an Deborah Klingler-Katschnig, die seit 2002 in der Aids Hilfe Wien im Bereich HIV/AIDS-Prävention für Jugendliche tätig ist – pro Jahr werden in diesem Rahmen in rund 500 Workshops etwa 6.000 junge Menschen zu HIV/AIDS und angrenzenden Themen informiert.

Was sind die persönlichen Erfolgsmomente in Ihrem Job?
Zufrieden bin ich, wenn ich merke, dass Umdenkprozesse eingeleitet wurden, dass bestimmte Dinge anders betrachtet werden können und es neue Wege der Kommunikation untereinander gibt. Das Sprechen über Sexualität insgesamt und HIV im Besonderen ist nicht einfach – auch für Erwachsene! Daher ist es mir wichtig, Jugendlichen genug Information sowie Entscheidungsgrundlagen mitzugeben und ihnen Verhandlungsspielräume aufzuzeigen. Wenn am Ende eines Workshops in den Gesichtern abzulesen ist, dass sie verstanden haben, dass es ihr eigenes Leben ist, das sie schützen können und dass dafür nur sie verantwortlich sind und gemacht werden, dann bin ich zufrieden.

Und was macht Sie manchmal wütend oder traurig?
Unzufrieden bin ich darüber, dass es immer noch viele Vorurteile zu diesem Thema gibt und es für Jugendliche noch immer – oder gerade jetzt – schwierig scheint, ihre persönlichen Bedürfnisse zu artikulieren. Unsere schnelllebige Zeit mit den vielfältigen Möglichkeiten der Information bzw. Fehlinformation stellt in meinen Augen für Jugendliche im Hinblick auf ihre sexuelle Entwicklung oft eine Belastung und Überforderung dar und führt oft zu Fehleinschätzungen in Bezug auf Körper und Sexualität bzw. das Erfüllen-Müssen von fälschlich angenommenen Normen. Leider verfügen wir in der Aids Hilfe nur über begrenzte Mittel und können somit nicht so viele Workshops anbieten, wie es die Situation erfordern würde.

Wie, empfinden Sie als Expertin, gehen Menschen und im Speziellen Jugendliche in Österreich generell mit dem Thema Aids um?
HIV und AIDS sind für viele Menschen einerseits bedrohliche Krankheitsszenarien, andererseits wird oft eine sehr große Distanz zu diesem Thema empfunden. Unser Anliegen ist es, Jugendliche nicht nur zu informieren, sondern sie davon überzeugen zu können, dass es für sie relevant ist, sich zu schützen. Nur wenn Wissen auch in die Tat umgesetzt wird, hat Information nachhaltigen Wert.

Welche extremen Meinungen zum Thema gibt es in der Bevölkerung?

Es halten sich hartnäckig diverse Vorurteile bzw. Mythen, dass von HIV bzw. AIDS nur bestimmte Personengruppen betroffen sind. Wenn man sich diesen Gruppen nicht zuordnet, führt das zu einem falsch angenommenen Sicherheitsgefühl. Die Wahrheit ist, dass sich das Virus an keine „Risikogruppen“ hält, wir sprechen heute vielmehr von „Risikoverhalten“ und meinen damit vorrangig ungeschützten Geschlechtsverkehr. Natürlich gibt es Faktoren, die eine Übertragung von HIV begünstigen. Jede/r aber kann sich in bestimmten Situationen riskant verhalten.

Wir im MFG-Redaktionsteam stellten fest, dass das Thema „Aids“ heute eben kein Thema ist, egal, in welcher Altersgruppe...
Bei vielen Jugendlichen und auch Erwachsenen heute fehlt der „Schock der ersten Jahre“, das heißt, das Bild von einer HIV-Infektion bzw. einer AIDS-Erkrankung hat sich medial sehr gewandelt, bedingt durch die heutigen Behandlungsmöglichkeiten und die medizinischen Fortschritte – und wird mittlerweile als chronische Erkrankung angesehen. AIDS ist aber nach wie vor nicht heilbar und es ist auf alle Fälle besser, sich zu schützen als das Risiko einer Infektion aus Unwissen oder Unbeteiligtheit einzugehen. Schließlich haben meist beide Partner bereits sexuelle Erfahrungen mit unterschiedlichen Menschen gesammelt, die in die „sexuelle Biographie“ miteinfließen. Nur wenn beide miteinander über ihre Wünsche und eben auch den Schutz vor Krankheiten und unerwünschten Schwangerschaften sprechen, werden die Risiken eingedämmt. Gerade für junge Menschen ist die Situation oft noch schwieriger, weil sie am Beginn ihrer Sexualität stehen.

Ehrlich – wie sagt man gerade einem Teenager, dass er beim Sex ein Kondom verwenden soll, ohne dass es ihm unangenehm ist und so, dass er es vielleicht wirklich tut bzw. sich nicht dazu verleiten lässt, darauf zu verzichten?
Information ist der erste Schritt zur Kondom-Anwendung: Es ist schon ganz viel erreicht, wenn es möglich ist, aufzuzeigen, welche Vorteile es hat, ein Kondom zu verwenden und wenn diese Vorteile für Jugendliche nachvollziehbar und akzeptabel vermittelt werden. Ein wesentlicher Bestandteil von Prävention ist, dass die mögliche eigene Betroffenheit gesehen wird – also weg von der Idee, dass „mir das schon nicht passieren wird“. Prinzipiell kann ich sagen, dass Prävention dort am besten funktioniert, wo es gut gelingt, Jugendlichen die Verantwortung für ihr eigenes Leben und das von anderen aufzuzeigen.


Aids Hilfe Wien
Die Aids Hilfe Wien bietet Betreuung von HIV-positiven Menschen, deren Partner und Angehörigen, Beratung, Testung sowie zielgruppenspezifische Prävention für Menschen in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland an. Dabei ist gerade auch die HIV/STD(= Sexuell übertragbare Krankheiten)-Präventionsarbeit für Jugendliche eine wichtige Aufgabe, in der u. a. Workshops durchgeführt werden – primär an Schulen, aber auch im außerschulischen Bereich.
Infos/Kontakt: www.aids.at

Aids Hilfe Wien
Mag.a Deborah Klingler-Katschnig, HIV/AIDS-Prävention für Jugendliche, Mariahilfer Gürtel 4, 1060 Wien
01/599 37-91, klingler@aids.at



„POSITIV GESEHEN“
Aus dem Leben einer HIV - infizierten Österreicherin
„Eigentlich wollte ich nur zu einer routinemäßigen Untersuchung zu einem Frauenarzt gehen. Was ich aber dann dort erlebte, übertraf die sonst üblichen Schikanen bei ÄrztInnen, die ich, seit ich HIV-positiv getestet wurde, schon als normal empfinde, bei weitem. Ich habe bei der Terminvereinbarung kein Wort über meine Infektion verloren, dann aber doch den Fehler begangen, mich dem Arzt anzuvertrauen. Die Reaktion kam prompt. Er legte zwei Paar Handschuhe an, wobei er erstaunlicherweise das obere Paar im Laufe der kurzen Untersuchung mehrmals wechselte. Im Gespräch mit dem Arzt offenbarte sich dann auch noch, dass er nicht einmal den Unterschied zwischen HIV und AIDS kannte, da er mich mehrmals als AIDS-krank bezeichnete. Ich konnte es nicht fassen und war nicht in der Lage, ihn eines Besseren zu belehren. Als ich ihn nach der für mich besten Verhütungsmethode fragte, riet er mir allen Ernstes, mich unterbinden zu lassen. Während ich mich wieder ankleidete – ich wollte diese Praxis so schnell wie möglich verlassen –, verlor der Arzt keine Zeit und begann in meiner Anwesenheit, alles, was ich berührt hatte, zu desinfizieren. Danach wünschte er mir alles Gute und ein schönes Leben. Da war mir klar, dass mich der Arzt nie wieder sehen wollte. Ich ihn auch nicht.“
(aus: PlusMinus, Magazin der AIDS-Hilfen Österreichs, 04/2011)

ZAHLEN AUS Ö
• Immer noch gibt es rund 500 HIV-Neuinfektionen pro Jahr. (Quelle: Aids Hilfe Wien)
• 1993 war mit 261 AIDS-Erkrankungsfällen ein Höchststand erreicht. 1994 ging die Zahl auf 196 zurück, 1995 gab es einen erneuten Anstieg auf 245 Fälle.
Seitdem gibt es einen kontinuierlichen Rückgang der Neuerkrankungen, aber:
• 2011 starben 32 Personen an AIDS (Stand: Juli 2011).
• 2011 erkrankten 46 Männer und 19 Frauen neu an AIDS.
• Bundesländervergleich 2011: 18 Menschen erkrankten in Wien, 8 in Niederösterreich, je 5 in Kärnten und Oberösterreich, 4 in Tirol, 3 in Salzburg, 2 in der Steiermark. Und ein Mensch erkrankte in Vorarlberg an AIDS.
(AIDS ist in Österreich seit 1983 meldepflichtig. Quelle: STATISTIK AUSTRIA, Stand 06.08.2012)


HARD FACTS
HIV (Humanes Immunschwäche Virus)
HIV ist Abkömmling eines Virus, das von Affen stammt. Durch Mutationen wurde es für den Menschen krankheitserregend und vermutlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf ihn übertragen – durch Verletzungen beim Zerlegen der Jagdbeute, Kontakte mit Blut oder Gehirnflüssigkeit von Affen. Ein positiver HIV-Antikörpertest bedeutet, dass eine Infektion mit dem HI-Virus stattgefunden hat und die spezifischen Antikörper nachweisbar sind. Eine HIV-infizierte Person wird verkürzt als HIV-positiv bezeichnet. Die Betroffenen müssen aber keine Beschwerden oder Krankheitszeichen haben.

AIDS (Erworbenes Immunschwäche Syndrom)

HIV (s.o.) muss nicht, kann aber im Verlauf der Infektion zu einer Schwächung des Immunsystems mit einer spezifischen Kombination von Krankheitssymptomen führen, nachfolgend könen bestimmte AIDS definierende Erkrankungen auftreten. An AIDS erkrankt zu sein bedeutet also, dass entweder besondere Krankheitserreger die Schwäche des Immunsystems als Gelegenheit nutzen, geeignete Infektionen auszulösen. Oder dass bestimmte Tumore auftreten. Dank medizinischen Fortschritts kann heute durch moderne Therapien die systematische Zerstörung des Immunsystems durch das HI-Virus unterbunden werden und eine HIV Infektion ist zu einer behandelbaren chronischen Erkrankung geworden. Trotzdem ist AIDS nicht heilbar.

Behandlung
In Österreich gibt es HIV-Zentren, in denen HIV-positive sowie AIDS-kranke Menschen behandelt werden. Alle Bundesländer (bis auf NÖ und das Burgenland) verfügen über ein HIV-Zentrum. Die Verordnung der Therapie erfolgt ausschließlich durch diese Spezialambulanzen und wenige spezialisierte niedergelassene Ärzte/Ärztinnen. Heutige Therapien ermöglichen, dass es nicht mehr so viele AIDS-Kranke gibt. Menschen, die mit HIV infiziert sind, beginnen im besten Fall ab einem bestimmten Zeitpunkt mit der Therapie. Patienten aus NÖ und dem Burgenland werden auch in Wien behandelt.