MFG - Birkenstock goes Rock’n’Roll
Birkenstock goes Rock’n’Roll


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Birkenstock goes Rock’n’Roll

Text Beate Steiner
Ausgabe 09/2015

Sowas haben die St. Pöltner in ihrer Polit-Landschaft noch nie gesehen, solche Töne noch nie gehört, solch Aktionen noch nie erlebt: Die Grünen irritieren mit schrägen Auftritten und trainierter Sprache.

Sie laden zu Diskussionsrunden in die Seedose und zu Ausflügen mit nachhaltigem Hintergrund ein. Sie verteilen in der Nacht unzählige Pflanzenkisten in der ganzen Stadt und posten schräge Pflanz-Tipps. Nein, pflanzen wollen St. Pöltens Grüne damit niemanden, sie wollen sich nur abheben von den üblichen Auftritten altbekannter Polit-Profis, wollen mit „Wahl-Engagement“ statt „Wahl-Kampf“ von ihren Visionen überzeugen und nutzen dazu nicht öffentliche Auftritte, sondern soziale Netzwerke, vor allem Facebook. Dort präsentieren sie sich nicht überlegen-elegant wie ihre Vorgängerinnen in St. Pölten, auch nicht Schlapfen tragend wie die Ur-Eltern der Grünbewegung, sondern cool gestyled wie eine Rock-Gang vor dem nächsten Auftritt.
Stadtparteitag mit Folgen
Anlass für den grünen Wandel war der Stadtparteitag vor rund einem halben Jahr. Damals waren sich die fünf Mitglieder im Vorstand der Grünen alles andere als grün. Als Gegenpart der beiden jungen Gemeindemandatarinnen Nicole Buschenreiter und Julia Schneider hatten sich die zielstrebigen grünen Urgesteine Udo Altphart und Walter Heimerl aufgebaut – sie wollten Ordnung in die Partei bringen und sich selbst in Stellung für die Gemeinderatswahl im nächsten Jahr. „Geordnet in die Zukunft gehen“, formulierte Walter Heimerl damals seine Sorge um das nur mit 87 Stimmen abgesicherte Mandat der Grünen. Und die beiden Herren wollten auch die Rotation im Gemeinderat einführen, was auf wenig Gegenliebe bei den aktuellen Gemeinderätinnen stieß.
Am ersten grünen Stadtparteitag nach drei Jahren prallten dann die beiden grünen Welten hart aufeinander. Da wurden nämlich zusätzlich zu den organisatorischen noch die Unstimmigkeiten übers Finanzielle öffentlich – und beim Geld hört sich auch die grüne Solidarität endgültig auf. Der Anlass: Die grüne „Kriegskassa“ für die kommenden Wahlen ist leer, die beiden Mandatarinnen haben all die Jahre nichts eingezahlt. Der Uralt-Beschluss dafür wurde zwar nie erneuert, aber auch nicht gecancelt. Dank der zahlreichen mediationsgeschulten Grün-Mitglieder konnte für die Finanz-Unregelmäßigkeiten ein Kompromiss gefunden und zur Wahl geschritten werden.
Zum Vorstands-Voting hatte jede Seite ihre Anhänger mitgebracht. Die Gemeinderats-Partie ein paar mehr – und eine für alle wählbare Kompromisskandidatin. Das Resultat: Die Alt-Grünen Udo Altphart und Walter Heimerl schieden aus dem Gremium, die 67-jährige Neo-Politikerin Monika Krampl erhielt die meisten Stimmen und schart um sich ein junges Team mit Nicole Buschenreiter (35), Julia Schneider (25) und dem SP-Abtrünnigen Markus Hippmann (26).
Soziokratie im Grün-Biotop
Und die pensionierte Therapeutin Krampl ist hauptverantwortlich für die auffallende und rasante innere Veränderung der grünen Polit-Akteure, sie hat ihre neuen Kollegen auf einen neuen Weg gedrängt: Nach einem Training in gewaltfreier Kommunikation ist’s vorbei mit den kämpferischen Gemeinderatssagern einer Nici Buschenreiter – ihr letzter hatte für ziemliche Aufregung vor allem bei der SPÖ gesorgt: „Jeden Monat muss ich mir diesen Schas da herinnen anhören.“
Vorbei ist’s überhaupt mit den Kampfansagen an die Gesellschaft: „Wir müssen weg vom Konkurrenzdenken, hin zu Solidarität“, sagt Monika Krampl, und: „Wir steigen aus dem Gegeneinander aus, hinein ins Miteinander.“
Beim Guerilla-Gardening à la St. Pölten hat das noch nicht so geklappt – da ernteten sanfte Kritiker der Stadtpflanz-Aktion herbe Kritik auf der Facebook-Site.
Aber nach mehreren Klausuren ist Schluss mit der kriegerischen Sprache, „Soziokratie“ ist das Zauberwort und die trainierte Einstellung im Grün-Biotop. Soziokratie, das ist eine andere Form der Organisation, so ungefähr das Gegenteil einer Hierarchie. Alle Entscheidungsträger sind gleichwertig, agieren auf Augenhöhe, finden aber durch Argumentation keinen Konsens, bei dem Leute übrig bleiben, die sich nicht gehört fühlen. Einen „Konsent“ hingegen gibt es erst dann, wenn niemand mehr einen schwerwiegenden Einwand gegen die Entscheidung hat, alle diese mittragen können. „Durch Argumentation geht es weg von der Emotion“, erklärt Monika Krampl die neue Linie, die weg vom Konkurrenzdenken und hin zu Solidarität, auch bei Polit-Entscheidungen, führen soll. Und vermutlich bei den in Kampfrhetorik geschulten Polit-Mitbewerbern irritiertes Kopfschütteln auslösen wird. „Bis jetzt gibt es noch keine Reaktion“, versichert Monika Krampl. Allerdings gibt’s schon Verwirrungen bei der Kommunikation zwischen alter und neuer Polit-Truppe: So hat das Medienservice im Rathaus nicht wirklich verstanden, was die Alternativen da mit einem „BürgerInnenhaus“ wollen und geglaubt, damit sind die Magistratsabteilungen gemeint. „BürgerInnenhaus“ ist für die Grünen allerdings eine zentrale Forderung nach einem Gebäude mit diversen Einrichtungen wie Seminarräumen und einem Reparatur-Café, das von allen St. Pöltnern und St. Pöltnerinnen kostenfrei genutzt werden kann.
Veränderungen und Visionen
Auf welche konkreten Themen sich das grüne Wahl-Engagement genau konzentrieren wird, ist noch nicht ganz fix. Aber eines ist klar: Die kleine Partei will Veränderung: „Wir sind anders, weil wir nicht angepasst sind“, erklärt Monika Krampl: „Veränderung sehen wir nicht als Gefahr, und den Sager ‚Das war schon immer so’ gibt’s bei uns nicht.“
Dafür einen anderen: „Wir müssen alle den Mund aufmachen.“ Denn Gutes tun und darüber reden macht andern Mut es gleichzutun, ist die Neo-Politikerin überzeugt und präsentiert gemeinsam mit den anderen Vorstandsmitgliedern ihre Visionen von einer besseren Gesellschaft, in der die Zivilgesellschaft und die Politik gemeinsam die Rahmenbedingungen für unser Leben gestalten.
Ein Blick auf die Homepage
Ein Bild dieser Zukunft zeichnen die Grünen auf ihrer Homepage www.gruenestp.at.
Zum Thema „Wohnen“ etwa schaut der grüne Traum so aus: Zitat Anfang: „Daniel bezieht eines der gemeinschaftlichen Wohnprojekte. Von öffentlicher Hand gefördert finden hier BürgerInnen unterschiedlichster Facon ihren neuen Lebensbereich. Sogar einen Gemeinschaftsgarten gibt es in dem sanierten Haus. Hier spielt sich das Leben der Bewohner ab. Zusammen gärtnern, Bäume pflegen, die Früchte der vereinten Arbeit ernten. In Daniels Wohnprojekt eine Selbstverständlichkeit, nicht nur für ihn und seine Hündin Jessy, auch für die Familie aus dem Stock über ihm, die ältere alleinstehende Dame aus dem Nebeneingang und deren Katze, ja selbst der junge Student aus dem obersten Stock, alle Versammeln sich um den Grill den Daniel und seine Freunde für den Abend befeuern. Ein gemeinschaftliches Hallo für den neuen Mitbewohner.“ – Zitat Ende
Und der Traum zum Thema „Bevölkerung“: Zitat Anfang: „Im Bürger­Innen-Haus findet heute bereits der 10. BürgerInnen-Rat statt. Jedes mal wenn ich das Haus betrete, freue ich mich, dass es dieses Haus gibt. Es ist heute nicht mehr wegzudenken aus dem politischen Geschehen. Beides nicht. Sowohl die BürgerInnen-Räte, als auch das BürgerInnen-Haus. Über dieses wunderbare Instrument des BürgerInnenrates gäbe es viel zu sagen. Ich versuche, mich trotz meiner Begeisterung kurz zu fassen. Der BürgerInnenrat setzt sich aus zwölf bis fünfzehn nach dem Zufallsprinzip ausgewählten BürgerInnen zusammen. In der zwei Tage dauernden Arbeitsphase identifizieren die TeilnehmerInnen Themen öffentlichen Interesses in ihrem Umfeld und entwickeln dafür Verbesserungs-/Lösungsvorschläge. Anfangs als eine einfache, kostengünstige und rasche Möglichkeit gedacht, Selbstorganisation und Eigenverantwortung von BürgerInnen zu stärken, ist er mittlerweile zu einer methodischen Ergänzung der Parteipolitik geworden, die die Politikverdrossenheit in einen Beteiligungswillen verwandelt hat. [... ] Im Rathaus gegenüber finden die offiziellen Versammlungen statt, an denen die VertreterInnen der Parteien und der Zivilgesellschaft gleichwertig und gleichberechtigt teilnehmen. Die Zeiten eines Gemeinderates, mit dem durch die unterschiedliche Anzahl der Sitzplätze der Parteien ersichtlichen Machtgefälle und der die Arbeit für das Gemeinwohl behindernden Konkurrenz, sind schon lange Geschichte.“ Zitat Ende
Was den Grünen sonst noch am Herzen liegt
Weitere Themen, die den Grünen am Herzen liegen und mit denen sie ein Mandat mehr gewinnen wollen sind:
 
• Die Landwirtschaft: „Wir wollen die Verbindung zu regionalen Produzenten herstellen und damit das Einkaufsverhalten der Menschen ändern.“
• Der Verkehr: „Der LUP soll in kürzeren Intervallen fahren.“
• Günstiger Wohnraum: „Da wollen wir auch das Wirtschaftsthema reinbringen.“
• Eine Facebookseite für Frauen, als Unterstützung der Frauenplattform: „Das wär geeignet für viele Themen, die viele Frauen erreichen.“
• Und ein Verein „Kultur und politische Bildung“: „Wir möchten eine Akademie politische Bildung ins Leben rufen, um unsere neuen Ideen zu vertreiben.“
Zunächst steht aber der nächste Stadtparteitag an, der erste mit Monika Krampl: „Die finanziellen Troubles haben wir ausgeräumt, ich bin schon gespannt, ob jemand von der alten Truppe kommt“, sagt sie, und: „Das wär schön, wenn sie dabei wären, weil sie doch einen gewissen Erfahrungsschatz mitbringen.“ Und dann kommt das „Aber“: „Sie müssten sich auf die neue Struktur einstellen.“