MFG - Kaffeehaus-Erleuchtung
Kaffeehaus-Erleuchtung


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St. Pöltens gute Seite

Kaffeehaus-Erleuchtung

Text Beate Steiner
Ausgabe 11/2021
Faszinierend, was der Mann alles weiß. Aufregend, wie er sein Wissen mit lauter, kräftiger Stimme am Kaffeehaustisch in St. Pölten verkündete. Dankenswerterweise hat er nicht nur seine Kollegen, sondern auch mich an seinen leidenschaftlich vorgetragenen Überzeugungen teilhaben lassen – ich saß am übernächsten Tisch und konnte gar nicht mehr weghören.
Der Mittvierziger ist kompetenter Mediziner und Virologe und erklärte in verständlichen Worten, was er glaubt, dass ein Impfstoff gegen Covid 19 mit unserem Immunsystem macht. Er ist selbstverständlich auch Mathematiker und Statistiker und interpretierte gekonnt Zahlen, die er in leicht erfassbaren Medien und in fantasievollen Kommentaren gelesen hatte. Keine Frage, dass sich der Mensch auch beim Fußball auskennt und pädagogisch bewandert ist: „Mein Burli macht, was ich ihm sag‘. Weil er weiß, dass ich recht hab‘ und nur das Beste für ihn will.“
Nach diesem Kaffeehausbesuch mit realistischem Einblick in die Welt der kognitiven Verzerrungen ist mir schlagartig bewusst geworden, warum die Pandemie bereits im Sommer mit bunten Bildern als beendet plakatiert wurde: Wenn unser Bildungssystem mit Nachhilfe von leicht zugänglichen Medien solche Koryphäen schon nach dem Pflichtschulabschluss hervorbringt, warum sollten dann unsere Politiker bei ihren Entscheidungen auf Experten hören, die ja eindeutig die unpopuläre Fachmeinung der universitären Blase vertreten – und nicht die Überzeugung des erleuchteten faktenresistenten Wahlvolks?