MFG - Alpenland in Frauenhand
Alpenland in Frauenhand


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Alpenland in Frauenhand

Text Beate Steiner
Ausgabe 09/2022

Isabella Stickler dirigiert seit einem Jahr die Wohnungsgenossenschaft Alpenland, entspannt beim Orgelspiel und meistert sowohl die Herausforderungen in der männerdominierten Baubranche als auch die einer berufstätigen Mutter. Wie, das erklärt die 45-jährige Juristin im Interview. Und auch, warum St. Pölten für Immobilienentwickler so interessant ist.


Alpenland prägt St. Pölten – derzeit unübersehbar auch mit einem Alleinstellungsmerkmal in der Baubranche: mit einer Frau an der Spitze. Was sind denn Ihre Aufgaben als Obfrau der Genossenschaft? 
Meine Hauptaufgabe ist es, den Weg vorzugeben. Dieser soll den Spagat schaffen zwischen leistbarem Wohnraum, den gestiegenen Kundenbedürfnissen und den hohen technischen und gesetzlichen Anforderungen, die an Wohnbau gestellt werden. Außerdem wollen wir unsere Dienstleistungs- und Servicequalität weiter ausbauen. Es ist mir auch wichtig, starker und sicherer Arbeitgeber für unsere Mitarbeiter zu sein und ein Geschäftspartner mit Handschlagqualität. Und natürlich gehören zu meinen Aufgaben auch die Repräsentation des Unternehmens und die Kontaktpflege.

Warum, glauben Sie, sind so wenige Frauen in einer ähnlichen Position wie Sie? 
Die Gründe, warum Diversität in der Wirtschaft und Frauen in Spitzenpositionen in Österreich noch nicht gelebt werden, sind vielfältig. Die Bau- und Immobilienbranche und somit auch die gemeinnützige Wohnungswirtschaft ist generell eine – noch immer – sehr männerdominierte Branche. Bis vor wenigen Jahren waren nur wenige Frauen in den Führungsebenen und Gremien vertreten. Und damit waren und sind auch die Interessen von und für Frauen unterrepräsentiert.
Trotz vieler Bestrebungen nach einer Gleichberechtigung der Geschlechter wird oft bei Stellenbesetzungen eine konservative und altmodische Grundhaltung an den Tag gelegt.  Leider fallen die wichtigen Karriereschritte oft in die Zeit, in der Frauen Kinder bekommen und damit phasenweise aus dem Arbeitsprozess aussteigen – auch aufgrund mangelnder Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Es fehlen weibliche Vorbilder und oft die Unterstützung des familiären Umfeldes. Privat sind Frauen die besten Netzwerkerinnen, beruflich leider nicht, und damit sind sie weniger sichtbar. Das ist ein Nachteil bei der Besetzung von Führungspositionen. Letztendlich trauen sich Frauen oft auch weniger zu und stehen sich selbst im Weg. 
Österreich ist, was Frauenquoten betrifft, EU-weit gesehen auf einem schlechten Ranking-Platz – das ist kein Renommee und das schadet dem Wirtschaftsstandort Österreich mit Sicherheit.

Welche besonderen Herausforderungen müssen Sie in Ihrer Position bewältigen?
Meine größte Herausforderung ist, alles unter einen Hut zu bringen: Beruf, Familie und meine privaten Interessen – und das möglichst so, dass kein Bereich, vor allem meine Familie, nicht zu kurz kommt.

Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Die Zutaten für mein Erfolgsrezept sind: Ich habe meinen Beruf von der Pike auf gelernt, ich kenne das Unternehmen wie meine Westentasche und ich brenne für Alpenland. Mit dieser Leidenschaft, harter Arbeit, Konsequenz und dem unbeirrbaren Glauben an die Zielerreichung und an mich selbst habe ich bis jetzt oft das erreicht, was ich wollte.

Genossenschaftswohnbau hat sich gewandelt: vom günstigen „Dach über dem Kopf“ hin zu „schön und angenehm Wohnen, angepasst an unterschiedliche Bevölkerungsgruppen“. Wie schaut „Alpenlandwohnen 2022“ aus – im Vergleich zur Jahrtausendwende?
Der Stellenwert des Wohnens ist heute viel höher als im Jahr 2000. Der „Wert Wohnen“ ist ein Teil des Images und für viele Menschen dadurch identitätsstiftend. Der wachsende Trend zu Single-Haushalten zeigt, dass eine eigene Wohnung Freiheit und Unabhängigkeit bedeutet. Wir sehen seit Beginn der Corona-Pandemie klar zwei Trends: Ländliche Lagen – und keineswegs nur solche in städtischen Speckgürteln – sind wieder gefragter. Schließlich haben wir alle die Erfahrung gemacht, wie sehr es gerade unter angespannten Bedingungen auf Lebensqualität und Freiräume ankommt. Zweitens der gestiegene Stellenwert von Homeoffice: Das erleichtert das Wohnen außerhalb der Zentren, braucht aber auch zusätzliche Flächen oder Flexibilität für die Verbindung von Zuhause und Arbeit. In der Vergangenheit oft schwer vermittelbare 4-Zimmer-Wohnungen sind jetzt wieder gefragt.
Wenn wir heute über Wohnen reden, reden wir über viel mehr als die Befriedigung eines Grundbedürfnisses. Der Anspruch unserer Kunden hat sich geändert, aber auch unser eigener: Wir würden heute keine Wohnung ohne Freiraum errichten, Wohnen beginnt für uns nicht bei der Wohnungstüre, sondern wir denken bei jeder Projektentwicklung über die Grundstücksgrenzen hinaus in Richtung Ortskern- und Stadtentwicklung, überlegen uns, was für einen Mehrwert wir unseren Kunden neben dem eigentlichen Wohnen anbieten wollen. 

Wie wichtig sind der Genossenschaft dabei nachhaltiges Bauen, wie wichtig Energie-Effizienz?  
Als Genossenschaft, die von Beginn an stark auf die Eigentumsbildung gesetzt hat und die für Generationen denkt und baut, ist nachhaltiges Bauen selbstverständlich. Nachhaltiges Bauen bedeutet daher bei uns Langfrist-Qualität in sorgfältiger Kostengestaltung und Erhaltung der Bausubstanz. Am Thema Energie-Effizienz können und wollen wir nicht vorbei. Nirgendwo sind die Umwelt- und Klimastandards höher als im gemeinnützigen Wohnbau. Das zeigt sich bei jedem unserer Projekte und darauf sind wir auch stolz. 

In der jüngsten Gemeinderatssitzung gab’s eine Diskussion, weil ein anderer Bauträger sich vom Kinderspielplatz freikaufte. Haben Sie dafür Verständnis? 
Eine solche Entscheidung muss jeder Bauträger für sich selbst treffen. Wir gehen einen anderen Weg und legen großen Wert auf ein ausgewogenes soziales Miteinander. Alpenland will die Gemeinschaft im Wohnquartier stärken und fördern, um damit die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner zu steigern. Unser Fokus endet nicht bei der Wohnung und der technischen Ausführung, vielmehr liegt er auch auf „Lebens- und Gemeinschaftsflächen“. Wo immer es möglich ist, schaffen wir Grün- und Freiflächen, die für Spiel- und Freizeitaktivitäten genutzt werden können und als Orte der Begegnung fungieren. Bestes Beispiel hierzu ist der Mühlbachpark bei unserem Projekt „Mühlbach Ost: Wohnen mit Weitblick“ mit Beachvolleyballplatz, Ruhezone, Tipis für Kinder, Zugang zum Wasser. Zudem tragen Grünflächen positiv zum Mikroklima und damit auch zum Wohnklima bei. 
Ebenso sind private Rückzugsmöglichkeiten ein wesentliches Wohlfühl-Element. 97 Prozent aller Wohnungen, die von Alpenland seit 2013 übergeben wurden, sind mit einem oder mehreren Freibereichen ausgestattet.

Alpenland baut nicht nur geförderte, sondern auch frei finanzierte Wohnbauten. Warum? 
Unser gesetzlicher Auftrag liegt in der Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit Wohnraum. Daher errichten wir ein Wohnungs­angebot von der günstigen geförderten Mietwohnung bis hin zum freifinanzierten Reihenhaus. Durch dieses vielfältige Angebot ermöglichen wir Menschen mit unterschiedlichsten Haushaltseinkommen qualitativ hochwertige Wohnungen anzumieten oder anzukaufen. Wir stabilisieren mit unserem breiten Angebot auch den überhitzten Immobilienmarkt, da in beiden Varianten sowohl die Berechnung der Miete als auch des Kaufpreises der Höhe nach durch das Kostendeckungsprinzip des Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes gedeckelt ist.

Einige Bundesländer, zum Beispiel Salzburg, haben eine Leerstandsabgabe eingeführt. Glauben Sie, dass das in Niederösterreich auch kommt?
Ich schätze die Lage derzeit so ein, dass eine Leerstandsabgabe in Niederösterreich nicht kommen wird. Meine Meinung ist, dass diese in der bisher diskutierten Form nicht zielführend ist. Denn die Abgabe würde die Wohnkosten noch weiter erhöhen, anstatt mehr freie Wohnungen auf den Markt zu bringen.

Ein aktuelles Vorzeigeprojekt ist das Wohnquartier in der Trautsonstraße. Hier entstehen 300 Wohnungen, zukunftstauglich, ökologisch verträglich, mit Freiräumen, leistbar. Wie schafft man das angesichts der derzeit hohen Preisen beim Bauen?
Wir denken Immobilien über den Lebenszyklus und setzen auf langfristige Finanzierungen.
Mit unseren langjährig bewährten Partnern am Bau ist es uns möglich, gemeinschaftlich herausfordernde Projekte zu realisieren. Aufgrund der strengen gesetzlichen Regelungen für Genossenschaften, die vorgeben, dass nur beschränkt Gewinne gemacht werden dürfen und diese Gewinne auch wieder in Wohnbaumaßnahmen reinvestiert werden müssen, konnten wir in den 70 Jahren unseres Bestehens eine solide finanzielle Basis aufbauen, die auch über schwierige Phasen hinweghilft. Ein Beispiel dafür ist die Finanzierungsform mit Eigenkapital für Grundstücksvorsorge, Neubau und Sanierung von Wohnungen. 
 
Was macht eigentlich St. Pölten als Wohnbau-Standort attraktiv? 
Insgesamt betrachtet, hat Nieder­österreich durch die Corona-Pandemie als Wohnungsmarkt stark profitiert. Der ländliche Raum hat an Attraktivität gewonnen und die im Vergleich zu Wien noch moderaten Preise begünstigen die Stadtflucht. Wobei das städtische Publikum neben der romantischen Landidylle auch einen Mindeststandard an Urbanisierung erwartet.
St. Pölten profitiert von der Lage an zentralen Verkehrsachsen und Knotenpunkten, wie der Achse Wien – Linz und ist gut öffentlich angebunden, vor allem durch den Schienenverkehr. Die täglichen Wege zum Einkaufen, in die Schulen, Kindergärten, zu den Apotheken und Freizeiteinrichtungen können einfach und rasch – am besten zu Fuß und vor allem ohne Benützung des privaten PKW – bewältigt werden. Die Innenstadt hat eine gelungene Mischung aus Einkaufen und Gastronomie und das Angebot an Naherholungs- und Freizeitmöglichkeiten ist vielfältig und bunt.
Die Stadt fördert – im Gegensatz zu vielen anderen Städten in Nieder­österreich – aktiv Zuzug und lebt die Strategie, Betriebe und Unternehmen als Arbeitgeber in ihrem Gemeindegebiet anzusiedeln. Damit schafft sie eine Verflechtung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Versorgung, und diese Kombination macht St. Pölten attraktiv.
Wenn die Entwicklung von St. Pölten weiterhin so positiv voranschreitet, wird Wien bald zum Vorort von St. Pölten werden.

ZUR PERSON
Isabella Stickler, CSE, Obfrau und Vorstandsvorsitzende der Gemeinnützigen Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft Alpenland reg.Gen.m.b.H.
Studium der Rechtswissen- schaften 
Befähigungsprüfung 
Immobilientreuhänder
Projektmanagementausbildung Diplomlehrgang
Vorsitzende von Netzwert, dem Frauennetzwerk der Gemeinnützigen Wohnungswirtschaft Österreichs
Diplomlehrgang Zukunft Frauen (WKO)
Zertifizierung Aufsichtsrat CSE 
Organistin und Chorleiterin seit über 25 Jahren