MFG - Tino Wawra – „Es merkt jeder hier, dass etwas im Entstehen ist“
Tino Wawra – „Es merkt jeder  hier, dass etwas im  Entstehen ist“


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St. Pöltens gute Seite

Tino Wawra – „Es merkt jeder hier, dass etwas im Entstehen ist“

Text Thomas Schöpf
Ausgabe 09/2023

Während der ersten Länderspielpause thront Titelaspirant SKN St. Pölten an der Tabellenspitze der 2. Liga. Nicht zuletzt aufgrund der Neuerwerbungen, die quasi allesamt eingeschlagen haben. Sportdirektor Tino Wawra hat im Transferfenster ganze Arbeit geleistet und ist auch weit näher an der Mannschaft dran als viele seiner Vorgänger.

 
Seine Uhr vibriert. Tino Wawra hat wohl eine gewisse Vorahnung und kann es sich nicht verkneifen, nachzuschauen. „Matthias Seidl ist gerade erstmals ins Nationalteam einberufen worden“, strahlt der Sportdirektor des SKN St. Pölten, hält kurz inne und fügt noch zufrieden „das ist cool“ hinzu. Jener Matthias Seidl, der mit dem SV Kuchl den dritten Platz in der Salzburger Liga (vierten Leis­tungsstufe) belegt hatte, ehe ihn Wawra 2021 als 20-Jährigen zu Blau-Weiß Linz in die 2. Liga holte. Fally Mayulu war gar vereinslos, als ihn Wawra im Sommer 2022 nach Linz lotste und ist nun ebenfalls Rapidler. Turgay Gemicibasi fischte Wawra aus der Regionalliga Ost vom FC Mauerwerk raus. Jetzt ist der Deutsch-Türke gerade das Um und Auf bei der bisherigen Bundesliga-Überraschungsmannschaft Austria Klagenfurt. Bevor Wawra selbst nach St. Pölten weiterzog, band er aber auch noch „Mentalitätsmonster“ Fabian Windhager an die Linzer  (bis 2024 mit Option auf ein weiteres Jahr), der womöglich bei seinem Abgang auch noch einmal frisches Geld in die Kasse der Ober­österreicher spülen wird. 

Am Platz, nicht im VIP-Club
Ausschlaggebend für Wawras Wechsel zum SKN, der schon im März beschlossene Sache war, war „Jan Schlaudraff, mit dem die Zusammenarbeit überragend ist, die Infrastruktur hier und ich glaube schon, dass in Linz nach den beiden Zweitliga-Meistertiteln 2021 und 2023 ein gewisser Plafond erreicht ist.“ Sein Gespräch mit dem MFG-Magazin hat Wawra zwischen dem Vormittagstraining und dem gemeinsamen Mittagessen mit der Mannschaft und dem Trainerteam eingebettet. Im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger beim SKN ist der 44-Jährige bei jeder Übungseinheit anwesend und verfolgt die Spiele nicht von der VIP- oder Presse-Tribüne aus, sondern sitzt (wie einst auch Christoph Brunnauer) auf der Betreuerbank. „Als Sportdirektor musst du mitkriegen, wie die Coaches auf den nächsten Gegner hintrainieren lassen und wie die Spieler das dann umsetzen. Das habe ich in meinen bisherigen fünf Jahren als Sportdirektor immer so gehandhabt“, erklärt Wawra.

Keine Baustelle
Aktuell sieht Wawra keine großen Baustellen im Kader. Kein Wunder! Nach sechs Spieltagen ist der SKN St. Pölten Tabellenführer und hat vier Mal zu Null gespielt. Von den sieben Neuerwerbungen sind Dario Tadic, Marcel Ritzmaier, Gerhard „Joel“ Dombaxi, Andree Neumayer und Stefan Thesker Stammspieler, Marc Stendera meist (noch) Joker. Stefan Nutz kommt nach seinem im Februar erlittenen Kreuzbandriss womöglich erst im Frühjahr zurück. Das war aber von vornherein einkalkuliert. Er hat, wie alle anderen Neuen einen längerfristigen Vertrag unterschrieben. Obendrein hat Rio Nitta, den die „Wölfe“ nun fix von Sagan Tosu losgeeist haben, voll eingeschlagen. Dass Neumayer als gebürtiger St. Pöltner nach seinem Abgang von den Juniors 2016 wieder ins Wolfsrudel aufgenommen wurde, wird den einen oder anderen Fan doppelt freuen, überhaupt nach dessen überwiegend guten Vorstellungen auf der „Sechser“-Position, die er mit seinem Goldtor beim 1:0-Derbysieg in Amstetten noch krönte. „Die Identifikation war ein Punkt, Andree hatte ich aber auch in Linz schon auf meinem Zettel“, sagt Wawra, „aufgrund meiner Erfahrung weiß ich, dass du Spieler brauchst, die die zweite Liga kennen, wie Andree und Joel. Die wissen, was einen in Dornbirn, Kapfenberg oder beim FAC erwartet, was dort gespielt wird.“ Obendrein sei Neumayer einer, der voran geht und die Dinge auch anspreche. Der 27-Jährige war in Horn Kapitän, wie Nutz in Ried, Thesker in Kiel und Tadic nach dem Rücktritt von Keeper René Swete in Hartberg.

Überzeugungsarbeit
Wie überzeugt man eigentlich einen der effizientesten Bundesliga-Stürmer wie Tadic nach St. Pölten zu kommen? „Lange Gespräche. Ich habe gemerkt, dass er in Hartberg nicht mehr die Wertschätzung bekommen hat, die er sich verdient und er wollte dann schon noch einmal raus aus der Komfortzone und sich woanders beweisen, vor allem aber nicht wieder gegen den Abstieg spielen.“ Bei den Deutschen Stendera und Thesker haben vornehmlich Schlaudraff und das Trainerduo Stephan Helm und Emanuel Pogatetz Überzeugungsarbeit geleistet. „Es ist halt schon ein Unterschied, ob du in Hannover vor über 30.000 Zuschauern spielst, oder hier vor 1.000“, weiß Wawra, „aber unsere Infrastruktur und auch die Kooperation mit dem VfL Wolfsburg waren hilfreich.“ Nachsatz: „Vor allem vom Know-how des VfL können wir hier sehr profitieren. Für die Wolfsburger wäre ein Bundesliga-Aufstieg unsererseits natürlich ebenso wünschenswert, um die Partnerschaft weiter zu intensivieren und hier junge Spieler zu parken, damit sie gegen Klubs wie Salzburg oder Rapid wertvolle Erfahrung sammeln können.“ 

Perspektive
Rundum zufrieden ist „Kaderplaner“ Wawra freilich auch wieder nicht. „Mit unseren beiden ‚Neunern’ Bernd Gschweidl und Dario Tadic, die auch mit dem Rücken zum Tor mit dem Ball etwas anstellen können, sind wir top aufgestellt. Ein Zweiter wie Nitta, der in die Tiefe geht und schnell hinter die Abwehr kommt, täte uns vielleicht noch gut. Aber das ist momentan finanziell nicht drin.“ Aktuell besteht das Wolfsrudel aus drei Torhütern und 25 Feldspielern. 22 wären für Wawra ideal. Wenn im Frühjahr vielleicht zwei, drei von der Gehaltsliste fallen, tut sich möglicherweise eine Option auf. Nebenbei arbeitet Wawra auch daran, die Kommunikation mit der vereinsunabhängigen Akademie St. Pölten zu verbessern: „Es kann ja nicht sein, dass die dort hervorragend ausgebildeten Spieler überall hingehen, nur nicht zum SKN.“ So sehr die Angriffsreihe mit Tadic im Zentrum, Gschweidl im Zentrum oder rechts, Nitta rechts, Ritzmaier links und Joker Kevin Monzialo überzeugt, weiß Wawra nur zu gut, dass die Defensive die Meisterschaften gewinnt. Bislang haben die Wölfe hier sowohl mit einer Viererkette, als auch mit einer Dreierkette, die im Spiel gegen den Ball von den schnellen Flügeln Julian Keiblinger (rechts) und Joel Dombaxi (links) unterstützt wird, überzeugen können. Außer gegen Liefering! Bei der 0:1-Heimniederlage gegen die jungen Bullen fehlte der verletzte ÖFB-U21-Teamspieler David Riegler offensichtlich. „Mit ihm wäre die Ausgangslage etwas anders gewesen, er hätte uns als einer der schnellsten Innenverteidiger sicher weiterhelfen hätte können“, weiß Wawra, „aber das Tor haben wir aus einer Standardsituation bekommen. Da müssen wir uns künftig schon auch noch verbessern. Daran arbeiten wir.“

Kritisches Publikum 
Der nächste große Prüfstein wird die wieder erstarkte Vienna sein, die nach der Länderspielpause am Freitag (15. September, 18.10 Uhr) mit ihrem prominenten Sturmduo Christoph Monschein und David Peham bzw. den Ex-Wölfen Daniel und Bernhard Luxbacher, Marcel Tanzmayr, Noah Steiner und Armin Gremsl in der NV Arena aufkreuzen wird. „Vielleicht kratzen wir dann auch erstmals an der 2.000-Zuschauer-Marke“, wagt Wawra eine Prognose. Zuletzt kamen zwischen 1.450 und 1.650 Besucher zu den Heimspielen. „Die St. Pöltner sind ein kritisches Publikum, aber das muss ich dann halt überzeugen und das kann ich am besten mit Siegen“, so Wawra, „wenn ich mich hier so umsehe und auch mit den Kollegen aus den Nachbarbüros über den Vorverkauf rede. Es merkt jeder hier, dass etwas im Entstehen ist.“