Wie viel Wald braucht eine Stadt?
Text
Beate Steiner
Ausgabe
Bäume sind verlässliche Aufreger: Die Emotionen schießen hoch, wenn Bäume fallen. Oder auf neu gestalteten Plätzen, in Straßen/Gassen nicht gepflanzt werden. Jüngste Beispiele aus St. Pölten: Die Protestaktion der Kaufleute in der Schreinergasse, als die Bäume gefällt wurden, und die Forderung der Grünen nach mehr Grün am neu entstehenden Domplatz.
Wie aber vertragen sich verzweigte Wurzeln mit Kanal-Einbauten, wie passen die Forderung nach mehr Parkplätzen und die nach mehr Grün zusammen? Wo gedeiht Notwendiges, wo wuchert Aktionismus?
Sie sind Schattenspender, lebendes Kühlelement, Sauerstoffproduzenten, Staubfilter. Und sie regulieren das Klima, mildern Klimaextreme ab und haben somit wesentlichen Einfluss auf die Auswirkungen des Klimawandels. „Ein größerer Waldanteil in einer Stadt wirkt sich normalerweise positiv aus“, bestätigt Christoph Wildburger, einer der führenden Wald-Wissenschafter und Koordinator des in Wien ansässigen Global Forest Expert Panels Programmes der IUFRO (Internationaler Verband forstlicher Forschungsanstalten). Viele Bäume beziehungsweise Waldbereiche in einer Stadt senken in Hitzeperioden die Temperaturen und halten die Luftfeuchtigkeit angenehm. Bäume nehmen CO2 auf, geben Sauerstoff ab und filtern Staub aus der Luft. „Größere Waldbereiche in Städten können sich auch positiv auf den Wasserhaushalt, die Wasserqualität und damit die Wasserversorgung auswirken“, bestätigt der Experte. Und natürlich bieten Bäume und Wälder anderen Pflanzenarten und Tieren Lebensraum und erhöhen
damit die biologische Vielfalt in Städten.
Bäume und Wald haben auch generell Einfluss auf die Gesundheit von Menschen. „Studien zeigen, dass Wälder und Bäume sowie Grünbereiche generell sowohl die mentale als auch die physische Gesundheit der Bevölkerung aller Altersstufen erhöhen“, erklärt Christoph Wildburger, der zurzeit eine Studie koordiniert, die die Auswirkung von Bäumen und Wäldern auf die menschliche Gesundheit auf globaler Ebene untersucht.
Wie aber sollten die grünen Sauerstoff-Spender und Klima-Regulierer in einer Stadt verteilt sein? Stadtwaldexperte Professor Cecil Konijnendijk hat dafür eine Grundregel aufgestellt (siehe Interview), die natürlich an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden sollte. „Das muss in einer intelligenten Stadtplanung konzipiert werden“, sagt Christoph Wildburger, und es komme auf die kleinklimatischen Gegebenheiten an: „Je heißer eine Gegend, umso wichtiger Bäume. Wo es schon Gärten gibt, müssen nicht unbedingt noch viele Bäume gepflanzt werden.“ Baumpflanzungen müssten mit der Infrastruktur koordiniert und in einem Ausgleich der verschiedenen Bedürfnisse und Interessen der Bevölkerung geplant werden. „Wichtig ist, dass alle Menschen in Städten Zugang zu Grünräumen mit Bäumen beziehungsweise Wald haben“, so Wildburger.Wie schaut’s in St. Pölten mit solch empfohlenen Grünräumen aus?
Grüne Adern in der Hauptstadt
St. Pölten hat einen hohen Grünlandanteil. Von 108 Quadratkilometern Gemeindegebiet sind rund 2.160 Hektar als Bauland gewidmet, rund 1.650 Hektar baulich genutzt. „Die in vielen Stadtteilen dominante Einfamilienhausverbauung hat zusätzlich zur Folge, dass der Grünanteil bei den Grundstücken entsprechend hoch ist“, erklärt Stadtplaner Jens de Buck.
„Der hohe Grünlandanteil, der die Stadt prägt und ihre Wohnqualität ausmacht, weist auch in den Planungskonzepten der Stadt, im integrierten Stadtentwicklungskonzept und Landschaftskonzept entsprechenden Schutz auf.“ Das Landschaftskonzept zieht „Grüne Adern“ durch das Stadtgebiet, um Grünräume zu vernetzen und Frischluftschneisen zu entwickeln. „Die ‚Grünen Adern‘ stehen also symbolisch für das ‚ökologische Gefäßsystem der Stadt‘. Es soll die Stabilität der Stadt-Landschaft mit ihren Naturräumen und Ressourcen als Funktionsträger ‚ökologischer Leistungen‘ für die Stadt garantieren“, erklärt Thomas Zeh, Leiter des städtischen Umweltreferats. Umgesetzt in diesem grünen Netzwerk werden gerade die Neugestaltung der Promenade und der Sturm 19-Park.
„Insbesondere diese festgelegten landschaftsplanerischen Maßnahmen, aber auch die Sicherstellung von Grünräumen im Bauland bilden die Grundlage einer guten Klimaverträglichkeit angesichts zunehmender Erwärmung“, ist Jens de Buck überzeugt.
Wie aber sollen die Bäume in der Stadt verteilt sein, insbesondere im dicht verbauten Gebiet?
Städtebauliche Struktur zeigt Grenzen auf
In St. Pöltens mittelalterlich geprägter historischer Innenstadt sprießt innerhalb der Baublöcke und Wohnhöfe viel Grün, wachsen dicht beblätterte hohe Bäume in privaten Gärten – das ist die gute Nachricht. Und das ist die weniger gute: „Die Gassen und Straßen dagegen weisen aufgrund ihrer historischen Entwicklung geringe Breiten und hohe Nutzungsintensität, also viele notwendige Einbauten, auf“, erklärt der Stadtplaner.
Der Raum für die kräftigen Wurzeln alter Bäume stehe den notwendigen infrastrukturellen Einbauten gegenüber – so geschehen in der Schreinergasse, wo die 25 Jahre alten Lederhülsenbäume wegen der Sanierungsarbeiten umgeschnitten werden mussten. Nach Abschluss der Bauarbeiten werden acht neue Schattenspender gepflanzt. „Wir wollen gute Bedingungen für Bäume schaffen, damit sie auch alt werden können“, bekräftigt de Buck. Und alte und schützenswerte Bäume würden auch nicht gefällt. „Der Schutz älterer Bäume im öffentlichen Raum ist sinnvoll und notwendig. Dem gegenüber steht allerdings eine für die öffentliche Hand hochgradig problematische rechtliche Situation, Stichwort Baumsturz.“ Denn die Verkehrssicherheit und die Sicherheit von Personen allgemein haben, vor allem im urbanen Bereich, höchste Priorität. Kann diese nicht mehr gewährleistet werden, muss der Baum gefällt werden, ergänzt Thomas Zeh.
Welche Bäume dürfen also ohne schlechtes Umweltgewissen fallen? „Ich glaube, es ist sehr wichtig, den Menschen das größere Bild zu vermitteln und das Konzept für Wald/Bäume in einer Stadt zu erklären“, führt Christoph Wildburger aus. Die Fällung eines einzelnen Baumes spiele im Regelfall keine große Rolle in der Gesamtwirkung, außer in sehr speziellen Fällen, etwa von sehr alten Bäumen und Naturdenkmälern. Die Gesamtfläche der Wälder und Bäume und deren Verteilung sei entscheidend für die Wirkung. „Menschen hängen oft aus emotionalen Gründen sehr an Einzelbäumen oder Baumgruppen, eine gute Kommunikation, die die Bewohner dort abholt, wo sie emotional und in ihrem Gedankengebäude sind, hilft meistens – populistische Politik nicht.“
EINE BAUMREIHE FÜR DEN DOMPLATZ
Was für die einen ein „multifunktionaler Veranstaltungsplatz und Ort der Begegnung“ wird, ist für die anderen ein „Klimakiller-Projekt mit dem Charme eines Supermarktparkplatzes“.
St. Pöltens Grüne sehen die Domplatz-Umgestaltung als Katastrophe: „Dass es auch in der Innenstadt möglichst viele öffentlich zugängliche Grün- und Erholungsflächen braucht, sieht man am Beispiel Herrenplatz, wo die Bäume die Aufenthaltsqualität enorm steigern“, sagt die grüne Stadträtin und Parteisprecherin Christina Engel-Unterberger.
Gerade am Domplatz hätte St. Pölten die Chance gehabt, konsumfreie Räume mit hoher Aufenthaltsqualität zu schaffen. „Jetzt erwartet uns eine graue Betonwüste mitten in der Stadt. Welche andere Stadt würde heute noch solch ein Klimakiller-Projekt planen? Wird der Domplatz so umgesetzt, wie heute geplant, hat er ungefähr so viel Charme wie ein leerer Supermarktparkplatz“, sieht Engel-Unterberger einen Beweis dafür, dass die Stadtregierung keine Antworten auf die Klimakrise hat.
„Planungsvorgabe für die Neugestaltung des Platzes war eine funktionsoffene Gestaltung für Markt und Veranstaltungen“, erklärt Stadtplaner Jens de Buck. Bürgermeister Matthias Stadler freut sich schon über „stimmungsvolle Momente der kulturellen Extraklasse auf dem Domplatz“.
Der Platz wird mit Waldviertler Natursteinen – wie der Herrenplatz – gepflastert, auf der Südseite wird es Sitzgelegenheiten und eine durchgehende Baumzeile geben. Die Baumreihe im Norden des Platzes kann wegen der Einbauten dort nicht realisiert werden. „Der Dombezirk verfügt aber mit seinen Gärten halböffentlich über zahlreiche Grünflächen“, betont de Buck.
Baumkataster versus Baumschutzverordnung
Die Grünen fordern für St. Pölten eine Baumschutzverordnung wie in Wien, was zur Folge hätte, dass Bäume nur mit behördlicher Genehmigung entfernt werden dürfen. „Wir Grüne wollen mit einer Baumschutzverordnung auch für Bäume, die forstrechtlich nicht als Wald gelten, eine stabile Ausgangslage schaffen, damit deren Überleben nicht vom Gutdünken einzelner abhängig ist“, so die grüne Stadträtin Christina Engel-Unterberger.
In der Stadt St. Pölten werden die Bäume mittels Baumkataster erfasst, sowohl Neupflanzungen und Rodungen werden darin verzeichnet, erklärt Thomas Zeh, der Leiter des Umweltreferats im Magistrat. Und „die Stadt ist bemüht und engagiert, im Bereich der öffentlichen Räume verantwortungsvoll mit dem Baumbestand umzugehen“, ergänzt Stadtplaner Jens de Buck und betont, dass im Jahr 2021 in der Stadt mehr Bäume gepflanzt als gerodet wurden.
„BÄUME SORGEN FÜR WOHLBEFINDEN“
Prof. Cecil C. Konijnendijk van den Bosch lehrt an der University of British Columbia und ist Direktor des Nature Based Solutions Institute (nbsi.eu), das die Begrünung von Städten wissenschaftlich und praktisch unterstützt.
Wie wichtig sind Bäume in kleinen europäischen Städten?
Bäume spielen eine wesentliche Rolle in allen Städten, in großen und in kleinen. Sie helfen den Städten, sich anzupassen an die Auswirkungen des Klimawandels, zum Beispiel, indem sie Schatten spenden, und sie verbessern die mentale und physische Gesundheit der Menschen. Sie helfen auch, wichtige grüne Plätze zu gestalten, wo sich Leute treffen können – und sorgen so für Wohlbefinden in der Gesellschaft. Bäume beherbergen auch Vögel und andere Tierarten und verbessern so die Biodiversität und unseren Kontakt mit der Natur.
Wie sollte das Verhältnis zwischen bebauter und unbebauter Fläche oder Waldflächen in kleinen Städten sein?
Vergangenes Jahr führte ich die 3-30-300-Formel für grüne und gesunde Städte ein (siehe: https://iucnurbanalliance.org/promoting-health-and-wellbeing-through-urban-forests-introducing-the-3-30-300-rule/). Die Regel besagt, dass jeder Einwohner von seiner Wohnung, seinem Arbeitsplatz oder der Schule wenigstens drei vollentwickelte Bäume sehen sollte. Jeder sollte in einer Umgebung leben, die wenigstens zu 30 Prozent von Baumkronen beschirmt wird. Und niemand sollte mehr als 300 Meter – also einen Fünf-Minuten-Spaziergang – von einer hochwertigen öffentlichen Grünfläche entfernt leben. Letzteres ist in Übereinstimmung mit den Richtlinien der World Health Organization. Diese Regel gilt für alle Städte und basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Förderung der Gesundheit und wie sich Bäume und Grünräume auf die Anpassung an den Klimawandel auswirken. 3-30-300 sind Mindestziele. Städte sollten versuchen, diese wenn möglich und wo möglich zu übertreffen.
Welche Bäume wachsen am besten in Stadtzentren?
Das hängt natürlich stark davon ab, wo in der Welt man sich befindet. Aber grundsätzlich brauchen wir Baumarten, deren Blätter eine große Oberfläche haben, die daher am meisten Abkühlung erzeugen und Luftverschmutzung am besten entgegenwirken können. Wir möchten auch schöne Bäume sehen, die uns wegen ihrer Farben, Blüten oder auch Früchte gefallen. Aber es ist wichtig, sich nicht nur auf eine einzelne Baumart zu konzentrieren, sondern einen vielfältigen Stadtwald wachsen zu lassen, mit zahlreichen Baumarten und Varianten. Natürlich müssen wir solche Bäume sorgfältig auswählen, die mit den oft schwierigen städtischen Bedingungen zurechtkommen – mit wenig Platz zum Wachsen, mit der Umweltverschmutzung.
Was hat einen positiveren Effekt auf das Stadtklima – kleine Stadtwälder und Parks in einigen Teilen der Stadt oder einige Bäume in jeder Straße?
Wir brauchen beides, wie meine 3-30-300-Regel auch besagt. Aber wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich „Bäume in jeder Straße“ wählen: Bäume und schattenspendende Baumkronen vor der Haustüre schaffen Wohlbefinden in Zusammenhang mit Klimawandel und öffentlicher Gesundheit.
Gibt es eigentlich so etwas wie ein „Role-Model“ unter den europäischen Städten?
Einige europäische Städte entwickeln sich besser als andere, und mehrere haben nun begonnen, die 3-30-300-Regel umzusetzen. Städte wie Malmö in Schweden und Amsterdam in den Niederlanden haben innovative Strategien zur Stadtbegrünung und für Stadtwälder entwickelt und konzentrieren sich auf Bäume und deren Nutzen. Lyon in Frankreich wird auch oft genannt als positives Beispiel einer Stadt, die ihre Bäume ernstnimmt. Manche Städte in Großbritannien, zum Beispiel Birmingham, bemühen sich, ihre Stadtwälder wachsen zu lassen.