Time to say EYBDOOG
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Getragen setzten die Geiger ein, die Celli zupften schwermütig den Abschiedstakt und Andrea Bocelli und Sarah Brightman schmetterten ihr hymnisches „Time To Say Goodbye“ in den sternenklaren Nachthimmel, auf dem zeitgleich die ersten Feuerwerkskörper explodierten und dem altehrwürdigen Voithplatz, einem beschönigenden Weichzeichner gleich, ein letztes Mal eine Patina aus Glanz und Glorie verliehen.
Die Wolfbrigade, der hartgesottene Fankern des SKN St. Pölten, der schon zu VSE-Zeiten jaulte (weil man als wahrer Fan eben auf immer und ewig die Treue hält, in guten wie in schlechten Zeiten), schwenkte voll Enthusiasmus die traditionellen blau-schwarzen Fahnen im lauen Abendwind.
Ein letztes Mal trabten die SKN-Spieler nach erfolgreich absolvierter Arbeit, die Goleador Daniel Lucas Segovia mit einem dem Anlass entsprechenden Zaubertor beendet hatte, zum kleinen Häufchen hin und ließen sich feiern: „Hey, hey, hey“ intonierten Spieler wie Fans in glücklicher Einmütigkeit und machten die Welle. Doch diesmal enthüllten nicht nur die Fans ein Transparent für ihre Helden, sondern auch die Spieler ihrerseits für die darob gerührten Fans. Die Botschaft darauf war einfach wie vielsagend: DANKE!
Auch viele der 3.700 Besucher, die die letzten Jahre viel zu selten als sogenannter zwölfter Mann Spalier am mitunter durchwachsenen Weg des Vereins gestanden sind, konnten die eine oder andere Träne nicht unterdrücken, als sie in den Himmel starrten. Was mit den knallenden Feuerwerkskörpern aufflammte und zugleich verpuffte, war nicht nur die Geschichte dieses Vereins, nicht nur die Geschichte dieses in die Jahre gekommenen Platzes, der 61 Jahre lang Heimstatt des mehr oder weniger gepflegten Fußballs gebildet hatte, sondern es war auch ein Stück ihrer eigenen Historie, die da mit dem letzten Profispiel am Voithplatz unwiederbringlich verloren zu gehen schien – und doch auch nicht. Denn wenn etwas dieser von Raphael Landthaler (DANKE!) mit viel Feingefühl zelebrierte Abschiedsabend bewusst machte, dann dies: Die Erinnerung kann dir keiner nehmen. Bestenfalls entschwindet sie in das Reich des Mythos, wo sie zumeist weiterwuchert, nicht selten an Ausmaß, Dramatik und Glanz gewinnend – aber wer möchte einem das schon verübeln? Zu tief hat sie sich ins Herz eingebrannt. Wahrscheinlich kann auch nur deshalb die so oft beschworene „gute alte Zeit“ die vermeintlich bessere werden. Das mag man belächeln, sentimentalen Schmonzes, gar Schönfärberei nennen, aber dafür gibt sie einem in mitunter harten gegenwärtigen Zeiten ein Gefühl der Wärme und des Glaubens – dass es dereinst nämlich wieder so werden kann wie früher: Besser! Selbst wenn es objektiv betrachtet gar nicht so gewesen sein mag.
Und so verwandelte man sich an diesem denkwürdigen Abend für die Dauer eines Liedes wieder in den kleinen Knirps von damals oder zumindest in das 10, 20, 30 Jahre jüngere Alter Ego seinerselbst, das die legendären Augenblicke am Voithplatz, die magic moments, live miterlebt hatte. Sah vorm geistigen Auge noch einmal, wie Antonin Panenka liebevoll den Ball für einen Freistoß herrichtete, ein wenig Anlauf nahm, und ihn dann mit einer katzengleichen Streichelbewegung unhaltbar ins Kreuzeck zirkelte. Wie Mario Kempes im ersten Bundesligaspiel gegen Rapid Wien aus gut 30 Metern einfach abzog und den Ball im Tor eines überraschten Funki Feurers versenkte, der ungläubig der Wuchtel nachschaute, als wollte er sagen „Ja dürfens das denn, die Aufsteiger?“. Wie Rudi Steinbauer lange vor einem Arjen Robben in unnachahmlicher Manier die Outline entlang hinunterstach, um – fast schon bei der Cornerfahne angekommen – seinen immer gleichen Haken nach innen zu machen, auf dass die Gegenspieler immer gleich vorbeirutschen, und er in Ruhe eine Flanke schlagen konnte. Wie Slobodan Brankovic den Kopf einzog und vor überbordendem Selbstbewusstsein strotzend zu einem herzhaften Solo von der Mittellinie aus ansetzte, als wäre er nicht am Voithplatz Fußball spielen, sondern beim Nachtslalom in Schladming, und die Gegner nicht Kicker, sondern Kippstangen. Oder wie sich beim 1:1 gegen die Wiener Austria unglaubliche 12.000 Fans, Sardinen gleich, auf den kleinen Platz zwängten und ein bisschen ungläubig und ehrfurchtsvoll ins erstmals eingeschaltete Flutlicht blinzelten, als wäre gerade ein UFO in St. Pölten gelandet.
Es waren großartige Momente auf einem großartigen Platz, der seine einfache Herkunft aus einer Zeit, da St. Pölten wirklich noch eine Arbeiterstadt gewesen war, nie verleugnen konnte. Beileibe keine Schönheit, sondern eher ein Dauerprovisorium. Aber er hatte Charakter und verströmte auf die ihm eigentümliche Art sogar so etwas wie spröden Charme. Die Kassenhüttchen erinnerten an grindige Pommesfrites-Buden, der Rollsplitt am Gelände war nichts für schnöselige Designer- oder gar Stöckelschuhe, und die von der Sonne ausgebleichten Holzbänke, um die herum das Gras wucherte, bargen eher die Gefahr sich einen Schiefer einzuziehen, denn als angenehme Sitzmöglichkeit zu dienen. Doch als wahrer Fan stand man ohnedies. Bei jedem Wind und Wetter, wenns sein musste auch im strömendem Regen. Sitzen war etwas für "die da drüben", die unter der überdachten Tribüne und im VIP-Bereich, die Schönwetterfans. Dabei waren die vermeintlichen „Standesunterschiede“ genauso wie der provisorische Sicherheitsgraben rund um das Spielfeld – im Fall der Fälle leicht zu überwinden –eher eine symbolische, denn eine reale Schranke. In der Stunde des Erfolges, wenn aus 1000 Kehlen gleichzeitig der enthusiastische Ruf „Toooooor“ erschallte, lagen sich der Herr Doktor und der Hakler ebenso in den Armen wie der Christ und der Moslem, die in einem hellen Moment universaler Einsicht ihre dummen Ressentiments vergaßen. Ja selbst die nationalistisch gesinnten Gemüter, die sonst so gern aus irrationaler Angst und diffusem Minderwertigkeitsgefühl heraus Sündenböcke bei den Ausländern suchten, jubelten hier den „Jugos“ wie Slobodan Brankovic und dem damals noch nicht eingebürgerten Ivica Vastic, dem Argentinier Mario Kempes, dem Tschechen Antonin Panenka, dem Ungarn Lajos Detari, dem türkischstämmigen Mohammed Akagünduz oder dem Nigerianer Frank Daniels zu. Hier am Platz, für diese 90 Minuten, gehörten sie alle irgendwie zusammen, waren eine Familie.
Zumindest solange die Mannschaft Erfolg hatte. Denn gesiegt hatten immer WIR, verloren aber meistens nur die Spieler, der Trainer und die Funktionäre, auf die mitunter heftig geschimpft wurde. Aber auch das musste eben sein, überhaupt wo es vielleicht zuhause, im Job, im harten Leben da draußen gar nicht so lief, wie man sich das erträumt hatte. Hier am Platz konnte man sie rausschreien, all die aufgestaute Wut, und wenn es auch nicht fair, ja dumpf war, so war es doch krampflösend, ja mitunter schmerzlindernd.
Das war es, was den Platz und seine Besucher vielleicht am allermeisten miteinander verband: Beide waren nicht perfekt. Aber authentisch. So war es geradezu schlüssig, dass sich die Wolfbrigade zuletzt falsch aufstellte und die Buchstabenfolge GOODBYE zu einem für die anderen Besucher rätselhaften EYBDOOG verdrehte. Das hatte auch symbolischen Charakter, denn so betrachtet war es ein offener Abschied auf etwas hin, nichts Endgültiges, sondern auch ein Neuanfang.
Und so schluckte Platzsprecher Fritz Dibidanzel, nachdem die Musik vorbei war und sich die letzten Rauchschwaden des Feuerwerks am Nachthimmel verloren, kurz und sprach dann die berühmten letzten Worte: „Danke, Danke, danke!“
Ein letztes Mal trabten die SKN-Spieler nach erfolgreich absolvierter Arbeit, die Goleador Daniel Lucas Segovia mit einem dem Anlass entsprechenden Zaubertor beendet hatte, zum kleinen Häufchen hin und ließen sich feiern: „Hey, hey, hey“ intonierten Spieler wie Fans in glücklicher Einmütigkeit und machten die Welle. Doch diesmal enthüllten nicht nur die Fans ein Transparent für ihre Helden, sondern auch die Spieler ihrerseits für die darob gerührten Fans. Die Botschaft darauf war einfach wie vielsagend: DANKE!
Auch viele der 3.700 Besucher, die die letzten Jahre viel zu selten als sogenannter zwölfter Mann Spalier am mitunter durchwachsenen Weg des Vereins gestanden sind, konnten die eine oder andere Träne nicht unterdrücken, als sie in den Himmel starrten. Was mit den knallenden Feuerwerkskörpern aufflammte und zugleich verpuffte, war nicht nur die Geschichte dieses Vereins, nicht nur die Geschichte dieses in die Jahre gekommenen Platzes, der 61 Jahre lang Heimstatt des mehr oder weniger gepflegten Fußballs gebildet hatte, sondern es war auch ein Stück ihrer eigenen Historie, die da mit dem letzten Profispiel am Voithplatz unwiederbringlich verloren zu gehen schien – und doch auch nicht. Denn wenn etwas dieser von Raphael Landthaler (DANKE!) mit viel Feingefühl zelebrierte Abschiedsabend bewusst machte, dann dies: Die Erinnerung kann dir keiner nehmen. Bestenfalls entschwindet sie in das Reich des Mythos, wo sie zumeist weiterwuchert, nicht selten an Ausmaß, Dramatik und Glanz gewinnend – aber wer möchte einem das schon verübeln? Zu tief hat sie sich ins Herz eingebrannt. Wahrscheinlich kann auch nur deshalb die so oft beschworene „gute alte Zeit“ die vermeintlich bessere werden. Das mag man belächeln, sentimentalen Schmonzes, gar Schönfärberei nennen, aber dafür gibt sie einem in mitunter harten gegenwärtigen Zeiten ein Gefühl der Wärme und des Glaubens – dass es dereinst nämlich wieder so werden kann wie früher: Besser! Selbst wenn es objektiv betrachtet gar nicht so gewesen sein mag.
Und so verwandelte man sich an diesem denkwürdigen Abend für die Dauer eines Liedes wieder in den kleinen Knirps von damals oder zumindest in das 10, 20, 30 Jahre jüngere Alter Ego seinerselbst, das die legendären Augenblicke am Voithplatz, die magic moments, live miterlebt hatte. Sah vorm geistigen Auge noch einmal, wie Antonin Panenka liebevoll den Ball für einen Freistoß herrichtete, ein wenig Anlauf nahm, und ihn dann mit einer katzengleichen Streichelbewegung unhaltbar ins Kreuzeck zirkelte. Wie Mario Kempes im ersten Bundesligaspiel gegen Rapid Wien aus gut 30 Metern einfach abzog und den Ball im Tor eines überraschten Funki Feurers versenkte, der ungläubig der Wuchtel nachschaute, als wollte er sagen „Ja dürfens das denn, die Aufsteiger?“. Wie Rudi Steinbauer lange vor einem Arjen Robben in unnachahmlicher Manier die Outline entlang hinunterstach, um – fast schon bei der Cornerfahne angekommen – seinen immer gleichen Haken nach innen zu machen, auf dass die Gegenspieler immer gleich vorbeirutschen, und er in Ruhe eine Flanke schlagen konnte. Wie Slobodan Brankovic den Kopf einzog und vor überbordendem Selbstbewusstsein strotzend zu einem herzhaften Solo von der Mittellinie aus ansetzte, als wäre er nicht am Voithplatz Fußball spielen, sondern beim Nachtslalom in Schladming, und die Gegner nicht Kicker, sondern Kippstangen. Oder wie sich beim 1:1 gegen die Wiener Austria unglaubliche 12.000 Fans, Sardinen gleich, auf den kleinen Platz zwängten und ein bisschen ungläubig und ehrfurchtsvoll ins erstmals eingeschaltete Flutlicht blinzelten, als wäre gerade ein UFO in St. Pölten gelandet.
Es waren großartige Momente auf einem großartigen Platz, der seine einfache Herkunft aus einer Zeit, da St. Pölten wirklich noch eine Arbeiterstadt gewesen war, nie verleugnen konnte. Beileibe keine Schönheit, sondern eher ein Dauerprovisorium. Aber er hatte Charakter und verströmte auf die ihm eigentümliche Art sogar so etwas wie spröden Charme. Die Kassenhüttchen erinnerten an grindige Pommesfrites-Buden, der Rollsplitt am Gelände war nichts für schnöselige Designer- oder gar Stöckelschuhe, und die von der Sonne ausgebleichten Holzbänke, um die herum das Gras wucherte, bargen eher die Gefahr sich einen Schiefer einzuziehen, denn als angenehme Sitzmöglichkeit zu dienen. Doch als wahrer Fan stand man ohnedies. Bei jedem Wind und Wetter, wenns sein musste auch im strömendem Regen. Sitzen war etwas für "die da drüben", die unter der überdachten Tribüne und im VIP-Bereich, die Schönwetterfans. Dabei waren die vermeintlichen „Standesunterschiede“ genauso wie der provisorische Sicherheitsgraben rund um das Spielfeld – im Fall der Fälle leicht zu überwinden –eher eine symbolische, denn eine reale Schranke. In der Stunde des Erfolges, wenn aus 1000 Kehlen gleichzeitig der enthusiastische Ruf „Toooooor“ erschallte, lagen sich der Herr Doktor und der Hakler ebenso in den Armen wie der Christ und der Moslem, die in einem hellen Moment universaler Einsicht ihre dummen Ressentiments vergaßen. Ja selbst die nationalistisch gesinnten Gemüter, die sonst so gern aus irrationaler Angst und diffusem Minderwertigkeitsgefühl heraus Sündenböcke bei den Ausländern suchten, jubelten hier den „Jugos“ wie Slobodan Brankovic und dem damals noch nicht eingebürgerten Ivica Vastic, dem Argentinier Mario Kempes, dem Tschechen Antonin Panenka, dem Ungarn Lajos Detari, dem türkischstämmigen Mohammed Akagünduz oder dem Nigerianer Frank Daniels zu. Hier am Platz, für diese 90 Minuten, gehörten sie alle irgendwie zusammen, waren eine Familie.
Zumindest solange die Mannschaft Erfolg hatte. Denn gesiegt hatten immer WIR, verloren aber meistens nur die Spieler, der Trainer und die Funktionäre, auf die mitunter heftig geschimpft wurde. Aber auch das musste eben sein, überhaupt wo es vielleicht zuhause, im Job, im harten Leben da draußen gar nicht so lief, wie man sich das erträumt hatte. Hier am Platz konnte man sie rausschreien, all die aufgestaute Wut, und wenn es auch nicht fair, ja dumpf war, so war es doch krampflösend, ja mitunter schmerzlindernd.
Das war es, was den Platz und seine Besucher vielleicht am allermeisten miteinander verband: Beide waren nicht perfekt. Aber authentisch. So war es geradezu schlüssig, dass sich die Wolfbrigade zuletzt falsch aufstellte und die Buchstabenfolge GOODBYE zu einem für die anderen Besucher rätselhaften EYBDOOG verdrehte. Das hatte auch symbolischen Charakter, denn so betrachtet war es ein offener Abschied auf etwas hin, nichts Endgültiges, sondern auch ein Neuanfang.
Und so schluckte Platzsprecher Fritz Dibidanzel, nachdem die Musik vorbei war und sich die letzten Rauchschwaden des Feuerwerks am Nachthimmel verloren, kurz und sprach dann die berühmten letzten Worte: „Danke, Danke, danke!“