MFG - Casablanca im Kosovo
Casablanca im Kosovo


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St. Pöltens gute Seite

Casablanca im Kosovo

Text Johannes Reichl
Ausgabe 04/2008

Der Kosovo hat im Februar seine Unabhängigkeit erklärt. Seither flammen wieder Unruhen auf. Wir sprachen mit Roman B., der 2006 als KFOR-Soldat im Kosovo im Einsatz war, über das Leben als UN-Soldat, das Klima im Land und seine Einschätzung der Chancen für den neuen Staat.

Können Sie vorab erläutern, was KFOR heißt und welche Aufgabe sie hat.
Wir haben KFOR spaßhalber immer mit „Krasse Ferien ohne Rechnung“ übersetzt. Richtigerweise steht es für „Kosovo Force“ und ist eine Einheit der NATO, die unter UN Mandat im Kosovo gewährleisten soll, dass es zu keinen ethnischen Übergriffen kommt. Die UNMIK wiederum könnte man am ehesten mit einer Bezirkshauptmannschaft vergleichen. Sie soll den Kosovaren den Amtsschimmel beibringen.

Wo waren Sie stationiert?
Im Camp „Casablanca“ nahe von Suva Reka mit der zweiten gepanzerten Jägerkompanie. Dort sind rund 1800 Soldaten stationiert. Das ist ein richtiges Containerdorf, mit Swimmingpool, Videothek, Fitness-Center, Bars, Geschäften etc. Man hat praktisch alles. Frühstücksbuffet, mittags vier Menüs, ebenso abends. Ich hab selten so gut gegessen wie im Kosovo.

Aber dem Essen wegen wird man ja nicht runtergehen?
Als 32jähriger Milizsoldat wie ich gehört man eigentlich zur Minderheit. Neben ein paar Freaks, die gern Kriegspielen, bilden die Mehrheit v. a. junge Soldaten, die gleich nach dem Schulabschluss Geld verdienen möchten. Das Salär beträgt im Schnitt rund 3.500 Euro netto pro Monat. Viele von den Jungen wollen nachher ein Auto kaufen, oder sie haben sich schon verschuldet und brauchen das Geld zum Abstottern. Das ist natürlich sehr kurzsichtig. Was sie nämlich nicht bedenken, ist der Preis, den sie dafür bezahlen: Lebenszeit! Und sie unterschätzen die Risken des Einsatzes.

Im Hinblick auf die Gefahr für Leib und Seele?
Nein. In der Gegend, wo wir stationiert waren, gibt es für österreichische Soldaten kaum Gefahr. Das Problem für die Soldaten ist eher die Länge des Aufenthaltes. Man kann ja mit Verlängerung bis eineinhalb Jahre durchgehend bleiben. Viele der Jungen waren aber vorher noch nie in einem richtigen Arbeitsprozess eingegliedert. Unten wird ihnen alles abgenommen, man muss keine Entscheidungen treffen, es geht dir nichts ab. Dadurch verliert man völlig den Bezug zur Realität, den Anschluss ans Sozialsystem. Zurück in Österreich sind viele dann mit dem Alltag überfordert. Ein anderes Problem ist Alkohol. Man hat ja nichts zu tun im Grunde genommen. Von 18-23 Uhr hat man frei – viele schlagen die Zeit dann auf diese Art tot.

Und gefährdet im eigentlichen Sinne fühlten Sie sich nie?
Kaum. Dort wo wir Österreicher stationiert sind, gibt es nur mehr wenige Serbendörfer. Vor dem Krieg waren ca. 20% der Bevölkerung Serben, jetzt sind es vielleicht 5%. Unsere Aufgabe bestand v.a. darin, serbische Klöster, die von serbisch-orthodoxen Poppen geführt werden, im Auge zu behalten. In der Hauptstadt Pristina, wo ein höherer Serbenanteil ist, kommt es sicher öfter zu Übergriffen.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass der eigene Kamerad ein größeres Risiko darstellte als der Kosovare. Der gefährlichste Moment war jener, als ein Soldat - im übrigen ein St. Pöltner -  unachtsam mit der Waffe umging, sodass sich vier Schüsse lösten, die durch mehrere Zelte schlugen. Zum Glück wurde niemand getroffen. Die ständige Doppelbewaffnung, Sturmgewehr und 9mm Glock, kann bei einigen Soldaten zu Überforderung führen..

Das heißt es gab während ihres Aufenthaltes keine brenzligen Situationen?
Nein, das scheint vorbei. Zwei Jahre vor meinem Einsatz gab es noch Unruhen. Da kamen vertriebene Serben im Zuge von „Go & See“-Visiten mit Bussen aus Belgrad, um ihre Güter zu besichtigen. Das Eigenartige ist ja, dass die Serben zwar vertrieben wurden, die Kosovaren ihre Häuser – oft sogar mehrfach - abgefackelt und zerstört haben, aber sie haben sie nicht enteignet. Die Ruinen sind also nach wie vor im Besitz der Serben. Damals jedenfalls sollte unser Kontingent ausrücken, doch die Kosovaren blockierten die Ausfahrten. Die Botschaft war klar: Mischt euch nicht in unsere Angelegenheiten. Bezeichnend ist auch, dass ständig Kameras am Laufen sind. Auch hier ist die Botschaft eindeutig: überlegt euch gut, ob ihr wirklich Blutzoll riskieren wollt. Die Bilder von den gewalttätigen Blauhelmen gehen dann um die ganze Welt.

Aber so ruhig kann es doch nicht gewesen sein. Wurde nie Alarmbereitschaft ausgelöst?
Es gab einmal den Fall, dass ein serbischer Polizist in die Luft gesprengt wurde, wobei da eher die Mafia die Hände im Spiel hatte – das war 70km von unserem Camp entfernt. Trotzdem wurde sofort Level 3 ausgelöst. Mir kam es so vor, als wollte man künstlich ein Gefahrenszenario schaffen, um unseren Einsatz zu legitimieren.
Es ist ja grotesk: Ich war ein dreiviertel Jahr in einem Bürgerkriegsland ohne nennenswerte Zwischenfälle, doch am ersten Tag zurück in St. Pölten ballerte hier ein Amokläufer um sich und ich sah Verfolgungshubschrauber am Himmel. Eine solche Situation hab ich all die Monate im Kosovo nicht erlebt!

Und was war mit dem großen Waffenlager, das von österreichischen Soldaten ausgehoben wurde und durch die Medien ging?
Gerade daran zeigt sich, wie unglaublich verzerrt und überzogen das Bild vom Kosovo bei uns dargestellt wird – und das ist kein Zufall, sondern Kalkül. Ich war damals selbst dabei. In Wahrheit wollte ein Bauer, der wusste, dass dort ein Waffenlager ist, wieder seinen Acker bestellen und hat das deshalb angezeigt. Das war ein großes Erdloch mit Waffen. In den Medien wurde das als Mega-Bedrohung hochgespielt. Da stellt sich schon die Frage: Spielt es sich im Tschad auch so ab? Der Kosovo ist heute jedenfalls sicher kein Krisenherd Nr. 1 mehr.

Aber warum sollte man dieses unstimmige Bild zeichnen?
Um den Militäreinsatz zu rechtfertigen. Zum einen ist der Einsatz ein Riesenwirtschaftsfaktor. Das Perverse ist ja, dass z. B. der Großteil der Versorgung der Österreicher unten nicht von den kosovarischen Bauern bestritten wird, womit man diese unterstützen würde, sondern alles aus Österreich importiert wird! Da verdienen einige sehr gut daran. Und eine Frage sollte man sich auch durch den Kopf gehen lassen: Warum existiert gerade im Kosovo, mitten in Europa, nicht unweit des Nahen Ostens, der größte US-amerikanische Militärstützpunkt außerhalb der USA? Der Stützpunkt hat einen Umfang von 50 Kilometern, ist abgeriegelt. Keiner weiß, was dort vor sich geht. Die USA werden jedenfalls alles tun, um diesen so lang wie möglich aufrecht zu erhalten. Und die Amerikaner sind auch am vehementesten für die rasche Unabhängigkeit des Kosovo eingetreten, ohne zu hinterfragen, ob er dafür bereit ist. Warum? Weil sie dadurch noch freier agieren können als bisher. Die Kosovo-Albaner sind den Amis ja auf ewig zu Dank verpflichtet, weil sie ohne diese nie gegen die Serben gewonnen hätten.

Aber bekommt man da vor den Einheimischen keinen Argumentationsnotstand?
Sicher. Ich wurde mehrmals von jungen Kosovo-Albanern gefragt: „Was macht ihr eigentlich hier noch, neun Jahre nach dem Krieg?“ Ich konnte ihnen keine Antwort geben, denn zu behaupten, wir seien hier, um Stabilität zu schaffen, obwohl augenscheinlich Stabilität herrschte, wäre lächerlich gewesen.

Sind die Kosovaren Ihrer Meinung nach bereit für einen eigenen Staat?
Nein. Das ist noch ein langer Weg. Das hat aber nichts mit den ethnischen Prozessen zu tun, wie gerne suggeriert wird und womit der Militäreinsatz gerechtfertigt wird, sondern mit der Infrastruktur bis hin zum fehlenden Know How. Es gibt keine funktionierende Trinkwasserversorgung, keine Kanalisation, die Stromversorgung, die Rohstoffe, Benzin etc. kamen teilsweise aus Serbien. Mit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hat Serbien diese Lieferungen gekappt. Zudem hat man ein extremes Know How Problem. Früher wurden die Kosovo-Albaner als Menschen zweiter Klasse behandelt. Sämtliche höhere Posten in der Verwaltung, in den Unternehmen, in der Politik wurden von Serben besetzt. Durch die Vertreibung dieser Volksgruppe ist zugleich auch das Know How verloren gegangen. Zwar soll die UNMIK beim Aufbau der Verwaltung helfen, aber die Kosovaren sind ein sehr stolzes Volk und lassen sich nicht gerne etwas vorschreiben. Die Wirtschaft liegt danieder. Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch, im Durchschnitt verdient man maximal 200 Euro. Viele Familien leben von den Verwandten im Ausland.

Die ja auch in Österreich leben. Wie sind die Kosovaren zu den Österreichern gewesen?
Sie sind irrsinnig gastfreundlich, sehr herzlich, auch ein sehr heißblütiges Volk. Es verging keine Patrouille, wo wir nicht mindestens einmal eingeladen worden sind. Als Österreicher ist man sehr beliebt. Das rührt noch von der Kaiserzeit her. Es gibt Gaststätten, da findet man Zinnkrüge mit dem Kaiserkonterfei drauf , und an der Wand hängt ein Kaiserbilder, manchmal auch – besonders grotesk – daneben eines von Hitler. Es ist uns nicht einmal passiert, dass wir von älteren Männern mit dem Hitlergruß begrüßt wurden.

Haben die Einheimischen mit Ihnen über den Bürgerkrieg gesprochen?
Nein. Der Krieg, auch die Ressentiments gegen die Serben sind kein Thema. Das wird völlig totgeschwiegen. Man könnte meinen, niemand sei dabei gewesen. Aber viele Denkmäler – v.a. von UCK-Kämpfern, von Albanien unterstütze Freischärler - erinnern daran. Die schauen aus wie Martlerl, findet man überall, und einmal im Jahr werden die Leichname ausgegraben und auf das Denkmal gelegt, um der Kämpfer zu gedenken.
In manchen Bergdörfern wiederum findet man Gedenktafeln von Massengräbern, die an die ethnischen Säuberungen erinnern, welche die serbische „Polizei“ damals verübt hat. Das waren in Wahrheit ausgesuchte Leute, Berufssöldner, die sich freiwillig gemeldet hatten, ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Kriegsverbrechern!

Ist der Hass verraucht?
Der Hass zwischen den Ethnien ist noch spürbar, wobei man im Grunde genommen nichts aus der Geschichte gelernt hat. Denn so, wie die Kosovo-Albaner unter den Serben Menschen zweiter Klasse waren und litten, so gehen sie heute selbst mit den verbliebenen Minderheiten um. Die Kinder der Zigeuner etwa gehen nicht zur Schule, aber nicht weil sie so faul wären, sondern weil sie früher von den Kosovo-Albanern immer verprügelt wurden.
Im Hinblick auf die Serben, die man großteils verdrängt hat, verfolgt man auch eine andere Taktik, wie mir verschiedene Kosovo-Albaner erklärt haben: „Wir kämpfen nicht mit Waffen gegen die Serben, wir vermehren uns einfach schneller.“ Tatsächlich gibt es eine extrem hohe Geburtenrate. Ich kann mich an eine Patrouille in einem Bergdorf mit vielleicht 10 Häusern erinnern, und plötzlich waren wir von 40 Kinder umringt!

Gibt es irgendeine Lehre, die Sie für sich persönlich aus dem KFOR-Einsatz ziehen?
Ein Land braucht seine Zeit, um selbständig und stabil zu werden. Was es sicher nicht braucht sind andere Staaten, die sich aus fadenscheinigen Gründen einmischen und sich um die Zukunft des Landes „annehmen“.