MFG - Täter gesucht-Opfer gefunden
Täter gesucht-Opfer gefunden


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St. Pöltens gute Seite

Täter gesucht-Opfer gefunden

Text Michael Müllner
Ausgabe 04/2008

Anfang Mai klicken für zwei Schwarzafrikaner die Handschellen. Zwei Monate später entlässt man sie aus der Untersuchungshaft. Objektive Beweise schließen sie als Täter aus. Was bleibt ist die Zeugenaussage einer jungen Frau, einem Vergewaltigungsopfer. Zu wenig – nun ist das Verfahren eingestellt.

„Im Fall der Anklageerhebung wäre nicht mit einer Verurteilung zu rechnen gewesen“, erklärt Staatsanwalt Gerhard Sedlacek kurz und bündig, warum die Ermittlungen gegen die beiden Schwarzafrikaner Ray und John eingestellt wurden. Vor rund einem Jahr wurde eine junge St. Pöltnerin von Passanten aufgefunden und ins Krankenhaus gebracht. Dort gab sie an, Opfer einer Vergewaltigung zu sein. Vor der Polizei beschuldigt sie dann zwei Besucher des Lokals, die Polizei stützte ihre Ermittlungen auf die Aussage des Opfers und konnte bald zwei Verdächtige ermitteln, nahm sie in U-Haft und erntete Applaus von Politik und Medien. Nach einigen Wochen Untersuchungshaft kamen dann aber objektive Beweise wie beispielsweise ein DNA-Gutachten oder die Analyse von Faserspuren, welche die beiden Beschuldigten als Täter ausschlossen. Die Spuren unter den Fingernägeln bzw. dem Genitalbereich des Opfers stammten nicht von den beiden.

Bis zum Schluss
Verteidiger Peter Krömer stellte zahlreiche Anträge, neue Zeugen wurden – oft erstmalig – einvernommen und brachten immer mehr Zweifel auf, ob sich die Tat wirklich so abgespielt haben könnte. Zum angeführten Tatzeitpunkt, laut Opfer etwa 8:00 Uhr früh, waren auch andere Passanten in jenem Hof, an dem es zur Gewalttat gekommen sein soll. Weiters kam ans Licht, dass das Opfer zum Tatzeitpunkt knapp 2 Promille Blutalkoholgehalt hatte. Gerhard Sedlacek: „Die junge Frau blieb bis zum Schluss bei ihrer Anschuldigung, dass die beiden im Lokal anwesenden Schwarzafrikaner die Tat begangen hätten.“
Die Verteidigung begründet ihre Zweifel an der Aussage der jungen Frau nicht nur mit der hohen Alkoholisierung, sondern auch mit Ungereimtheiten der Zeugenaussage, beispielsweise was die sichergestellten DNA-Spuren betrifft. Im Rahmen der Ermittlungen konnte nämlich eruiert werden, von welchem Mann die Samenspuren stammen. Jedoch geben beide „Beteiligten“ an, den letzten Geschlechtsverkehr 14 Tage vor der Tat gehabt zu haben. Ein Gutachten stellte fest, dass es theoretisch möglich sei, dass sich die im Genitalbereich gefundenen Spuren tatsächlich 14 Tage lang „gehalten“ hätten, dass es aber in der Praxis als ziemlich unwahrscheinlich betrachtet werden kann, zumal man durch normale Körperhygiene diese Spuren abgewaschen hätte. Eine letzte große Ungereimtheit tauchte auf, als im  Rahmen eines medizinischen Gutachtens festgestellt wurde, dass das Opfer den Tatzeitpunkt zuerst im Gespräch mit einer Ärztin mit 4:00 Uhr angegeben hatte und erst bei der kriminalpolizeilichen Einvernahme die Zeit mit 8:00 Uhr ansetzte. Verteidiger Peter Krömer „Die Staatsanwaltschaft sah ihre Felle davonschwimmen und hat letztlich das Verfahren eingestellt.“

Keine Pannen?
Somit weiß niemand, was in jener Nacht wirklich passiert ist? Staatsanwalt Sedlacek: „Es waren sehr aufwändige und langwierige Überprüfungen, in alle Richtungen. Leider ist keine andere Spur aufgetaucht bzw. konnten keine Beweise gefunden werden.“ Ob er Ermittlungspannen sieht? „Wenn ich das Verfahren Revue passieren lasse,  dann kann ich nicht von Pannen sprechen. Weder auf Seiten der Staatsanwaltschaft, noch auf Seiten der Polizei. Die Aussage des Opfers hat eben anfangs sehr glaubhaft gewirkt.“ Beispielsweise glaubhafter als die Aussage eines Mitbewohners, der angab, einer der Beschuldigten habe zum Tatzeitpunkt schon längst zuhause im eigenen Bett gelägen.

Abgeschlossen
Hat die Staatsanwaltschaft auch in Richtung Verleumdung ermittelt? „Wir haben keinen Hinweis darauf gefunden, dass das Opfer vorsätzlich eine falsche Beschuldigung erhoben hätte. Das war sicher eine sehr traumatisierende Situation.“ Der Vertreter des Opfers, der St. Pöltner Anwalt Karl Prisching dazu: „Ich kann nur bestätigen, dass meine Klientin die Angelegenheit abgeschlossen hat und nicht mehr damit konfrontiert werden möchte.“
Traumatisierend waren die Wochen der Untersuchungshaft sowie die Beschuldigungen an sich auch für die beiden anderen Opfer. Peter Krömer berichtet: „Raymond hatte seinen Job dadurch verloren und geriet somit in finanzielle Probleme. Wir versuchen eine Haftentschädigung zu erreichen. Mittlerweile hat er seinen Job aber wieder. Für John gab es privates Glück, er hat vor Kurzem geheiratet!“
Auch wenn unklar bleibt, was in jener Nacht wirklich geschah, so ist doch eines umso deutlicher geworden: Die Unschuldsvermutung sollte für Journalisten mit Anstand keine medienrechtliche Last, sondern eine Selbstverständlichkeit sein. Denn mit unter sitzen auch unschuldige Menschen in Untersuchungshaft – und lesen Zeitung.

Infos zum Thema:
„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.“
Art. 11 Abs. 1 der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948