Sommer
Text
Tina Reichl
Ausgabe
Die zwei neuen Gartenliegen schauen mich vorwurfsvoll an. Die Regentropfen laufen an ihren nicht mehr ganz so weißen Bezügen herab und fragen mich: „Warum bist du den ganzen Sommer nicht auf uns gelegen?“ Und jetzt frage ich mich das ebenso. War es nicht heiß genug? Nein! Hattest du keine Zeit? Hm. Zu Ferienbeginn möchte man ja alles so richtig auskosten, man kauft sich die NÖ Card, um 300 Ausflugsziele in die acht Ferienwochen zu packen, oder bucht eine Kreuzfahrt, auf der man jeden Tag eine andere wunderschöne Destination erkunden kann. Man plant Ausflüge, Grillfeste, Sommerpartys, Fußball- und Tenniscamps für das Kind, besucht Sommeropern, hüpft dazwischen kurz zum Heurigen, in die City, in den See und dazwischen kommt man heim und räumt zusammen. Insgeheim wartet man aber auf diesen verregneten Tag, und wenn er kommt, dann muss man halt leider alle Unternehmungen witterungsbedingt absagen. Wie schade! Man bleibt bis 12 Uhr im Pyjama und sieht nach, wo die letzten drei verpackten Woman herumliegen, die man ja noch nicht lesen konnte. Falls dieser Tag allerdings nicht kommt – wie in diesem Sommer, dann hat man Glück, wenn man einen 8-jährigen Sohn hat. Denn auf die Anfrage einer Mutter, ob Max mit seinem Freund ins Kaltbad mitfahren möchte, antwortet das weise Kind im kühlen Kinderzimmer nach kurzer Pause: „Nein danke. Ich bin zufrieden. Ich spiel jetzt lieber Lego.“ Und hier begann mein Urlaub: am Boden im dunklen Zimmer sitzend, Lego nach Farben sortierend, und draußen den Tag vorbeiziehen lassend. Und wenn er noch so sonnig war!