Come as you are
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
„Ich dachte immer, das Internet vergisst nie!“, witzelt Warhouse-Clubleiter Steve Ponta, als er auf der Suche nach altem Content aus dem Jahr 2004 nicht gleich fündig wird. Ist aber vielleicht ohnedies schlüssiger, rechnet man in Sachen Erinnerungsvermögen Clubs doch eher mit FALCOS Ausspruch „Wer sich an die 80er (in unserm Fall die frühen 2000er) erinnern kann, war nicht dabei!“. Anlässlich 20 Jahre Warehouse haben wir es trotzdem probiert und die Warehouse-Urgesteine Norbert „Pauli“ Bauer, Steve Ponta und Geli Gottschall zum kollektiven Erinnerungshappening versammelt.
Als wir in den Club in der Rödlgasse eintreten, macht unser Fotograf – in Jugendzeiten selbst oftmaliger Besucher des Etablissements – ein Aha-Erlebnis: „Bei Tag sieht das ja ganz anders aus!“ Es fühlt sich auch tatsächlich anders an, weil sozusagen das Leben, die Seele fehlt: Keine wabernden Songs aus den Boxen, keine schwitzend-stampfenden Kids am Dancefloor, kein hard working DJ on the turntables, keine Red Bulls & Wieselburger, die an guten Tagen in Strömen fließen. Stattdessen beschauliche Ruhe, gedämpftes Licht, verwaiste Bier- und Getränkekisten auf der Theke, die bereits auf den nächsten „Einsatz“ am Wochenende warten, und dieser ganze eigene Geruch, wie er nur Fortgehtempeln zu eigen ist. Nach einem kurzen Fotoshooting ziehen wir uns aber, wie es Clubgründer Norbert „Pauli“ Bauer formuliert, in die „Katakomben“ zurück – also in den Backstagebereich, wo Büros und Künstlertrakt liegen und wo auch des Tags für die Nacht gearbeitet wird. Vordergründig stinknormale Arbeitsplätze, über die aber dank Plakaten und Devotionalien legendärer Gigs eine sanft-mythische Patina liegt, unterschwellig von einem ein Hauch des Anarchistischen begleitet. Die Brandschutztür zum Bühnenraum ist etwa mit zahlreichen Stickern übersät, von legendären Formaten und Veranstaltungen bis hin zu Sternschnuppen-Labels. „‚I love my penis‘ kommt am öftesten vor“, lacht Norbert, und wir alle sehen uns wissend an, weil wir den Mastermind dahinter kennen. Daneben Plakate – ein angerissenes vom NUKE Festival 2005, wo noch Seeed zu lesen ist, daneben Wanda, Parov Stelar, aber auch Aktuelles wie Anna-Sophie oder FYS.
Once upon a time
Die Geschichte des Warehouse beginnt indirekt eigentlich bereits Ende 2003. Damals sucht Pauli – zu dieser Zeit bereits als Macher des Jesters in Ober-Grafendorf sowie des Club Maquie in Pottenbrunn eine absolute Szene-Ikone – für eine große Vorweihnachtssause ein Ausweichquartier und findet es schließlich im VAZ. „Dort hat uns René Voak von NXP eine Lagerhalle zur Verfügung gestellt“, erinnert er sich und fügt hinzu. „Zu René hatte ich ja beste Bande. Tatsächlich war ich der erste Konzertveranstalter im VAZ unter seiner Ägide und habe dort im März 2002 Fettes Brot durchgeführt!“
Das Dreitages-Clubfest mit Kapazundern wie HEINZ, Benji und Sam Ragga schlägt jedenfalls, wie man so schön sagt, voll ein. Die logische Konsequenz: Pauli und René beschließen, eine fixen Club im VAZ zu etablieren, zumal das Jesters in Ober-Grafendorf keine Zukunft mehr hat. Voak gibt den Herbergsgeber, Pauli ist Betreiber und mietet sich ein. Bereits knapp einen Monat später, am 4. Februar 2004, sperrt das Warehouse auf. „Bis dahin haben wir die Lagerhalle so gut wie möglich adaptiert“, erinnert sich Pauli, manch Hoppala inklusive. „Am letzten Tag ist uns etwa ein großer Steiger eingegangen, der mitten im Lokal gestanden ist – den haben wir nicht mehr rechtzeitig rausbekommen. Daher haben wir ihn einfach mit Stoff umwickelt und stehen lassen“, lacht er. Für die Kids eine vermeintlich coole Deko, in Wahrheit aber Essenz dessen, was das Warehouse bis heute ausmacht und in seiner DNA, weil auch in jener Paulis angelegt, steckt: Improvisationskunst. Die Köpfe der ersten Stunde, die dem Baby quasi das Laufen beibringen, sind neben Pauli sein Kumpel Josef Schmid, „der eigentlich hauptberuflich Bauarbeiter war, bei uns aber Mädchen für alles“, Marco König als Techniker sowie Christian Lakatos, „der als Praktikant begonnen hat“ und späterhin als Mastermind von Urban Art Forms Festivalgeschichte schreiben sollte. Die Gastro schupft in den Anfängen mit Valentin Kopatz ebenfalls kein Unbekannter. Außerdem bereits in der Anfangsära im Dunstkreis unterwegs, wenn auch noch in anderer Rolle, sind Steve Ponta als Veranstalter mit seinem Kollektiv „Boomarang Sound“ und als DJ Selecta Weasel sowie Geli Gottschall, die späterhin mit der langjährigen Clubleiterin Manuela Hiegesberger den Laden schmeißen wird. „Manu hat wahrscheinlich die meisten Nächte im Warehouse verbracht“, schätzt Pauli. Weitere Warehouse-Legenden im Laufe der Jahre sind Michael Kietreiber, Johannes König und Julita Fryn, gern als Seele des Clubs bezeichnet.
Der Eingang in den Club erfolgt damals noch über das alte, rote Tor über die Kelsengasse, vorbei an einem Aquarium öffnete sich dahinter quasi der erste Floor „der heutige Klogang, wo darüber ein DJ-Pult aufgestellt war“, schmunzelt Steve. Danach gings weiter in den Lounge-Floor – also den großen Barbereich. Bereits 2005 erfolgt ein erster großer Umbau, weil die Behörde eine Lüftungsanlage vorschreibt. Damals rückt auch der Haupteingang an seine heutige Position in der Rödlgasse. Einige Jahre später wird im Rahmen eines weiteren Umbaus dann noch „The Garage“, ein zweiter fixer Floor, etabliert, sonst bleibt das Raumkonzept über all die Jahre ziemlich gleich.
There’s a new kid in town
Wenn man Pauli, Steve und Geli nach dem Spirit der Gründungsphase fragt, beginnen ihre Augen zu leuchten „Es herrschte einfach eine unglaubliche Energie und Aufbruchsstimmung, weil es so etwas wie das Warehouse in St. Pölten bis dahin noch nicht gegeben hatte“, ist Geli überzeugt, und Pauli präzisiert: „Damals ist ja gerade FM4 aufgekommen, mit Musik abseits des Mainstreams. Im Grunde genommen war das Warehouse so etwas wie die Musik von FM4 im Clubformat. Jeden Tag wurde bei uns etwas anderes gespielt.“ Das Warehouse bildet damit auch einen Kontrapunkt zu klassischen Discos „wo es Dresscodevorschriften und ähnliches gab. In die Nachtschicht oder später ins La Boom bist du etwa mit einem Kapperl oder weißen Schuhen gar nicht reingekommen – bei uns schon, und das war genau das Besondere: Du bist so angenommen worden, wie du bist, frei nach dem Motto ‚Come as you are!‘“, so Geli.
Diese neue Freiheit, die Möglichkeit, sich individuell auszudrücken, steht auch den Kulturschaffenden offen. „Als ich im Warehouse zu veranstalten begonnen habe, habe ich Pauli das erste halbe Jahr gar nicht zu Gesicht bekommen“, lacht Steve. „Was ich damit sagen möchte: Die haben uns einfach machen lassen, ohne große Vorschriften und Vorgaben.“ Auch Quotendruck ist damals noch ein Fremdwort, erlaubt ist sozusagen, was gefällt – vielleicht ist gerade deshalb die Hütte regelmäßig brechend voll. „Und wenn bei einem Format einmal nur 30 Leute gekommen sind, wars auch völlig okay“, betont Geli. „Was es ausmachte, war schlicht die Mischung, die Vielfalt!“
I want to break free
Das sieht in der Praxis dann in etwa so aus: Einmal sind die Skater an den Turntables, am nächsten Tag gibt’s Reggae & Ragga, dann wieder Alternative-Musik. Später avanciert der Club zur Drum’n‘Bass-Hochburg und Electronicmusic-Pilgerstätte, „dazwischen konnte aber auch Rockabilly vorkommen bis hin zu Kabarett. Genau diese Mischung machte es aus“, so Geli. Gerade die Unterschiedlichkeit ist zugleich das verbindende Element. „Wir waren wie eine Familie, sowohl die Gäste, als auch die Mitarbeiter untereinander. Das war, wie wenn du jeden Tag jemand anderen in dein Wohnzimmer einlädst – extrem spannend!“
Wie die gesamte St. Pöltner Szene selbst, die damals von einem extremen Gestaltungsdrang geprägt ist. „Da war eine Aufbruchs- und Umbruchstimmung. Jeder wollte etwas tun, das war unsere Plattform zum Austoben und keiner ist da gestanden und hat mit erhobenem Finger gemeint‚ das darfst du nicht, so geht das nicht!“, erinnert sich Steve. Das Warehouse bringt daher auch im Laufe der Zeit manch Künstler hervor „die sich eigentlich bei uns getroffen haben, um Spaß zu haben, woraus sich in Folge aber echte Karrieren entwickelt haben“, konstatiert Geli. Allen voran fallen einem da ad hoc etwa Camo & Krooked ein. „Zudem ist das Warehouse geistiger Geburtsort der damals größten Electronicmusicfestival-Formate Österreichs, des Urban Art Forms sowie des Beatpatrol Festivals“, ergänzt Pauli. Dass er auch bei Kultmarken wie NUKE oder Frequency Festival seine Finger mit im Spiel hatte, sei nur am Rande erwähnt. Jedenfalls trägt Pauli – was vielleicht nie so ganz wahrgenommen und dementsprechend gewürdigt wurde – nachhaltig zur Weiterentwicklung St. Pöltens und seiner Jugendkulturszene bei, sorgt für Urbanität und Coolness. Zum einen, indem er der indigenen Szene eine Plattform gibt, wo sie sich in all ihrer Vielfalt ausdrücken kann, zum anderen, indem er zahlreiche „fette“ Acts von außen bringt. Manchmal werden dann so viele Karten verkauft, „dass wir unter dem Claim ‚warehouse extended‘ ins benachbarte VAZ übersiedelt sind. Tatsächlich ist ja das bislang bestbesuchte Konzert in der VAZ-Geschichte ever, nämlich Seiler & Speer, eine warehouse extended Veranstaltung gewesen!“, verrät Pauli. Und Steve stimmt schwelgend zu: „Es ist schon ein Wahnsinn, wer hier schon aller aufgetreten ist. Ich kann mich etwa noch gut erinnern, als ich einmal genau hier, wo wir jetzt gerade sitzen, mit Marco Wanda zusammengesessen bin, und er hat mir sein Leid geklagt, weil ihn die weiblichen Fans immer bis in die Dusche verfolgen“, lacht er. Und Wanda ist nur ein Beispiel von vielen: Sportfreunde Stiller, MIA., Cro, Parov Stelar, Skazi, Pendulum, Camo & Krooked, The Wailors, Drahdiwaberl, K.I.Z, Großstadtgeflüster, Turbobier und viele mehr sind im Warehouse aufgetreten „oder Sido, damals noch mit Maske“, erinnert sich Pauli, „der die Crowd fragte ‚Wer will beim Arschficksong [der heißt wirklich so, Anm.] auf die Bühne, und plötzlich reckten sich alle Hände in die Höhe“, lacht er und unterstreicht damit die ausgelassene Partystimmung im Haus.
The times are changing
Die Post geht noch immer ab im Warehouse, wenn aktuell auch seltener. Wenn man die drei „Urgesteine“ zu den grundlegenden Unterschieden zwischen heute und Gründerzeit fragt, landet man unweigerlich bei einem Philosophicum über Jugendkultur an sich. „Die 90er und 2000er Jahre waren davon geprägt, dass die Kids ihr Ding machen wollten, dass sie selbst aktiv und kreativ waren. Communities wurden gegründet, Bands, DJ-Kollektive, Party-Formate, jeder hat mit jedem irgendetwas aufgestellt. Wir haben auch das ganze Drumherum selbst abgewickelt – Flyer gestaltet, diese in der Stadt verteilt, Deko gebastelt etc. – das ist schon sehr zurückgegangen“, konstatiert Steve, wobei Pauli auch auf den Wandel in Sachen Musikkonsum verweist „Ende der 90er fand in Österreich im Musiksektor so etwas wie eine Emanzipation statt, weil man im Gegensatz zur Großraumdisco-Ära davor, deren Musik die Plattenindustrie vorgab, jetzt selbst seine Sachen aussuchte – und danach auch die Clubs und Festivals, die damals aufkamen. Tatsächlich landete mit ‚leichter‘ Verspätung“, fügt er ironisch hinzu „der Geist von Woodstock in St. Pölten.“
Das Internet habe dann in Folge einen massiven Wandel eingeleitet „Es ist vielleicht nicht gleich der Tod der Jugendkultur gewesen, aber es hat aus vormaligen Aktivisten zunehmend passive Konsumenten gemacht“, ist Pauli überzeugt, wobei Steve die Sache differenzierter sieht: „Umgekehrt hat das Internet aber auch unglaublich vielen Dingen, die vorher Randthemen oder auch Randmusik waren, eine Plattform gegeben, hat also neue Möglichkeiten geschaffen, so dass sich vormals kleine Gruppen verbreitert haben.“ Für Pauli nur bedingt eine positive Entwicklung insofern „weil die ‚alternative‘ Musik dadurch selbst zum Mainstream geworden ist. Und ich feiere deshalb ja auch nicht aktiv mehr Party, nur weil ich mir jetzt auf spotify meine eigene Playlist zusammenstellen kann. Dadurch brauche ich Clubs, die ‚meine‘ Musik spielen, eigentlich noch weniger.“
Geli sieht die Entwicklungen pragmatischer. „Jugendkultur ist immer im Wandel begriffen, und das ist eben der aktuelle Zeitgeist. Es haben sich einfach die Prioritäten verschoben, auch weil heute das Angebot, auf allen Ebenen um ein Vielfaches größer ist als noch zu unserer Zeit. Mag sein, dass die Jugendlichen in dem Sinne heute in gewisser Weise gesättigter sind, aber eines muss man schon auch fairerweise hinzufügen: All das, wofür wir gebrannt und gekämpft haben, was es sozusagen noch zu erobern und aufzubauen galt – etwa so eine Einrichtung wie das Warehouse – das gibt es heute eben schon.“
Corona-Comeback
Worin sich alle drei einig sind, ist der Befund, dass Corona der Clubszene definitiv geschadet hat und an den Jugendlichen nicht spurlose vorübergegangen ist. „Mir kommt schon vor, dass Corona manchen noch immer in den Knochen steckt und die Jugendlichen teils ängstlicher sind als früher“, ist Geli überzeugt. „Zum anderen sind sie auch schlichtweg anders sozialisiert – diese ganze Fortgehkultur, die uns so wichtig war, dass du im Club Kontakte knüpfst, neue Leute kennenlernst, deine Musik hörst, abtanzt – das hat diese Generation teils gar nicht kennengelernt. Die mussten zuhause sitzen und haben sich dann eben mit Homepartys geholfen – und dieser Trend ist geblieben.“
Wobei Steve allmählich wieder „ein Erwachen und Aktivwerden“ ausmacht. „Wir haben sogar wieder Nachwuchs DJ‘s und Veranstalter in dieser Altersgruppe.“ Die traditionellen Schülerveranstaltungen funktionieren ohnedies, und den Kontakt zu Schülervertretern von Borg, Gym, HAK & Co. habe man sowieso nie verloren. Fad wird’s also sicher nicht im Jubiläumsjahr. „Wir werden heuer jeden Monat einen besonderen Schwerpunkt setzen, und im Herbst warten ein paar feine Konzerte!“ Zum Schluss schließt er auch eine Einladung an die Szene an: „Wir haben den Platz für euch und eure Ideen, im Warehouse könnt ihr sie umsetzen!“
LEGENDÄRE WAREHOUSE FORMATE
Whatever Happened To The 80ies
City of Bass
WARhouse Fight Night
Urban Art Forms
Cottage Club
Electronic Night
Toasted
Viermalvier
Manshee vs Hennes
Skank & Twist
AKTUELLE FORMATE
FYS - Fasten your Seatbelts
90er Klub
Super Trouper
Anziehungskraft
Trap Hell
Gestern war‘s Schöner
Rock Out
X-Mas Session
Schools Out Party
Remember Bob Marley