Doch keine Mariahilferstraße
Text
Michael Müllner
Ausgabe
Im April 2024 erklärte das Rathaus die Linzer Straße zur „temporären Fußgängerzone“. Wie so vieles im Jahr der Kulturhauptstadt diente das Gegenwarts-kultur-Festival „Tangente“ als Begründung. Hat sich das Experiment Verkehrsberuhigung bewährt und soll die Fußgängerzone bleiben?
Hinweis: Am 13. September 2024 gab das St. Pöltner Rathaus bekannt, dass die Linzer Straße zukünftig als Begegnungszone dienen soll. (Link zur Stadt-Website.) Bei Redaktionsschluss des folgenden Artikels hieß es seitens der Stadt St. Pölten lediglich, man sei noch am Evaluieren.
Wer wissen will, welche Themen St. Pöltnerinnen und St. Pöltner zurzeit bewegen, der schlendert am besten durch die Linzer Straße. Dort mischen sich gerade die Kontroversen der Stadt zur St. Pöltner Melange. Vertreibt die Stadtplanung die Handelsbetriebe aus der Innenstadt oder macht das schon Amazon? Gehört die Mobilität den Fußgängern und Radfahrern oder haben Autoabstellplätze auf öffentlichem Gut weiterhin eine Daseinsberechtigung? Katapultiert sich die Stadt mit der Tangente auf einen neuen Wahrnehmungslevel oder wird Steuergeld zukünftiger Generationen für importierte Kurzzeitkunst verbrannt? Ja, das alles kann man diskutieren, wenn man in der Linzer Straße durch die offenen Türen geht und freundlich grüßt. Man trifft auf Lokalbetreiber und Essenslieferanten, Schuhhändler und Fleischhauer, man plaudert mit Trafikanten, Büroleuten und Festivalkuratoren. Und ja, gelegentlich trifft man auch einen Passanten.
Seit April müssen Autos die Linzer Straße gleich wieder in Richtung Schneckgasse verlassen. Am Europaplatz wurde mit dem Windfänger ein neuer Hotspot geschaffen, die neugestaltete Promenade zeigt, wohin St. Pöltens Reise stadtplanerisch gehen soll, Mobilität wird neu gedacht. Wer das noch nicht weiß und sein Auto ratlos vor der Beschilderung am Anfang der Fußgängerzone hält, der kann schon mal von einem Busfahrer niedergehupt werden. Zu Stoßzeiten staut es sich rund um das angrenzende Schulzentrum: tausend Schüler, aber keine Parkplätze für das Ein- und Aussteigen der Jüngsten. Flüssiger Verkehr ist nicht Teil des Konzepts, womit auch Busse im Stau stehen und mit ihnen jene, die dem Autochaos eigentlich entkommen wollen. Obacht heißt es auch für Radfahrer, diese dürfen die Linzer Straße zwar in beide Richtungen befahren, aber nur im Schritttempo. Mancher erlag angesichts menschenleerer Straße der Versuchung, fuhr normales Radfahrtempo und wurde von der Polizei prompt gestraft. Was manche beim Erzählen bis heute die Köpfe schütteln lässt.
Ein Lokalbetreiber berichtet, er hatte im Sommer zwei Monate geschlossen. Belebung im Sinne von Fußgängern sei nicht eingetreten, sein Gastgarten bleibt leer. Da keine Autos zufahren dürfen, um Essen zu holen, ist auch das Liefergeschäft sehr schwierig geworden. Zum Glück funktionieren die beiden anderen Standorte, dort parkt man in Lokalnähe. Ein paar Meter weiter hört man über ältere Kundschaft, die sich vielmals entschuldigt, dass sie nicht mehr ins Fachgeschäft kommen kann. Sie schätzen die Qualität der Ware, aber können den Einkauf einfach nicht hunderte Meter weit schleppen. Am Anfang der Linzer Straße schüttelt ein Schuhhändler den Kopf, sein Fachgeschäft blickt auf viele Jahrzehnte am Standort zurück: „Unsere Kundschaft ist oft älter und in der Mobilität eingeschränkt. Die städtische Neugestaltung rund um unser Geschäft hat uns die nötigen Parkplätze genommen.“ Dabei wäre es einfach, schon vier Parkplätze würden genügen. Blickt er bei seiner Auslage raus, ärgert er sich über einen seit Jahren brachliegenden Schandfleck, bei dem die Eigentümer offenbar auf bessere Zeiten spekulieren. Da sollte die Stadt was machen, findet er, ein Bauzwang, eine temporäre Nutzung als Parkplatz oder zumindest ein Sichtschutz. Rechtlich nicht möglich, heißt es dazu aus dem Rathaus.
Weder Autos, noch Menschen
Enttäuscht zeigt sich auch ein anderer Lokalbetreiber, er war anfangs Feuer und Flamme und dachte, die Verkehrsberuhigung wäre das Startsignal für eine Aufwertung der Straße durch die Stadt. Doch dahingehend ist nichts passiert. Heute sieht er das Projekt als gescheitert, die Fußgängerzone gehöre weg. Und falls sie doch bleibt, dann muss man mehr machen, als nur die Autos raussperren, während zugleich alle fünf Minuten ein Bus mit vollem Karacho durch die Straße brettert. Denen sei das Tempolimit nämlich egal. Besonders skurril ist die Geschichte um einen Gastgarten in der Linzer Straße. Der Gastronom erhält Besuch von der Stadt. Die Behörde richtet ihm aus, die Linzer Straße ist so ruhig, da würde sein geplanter Gastgarten stören. Aber wenn er ihn überdachen würde, dann dürfte er dort bis 19:00 Uhr ausschenken. Da das Lokal grundsätzlich erst um 18:00 Uhr aufsperrt, war die Idee rasch begraben. Und dem Gastronom klar, dass die Stadt mit der erhofften Belebung der Linzer Straße wohl etwas anderes vor Augen hat als seinen Gastgarten.
Aber wahrscheinlich sind das alles nur Suderanten, Wirten halt oder aussterbende Handelsleute, die einfach eine Ausrede für ihren mäßigen Geschäftserfolg suchen? Fragen wir doch den Trafikanten, weil bekanntlich: eine Trafik geht immer. „Ich würde den hohen Rathaus-Mann gerne fragen, wo die tausend Fußgänger sind, von denen er mir anfangs vorgeschwärmt hat. Aber der kommt ja nicht mehr her.“ Er berichtet von Gesprächen, in denen Stadtverantwortliche die verkehrsberuhigte Linzer Straße mit der Wiener Mariahilferstraße verglichen hätten. Da würden auch keine Autos fahren, dafür spazieren Menschen, kaufen ein, sitzen in Gastgärten. Doch davon merkt er nichts. Gerade als Trafik ist man auf das Auto angewiesen. Die Leute fahren vorbei, hüpfen kurz raus, kaufen Zigaretten oder eine Zeitung. Das können sie nicht mehr, die Frequenz sei darum eingebrochen. Und das Erscheinungsbild der Straße an sich sei in einem schrecklichen Zustand, da drauf brauche sich niemand etwas einbilden. Wenn man mit Menschen spricht, die in der Linzer Straße arbeiten, zeigt sich ein klares Bild. Wer darauf angewiesen ist, dass Kunden kommen, der leidet unter der Verkehrsberuhigung. Alle hoffen, dass mit Ende der Tangente auch der Spuk der Fußgängerzone ein Ende findet. Wobei einige die Sorge haben, dass das Festival nur eine Ausrede war, ein Testballon, um zu schauen, ob sich die Autoverbannung bewährt. Angeblich habe der Bürgermeister die Verordnung zur Einführung der Verkehrsberuhigung ohne Ablaufdatum unterschrieben.
Dass die Linzer Straße als Kunst-Schauplatz nötig war, bestreiten die meisten. Für zwei Straßenfeste müsse man nicht sieben Monate lang eine Straße sperren. Auch die Straßenmalerei und Kunstobjekte im Rahmen des Projektes „Road Furniture“ haben die Anrainer nicht wirklich ins Herz geschlossen. Vom Rathaus wurde bisher jedenfalls kein einziger unserer Gesprächspartner befragt, wie sie die Situation wahrnehmen und welche Wünsche sie hätten. Dort betont man unterdessen, dass die temporäre Maßnahme bis Ende Oktober angedacht war und man „derzeit die bestehende Situation evaluiert und die Erkenntnisse als Grundlage für die Entscheidung zur weiteren Zukunft heranzieht.“ Welche konkreten Erkenntnisse die Grundlage für diese geplante Zukunftsentscheidung liefern sollen, lässt man im Rathaus unbeantwortet.
Letztlich findet sich dann doch noch eine Anrainerin, die mit der verkehrsberuhigten Straße ihre Freude hat. Die Dame arbeitet in einem Beratungslokal und berichtet von der guten Kooperation mit den Nachbarn von der Tangente und dem Vorteil, dass sie nun bei offenen Türen ohne Straßenlärm arbeiten kann. Was wiederum irgendwie das Problem bestätigt.
GRÜNSTÜCKE: AUCH BÄUME ZU MIETEN
Dass Anfang September noch schnell vorübergehend Gräser und Bäume gepflanzt wurden, irritiert manche: „Wenn sie das im April machen, hat es Hand und Fuß. So wirkt es, als wäre ihnen Fördergeld übergeblieben.“ Die Tangente dazu: „Die temporäre Begrünung war immer wieder Thema und wird jetzt im dritten Schwerpunkt realisiert. Die Pflanzen sind gemietet und eine Art Aviso, wie eine dauerhaft begrünte Linzer Straße wäre.“
ROAD FURNITURE: IST DAS KUNST ODER DARF ICH DA DRAUF SITZEN?
Als die verkehrsberuhigte Linzer Straße die Ankunft des Kunstfestivals Tangente mit einem Straßenfest feierte, waren die Kunstobjekte aus Altmetall und lustigen Schildern schon in der ganzen Linzer Straße und im Festivalzentrum verteilt. Auch vor einem Pub wurden diese Objekte platziert, was dazu führte, dass sich Gäste natürlich auch auf diesen „Outdoor-Möbeln“ niederließen. Irgendwann hieß es dann, das Objekt sei nicht als Gastgarten genehmigt, man dürfe dort nicht sitzen. Nach einiger Zeit wurden die Möbel dann vorzeitig abgebaut.