Impfgegner
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Als ich meinen Kollegen Anfang April ersuchte, doch ein Foto vom Passauer Wolf mit Maske zu machen, war Corona noch relativ „frisch“ und die tatsächlichen Folgen nicht absehbar (was sie nebstbei bis heute nicht sind), wenngleich mulmig vorstellbar. Ich erinnere mich an fast entrische Momente zu jener Zeit. Meinen Freunden schickte ich etwa Fotos aus dem völlig verwaisten Traisenpark, Montag, 15 Uhr! Und die Straßen waren wie leergefegt. Alles wirkte surreal, als wäre man in einen Katastrophenfilm geraten, nur dass das Surreale die Wirklichkeit war und man selbst Hauptdarsteller.
Für eine bislang privilegierte Generation (Jg. 1974) wie die meine, die in einem reichen Land wie Österreich groß werden durfte und bis dahin von großen Katastrophen bestenfalls gestreift worden war (Tschernobyl), das Weltgeschehen zumeist aber aus der „gemütlichen“ Position des obergscheiten Beobachters vom sicheren Zuschauerraum aus kommentierte, war dies eine verstörende Erfahrung.
Der Begriff „Prüfung“ klingt für all dies vielleicht allzu pathetisch, zumal das Leben kein Lehrmeister ist, der uns testet, sondern einfach passiert, aber man erahnt, was Karl Popper meint: „Alles Leben ist Problemlösen.“ Der einzelne muss solche Herausforderungen immer wieder durchleben – Krankheit, Verlust, Liebesleid sind Teil des Lebens. Als „Weltgemeinschaft“ erlebten wir Derartiges im Sinne einer kollektiven gleichzeitigen Bedrohung aber seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr.
Zum einen hat uns diese Erfahrung Demut gelehrt, weil wir vermeintliche Krönung der Schöpfung plötzlich von mikroskopisch kleinen (nicht einmal Lebe)Wesen aus dem Götterhimmel vertrieben werden, zum anderen macht uns die Pandemie angesichts der gesundheitlichen Gefahren, ebenso wie der Folgen auf Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Zusammenleben schlichtweg Angst. Es ist als würde man bei Nebel aufs offene Meer hinausfahren – ins Ungewisse. Wobei es müßig ist – mit dem Wissen von heute – rückwärtsgewandt zu philosophieren, ob etwa der rigorose Lockdown im März richtig war, wie uns auch ein Planspiel, in dem wir einen alternativen Weg durchspielen könnten, verwehrt bleibt. Faktum ist, dass etwas angestoßen wurde, dem wir uns nicht entziehen können und das Antworten verlangt – von jedem einzelnen von uns.
Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Viele laufen nach wie vor orientierungs- bis ratlos herum, andere verfallen in fatalistisch-depressive Stimmung, dritte wiederum – so es die Lage zulässt – genießen das neue Biedermeier, während die Unterprivilegierten im brutalen Daseinskampf verstrickt nicht einmal den Luxus des Nachdenkens haben. Immer mehr Menschen treten aber auch, wie Süchtige, die Flucht ins Paralleluniversum an und verlieren sich in teils kruden Verschwörungstheorien. Diese geben einfache Antworten auf komplizierte Fragen, sie benennen vermeintlich Schuldige, sie lenken vor allem von der Auseinandersetzung mit der eigenen unmittelbaren, als bedrohlich empfundenen Wirklichkeit ab. Problemlösung, das ist die Krux, liefern sie freilich keine. Vielmehr treiben sie die Eskalation auf die Spitze, weil die Wut angesichts der empfundenen Ohnmacht wächst und das Urvertrauen, spätestens mit dem Beginn von Verteilungskämpfen als Folge der Pandemie, sukzessive verloren geht: in die Politik, die doch nur lügt; in die Institutionen und die Justiz, die alle korrupt sind; in die Wissenschaft, die gekauft ist; in die „Mainstream“-Medien, worunter man all jene versteht, die der eigenen Meinung widersprechen. Am Ende steht eine hochgeputschte Radikalisierung, die in der Zertrümmerung der bestehenden Verhältnisse die letzte, ja die einzige Antwort wähnt: Parlamentarische Quatschbuden, Lügenpresse, Kuscheljustiz – weg damit. Der starke Mann übernimmt jetzt das Zepter, unser Denken, unser Schicksal. Das wäre das Ende der Demokratie. Dann hätten wir den Kampf gegen Corona tatsächlich verloren, selbst wenn wir längst einen Schutz dagegen gefunden haben. Nur, weil wir uns nicht rechtzeitig mit Vernunft und Empathie dagegen haben „impfen“ lassen.
Für eine bislang privilegierte Generation (Jg. 1974) wie die meine, die in einem reichen Land wie Österreich groß werden durfte und bis dahin von großen Katastrophen bestenfalls gestreift worden war (Tschernobyl), das Weltgeschehen zumeist aber aus der „gemütlichen“ Position des obergscheiten Beobachters vom sicheren Zuschauerraum aus kommentierte, war dies eine verstörende Erfahrung.
Der Begriff „Prüfung“ klingt für all dies vielleicht allzu pathetisch, zumal das Leben kein Lehrmeister ist, der uns testet, sondern einfach passiert, aber man erahnt, was Karl Popper meint: „Alles Leben ist Problemlösen.“ Der einzelne muss solche Herausforderungen immer wieder durchleben – Krankheit, Verlust, Liebesleid sind Teil des Lebens. Als „Weltgemeinschaft“ erlebten wir Derartiges im Sinne einer kollektiven gleichzeitigen Bedrohung aber seit Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr.
Zum einen hat uns diese Erfahrung Demut gelehrt, weil wir vermeintliche Krönung der Schöpfung plötzlich von mikroskopisch kleinen (nicht einmal Lebe)Wesen aus dem Götterhimmel vertrieben werden, zum anderen macht uns die Pandemie angesichts der gesundheitlichen Gefahren, ebenso wie der Folgen auf Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Zusammenleben schlichtweg Angst. Es ist als würde man bei Nebel aufs offene Meer hinausfahren – ins Ungewisse. Wobei es müßig ist – mit dem Wissen von heute – rückwärtsgewandt zu philosophieren, ob etwa der rigorose Lockdown im März richtig war, wie uns auch ein Planspiel, in dem wir einen alternativen Weg durchspielen könnten, verwehrt bleibt. Faktum ist, dass etwas angestoßen wurde, dem wir uns nicht entziehen können und das Antworten verlangt – von jedem einzelnen von uns.
Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Viele laufen nach wie vor orientierungs- bis ratlos herum, andere verfallen in fatalistisch-depressive Stimmung, dritte wiederum – so es die Lage zulässt – genießen das neue Biedermeier, während die Unterprivilegierten im brutalen Daseinskampf verstrickt nicht einmal den Luxus des Nachdenkens haben. Immer mehr Menschen treten aber auch, wie Süchtige, die Flucht ins Paralleluniversum an und verlieren sich in teils kruden Verschwörungstheorien. Diese geben einfache Antworten auf komplizierte Fragen, sie benennen vermeintlich Schuldige, sie lenken vor allem von der Auseinandersetzung mit der eigenen unmittelbaren, als bedrohlich empfundenen Wirklichkeit ab. Problemlösung, das ist die Krux, liefern sie freilich keine. Vielmehr treiben sie die Eskalation auf die Spitze, weil die Wut angesichts der empfundenen Ohnmacht wächst und das Urvertrauen, spätestens mit dem Beginn von Verteilungskämpfen als Folge der Pandemie, sukzessive verloren geht: in die Politik, die doch nur lügt; in die Institutionen und die Justiz, die alle korrupt sind; in die Wissenschaft, die gekauft ist; in die „Mainstream“-Medien, worunter man all jene versteht, die der eigenen Meinung widersprechen. Am Ende steht eine hochgeputschte Radikalisierung, die in der Zertrümmerung der bestehenden Verhältnisse die letzte, ja die einzige Antwort wähnt: Parlamentarische Quatschbuden, Lügenpresse, Kuscheljustiz – weg damit. Der starke Mann übernimmt jetzt das Zepter, unser Denken, unser Schicksal. Das wäre das Ende der Demokratie. Dann hätten wir den Kampf gegen Corona tatsächlich verloren, selbst wenn wir längst einen Schutz dagegen gefunden haben. Nur, weil wir uns nicht rechtzeitig mit Vernunft und Empathie dagegen haben „impfen“ lassen.