Chicken
Ausgabe
Die wichtigste Bewerbung meines Lebens ist draußen. Jetzt heißt es warten. Mein Telefon trage ich immer am Körper, ready to pick up. Weil vielleicht ruft Holland an. Ich ziehe Kreise in meinem studentischen Wohn-Schlafraum und stolpere über die Katzen. Kino, schwimmen oder schlafen ist nicht möglich. Routinearbeiten werden nebensächlich, andere Pläne verworfen, frühere Luftschlösser dem Erdboden gleichgemacht. Ich leide und ernähre mich von Baldrianpräparaten. Weil vielleicht ruft Holland an. Als die derzeitige China-Reisende C., Mitstreiterin meiner Kindheit und Jugend, in mein Dörfl kommt, scheucht sie mich trotzdem auf: Eigentlich will ich nicht mit ihr spazieren gehen, weil vielleicht ruft Holland an – aber 18 Jahre Freundschaft machen sich bezahlt, Handy und Angst bleiben zurück. Wald. Reden über den ganzen Unsinn: Teenage Dirtbags auf Feldwegen, Abwegen. Kaputte Mopedtanks, Sonnenblumen-Stehlen. Die ersten Grufties, schwarze Strähnen in der hellen Stirn. Die erste Party, im Jesters. Der erste Hausarrest, gleich danach. The Cure-Kassetten, FM4 als Lebenseinstellung, Twin Peaks-Poster überm Jugendeinzelbett. Irgendwie wollten wir immer jemand Großes werden. Dass wir das auch heut noch wollen, ist beruhigend. Mit 16 ist alles leichter: Zigarettenrauchen im Dunkeln. Zurücklegen im Staub ganz ohne Rücksicht auf Kletten in den Haaren. Ich schließe die Augen und kriege wieder Luft… An diesem Abend hat Holland angerufen. Ich war nicht dort, wo mein Handy war, weil ich im Wald war. Habe am nächsten Tag zurückgerufen. Es war alles ganz problemlos. Mit 16 ist alles leichter. Auch, wenn man fast 30 ist.