MFG - Bet and hin?
Bet and hin?


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Bet and hin?

Ausgabe 03/2012

Wenn man dieser Tage Informationen über die Derivativ-geschäfte St. Pöltens sowie die Klage der Stadt gegen die Raiffeisenlandesbank Wien Niederösterreich (RLB) einholen möchte, wähnt man sich eher in einem Agententhriller. Top Secret lautet das Motto, die Politiker sind auf Tauchstation.

Zur Vorgeschichte: 2003 hat der St. Pöltner Gemeinderat, wie St. Pölten konkret damals berichtete, einem „Grundsatzbeschluss betreffend den [sic] Einsatz von Derivativgeschäften für die Schuldenbewirtschaftung im Bereich der Landeshauptstadt“ zugestimmt. Gemeinderat Werner Janker referierte damals: „Dieses aktive Schuldenmanagement wird bereits von vielen Städten in Deutschland, aber auch Kommunen in Österreich erfolgreich eingesetzt.“ Der "Erfolg" eines Franken-Swap-Vertrages zwischen Stadt und der RLB, der noch bis ins Jahr 2028 läuft und mit dem St. Pölten Zinszahlungen für Kredite „abgesichert“ hat, hat sich seit 2010 aber ins Gegenteil verkehrt. So schreibt die Wiener Zeitung im Dezember des Vorjahres. „Dem Vernehmen nach entwickelte sich die Kurswette seit Juni 2010 für die Stadt negativ, weil der Kurs des Euro unter der Marke 1,41 Franken liegt. Bis September 2011 soll Sankt Pölten diesen Swap-Verlust durch ein weiteres Derivatgeschäft abgesichert haben, dieser Vertrag soll aber ausgelaufen sein. Künftig könnte die Stadt zumindest drei bis dreieinhalb Millionen Euro pro Jahr berappen müssen, um den Swap-Vertrag einhalten zu können. Bis zum Laufzeitende dürften somit zumindest 50 bis 60 Millionen Euro zusammenkommen. Die tatsächlichen Kosten hängen vom weiteren Frankenkurs ab.“ Aktuell beträgt dieser übrigens 1,20 Euro!
Die Stadt hat in Reaktion auf diese Entwicklung nun quasi die Flucht nach vorne angetreten und im Hinblick auf das Zustandekommen des Derivatgeschäfts "Nr. 707843" Klage gegen die RLB eingebracht. Darin wird das rechtmäßige Zustandekommen des Geschäftes infrage gestellt – u. a. sei man nicht ausreichend über die Risken informiert worden, zudem fehlten Genehmigungen. Die Rechtsvertretung hat die Kanzlei Kraft & Winternitz übernommen, welche auch die Stadt Linz sowie 15 weitere Gemeinden in ähnlich gelagerten Fällen vertritt. Linz hatte bereits im Vorjahr seine Hausbank Bawag geklagt und die Zahlungen eingestellt. Das Bankinstitut seinerseits konterte daraufhin mit einer Schadenersatzklage in Höhe von fast 419 Millionen Euro!
Im St. Pöltner Fall verweist die RLB jedenfalls auf die Rechtswirksamkeit des Vertrages und weist sämtliche Anschuldigungen zurück. Die Justiz ist am Zug. Soviel zur Vorgeschichte, soweit eruierbar. Folgende Fragen wollte MFG im Hinblick auf das vom Magistrat eingesetzte Volksvermögen beantwortet wissen. 1) Wie steht es um den Stand der Derivativgeschäfte und dem Versuch auszusteigen?
2) Wann wurden diese Geschäfte abgeschlossen und auf welchen Zeitraum?
3) Wie stellt sich die Situation zum Status Quo dar? Wie wurde das Jahr 2011 abgeschlossen?
4) Was ist dran von einem möglichen kolportierten Verlust per Laufzeitende von bis zu 500 Millionen Euro im worst case, wenn also die Wette scheitert?
5) Wie laufen die vom Bürgermeister angekündigten persönlichen Gespräche seiner Person mit RLB Direktor Erwin Hameseder, um einen frühzeitigen Ausstieg zu bewerkstelligen? Was würde ein solcher bringen, an Verlust bedeuten bzw. was ist die Zielsetzung dieser Gespräche?
6) Die Stadt hat die RLB geklagt – welchen Inhalt hat die Klage, was will man erreichen?
7) Steht auch zur Dispostion, dass St. Pölten wie Linz die Zahlungen einstellt?
8) Linz hat im November die BAWAG geklagt, diese hat darauf mit einer Gegenklage mit Schadenersatzforderung von über 400 Millionen Euro geantwortet. Befürchtet man das auch in St. Pölten?
9) Sind in St. Pölten – nach Vorbild Linz – regelmäßige Sondersitzungen sämtlicher Fraktionen denkbar, um weitgehend Transparenz zu gewährleisten und gemeinsame Strategien zu entwickeln im Hinblick auf die Derivativgeschäfte?
Als Antwort bekam das Magazin folgendes dürre, offizielle Statment:
„Im Finanzausschuss und in den Sitzungen des Gemeinderates wurde strenge Vertraulichkeit in Bezug auf die RLB-Klage hinsichtlich eines Derivativgeschäfts vereinbart. Zudem ist ein Gerichtsverfahren anhängig. Um die vereinbarte Vertraulichkeit und die Rechtsposition der Stadt St. Pölten im laufenden Gerichtsverfahren zu wahren, kann keine Stellungnahme erfolgen.“
Aha! Aha? Zur Beruhigung diverser gestreuter Gerüchte, die wohl in Analogie zur Bawagklage in Linz von besagten 500 Millionen Euro Verlust sprechen (und möge jetzt den Medien niemand Panikmache vorwerfen, wenn man diese Zahlen nicht bereit ist zu entkräften bzw. offenzulegen), trägt die aktuelle „Informationspolitik“ defintiv nicht bei. Da scheint es schon eher so, dass – um es ein bisschen derb auszudrücken – in der Causa „die Kacke gehörig am Dampfen“ ist. Wir waren nicht dabei
Ein weiteres Indiz dafür ist, dass plötzlich niemand mehr so recht dazu stehen mag, dass man das durchaus schon damals als riskant eingestufte Geschäft eingegangen ist.
So verweist der Bürgermeister legitimerweise darauf, dass er zum Zeitpunkt des Grundsatzbeschlusses noch gar nicht im Gemeinderat gesessen ist und betont, „dass der Grundsatzbeschluss im Jahr 2003 über die Derivativ- und Swapgeschäfte von allen Fraktionen im Gemeinderat getragen wurde und auch danach haben bis zu den letzten Beschlüssen im Jahr 2007 die SPÖ, die ÖVP und die FPÖ zugestimmt. Selbst die Grünen waren nicht dagegen, sondern haben sich der Stimme enthalten (das STROG, §28, Abs. 4. hält fest: „Stimmenthaltung gilt als Ablehnung.“, Anm. der Redaktion). Der Bürgermeister weist außerdem darauf hin, dass es in seiner Amtszeit gelungen sei „die Derivativ- und Swapgeschäfte deutlich auf nunmehr fünf zu reduzieren. Damit konnte das Risiko für die Stadt reduziert werden. Das Ziel ist gänzlich auszusteigen!“ Bizarr mutet dann aber doch an, wenn er durch die Blume versucht, den Schwarzen Peter der ÖVP zuzuschieben. „Vor allem die größte Oppositionspartei im Gemeinderat hat dies – wie allgemein bekannt ist – damals immer wieder und mit Nachdruck gefordert.“ Als hätte die SPÖ schon jemals irgendetwas, was die ÖVP gefordert hat, umgesetzt, es sei denn, es hätte sich ohnedies mit den eigenen Positionen gedeckt.
Die ÖVP wiederum ließ anlässlich des Rechnungsabschluss 2010 ausrichten: „Stadler redet sich immer aus, alle hätten diese Geschäfte mitgetragen, verschweigt aber immer, dass er im Alleingang das Risikolimit stetig erhöht und die Laufzeit der Geschäfte verlängert hat.“
Vor Weihnachten leisteten sich die Schwarzen dann – in der Annahme, einen „Skandal“ sowie ein nachgereichtes Distanzierungsalibi von den Swap-Geschäften an der Angel zu haben – einen peinlichen Rohrkrepierer. So ortete man bei einem unter die Lupe genommenen Derivativ-Geschäft suggestiv eine Trixerei des Magistrates, weil in einer Tabelle Vorzeichen vertauscht worden waren. „Es stellt sich die Frage, wie irrtümlich war der Irrtum", formulierte Stadtrat Bernhard Wurzer eindeutig zweideutig, und fügte hinzu: "Hätte der Gemeinderat Information über den Verlust gehabt, dann wäre wahrscheinlich damals schon ein Ausstieg aus diesen Spekulationsgeschäften diskutiert worden." Pech nur, dass zwar tatsächlich ein Fehler in einer Tabelle passiert war, das Ergebnis allerdings sehr wohl das richtige war (was auch ein einfacher Anruf beim zuständigen Magistratsbediensteten im Vorfeld geklärt hätte). Die ÖVP hatte 2007 also voll Überzeugung zugestimmt – das Ergebnis war damals ja auch noch im Plus. Das vermeintlich nachgereichte Alibi von wegen „na wenn wir das damals schon gewusst hätten, wären wir ja dagegen gewesen“ stürzte wie ein Kartenhaus zusammen. Was blieb war die ungute Duftmarke „übler Nachrede“, auch wenn die Stadt eine angedrohte Klage dann doch nicht einbrachte. „Nachdem eine Entschuldigung erfolgte, ist die Sache endgültig vom Tisch“, verlautet es hierzu aus dem Rathaus.
Die anderen Parteien wollen mit der Causa ebenfalls nichts zu tun haben. Nicole Buschenreiter (Die Grünen) stellt dezidiert klar: „Ich muss die SWAP Geschäfte der Stadt überhaupt nicht rechtfertigen, da die Grünen nie derartigen Finanzspekulationen ihre Zustimmung gegeben haben“, und Klaus Otzelberger (FPÖ) führt aus: „Im Jahr 2009 schrillten bei mir die Alarmglocken, als die von der FPÖ geforderten und vom Gemeinderat 2007 beschlossenen Risiko-Limits aufs Gröbste missachtet wurden. Ich forderte als Einziger einen sofortigen Ausstieg aus diesen riskanten Wetten.“ No more bets please
Und jetzt? Herrscht das große Bangen, wie die Klage ausgeht, sowie wohl der Wunsch, dass man schon damals die heutige Ansicht des Nationalrates Anton Heinzl vertreten hätte, der im Hinblick auf die Gesamtwirtschaft im aktuellen MFG-Interview meint: „Ich bin ein Anhänger der realen Marktwirtschaft – und damit bin ich ein Gegner der Spekulanten. Natürlich will keiner kommunistische Gleichmacherei! Zuerst muss Leistung erbracht werden, dann kann man sie gerecht verteilen. Aber Gewinne aus Pseudoluftgeschäften sollten in Zukunft unmöglich sein.“
2003 war diese Position allerdings auch noch im SP-Stadtparteivorstand, dem Heinzl angehört, sowie jenem der anderen zustimmenden Parteien, offensichtlich nicht mehrheitsfähig. UND – sie bildeten damit in der allgemeinen Goldgräberstimmung des Finanzhypes beileibe keine Ausnahme, sondern handelten wie das Gros der diversen Körperschaften und auch zahlreicher Privatbürger, die auf anderer Ebene mit diversen Franken-Finanzprodukten aktuell ihr blaues Wunder erleben (von den fetten Jahren vorher, die es ebenfalls gegeben hat, spricht keiner mehr). Ob sie alle den „bösen“ Banken und Finanzdienstleistern in die Falle gingen, wie man es jetzt darzustellen versucht, oder ob sie in ihrer Naivität und Gier die Hinweise auf die Risken einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollten, hat im Fall der St. Pöltner Derivativgeschäfte jetzt u. a. die Justiz zu entscheiden.
Die Lehren für die Mandatare und der damit zusammenhängende Auftrag im Hinblick auf den zukünftigen Umgang mit Volksvermögen sind jedenfalls eindeutig: „No more bets please!“ Infos zum Thema:
Unterm Giebelkreuz
Keine Informationsflut, aber im Vergleich zur Stadt St. Pölten doch ein geradezu übersprudelnder Quell, stellt die Stellungnahme der RLB dar. Wenig verwunderlich sieht man dort die Causa konträr: „Die Raiffeisenlandesbank NÖ-Wien (RLB NÖ-Wien) hat dazu eine grundsätzlich andere Rechtsauffassung als die Stadt St. Pölten und legt Wert auf die Feststellung, dass sie als Partner der Stadt St. Pölten zu jeder Zeit und in vollem Umfang ihren erforderlichen und gesetzlich festgeschriebenen Verpflichtungen nachgekommen ist.“
Der Exitstrategie der Stadt, dass man sich zuwenig über die Risken informiert gefühlt habe, wird widersprochen. „Die Vertreter der Stadt St. Pölten haben nachweislich sowohl die Mechanismen als auch das Risiko von Swap-Geschäften verstanden, sich darüber laufend detailliert informiert und die Risiken bewusst in Kauf genommen.“
Eine Gegenklage nach BAWAG-Vorbild in Linz scheint aktuell nicht geplant. „Die RLB NÖ-Wien nimmt zur Kenntnis, dass die Stadt St. Pölten die unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen der Stadt und der Bank hinsichtlich des Zustandekommens des beklagten Swapgeschäftes nun vor einem ordentlichen Gericht klären will.“
Man darf also gespannt sein – Wetten, wie die Causa ausgeht, werden ab sofort angenommen. Meinungen zum Thema:
Nicht öffentlich?
Die Informationssperre rund um die Klage der Stadt gegen die RLB (die Causa wird in der „nicht öffentlichen Sitzung des Gemeinderates“ abgehandelt) sorgt in der Öffentlichkeit für Irritation. Dürfen wir nicht erfahren, was mit unserem Geld passiert ist?
MFG wollte von den Fraktionsvorsitzenden wissen: „Wie rechtfertigt Ihre Partei, dass die Causa Derivativ-Geschäfte völlig an der Öffentlichkeit vorbeigespielt wird?“ Matthias Adl (ÖVP):
„Selbstverständlich muss man die Öffentlichkeit informieren, das ist uns völlig bewusst. Aber rein rechtlich ist das derzeit nicht möglich, weil eine Klage im Laufen ist und wir daher zur Verschwiegenheit angehalten sind, damit durch etwaige Informationen kein Schaden für die Stadt entsteht. Wenn der Rechtsstand aber hergestellt ist, das Thema also öffentlich ist, wird es natürlich auch in der Öffentlichkeit diskutiert werden, und dann wird auch die Frage nach der politischen Verantwortlichkeit geklärt werden müssen.“ Nicole Buschenreiter (Die Grünen):
„Selbstverständlich sind die Grünen der Meinung, alle Finanzangelegenheiten in der Öffentlichkeit zu diskutieren – immerhin geht es um den sorgfältigen Umgang mit Steuergeldern. Die SPÖ begründet ihre ‚Geheimhaltungsstrategie‘ mit dem Datenschutz – nur: Da gibt es nichts Privates. Leider sind die Grünen St. Pölten an einen Mehrheitsentscheid gebunden, und das Gesetz bindet uns so an die Verschwiegenheitspflicht. Das einzige, was uns bleibt, ist vor jeder Sitzung, in der die Finanzspekulationsgeschäfte der Stadt auf der Tagesordnung stehen, den Geschäftsordnungsantrag auf eine öffentliche Debatte zu stellen. Dann hoffen wir, dafür eine vernünftige Mehrheit zu finden.“ Franz Gunacker (SPÖ):
„Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die offizielle Stellungnahme der Stadt St. Pölten verweisen, in der klar auf die Verschwiegenheitspflicht hingewiesen wird. Der Vorwurf, die Causa Derivativ-Geschäfte würde an der Öffentlichkeit bewusst vorbeigespielt werden, entspricht nicht den Tatsachen. Es geht vielmehr darum, in einem laufenden Verfahren der Stadt keinen Schaden zuzufügen – genau dafür hat der Gesetzgeber diese Regelung geschaffen. Diese ist allen Fraktionen bekannt und bewusst, und es waren sich alle darin einig, der Stadt keinen Schaden zufügen zu wollen." Klaus Otzelberger (FPÖ):
„Punkte, die der SPÖ-Regierung unangenehm sind und die man der Öffentlichkeit verheimlichen will, werden einfach in den nichtöffentlichen Teil der Sitzungen verlegt. Ich bin immer dafür eingetreten, dass die Öffentlichkeit ein Recht hat, über so wichtige Entscheidungen informiert zu werden.Wir können nur hoffen, dass wir durch eine gemeinsame Kraftanstrengung das Schlimmste abwenden können."