Emotion statt Kozepthammer
Ausgabe
Während der künstlerische Leiter des Festspielhauses Joachim Schloemer gerade die letzten Probeläufe für sein heuriges Abschlusswerk „Nostalgia“ im Großen Saal des Festspielhauses abwickelt, werkt drei Stöcke höher im Verwaltungstrakt bereits seine designierte Nachfolgerin Brigitte Fürle an ihrer Eröffnungssaison 2013/2014. Wir besuchten sie an ihrer neuen Wirkungsstätte.
Wir treffen einander im „Wohnzimmer“ des Festspielhauses, wie der mit Polstermöbeln ausgestattete Besprechungsraum im 3. Stock von den Mitarbeitern liebevoll genannt wird. Das Gespräch beginnt allerdings „bildlich“. Fürle stellt ihren Laptop auf und zeigt zum Einstieg einen Film über ihre zuletzt sechsjährige Tätigkeit bei den Festspielen Berlin, damit wir sozusagen einen Eindruck bekommen. Ab und an gibt sie einen kurzen erläuternden Kommentar, verrät, wer schon für St. Pölten angefragt ist, und muss unvermittelt lächeln, als man meterhohe Puppen vor dem Brandenburger Tor in Berlin stapfen sieht – die legendären „Riesen“ von Royal de Luxe im Zuge der von ihr kuratierten Feierlichkeiten anlässlich 20 Jahre Mauerfall, die zwei Millionen Menschen begeisterten. „Das war mein Meisterstück.“
Knapp sechs Minuten dauert der Film, gibt Einblick über eine künstlerische Bandbreite, die von Tanz über Theater bis hin zu Musik reicht. Verschiedenste Genres, häufig bunt und poetisch durcheinandergewirbelt. „Ich habe nicht diese Eindimensionalität, sehe es auch nicht als meine Aufgabe, nur eine Ästhetik zu vermitteln. Das Interessante ist der Spannungsbogen! Dafür bin ich bekannt, das ist meine Handschrift.“
Eine Handschrift, die auch die internationale Jury auf ihrer Suche nach einem Nachfolger für den im Juni 2013 scheidenden Joachim Schloemer überzeugte. Fürle wurde aus einem Pool von 39 Kandidaten ausgewählt. Die Heimkehr
Dabei, so verrät sie, „war ich eigentlich schon knapp am Sprung anderswohin.“ Als sie jedoch von der vakanten Stelle in St. Pölten hört, zögert sie nicht lange und bewirbt sich. „Das Festspielhaus ist ein ganz besonderes Haus mit großartigen Möglichkeiten“, schwärmt sie.
Zudem kommt St. Pölten ihrer Sehnsucht nach einer Rückkehr in die alte Heimat entgegen. 13 Jahre ist es her, dass sie diese – nachdem sie sich bei den Wiener Festwochen ihre ersten aufsehenerregenden Sporen erworben hatte – Richtung Deutschland verließ, um im Ausland für Furore zu sorgen. Das Heimweh, so vermeint man herauszuhören, hat sie aber nie gänzlich abgelegt. „Meine familiäre Situation war ja immer hier. Jedes mal, wenn ich aus Österreich abgereist bin, wurden die Koffer weniger“, gesteht sie, als hätte sie unbewusst auf eine bleibende Heimkehr, irgendwann, hingearbeitet. Tja, und Irgendwann ist eben jetzt geworden, wobei die Theatermacherin auch der Ehrgeiz gepackt hat. „Wenn du im Ausland erfolgreich warst, dann möchtest du dich auch dort erproben, wo alles beonnen hat“, führt sie aus und fügt mehr nüchtern denn ängstlich hinzu: „Auch wenn du scheitern kannst. Warum sollte ich also anderswo hingehen?“ Vom Urbanen in der Provinz
Gute Frage: Weil der Sprung von der Millionenmetropole Berlin in die kleine niederösterreichische Provinzhauptstadt vielleicht doch zu extrem sein könnte? Fürle winkt entschieden ab und relativiert die Begrifflichkeiten. „Die großen Metropolen schauen nach außen hin natürlich immer großartig und glamourös aus. Aber in Frankfurt etwa, mit seiner imposanten Skyline, wurden ab Donnerstag die Gehsteige hochgeklappt!“
Kurzum – so wie Provinzialität im Großen gedeihen kann, kann dies umgekehrt auch Urbanität im Kleinen. Zwar räumt Fürle im Hinblick auf Berlin ein, dass „diese Stadt natürlich ein extrem spannendes Pflaster ist“, zugleich sei es aber auch ein extrem hartes mit einem gnadenlosen Wettstreit, „und einem Angebot von 100.000 Veranstaltungen, wo du dich erst positionieren und behaupten musst. Insgesamt betrachtet würde ich sogar behaupten, dass ein Ort wie das Festspielhaus St. Pölten für die Kunst ein besserer Raum, auch Zeitraum ist, als eine Metropole mit ihren 1000 Reizüberflutungen.“ Mit der idealen Nähe und zugleich Distanz zur Hauptstadt Wien. „So betrachtet sind die Bedingungen hier geradezu ideal!“
Fürle, zuletzt Kuratorin eines Festivals mit vier Monaten Laufzeit, spielt damit wohl auch auf die lange Spielzeit im Festspielhaus an, „den Zeitluxus, der einem hier gewährt wird!“ Dies ermögliche allen voran qualitätsvolles Arbeiten. „Wir sind in der glücklichen Lage, nicht 40 Eigenproduktionen im Jahr machen zu müssen. Jedes einzelne Projekt bekommt hier die volle Zeit, die es braucht, die volle Konzentration. So sollte ein Betrieb ablaufen“, streicht sie die besonderen Arbeitsbedingungen hervor. Auch den Umstand, dass quasi linear und nicht parallel gearbeitet werden kann. „Ich halte nichts davon in fünf Booten gleichzeitig zu sitzen, aber in keinem wirklich richtig zu rudern.“
Was Fürle am Festspielhaus zudem schätzt, sind die Hard Skills des Hauses an sich – die große Bühne, die Probemöglichkeiten, das Fassungsvermögen. „Ich glaube, das weiß das Festspielhaus selbst gar nicht, welche Alleinstellungsmerkmale es gegenüber anderen Einrichtungen und Festivals besitzt“, schwärmt die Theatermacherin. Diese gilt es sozusagen auszunutzen, mit Leben zu erfüllen – wie dies auch bereits Joachim Schloemer begonnen hat. „Ein solches Haus muss eine Seele haben“, stellt Fürle unmissverständlich klar. „Wir werden daher nicht nur Gastspiele bringen, sondern auch Eigenproduktionen machen! Ich möchte Künstlern das Festspielhaus als Arbeitsort zur Verfügung stellen, sie bei ihrer Arbeit 100%ig betreuen, mit allem, was uns an Ressourcen zur Verfügung steht!“ Theater – ein Sehnsuchtsort
Seele, Herz, Emotion, das sind genau jene Schlüsselbegriffe, die oft in der Beschreibung von Fürles Arbeit fallen, zu denen sie sich auch selbst uneingeschränkt bekennt. „Ich halte nichts von diesem ausschließlichen Realismus. Mein Gestus ist zärtlich, nicht zynisch“, distanziert sie sich von jeglicher Art überspannten, überintellektualisierten Selbstbefriedigungstheaters. „Ich halte hier sicher keine persönlichen Diskursseminare ab oder schwinge den Konzepthammer, sondern ich arbeite für die Leute! Ich gehe von einem sehr emotionalen Theaterbegriff aus!“
Theater, also nicht als Ort, wo nüchtern Dinge abgehandelt werden „die wir ohnedies kennen“, sondern als magischer Zauberort, wenn man so möchte auch als eine der letzten Bastionen des Gefühls in einer zunehmend erkaltenden Welt. „Theater soll ein Ort der Erfahrung, der Begegnung, der Emotion, der Utopie, der Träume sein. Ein Sehnsuchtsort, wo man Gefühle zulassen kann“, umreißt Fürle ihre Vorstellungen, um zugleich festzuhalten: „Das hat aber nichts mit Verklärung oder Banalität zu tun!“ Auch nicht mit Eskapismus. Ganz im Gegenteil möchte sie die Besucher bewegen, ja anstiften. „Aufgabe des Theaters ist es, Fragen zu stellen. Die Leute sollen Erfahrungen mitnehmen, die ihr Denken, ihren Blickwinkel, sie selbst verändern.“
Um dies zu erreichen, scheut sie auch vor vermeintlich „populären“ Formaten, wie sie es selbst nennt, nicht zurück. „Ich arbeite gerne mit unterschiedlichen Ansätzen. Der Altenchor z. B. war in diesem Sinne „populär“ – zugleich aber auch hochpolitisch, weil er die Besucher mit ihrer Endlichkeit konfrontierte. Das geht einem nahe. Diese Emotionen interessieren mich. Diese essenziellen Fragen.“
Fragen, mit denen sie bald auch St. Pölten konfrontieren wird. Zum Thema:
Am Theatergleis
Die Badener Bahn hat wohl eine besondere Bedeutung für Brigitte Fürle. Immerhin stellte sie quasi die erste unmittelbare Verbindung zur großen Wiener Theaterwelt dar. „So ab 14 Jahren bin ich regelmäßig mit der Badener Bahn nach Wien auf Stehplatz gefahren, ins Ballett, ins Burgtheater“, erinnert sich die gebürtige Maria Enzersdorferin. Dass sie sich damit auf ein Gleis begeben sollte, das sie nie wieder verlassen wird, war Fürle wohl kaum bewusst. Andererseits war ihre Leidenschaft fürs Theater schon damals von einer gewissen Kompromisslosigkeit geprägt. „Am nächsten Tag bin ich meistens zu spät in die Schule gekommen, was die Lehrer bei Sprechtagen meinen Eltern gegenüber zur spitzen Bemerkung veranlasste ‚Ich kenne Ihre Tochter gar nicht‘“, schmunzelt Fürle. „Ich hatte furchtbar viele Fehlstunden! Aber das Theater war mir einfach wichtiger!“ Und große Probleme bereitete es auch nicht weiter, „weil ich eine gute Schülerin war.“
Nach der Matura geht Fürle für ein Jahr nach Italien, eine in jeder Beziehung prägende Zeit. So saugt sie zum einen das italienische, sämtliche Sinne umfassende Lebensgefühl für immer in sich auf, zum anderen begeistert sie die spannende römische Theaterszene. „Avantgarde, Festivals, Bildertheater – dort lernte ich die neuesten Strömungen kennen, die es bei uns noch gar nicht gab“, erinnert sie sich und fügt sinnierend hinzu „So hat die Entwicklung ihren Lauf genommen.“
Eine Entwicklung, die sich u. a. auch im Studium der Theaterwissenschaften niederschlägt, damals ebenfalls ein spannendes Terrain. „Alles war sehr offen. Man konnte irrsinnig viel experimentieren, sich ausprobieren, diverse Workshops besuchen.“ Und so Erkenntnis gewinnen, was einem liegt und was nicht. „Ich kann mich noch gut an meine ersten Schauspielerfahrungen erinnern. Wir spielten im ‚Dramatischen Zentrum‘ ein Stück eines argentinischen Theatermachers, im Publikum saß Stadträtin Pasterk – ich bin damals fast gestorben vor Angst“, lacht Fürle. „Danach wusste ich recht schnell, dass ich nie mehr auf der Bühne stehen mag!“
Stattdessen entwickelt sie ein Faible fürs Programmmachen, das Inszenieren, die Dramaturgie, und so rutscht die junge Frau alsbald in diese Richtung. Auch journalistisch betätigt sich Fürle, wenngleich sie auch diesbezüglich weiß „dass ich keine Kritikerin werden wollte.“
Ihre ersten Aufmerksamkeit erregenden Sporen verdient sie sich als Programmdirektorin der Wiener Festwochen unter der Intendanz von Klaus Bachler, vor allem die Halle G macht sie zu einem neuen Wiener Hotspot zeitgenössischen Tanzes. 1998 folgt sie Elisabeth Schweeger, unter der sie schon in Wien arbeitet, ans Bayrische Staatsschauspiel in München, „wo ich den Schwenk zur Dramaturgie hin machte.“ Eine Erfahrung, die sie keinesfalls missen möchte und ihr das nötige Rüstzeug für ihre späteren Aufgaben, gerade auch für jene als Theaterleiterin, mitgeben, „weil du als Dramaturg den gesamten Prozess im Theater mitverantwortlich begleitest. Von der Idee und der Stückauswahl über das Engagement der Schauspieler und Regisseure, die Probenarbeiten, das Licht, den Kontakt zu den Technikern, aber auch etwa zur Presse bis hin zur Aufführung selbst. Dadurch entwickelst du einen ganzheitlichen Blick, bist oft der Fels in der Brandung, wo alle Fäden zusammenlaufen.“
Unter Schweeger ist Fürle – mittlerweile ist sie Dramaturgin am schauspielfrankfurt – außerdem als Kuratorin für das Festival der Union des Théâtres de l’Europe sowie für die internationalen Kooperationen zuständig. „Sie hat mich immer ‚meine Außenministerin‘ genannt.“
Parallel dazu sorgt sie als Programmkuratorin des Young Directors Project bei den Salzburger Festspielen sowie als Kuratorin des Theaterprogramms auf der Frankfurter Buchmesse 2003 und 2005 für Furore.
2006 folgt der nächste große Karriereschritt – in der Nachsicht könnte man sagen, nach der Pflicht folgt die Kür: Fürle wird künstlerische Leiterin von „spielzeit’europa“ bei den Berliner Festspielen und zeichnet sich damit für die Theater- und Tanzsaison des Hauses verantwortlich. Mit verschiedensten aufsehenerregenden Projekten und Produktionen trägt sie nachhaltig dazu bei, dass die ehemalige Volksbühne Berlin nach ihrer Wiedereröffnung als Haus der Festspiele Berlin wieder zu alter Größe findet und auch internationale Reputation gewinnt.
Und jetzt also das Festspielhaus. In der bisherigen Karriereklimax der Theatermacherin noch einmal eine Stufe nach oben, weil sie hier erstmals – auch wenn der Begriff im Festspielhaus aufgrund seiner Splittung in künstlerische und geschäftliche Belange verpönt ist – als Intendantin wirkt. An einem fixen Haus mit Ganzjahresbetrieb, für das sie viel vorhat. „Das Festspielhaus wurde vor 15 Jahren gegründet, das ist keine lange Zeit. Der eingeschlagene Weg geht in die richtige Richtung, die Vorgaben sind gelungen. Aber jetzt müssen wir diesen Weg regional, österreichweit und auch international weitergehen. Da ist noch viel Luft nach oben.“ Es verspricht also spannend zu werden!
Knapp sechs Minuten dauert der Film, gibt Einblick über eine künstlerische Bandbreite, die von Tanz über Theater bis hin zu Musik reicht. Verschiedenste Genres, häufig bunt und poetisch durcheinandergewirbelt. „Ich habe nicht diese Eindimensionalität, sehe es auch nicht als meine Aufgabe, nur eine Ästhetik zu vermitteln. Das Interessante ist der Spannungsbogen! Dafür bin ich bekannt, das ist meine Handschrift.“
Eine Handschrift, die auch die internationale Jury auf ihrer Suche nach einem Nachfolger für den im Juni 2013 scheidenden Joachim Schloemer überzeugte. Fürle wurde aus einem Pool von 39 Kandidaten ausgewählt. Die Heimkehr
Dabei, so verrät sie, „war ich eigentlich schon knapp am Sprung anderswohin.“ Als sie jedoch von der vakanten Stelle in St. Pölten hört, zögert sie nicht lange und bewirbt sich. „Das Festspielhaus ist ein ganz besonderes Haus mit großartigen Möglichkeiten“, schwärmt sie.
Zudem kommt St. Pölten ihrer Sehnsucht nach einer Rückkehr in die alte Heimat entgegen. 13 Jahre ist es her, dass sie diese – nachdem sie sich bei den Wiener Festwochen ihre ersten aufsehenerregenden Sporen erworben hatte – Richtung Deutschland verließ, um im Ausland für Furore zu sorgen. Das Heimweh, so vermeint man herauszuhören, hat sie aber nie gänzlich abgelegt. „Meine familiäre Situation war ja immer hier. Jedes mal, wenn ich aus Österreich abgereist bin, wurden die Koffer weniger“, gesteht sie, als hätte sie unbewusst auf eine bleibende Heimkehr, irgendwann, hingearbeitet. Tja, und Irgendwann ist eben jetzt geworden, wobei die Theatermacherin auch der Ehrgeiz gepackt hat. „Wenn du im Ausland erfolgreich warst, dann möchtest du dich auch dort erproben, wo alles beonnen hat“, führt sie aus und fügt mehr nüchtern denn ängstlich hinzu: „Auch wenn du scheitern kannst. Warum sollte ich also anderswo hingehen?“ Vom Urbanen in der Provinz
Gute Frage: Weil der Sprung von der Millionenmetropole Berlin in die kleine niederösterreichische Provinzhauptstadt vielleicht doch zu extrem sein könnte? Fürle winkt entschieden ab und relativiert die Begrifflichkeiten. „Die großen Metropolen schauen nach außen hin natürlich immer großartig und glamourös aus. Aber in Frankfurt etwa, mit seiner imposanten Skyline, wurden ab Donnerstag die Gehsteige hochgeklappt!“
Kurzum – so wie Provinzialität im Großen gedeihen kann, kann dies umgekehrt auch Urbanität im Kleinen. Zwar räumt Fürle im Hinblick auf Berlin ein, dass „diese Stadt natürlich ein extrem spannendes Pflaster ist“, zugleich sei es aber auch ein extrem hartes mit einem gnadenlosen Wettstreit, „und einem Angebot von 100.000 Veranstaltungen, wo du dich erst positionieren und behaupten musst. Insgesamt betrachtet würde ich sogar behaupten, dass ein Ort wie das Festspielhaus St. Pölten für die Kunst ein besserer Raum, auch Zeitraum ist, als eine Metropole mit ihren 1000 Reizüberflutungen.“ Mit der idealen Nähe und zugleich Distanz zur Hauptstadt Wien. „So betrachtet sind die Bedingungen hier geradezu ideal!“
Fürle, zuletzt Kuratorin eines Festivals mit vier Monaten Laufzeit, spielt damit wohl auch auf die lange Spielzeit im Festspielhaus an, „den Zeitluxus, der einem hier gewährt wird!“ Dies ermögliche allen voran qualitätsvolles Arbeiten. „Wir sind in der glücklichen Lage, nicht 40 Eigenproduktionen im Jahr machen zu müssen. Jedes einzelne Projekt bekommt hier die volle Zeit, die es braucht, die volle Konzentration. So sollte ein Betrieb ablaufen“, streicht sie die besonderen Arbeitsbedingungen hervor. Auch den Umstand, dass quasi linear und nicht parallel gearbeitet werden kann. „Ich halte nichts davon in fünf Booten gleichzeitig zu sitzen, aber in keinem wirklich richtig zu rudern.“
Was Fürle am Festspielhaus zudem schätzt, sind die Hard Skills des Hauses an sich – die große Bühne, die Probemöglichkeiten, das Fassungsvermögen. „Ich glaube, das weiß das Festspielhaus selbst gar nicht, welche Alleinstellungsmerkmale es gegenüber anderen Einrichtungen und Festivals besitzt“, schwärmt die Theatermacherin. Diese gilt es sozusagen auszunutzen, mit Leben zu erfüllen – wie dies auch bereits Joachim Schloemer begonnen hat. „Ein solches Haus muss eine Seele haben“, stellt Fürle unmissverständlich klar. „Wir werden daher nicht nur Gastspiele bringen, sondern auch Eigenproduktionen machen! Ich möchte Künstlern das Festspielhaus als Arbeitsort zur Verfügung stellen, sie bei ihrer Arbeit 100%ig betreuen, mit allem, was uns an Ressourcen zur Verfügung steht!“ Theater – ein Sehnsuchtsort
Seele, Herz, Emotion, das sind genau jene Schlüsselbegriffe, die oft in der Beschreibung von Fürles Arbeit fallen, zu denen sie sich auch selbst uneingeschränkt bekennt. „Ich halte nichts von diesem ausschließlichen Realismus. Mein Gestus ist zärtlich, nicht zynisch“, distanziert sie sich von jeglicher Art überspannten, überintellektualisierten Selbstbefriedigungstheaters. „Ich halte hier sicher keine persönlichen Diskursseminare ab oder schwinge den Konzepthammer, sondern ich arbeite für die Leute! Ich gehe von einem sehr emotionalen Theaterbegriff aus!“
Theater, also nicht als Ort, wo nüchtern Dinge abgehandelt werden „die wir ohnedies kennen“, sondern als magischer Zauberort, wenn man so möchte auch als eine der letzten Bastionen des Gefühls in einer zunehmend erkaltenden Welt. „Theater soll ein Ort der Erfahrung, der Begegnung, der Emotion, der Utopie, der Träume sein. Ein Sehnsuchtsort, wo man Gefühle zulassen kann“, umreißt Fürle ihre Vorstellungen, um zugleich festzuhalten: „Das hat aber nichts mit Verklärung oder Banalität zu tun!“ Auch nicht mit Eskapismus. Ganz im Gegenteil möchte sie die Besucher bewegen, ja anstiften. „Aufgabe des Theaters ist es, Fragen zu stellen. Die Leute sollen Erfahrungen mitnehmen, die ihr Denken, ihren Blickwinkel, sie selbst verändern.“
Um dies zu erreichen, scheut sie auch vor vermeintlich „populären“ Formaten, wie sie es selbst nennt, nicht zurück. „Ich arbeite gerne mit unterschiedlichen Ansätzen. Der Altenchor z. B. war in diesem Sinne „populär“ – zugleich aber auch hochpolitisch, weil er die Besucher mit ihrer Endlichkeit konfrontierte. Das geht einem nahe. Diese Emotionen interessieren mich. Diese essenziellen Fragen.“
Fragen, mit denen sie bald auch St. Pölten konfrontieren wird. Zum Thema:
Am Theatergleis
Die Badener Bahn hat wohl eine besondere Bedeutung für Brigitte Fürle. Immerhin stellte sie quasi die erste unmittelbare Verbindung zur großen Wiener Theaterwelt dar. „So ab 14 Jahren bin ich regelmäßig mit der Badener Bahn nach Wien auf Stehplatz gefahren, ins Ballett, ins Burgtheater“, erinnert sich die gebürtige Maria Enzersdorferin. Dass sie sich damit auf ein Gleis begeben sollte, das sie nie wieder verlassen wird, war Fürle wohl kaum bewusst. Andererseits war ihre Leidenschaft fürs Theater schon damals von einer gewissen Kompromisslosigkeit geprägt. „Am nächsten Tag bin ich meistens zu spät in die Schule gekommen, was die Lehrer bei Sprechtagen meinen Eltern gegenüber zur spitzen Bemerkung veranlasste ‚Ich kenne Ihre Tochter gar nicht‘“, schmunzelt Fürle. „Ich hatte furchtbar viele Fehlstunden! Aber das Theater war mir einfach wichtiger!“ Und große Probleme bereitete es auch nicht weiter, „weil ich eine gute Schülerin war.“
Nach der Matura geht Fürle für ein Jahr nach Italien, eine in jeder Beziehung prägende Zeit. So saugt sie zum einen das italienische, sämtliche Sinne umfassende Lebensgefühl für immer in sich auf, zum anderen begeistert sie die spannende römische Theaterszene. „Avantgarde, Festivals, Bildertheater – dort lernte ich die neuesten Strömungen kennen, die es bei uns noch gar nicht gab“, erinnert sie sich und fügt sinnierend hinzu „So hat die Entwicklung ihren Lauf genommen.“
Eine Entwicklung, die sich u. a. auch im Studium der Theaterwissenschaften niederschlägt, damals ebenfalls ein spannendes Terrain. „Alles war sehr offen. Man konnte irrsinnig viel experimentieren, sich ausprobieren, diverse Workshops besuchen.“ Und so Erkenntnis gewinnen, was einem liegt und was nicht. „Ich kann mich noch gut an meine ersten Schauspielerfahrungen erinnern. Wir spielten im ‚Dramatischen Zentrum‘ ein Stück eines argentinischen Theatermachers, im Publikum saß Stadträtin Pasterk – ich bin damals fast gestorben vor Angst“, lacht Fürle. „Danach wusste ich recht schnell, dass ich nie mehr auf der Bühne stehen mag!“
Stattdessen entwickelt sie ein Faible fürs Programmmachen, das Inszenieren, die Dramaturgie, und so rutscht die junge Frau alsbald in diese Richtung. Auch journalistisch betätigt sich Fürle, wenngleich sie auch diesbezüglich weiß „dass ich keine Kritikerin werden wollte.“
Ihre ersten Aufmerksamkeit erregenden Sporen verdient sie sich als Programmdirektorin der Wiener Festwochen unter der Intendanz von Klaus Bachler, vor allem die Halle G macht sie zu einem neuen Wiener Hotspot zeitgenössischen Tanzes. 1998 folgt sie Elisabeth Schweeger, unter der sie schon in Wien arbeitet, ans Bayrische Staatsschauspiel in München, „wo ich den Schwenk zur Dramaturgie hin machte.“ Eine Erfahrung, die sie keinesfalls missen möchte und ihr das nötige Rüstzeug für ihre späteren Aufgaben, gerade auch für jene als Theaterleiterin, mitgeben, „weil du als Dramaturg den gesamten Prozess im Theater mitverantwortlich begleitest. Von der Idee und der Stückauswahl über das Engagement der Schauspieler und Regisseure, die Probenarbeiten, das Licht, den Kontakt zu den Technikern, aber auch etwa zur Presse bis hin zur Aufführung selbst. Dadurch entwickelst du einen ganzheitlichen Blick, bist oft der Fels in der Brandung, wo alle Fäden zusammenlaufen.“
Unter Schweeger ist Fürle – mittlerweile ist sie Dramaturgin am schauspielfrankfurt – außerdem als Kuratorin für das Festival der Union des Théâtres de l’Europe sowie für die internationalen Kooperationen zuständig. „Sie hat mich immer ‚meine Außenministerin‘ genannt.“
Parallel dazu sorgt sie als Programmkuratorin des Young Directors Project bei den Salzburger Festspielen sowie als Kuratorin des Theaterprogramms auf der Frankfurter Buchmesse 2003 und 2005 für Furore.
2006 folgt der nächste große Karriereschritt – in der Nachsicht könnte man sagen, nach der Pflicht folgt die Kür: Fürle wird künstlerische Leiterin von „spielzeit’europa“ bei den Berliner Festspielen und zeichnet sich damit für die Theater- und Tanzsaison des Hauses verantwortlich. Mit verschiedensten aufsehenerregenden Projekten und Produktionen trägt sie nachhaltig dazu bei, dass die ehemalige Volksbühne Berlin nach ihrer Wiedereröffnung als Haus der Festspiele Berlin wieder zu alter Größe findet und auch internationale Reputation gewinnt.
Und jetzt also das Festspielhaus. In der bisherigen Karriereklimax der Theatermacherin noch einmal eine Stufe nach oben, weil sie hier erstmals – auch wenn der Begriff im Festspielhaus aufgrund seiner Splittung in künstlerische und geschäftliche Belange verpönt ist – als Intendantin wirkt. An einem fixen Haus mit Ganzjahresbetrieb, für das sie viel vorhat. „Das Festspielhaus wurde vor 15 Jahren gegründet, das ist keine lange Zeit. Der eingeschlagene Weg geht in die richtige Richtung, die Vorgaben sind gelungen. Aber jetzt müssen wir diesen Weg regional, österreichweit und auch international weitergehen. Da ist noch viel Luft nach oben.“ Es verspricht also spannend zu werden!