Mehr auf die Basis hören
Ausgabe
August Blazic, der Pfarrer von Kirchberg an der Pielach, über die Forderungen der Pfarrer-Initiative, die Zukunftsfragen der katholischen Kirche, die Angst vor Sanktionen und das erhoffte Wirken des Heiligen Geistes.
Jeder spricht über den „Aufruf zum Ungehorsam“ der Pfarrer-Initiative. Warum sind Sie dabei?
Weil ich seit bald 40 Jahren Priester bin und mir viele Gedanken über die Zukunft unserer Kirche mache. Zwar werde ich in einigen Jahren in Pension gehen, aber es ist mir keinesfalls egal, was aus unserer Kirche wird. Am Ende des Tages will ich mir nicht vorhalten müssen, ich hätte zugeschaut. Lassen Sie mich aber auch ganz klar sagen, dass Sie zu mir gekommen sind. Ich dränge mich sicher nicht in die Medien, wie uns das von Kritikern mitunter vorgeworfen wird. Wir wollen auch keinesfalls Rebellen sein. Wir denken nicht an Spaltung, wir gefährden nicht die Einheit. Wir stellen die Grundfrage, wie es in den Pfarrgemeinden in einer priesterlosen Zeit weitergeht. Ihre Forderungen sind nicht neu?
Nein, wir bemühen uns seit 2006 immer wieder um einen echten Dialog mit der Kirchenführung und dem Kirchenvolk. Ich will mit meinem Bischof ernsthaft reden können ohne den Eindruck zu haben, dass ich gegen die Wand rede. Gerade wenn wir den Begriff "Gehorsam" anschauen, dann geht’s um Hinhören – in beide Richtungen, dann kommt auch was dabei raus. Mit blindem Kadavergehorsam fange ich aber nichts an, da haben mich 40 Jahre als Priester mitten im Kirchenvolk zu sehr geprägt. Wie geschlossen stehen die Priester hinter diesen Forderungen?
Es ist mir ein Anliegen, dass wir gerade auch innerhalb der Priesterschaft endlich verstanden werden. Es geht nicht um Provokation, sondern um die entscheidende Zukunftsfrage. Ich sage auch ehrlich, dass wir auch auf offene Ablehnung von Kollegen treffen – das macht mich wirklich sehr betroffen. Insgesamt deklarieren sich über 300 Priester öffentlich zu unseren Forderungen, die übrigen sympathisieren anonym oder sind neutral bis kritisch eingestellt. Was ist denn die Zukunftsfrage?
Einerseits geht es um das Priesterbild – muss ein Priester wirklich unbedingt männlich sein und ehelos leben. Andererseits geht es um das Bild der Gemeinschaft aller Getauften, die in einer Zeit des Priestermangels eine bedeutendere Rolle spielen und deren Wert man somit auch innerhalb der Kirchenführung anerkennen muss. Wir haben dazu den Versuch einer Lösung. Übrigens Dinge, die in der Urkirche praktikabel waren. War die Konfrontation mit dem Begriff „Ungehorsam“ klug?
Es ging uns ja nicht per se um Konfrontation, aber wir mussten einen Schritt setzen. Die Alternativen wären gewesen wir schauen weiter zu oder lösen uns auf. Dass Kardinal Schönborn und andere Bischöfe so emotional reagiert haben, zeigt umso mehr, dass wir reden müssen. Wobei ich das schon interessant finde: Einerseits stellt man uns als rebellische Minderheit dar. Andererseits unterstellt man uns, wir würden die Einheit gefährden. Also was jetzt? Der Punkt ist, dass wir mit diesem Aufruf ganz offen Vorgänge ansgesprochen haben, von denen hinter vorgehaltener Hand jeder wusste. Die emotionale Reaktion der Bischöfe zeigt, dass es ihnen nicht egal ist. Sie können es nicht ignorieren, es muss jetzt Sanktionen geben oder Bewegung im Sinn ernster Gespräche. Die Zukunft der Menschen in der Gemeinde muss uns das Wichtigste sein. Fürchten Sie Sanktionen?
Wenn man mir sagt, ich soll mehr Gehorsam haben, dann denke ich: Ja, aber für mich ist der Oberste noch immer der Herr Jesus. Ich denke jedenfalls nicht daran auszutreten. Mit der Kirche habe ich ja kein Problem, schon gar nicht mit der Botschaft Christi. Außerdem geben mir die Menschen in meiner Pfarre sehr viel Kraft. Aber wenn wir erleben, dass im Jahr 2010 rund 83.000 Menschen aus der Kirche austreten, dann kann ich nicht zuschauen. In der Bibel gibt es das Bild des Schafhirten. Wenn von 100 Schafen eines verloren geht, dann lässt er die 99 stehen und sucht das eine Schaf, weil es ihm nicht wurscht ist. Bei uns ist es jetzt fast schon so, dass wir uns um die 99 verirrten Schafe kümmern müssen, es kann uns nicht einfach egal sein. Würden die Punkte in Ihrer Pfarre zu weniger Austritten führen?
Ich vergleiche die Situation mit einer Torte. Den äußeren Rand haben wir schon lange verloren, denen sind wir mittlerweile völlig egal. Der mittlere Rand ist schon mehr weg als da. Wir müssen aber zumindest den inneren Kern der Kirche ernst nehmen, das engagierte Kirchenvolk, nur an dem kann eine Gemeinde wachsen. Wenn ich die Möglichkeit habe, suche ich mit den Austretenden ein Gespräch, weil mich ehrlich interessiert, warum die Leute gehen. Mich erschreckt dabei, dass die meisten nicht wegen Geld oder Skandalen austreten, sondern weil sie sagen, dass sie die Kirche in ihrem Leben nicht mehr berührt. Das zeigt uns, dass wir handeln müssen. Denn während die institutionalisierte Kirche die Leute verliert, wächst in der Gesellschaft eine unglaubliche Sehnsucht nach Spiritualität, Geborgenheit und nach Riten. Die Menschen suchen sehr wohl nach Antworten zum Leben. Welche Antworten zum Leben geben Sie als Kirche, die in außerehelichem Geschlechtsverkehr eine Sünde sieht und mit dem Kondomverbot zur HIV-Epidemie in Afrika beiträgt?
Machen wir uns nichts vor, wir brauchen den Leuten nicht mehr belehrend kommen. Wir haben als Kirche so viel Butter am Kopf, wir brauchen uns nicht als Moralinstitution aufspielen. Meine Antwort auf Ihre Frage ist: Durch gemeinsames Zuhören und das Suchen nach Lösungen findet man Zugang zu den Menschen. Glauben Sie mir, ich leide unter gewissen Themen genauso und ersehne mir andere Einstellungen der Kirchenführung. Woher kommt dafür die Kraft?
Ich gehe sehr viel zu den Menschen, versuche jede Einladung wahrzunehmen und viel zuzuhören. Rund 150 Leute sind der sehr aktive „innere Kern“ unserer Pfarre. Eine zweite Quelle ist meine Studienzeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, einer Zeit des Aufbruchs. Ich verstehe mich als Priester dieser Konzilsgeneration. Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, wie visionär dieses Konzil gearbeitet hat. Nehmen Sie nur den Begriff des „allgemeinen Priestertums der Getauften“. Darüber diskutieren wir ja auch heute! Ich sage, wenn wie derzeit die Kleruskirche schrumpft, muss die Volkskirche umso mehr gefördert werden.
Vor dem letzten Konzil hätte niemand auf so einen epochalen Schritt gehofft, auch heute können die Bischöfe in Gesprächen erkennen, was Not tut. Ich hoffe auf das Wirken des Heiligen Geists. Sicher, das Frauenpriestertum wird nicht von heute auf morgen kommen, aber die Kirchenleitung möge weniger nach Rom schielen und dafür mehr auf die Basis hören. Der Weg ist bekannt, er muss nur begangen werden. Zur Person:
Pfarrer August Blazic, 65
Ist seit 40 Jahren römisch-katholischer Priester und leitet seit 30 Jahren die Pfarre in Kirchberg an der Pielach, früher war er unter anderem in St. Pölten tätig. Seit der Gründung 2006 ist er Mitglied der Pfarrer-Initiative.
Weil ich seit bald 40 Jahren Priester bin und mir viele Gedanken über die Zukunft unserer Kirche mache. Zwar werde ich in einigen Jahren in Pension gehen, aber es ist mir keinesfalls egal, was aus unserer Kirche wird. Am Ende des Tages will ich mir nicht vorhalten müssen, ich hätte zugeschaut. Lassen Sie mich aber auch ganz klar sagen, dass Sie zu mir gekommen sind. Ich dränge mich sicher nicht in die Medien, wie uns das von Kritikern mitunter vorgeworfen wird. Wir wollen auch keinesfalls Rebellen sein. Wir denken nicht an Spaltung, wir gefährden nicht die Einheit. Wir stellen die Grundfrage, wie es in den Pfarrgemeinden in einer priesterlosen Zeit weitergeht. Ihre Forderungen sind nicht neu?
Nein, wir bemühen uns seit 2006 immer wieder um einen echten Dialog mit der Kirchenführung und dem Kirchenvolk. Ich will mit meinem Bischof ernsthaft reden können ohne den Eindruck zu haben, dass ich gegen die Wand rede. Gerade wenn wir den Begriff "Gehorsam" anschauen, dann geht’s um Hinhören – in beide Richtungen, dann kommt auch was dabei raus. Mit blindem Kadavergehorsam fange ich aber nichts an, da haben mich 40 Jahre als Priester mitten im Kirchenvolk zu sehr geprägt. Wie geschlossen stehen die Priester hinter diesen Forderungen?
Es ist mir ein Anliegen, dass wir gerade auch innerhalb der Priesterschaft endlich verstanden werden. Es geht nicht um Provokation, sondern um die entscheidende Zukunftsfrage. Ich sage auch ehrlich, dass wir auch auf offene Ablehnung von Kollegen treffen – das macht mich wirklich sehr betroffen. Insgesamt deklarieren sich über 300 Priester öffentlich zu unseren Forderungen, die übrigen sympathisieren anonym oder sind neutral bis kritisch eingestellt. Was ist denn die Zukunftsfrage?
Einerseits geht es um das Priesterbild – muss ein Priester wirklich unbedingt männlich sein und ehelos leben. Andererseits geht es um das Bild der Gemeinschaft aller Getauften, die in einer Zeit des Priestermangels eine bedeutendere Rolle spielen und deren Wert man somit auch innerhalb der Kirchenführung anerkennen muss. Wir haben dazu den Versuch einer Lösung. Übrigens Dinge, die in der Urkirche praktikabel waren. War die Konfrontation mit dem Begriff „Ungehorsam“ klug?
Es ging uns ja nicht per se um Konfrontation, aber wir mussten einen Schritt setzen. Die Alternativen wären gewesen wir schauen weiter zu oder lösen uns auf. Dass Kardinal Schönborn und andere Bischöfe so emotional reagiert haben, zeigt umso mehr, dass wir reden müssen. Wobei ich das schon interessant finde: Einerseits stellt man uns als rebellische Minderheit dar. Andererseits unterstellt man uns, wir würden die Einheit gefährden. Also was jetzt? Der Punkt ist, dass wir mit diesem Aufruf ganz offen Vorgänge ansgesprochen haben, von denen hinter vorgehaltener Hand jeder wusste. Die emotionale Reaktion der Bischöfe zeigt, dass es ihnen nicht egal ist. Sie können es nicht ignorieren, es muss jetzt Sanktionen geben oder Bewegung im Sinn ernster Gespräche. Die Zukunft der Menschen in der Gemeinde muss uns das Wichtigste sein. Fürchten Sie Sanktionen?
Wenn man mir sagt, ich soll mehr Gehorsam haben, dann denke ich: Ja, aber für mich ist der Oberste noch immer der Herr Jesus. Ich denke jedenfalls nicht daran auszutreten. Mit der Kirche habe ich ja kein Problem, schon gar nicht mit der Botschaft Christi. Außerdem geben mir die Menschen in meiner Pfarre sehr viel Kraft. Aber wenn wir erleben, dass im Jahr 2010 rund 83.000 Menschen aus der Kirche austreten, dann kann ich nicht zuschauen. In der Bibel gibt es das Bild des Schafhirten. Wenn von 100 Schafen eines verloren geht, dann lässt er die 99 stehen und sucht das eine Schaf, weil es ihm nicht wurscht ist. Bei uns ist es jetzt fast schon so, dass wir uns um die 99 verirrten Schafe kümmern müssen, es kann uns nicht einfach egal sein. Würden die Punkte in Ihrer Pfarre zu weniger Austritten führen?
Ich vergleiche die Situation mit einer Torte. Den äußeren Rand haben wir schon lange verloren, denen sind wir mittlerweile völlig egal. Der mittlere Rand ist schon mehr weg als da. Wir müssen aber zumindest den inneren Kern der Kirche ernst nehmen, das engagierte Kirchenvolk, nur an dem kann eine Gemeinde wachsen. Wenn ich die Möglichkeit habe, suche ich mit den Austretenden ein Gespräch, weil mich ehrlich interessiert, warum die Leute gehen. Mich erschreckt dabei, dass die meisten nicht wegen Geld oder Skandalen austreten, sondern weil sie sagen, dass sie die Kirche in ihrem Leben nicht mehr berührt. Das zeigt uns, dass wir handeln müssen. Denn während die institutionalisierte Kirche die Leute verliert, wächst in der Gesellschaft eine unglaubliche Sehnsucht nach Spiritualität, Geborgenheit und nach Riten. Die Menschen suchen sehr wohl nach Antworten zum Leben. Welche Antworten zum Leben geben Sie als Kirche, die in außerehelichem Geschlechtsverkehr eine Sünde sieht und mit dem Kondomverbot zur HIV-Epidemie in Afrika beiträgt?
Machen wir uns nichts vor, wir brauchen den Leuten nicht mehr belehrend kommen. Wir haben als Kirche so viel Butter am Kopf, wir brauchen uns nicht als Moralinstitution aufspielen. Meine Antwort auf Ihre Frage ist: Durch gemeinsames Zuhören und das Suchen nach Lösungen findet man Zugang zu den Menschen. Glauben Sie mir, ich leide unter gewissen Themen genauso und ersehne mir andere Einstellungen der Kirchenführung. Woher kommt dafür die Kraft?
Ich gehe sehr viel zu den Menschen, versuche jede Einladung wahrzunehmen und viel zuzuhören. Rund 150 Leute sind der sehr aktive „innere Kern“ unserer Pfarre. Eine zweite Quelle ist meine Studienzeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, einer Zeit des Aufbruchs. Ich verstehe mich als Priester dieser Konzilsgeneration. Je älter ich werde, desto mehr wird mir bewusst, wie visionär dieses Konzil gearbeitet hat. Nehmen Sie nur den Begriff des „allgemeinen Priestertums der Getauften“. Darüber diskutieren wir ja auch heute! Ich sage, wenn wie derzeit die Kleruskirche schrumpft, muss die Volkskirche umso mehr gefördert werden.
Vor dem letzten Konzil hätte niemand auf so einen epochalen Schritt gehofft, auch heute können die Bischöfe in Gesprächen erkennen, was Not tut. Ich hoffe auf das Wirken des Heiligen Geists. Sicher, das Frauenpriestertum wird nicht von heute auf morgen kommen, aber die Kirchenleitung möge weniger nach Rom schielen und dafür mehr auf die Basis hören. Der Weg ist bekannt, er muss nur begangen werden. Zur Person:
Pfarrer August Blazic, 65
Ist seit 40 Jahren römisch-katholischer Priester und leitet seit 30 Jahren die Pfarre in Kirchberg an der Pielach, früher war er unter anderem in St. Pölten tätig. Seit der Gründung 2006 ist er Mitglied der Pfarrer-Initiative.