MFG - Ein halber Vatikan für REWE?
Ein halber Vatikan für REWE?


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St. Pöltens gute Seite

Ein halber Vatikan für REWE?

Text Johannes Mayerhofer
Ausgabe 05/2023

Das geplante REWE-Zentrallager in St. Georgen/Hart wird zum nächsten großen Thema der St. Pöltner Stadtpolitik. Zwar steht das Projekt noch ganz am Anfang, Gegner haben aber bereits eine Kampagne gestartet und tausende Unterschriften gesammelt.


Romana Drexler hat bereits Erfahrung als Aktivistin. Die 39-Jährige aus St. Georgen war in der Kampagne gegen den geplanten Bau der S34 führend dabei. Nun macht sie als Sprecherin der etwa 100 Mitglieder zählenden „Bürgerinitiative Bodenschutz“ gegen den geplanten Bau eines REWE-Zentrallagers in St. Georgen/Hart südlich von St. Pölten mobil. Das MFG-Magazin berichtete zwar, aber nur zur Erinnerung: Der REWE-Konzern lagert seine Waren derzeit in der Nähe des Areals der Kopal-Kaserne und anderen Standorten. Diese sollen nun in einem Zentrallager zusammengelegt werden. REWE spricht von einem „Frischelager“, betont, dass dieses wichtig für die regionalen Landwirte und die Lieferung ihrer Produkte sei. Weshalb dieses Projekt überhaupt notwendig sei, was die Stadt St. Pölten wirtschaftlich habe und ob das Projekt ökologisch verträglich sei, dazu gibt der Konzern gegenüber MFG keine Auskunft. Drexler und ihre Mitstreiter sehen hier ähnliche Probleme, wie im Falle der S34: Vernichtung von Grünflächen und steigende Verkehrsbelastung. „Ursprünglich war geplant, 20 Hektar an Grünfläche nieder zu betonieren“, erklärt sie. „Da einige Landwirte ihre Flächen nicht verkaufen wollten, sollen es nun 17 Hektar werden.“ Nur zum Vergleich: Die anfänglich vorgesehene Fläche entspräche knapp der Hälfte des Vatikans – dieser ist etwa 44 Hektar groß. Eine Verkehrseinschätzung, die REWE selbst in Auftrag gegeben hat, geht außerdem davon aus, dass es zu täglich 1.000 Lkw- und 600 Pkw-Fahrten kommen wird. Um das Thema auf die politische Tagesordnung zu bringen, startete die Bürgerinitiative eine Unterschriftenaktion gegen das geplante REWE-Zentrallager. Mindestens 600 Unterschriften wären mindestens nötig, um einen Initiativantrag gegen das Projekt im St. Pöltner Gemeinderat einbringen zu können. „Unsere Initiative kann stolz sein, denn wir haben es innerhalb weniger Wochen geschafft, dass uns etwa 3.200 St. Pöltner Bürger mit ihrer Unterschrift unterstützen“, so Drexler erfreut.

Zentrallager-Projekt hat sich noch nicht herumgesprochen
Für die „Bodenschutz“-Aktivisten hatte die Unterschriftensammelaktion zeitweise den Charakter einer Aufklärungskampagne. „Wir haben schnell gemerkt, dass viele Leute kaum oder noch gar nicht informiert waren, was die Stadt und der REWE-Konzern dort überhaupt planen. Das ist wenig verwunderlich, denn die verantwortlichen Behörden und Politiker haben auch nicht wirklich versucht, die Sache groß zu bewerben, sondern den öffentlichen Rummel darum eher klein zu halten“, erklärt sich Drexler die Situation. Dennoch sei die intuitive Entscheidung vieler Passanten gewesen, die „Bodenschutz“-Initiative zu unterstützen. „In der St. Pöltner Bevölkerung gibt es, denke ich, eine besondere Sensibilität gegen Bodenvernichtung und dem Zubetonieren.“
Mit den Stimmen von rund 3.200 Bürgern brachte die Bürgerinitiative am 16. Mai einen Initiativantrag beim Magistrat St. Pölten ein. Kernargument dieses Antrages wird sein, dass St. Pölten sich nicht an das NÖ-Raumordnungsgesetz halte. „Aufgrund des fehlenden Hochwasserschutzes hätte das betroffene Gebiet nämlich schon längst in Grünland umgewidmet werden müssen.“

Ecopoint und Bürgermeister: „Prüfungen sind abzuwarten“
Eher zugeknöpft äußern sich die zuständigen Behörden und Teile der St. Pöltner Stadtpolitik. Vor der Umsetzung seien „Verfahren und Prüfungen notwendig“ heißt es vonseiten des städtischen Wirtschaftsservices Ecopoint. Gemeint sind die Verkehrsprüfung und die Umweltverträglichkeitsprüfung. Eine positiv abgeschlossene Umweltverträglichkeitsprüfung stellt lediglich fest, ob ein Bauprojekt im Einklang mit bestehenden Umweltschutzgesetzen steht. Und dieser gesetzliche Status Quo muss nicht zwangsläufig ausreichend sein, beziehungsweise kann verbesserungswürdig sein.
SPÖ-Bürgermeister Matthias Stadler meint zum REWE-Zentrallager: „Viele regionale Landwirte kooperieren mit REWE. Wir müssen in ganz Österreich verstehen, dass wir nicht alles ins Ausland auslagern können. Mir ist jeder Arbeitsplatz hier lieber als über der Grenze. Im Sinne der Versorgungssicherheit kann diese Einrichtung im Katastrophenfall von großem Nutzen sein.“
Auch SPÖ-Vizebürgermeister Harald Ludwig – der ebenso Vorsitzender des städtischen Verkehrs- und Bauausschusses ist – meldet sich zu Wort und bringt das REWE-Projekt mit der S34 in Verbindung. „Nachhaltig sinnvoll ist ein solches Logistikzentrum für jene Produkte, die wir täglich brauchen, zumindest in Zentren mit guter Verkehrsanbindung.“ Die S34 sei im Nationalrat beschlossen worden, werde allerdings aktuell von Umweltministerin Leonore Gewessler blockiert.
Allgemein gibt es drei Bedingungen für die Aufschließung der Fläche für den REWE-Bau. Neben bestehenden Hochwasserschutz und adäquater Kanal- und Wasserinfrastruktur zählt dazu eben auch passende Verkehrsanbindung. Inwiefern ein REWE-Zentrum ohne S34 verkehrslogistisch überhaupt sinnvoll umsetzbar ist – diese Frage steht ungelöst im Raum.
„Festzuhalten bleibt, dass das entsprechende Gebiet bereits seit vielen Jahren als Aufschließungsgebiet zur Industrie-Nutzung, beziehungsweise zur gewerblichen Nutzung deklariert ist“, heißt es weiter. Diesen Aspekt betont auch Klaus Otzelberger, Chef der St. Pöltner Stadt-FPÖ. Zwar sei Umweltschutz für die FPÖ ein wichtiges Anliegen, jedoch „müsse hier ein Kompromiss zwischen der Wirtschaft und den entstehenden Arbeitsplätzen gefunden werden.“
Eine klare Anti-Haltung zeigt Niko Formanek, einziger NEOS-Vertreter im St. Pöltner Gemeinderat. „Die Position der NEOS St. Pölten dazu ist klar. Dieses Projekt macht in dieser Form keinen Sinn und ist abzulehnen. Statt als „Pionierstadt“ die Chance wahrzunehmen und zumindest durch einen anderen Standort klimapolitisch korrekt zu handeln, wird von der Stadt genau das Gegenteil gemacht.“ Mit der „Pionierstadt“ spielt Formanek auf die Kampagne an, mit der sich St. Pöltens als „Klimahauptstadt 2024“, als „Hotspot für Nachhaltigkeit, Klima- und Artenschutz“ labelt. Dies sei „völlig absurd“ und müsse bei der Vergabe der Fördermillionen für die „Pionierstadt“ zu harten finanziellen Konsequenzen führen. „Die Versiegelung von 20 Hektar Fläche und 1.000 Lkw-Fahrten vor Ort sind eine flagrante Missachtung der Förderbedingungen“, so der NEOS-Mann. Ohne S34 sei das Projekt nicht umsetzbar, und „das weiß der Bürgermeister auch“. Die ÖVP-FPÖ-Koalition in Niederösterreich sei ein „verkehrsplanerisches Gottesgeschenk“ für Bürgermeister Matthias Stadler. „Damit können alle Straßenprojekte, so auch die S34, umgesetzt werden ohne Rücksicht auf besorgte BürgerInnen. Die S34 wird gebaut werden.“
Die von der Initiative „Bodenschutz“ gesammelten Unterschriften, so ist sich Formanek sicher, werden Stadler und Co. nicht interessieren. „Aus Protest gegen die geplante S34 wurde, auch unter meiner Mithilfe, von besorgten BürgerInnen ein Initiativantrag eingebracht, für den sogar 2.500 Unterschriften gesammelt wurden. Dieser Antrag wurde niedergestimmt. Und die 10.000 Online-Unterschriften protestierender BürgerInnen der Petition gegen die S34 wurden auch einfach ignoriert.“

Grüne schließen sich dem „Bodenschutz“-Antrag an
Laut der Bürgerinitiative „Bodenschutz“ muss der Initiativantrag in einer Gemeinderatssitzung im Juni debattiert werden. Die St. Pöltner Grünen zählen – wenig überraschend – zu den Unterstützern des Anliegens. Im Juni 2022 hatte die Fraktion bereits gegen den Verkauf der vorgesehenen Fläche gestimmt.  „Für die St. Pöltner Grünen sind 3.200 Unterschriften ein starkes Zeichen einer Zivilgesellschaft, das vonseiten der Stadtregierung unbedingt ernst genommen werden muss“, so Grünen-Stadträtin Christina Engel-Unterberger. „Schon jetzt ist St. Pölten mit einer Pro-Kopf-Versiegelung von 257m² traurige Spitzenreiterin unter den mittelgroßen Städten Österreichs. Die zusätzliche Versiegelung von 17 Hektar wird dieses Problem nur noch weiter verschärfen“, erklärt weiters Grünen-Gemeinderat Paul Purgina. Und sein Parteikollege und Gemeinderat Walter Heimerl-Lesnik ergänzt: „Würden allein die drei derzeit geplanten Großprojekte S34, Polizeikaserne und REWE-Lager umgesetzt werden, würde die versiegelte Fläche pro Einwohner um weitere 12 m² zunehmen.“
„Bodenschutz“-Aktivistin Romana Drexler sieht kein einziges valides und ehrliches Argument der Fürsprecher des REWE-Frischezentrums. Auch die Aussage, das Gelände sei vor Jahren der industriellen Nutzen gewidmet worden, überzeugt sie nicht. „Das ist zwar objektiv wahr, aber das wurde im Jahr 1976 entschieden. Damals hatten wir noch nicht das Bewusstsein über die massiven Umweltprobleme durch die Bodenversiegelung. Nur weil das vor Jahrzehnten so entschieden wurde, heißt das nicht, dass es für immer so bleiben muss und dass man das nicht ändern kann und soll.“ Auch die Relevanz des REWE-Lagers für die lokalen Landwirte bezweifelt sie. „Ich habe Kontakte mit zahlreichen heimischen Bauern. An ein REWE-Zentrallager liefert da kaum jemand, nur an die einzelnen Billa-Filialen. Die beliefern eher die SPAR-Gruppe.“ Ob die Stadtregierung sich von diesen Ansichten überzeugen lässt, wird sich im Juni zeigen.