MFG - „Dagegen müssen wir uns wehren!“
„Dagegen müssen wir uns wehren!“


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St. Pöltens gute Seite

„Dagegen müssen wir uns wehren!“

Text Johannes Reichl
Ausgabe 09/2022

Der Fall von Dr. Lisa-Maria Kellermayr hat das Thema „Hass im Netz“ zuletzt ins Zentrum der medialen Debatte gerückt. Einer, der ebenfalls unmittelbar betroffen ist – weil er wie Kellermayr als expliziter Impf-Befürworter etwa in Servus TV oder auf Puls 4 Stellung bezogen hat – ist der St. Pöltner Arzt Univ. Prof. Dr. Bernhard Angermayr. Wir plauderten mit ihm über seine Erfahrungen.


Ganz banal gefragt – gibt es so etwas wie eine Erkenntnis, die Sie aus den Fernsehdiskussionen und den Reaktionen darauf gewonnen haben?
Eine Erfahrung ist bestimmt, dass es schlicht Menschen gibt, die man mit rationalen Argumenten nicht erreichen kann – laut Umfragen dürfte es sich um ungefähr 10 % der Bevölkerung handeln. Das ist aber eine sehr laute und teils sehr aggressive Gruppe, die durch ihr Verhalten viel Aufmerksamkeit bekommt bzw. sich diese Aufmerksamkeit nimmt. Was mich zusätzlich irritiert ist: Diese Leute sagen nicht nur ihre Meinung und bringen Kritik vor, sondern sie nehmen sich das Recht heraus, Richter zu spielen und zu urteilen, was gemacht gehört. Ein Beispiel: „Dem Arzt gehört seine Lizenz entzogen“. 
Hier fängt schon die Unwissenheit an: Ärzte haben keine Lizenz wie Taxifahrer. Und für solche Beurteilungen wie die ärztliche Berufsberechtigung gibt es eigene unabhängige Gremien. 

Sie sind also, wie man so schön sagt, beratungsresistent?
Es ist doch grotesk, wenn sich jemand, der selbst von der Materie keinen blassen Schimmer hat und sich irgendwelche Halbwahrheiten im Internet und sozialen Medien zusammengesammelt hat, für einen Experten hält und etwa mir als Mediziner Kompetenz in meinem Fachbereich abspricht. Ein konkretes Beispiel: Ich erhielt nach einem Fernsehauftritt eine Nachricht, wo mir aufgelistet wurde, welche Unwahrheiten ich gesagt hätte. Als „Beweis“, dass er Recht hat und ich irre, hat der Verfasser ominöse Quellen und pseudowissenschaftliche Publikationen angeführt. Da die Kommunikation mit Klarnamen über Facebook erfolgt ist, konnte ich nachvollziehen, wer mir geschrieben hat: ein KFZ-Mechaniker. Spannend wäre, ihn mein Auto reparieren zu lassen und beim Zuschauen permanent zu sagen: „Das ist aber ein Blödsinn, den Sie da machen!“ Ich denke, er würde weniger gelassen reagieren als ich auf seine Nachricht und gar nicht auf die Idee kommen, dass er das Gleiche bei mir gemacht hat. Das zeichnet nämlich diese beratungsresistenten Menschen aus: Sie sind nicht mehr offen für alles, sondern haben eine eingeschränkte Wahrnehmung nur mehr für das, was sie glauben möchten. Sie verlieren jegliche Selbstreflexion und erheben ihr Thema zur Glaubensfrage – und spätestens da geht’s dann ins Sektenhafte und wird mitunter gefährlich, weil es mit Drohungen und Einschüchterung Andersdenkender einhergeht, die den eigenen Glauben nicht teilen und daher eine Gefahr für das eigene Weltbild sind. 

Sie haben nach ihren Fernsehauftritten ja so einiges an Fett abbekommen. Hat Sie dieser Hass eigentlich überrascht?
Eigentlich nicht, ich hab schon gewusst, worauf ich mich da einlasse. Überrascht hat mich, mit welcher Energie manche Menschen offenbar ihre Mission erfüllen müssen. Es besteht bei ihnen ein starker Drang, auf anderslautende Ansichten zu reagieren und sogar zu versuchen, meine Position zum Thema zu ändern. Außerdem hat mich überrascht, wie viel Zeit manche Menschen haben, sich so in ein Thema reinzusteigern und z. B. lange Mails nach einer banalen Fernsehdiskussion zu schreiben – teilweise mit genauen Zeitangaben, wann ich was gesagt habe. Ich bin ja sicherlich nicht der einzige, dem sie geschrieben haben. 
Bedenklich waren die Berichte meiner weiblichen Mitdiskutantinnen. Bei ihnen gab es noch einmal einiges mehr an Hass und Beleidigungen – vor allem auch im sexistischen Kontext. Bei einer Kollegin war es so schlimm, dass sie sogar Anzeige erstattet hat. Das ist eine total toughe Frau, die viel Fernseh­erfahrung hat. So kommt es, dass Menschen, die selbst keinerlei Fachkompetenz haben, durch Hass und Einschüchterung die öffentliche Diskussion beeinflussen, da meine Mitdiskutantin nach ihrer Erfahrungen beschlossen hat, an keiner solchen Diskussion mehr teilzunehmen. Und das ist genau das Problem: Ihre Meinung und ihre Fachkompetenz wäre wichtig in öffentlichen Diskussionen.

War der rechtliche Weg für Sie auch irgendwann eine Option?
Nicht wirklich. Strafrechtlich Relevantes war zum Glück bei mir nicht dabei. Das hätte ich sofort zur Anzeige gebracht. Zivilrechtlich vorzugehen, das wollte ich mir ehrlich gesagt nicht antun: Einerseits ist es mir zu schade um meine Zeit, andererseits möchte ich diesen Personen überhaupt keine Aufmerksamkeit oder gar Bühne schenken.

Wie stark waren die Anfeindungen gegen Sie? Wurden Sie auch mit Mord und Gewalt bedroht wie Dr. Kellermayr? Was kommen da für Dinge?
Nein, soweit ging es bei mir zum Glück nicht. Aber es gibt natürlich zahlreiche Beschimpfungen, von wegen du korrupte Drecksau, dir gehören die Kinder weggenommen und so Sachen. Da schlägt dir der reine Hass entgegen – das hat mit freier Meinungsäußerung und Kritik nichts zu tun, weil dir die Hater ja gar nicht zuhören, sondern schon ihre fixe Meinung haben. Ich hab etwa in den Sendungen immer betont, dass ich kein Impfarzt bin, also an der Impfung keinen Cent verdiene, sie aber für sinnvoll erachte – trotzdem wurde mir vorgeworfen, dass ich gekauft bin und mir damit eine goldene Nase verdiene. 
Eine andere Methode der Anfeindung waren Rachebewertungen auf Google und Docfinder, die direkt nach den Auftritten abgegeben wurden – von Leuten, die noch nie in meiner Praxis waren.

Kann man sich dagegen wehren?
Nicht wirklich. Ich habe die Fake-Bewertungen zwar gemeldet, aber bei google fühlt sich keiner zuständig, dort gibt es nicht einmal einen Ansprechpartner. Ich habe mir dann in Folge angewöhnt, im Kommentar direkt darunter darauf hinzuweisen, dass der Poster noch nie mein Patient war. Löschen lassen kann man die Einträge nicht. 

Klingt ziemlich anstrengend. Wie gehen Sie mit Hasspostings um – antworten Sie darauf oder löschen Sie sie gleich?
Viele Experten empfehlen ja, dass man derlei Postings am besten ignoriert. Bei Postings mit Klarnamen, wo man also weiß, wer das abgeschickt hat, interessiert mich manchmal schon aus ärztlicher bzw. psychologischer Sicht, wer bzw. was dahintersteckt. Schreiben, die über mehrere Seiten gehen, lese ich nicht. Ich frage mich dann natürlich selbst – manchmal auch den Verfasser – welches Problem sie haben, wenn sie eine unbedeutende Fernsehsendung dazu veranlasst, stundenlang in der Nacht ein Hasspamphlet zu verfassen. Das meine ich gar nicht zynisch, sondern genauso.
Die Schwelle, so etwas zu tun, nämlich emotionale und beleidigende Postings zu schreiben, liegt generell bei manchem Menschen sehr niedrig. Man braucht sich nur diverse Personen des öffentlichen Lebens anschauen, denen auch schon einmal das eine oder andere Posting „passiert“ ist, für das sie sich dann zumindest entschuldigen mussten. Es gibt da offenbar viele, die abends am Handy oder Computer sitzen und impulsiv irgendetwas Beleidigendes posten.

Was sind das für Menschen, glauben Sie, die Sie um 3 Uhr in der Nacht mit Hassbotschaften überziehen?
Ich denke Leute, die mit ihrem eigenen Leben nicht zufrieden und „auf der Suche“ sind. Diese sind anfällig für Verschwörungstheorien, egal ob es sich um Corona, das Reichsbürgertum, Klimawandel oder religiösen Fanatismus handelt. Man findet sozusagen immer irgendetwas, wohinter eine Verschwörung steckt – das zu beobachten ist schon spannend. Zugleich ist es aber auch beängstigend, weil man einen Einblick in einen Bereich der Gesellschaft bekommt, den man so gar nicht haben möchte, da man gar nicht wahrhaben will, welche Parallelwelten es bei uns gibt und welche Widersprüchlichkeiten.

Widersprüchlich inwiefern?
Weil jeder Mensch, auch die vielen Corona-Skeptiker, in anderen Bereichen ja wie selbstverständlich auf wissenschaftliche Erkenntnisse vertrauen müssen. Bei Corona sagen die Skeptiker auf einmal völlig selektiv: „Das glaub ich nicht!“ Ich hatte etwa eine Patientin mit einer seltenen Krankheit, wofür sie eine Therapie als Infusion erhält, die weltweit bislang vielleicht 20.000 Menschen verabreicht wurde. Diese Therapie lässt sie sich geben – bei Corona hat sie mir aber gleich einmal eine Maskenbefreiung hingehalten, weil sie nicht an die Krankheit glaubt und sich wegen der Gefährlichkeit des Impfstoffs nicht impfen lässt. Die Absurdität, dass Milliarden Menschen den Impfstoff erhalten haben und ihr Medikament, das viel mehr Nebenwirkungen hat, ganz wenige Menschen, war ihr überhaupt nicht bewusst. Diese Patientin habe ich dann doch erreicht – durch Nachfragen. Da beginnen dann einige doch nachzudenken. Nicht alle Skeptiker sind Hater und Fanatiker, deswegen ist Aufklärung und Widerspruch so immens wichtig. Und deswegen bin ich auch den Einladungen ins Fernsehstudio gefolgt.

Zum Preis persönlicher Anfeindungen und Hassbotschaften. Stellt man sich da nicht bisweilen die Frage, warum tu ich mir das überhaupt an?
Das höre ich immer wieder – auch von vielen Freunden: „Warum tust du dir das an?“ Oder von Kollegen, die im Studio waren: „Einmal, und nie wieder!“ Natürlich wärs einfacher, gar nichts zu sagen, nur ich halte das Thema einfach für zu wichtig. Es ist unbedingt notwendig, die Leute gut zu informieren, seriöse Fakten zu vermitteln beziehungsweise umgekehrt offensichtlichem Blödsinn zu widersprechen. 

Hoffen Sie, dass die nun angestoßene Debatte rund um Hass im Netz eine Verbesserung der Situation bringen wird und die Leute begreifen, dass es sich dabei nicht um ein Kavaliersdelikt handelt?
Das Allerwichtigste ist, dass jetzt überhaupt einmal ein breiter Diskurs über das Thema stattfindet. Denn Hass im Netz betrifft ja nicht nur Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, sondern viele sind tagtäglich privat davon betroffen, werden angefeindet, gemobbt, unter Druck gesetzt. Dass diese nun endlich Gehör finden und ihre Nöte auch ernst genommen werden, finde ich immens wichtig! Da tut eine Sensibilisierung der Gesellschaft definitiv not. Wichtig ist zudem, dass die Gesellschaft einfach weiß, was teils für Wahnsinnige unter uns leben, die sich nicht unter Kontrolle haben, und dass man diese Hater ernst nehmen muss, weil sie gefährlich werden können. Für Einzelpersonen, die sie bedrohen, ebenso für den Staat insgesamt und die Demokratie, weil sie andere mundtot machen und einschüchtern möchten. Dagegen müssen wir uns wehren, indem wir Fakten und Aufklärung entgegenstellen!