MFG - S34: Eine Glaubensfrage?
S34: Eine Glaubensfrage?


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St. Pöltens gute Seite

S34: Eine Glaubensfrage?

Text Petra Wochner
Ausgabe 03/2013

Ein bisschen fühlt man sich an den Spruch „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“ erinnert, so sehr gehen die Aussagen über die S34 auseinander.

So sorgt ein neues Gutachten von Dipl.-Ing. Dr. Harald Frey von der Technischen Universität Wien zur S34 aktuell für gehörig Sprengstoff. Während nämlich die ASFINAG auf Basis ihrer Erhebungen praktisch zu dem Schluss kommt, dass dank S34 quasi alles besser wird, prophezeit Frey das glatte Gegenteil: Alles wird schlechter. Wer  aber sagt die Wahrheit, wer manipuliert?

Tag und Nacht
Tatsächlich könnten die Schlüsse aus den Studienergebnissen nicht unterschiedlicher ausfallen. So lässt Ing. Leopold Lechner, Leiter des Projekts S34 der ASFINAG wissen: „Die Erweiterung der S34 bringt eine Erhöhung der Lebensqualität für die Menschen, sowie eine Entlastung für den dortigen Verkehr“, und präzisiert auf Nachfrage: „Durch die S34 wird eine leistungsfähige und verkehrssichere Anbindung des Traisentals an die hochrangige Verkehrsverbindung A1 Westautobahn sichergestellt. Dies erhöht die Attraktivität von Betriebsstandorten südlich von St. Pölten maßgeblich. Darüber hinaus sprechen auch Aspekte des Anrainerschutzes sowie der Verkehrssicherheit für eine Umsetzung des Vorhabens: Durch die Verlagerung des Durchgangsverkehrs von den Ortschaften entlang der B20 auf die S34 können etwa bestehende und künftige Belastungen der Bevölkerung, Luftschadstoffe und Lärm, deutlich reduziert werden.
Frey hingegen kommt zu einem praktisch gegenteiligen Ergebnis, gar so als sprächen die Herren von unterschiedlichen Projekten. „Die S34 bringt zusätzlichen Lärm, Abgase, mehr Unfälle auf der B20 und mehr Stau im Gesamt­raum St. Pölten, eine Verschlechterung der Lebensqualität im gesamten Traisental und Zersiedelung. Sie bringt mittel- und langfristig nicht die prognostizierte Entlastungswirkung der B20, aber eine Steigerung des Kfz-Gesamtverkehrsaufkommens im Korridor B20+S34 von 60%, bereits zu Beginn. Mittel- und langfristig bringt sie deutlich mehr Kfz-Verkehr auf der B20.“
Ein niederschmetterndes Studienergebnis, das sofort die politischen Befürworter auf den Plan gerufen hat – immerhin hat Frey seine Studie im Auftrag der zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen gegen die S34 angefertigt – was ihm sogleich den Ruf der Befangenheit einbrachte. So meint etwa STR Hermann Nonner (FPÖ). „Gegen Studien bin ich im Grunde skeptisch, da sie im Interesse einer Gruppierung in Auftrag gegeben werden.“ Frey weist die Vorwürfe zurück und dreht den Spieß um. „Die Bürgerinitiative ist an die TU herangetreten, um von unbefangener und nicht in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis stehender Seite eine kurze Analyse über die aktuelle Verkehrsbelastung und die Annahmen der strategischen Prüfung zu bekommen. Die Arbeiten erfolgten nach wissenschaftlichen Kriterien, dazu sind wir verpflichtet und unparteilich!“

Falsche Schlüsse?
Angesprochen auf seine wissenschaftliche Herangehensweise erläutert Frey: „Ich habe mir die Unterlagen und Ergebnisse der ‚Strategischen Prüfung Verkehr (SPV)‘ aus den Jahren 2005 im Auftrag des Amts der NÖ Landesregierung und 2009 im Auftrag der ASFINAG angesehen und verglichen, insbesondere die prognostizierten Verkehrsbelastungen und die Modellannahmen. Begründet wurde die Forderung des Ausbaus im Jahr 2005 ja u. a. mit dem steigenden Verkehr und den prognostizierten Entlastungswirkungen durch den Bau einer Schnellstraße.“
Nur dies, so kommt Frey auch unter Berücksichtigung aktueller Zahlen (die TU hat 2012 selbst das Verkehrsaufkommen gemessen) zum Schluss, tritt nicht so ein. Ein Umstand, den man schon anhand der Zahlen 2009 ersehen hätte können, trotzdem wurden aber die Ergebnisse 2005 als Grundlage der Einreichung gewählt. „Die Prognosewerte der strategischen Prüfung aus dem Jahr 2005 sind deutlich überhöht und nachweislich nicht eingetreten. Sie könnten jedoch das Kriterium zur Überprüfung einer hochrangigen Bedeutung dieser Straße unterstützt haben. Auf eine nochmalige Überprüfung dieses Kriteriums wurde in der strategischen Prüfung Verkehr 2009 aber verzichtet.“ Frey ist daher überzeugt, „dass die Grundlagen ungenügend für eine Realisierung der geplanten Schnellstraße S34 sind“, ja wirft der ASFINAG Mängel in der Erhebung vor. „Die Widersprüche, die sich aus der Zusammenschau der Inhalte der beiden strategischen Prüfungen zur S34 ergeben, lassen auf die grundlegenden Mängel einer fundierten Basis zur unabhängigen Entscheidungsfindung schließen.“ Während die Szenarien der ASFINAG eine Verkehrszunahme von jährlich 1,5% bis 2025 prognostizierten, konstatiert Frey eine Stagnation des Verkehrs und sieht auf Basis der Prognosen „für das Jahr 2025 keine nennenswerten Steigerungen in der Verkehrsbelastung.“ Das heißt, nicht die Erhaltung des Status Quo, sondern erst die Realisierung der S34 führte zu einer Verkehrsexplosion. „Jedoch steigt durch den Bau der S34 die Gesamtverkehrsbelastung im Korridor, z. B. im Bereich St. Georgen, um 60%!“

Falsche Annahmen?
Bemerkenswert ist, dass Frey seinerseits von den Befürwortern ebenfalls ein falsches Bezugsjahr vorgeworfen wird. So meint NR Anton Heinzl (SPÖ) „Die Studie hat die Schwäche, dass sie sich auf die ‚Strategische Prüfung Verkehr S34‘ aus dem Jahr 2009 bezieht, die nicht mehr aktuell ist. Die Abnahme des Verkehrsaufkommens 2008 und 2009, das eine Folge der großen Wirtschaftskrise war, wird in der Studie zu stark gewichtet.“ Ähnlich sieht es die ASFINAG. „Also ich persönlich kenne das Gutachten von Herrn Dr. Frey gar nicht. Ich denke aber, dass es bei der Erstellung von Prognosen immer Schwankungen gibt“, erklärt Ing. Lechner vorab, und weiter. „Ich denke aber nicht, dass die Zahlen überschätzt sind, da wir nach der Wirtschaftskrise 2008/2009 dementsprechend angepasst und die Zahlen richtig prognostiziert haben. Die auf sämtlichen Bestandsstrecken dokumentierten Abnahmen des Verkehrsaufkommens 2008 und 2009 waren selbstverständlich ebenso auf das Projektgebiet schlagend wie die danach wieder einsetzende höhere Zunahmen!“ Lechner betont im Hinblick auf die SP-V 2009 zudem: „Die Höhe des Verkehrsaufkommens stellte dabei nur eine von mehreren maßgeblichen Entscheidungsgrößen für die letztendlich vom Bundesministerium festgestellte ‚Hochrangigkeit‘ der Verbindung und damit für die Beurteilung der Realisierung der S 34 dar.“ Eine Argumentation, die auch NR Heinzl oder DI Peter Beiglböck vom NÖ Straßendienst ins Spiel bringt, der für die Planung und Umsetzung der Landesstraße L5181 Spange Wörth (welche an die S34 anschließen wird) zuständig ist: „Die verkehrliche Entwicklung vermag die grundsätzliche Notwendigkeit der S34 nicht in Frage zu stellen.“
Der Vollständigkeit halber sei allerdings erwähnt, dass „Hochrangigkeit“ nur dann anerkannt wird, wenn alle dafür vorgesehenen Kriterien erfüllt sind, wie es im Leitfaden zur SP-V der ASFINAG heißt: „Damit die Hochrangigkeit der vorgeschlagenen Netzveränderung angenommen werden kann, müssen alle 3 Kriterien gemäß Kapitel 4.1 des SP-V-Leitfadens erfüllt sein.“ Kurzum, das Verkehrsaufkommen ist ein essenzieller Schlüssel. Frey sieht im Übrigen keines der drei Kriterien erfüllt.
Seitens der ASFINAG hat man im Hinblick auf das in Zweifel gezogene Zahlen- und Bezugsmaterial jedenfalls reagiert. So erklärt Lechner: „Die ASFINAG hat die Verkehrsuntersuchung für das aktuell in Ausarbeitung befindliche Einreichprojekt komplett neu erarbeitet. Als Basisjahr wird nun das Jahr 2011 abgebildet und für die Prognose wurde das sogenannte ‚Low-Growth-Szenario‘ mit deutlich abgeschwächten Wachstumsraten herangezogen. Dafür wurden im Jahr 2011 neben den vorhandenen Zähldaten aus den Dauerzählstellen eigens noch Verkehrsbefragungen und Zählungen durchgeführt.“
Als „Nebenschauplatz“ taucht in der wiederaufgeflammten Diskussion auch die Frage nach Alternativen zur S34 auf, selbst wenn im wahrsten Sinne des Wortes der Zug ja schon abgefahren scheint. So ist Frey überzeugt, dass die Alternativen aktuell nicht ausreichend genützt werden. „Werden die freien Kapazitäten bei Bus und Bahn herangezogen, zeigt sich, dass rund 40% des Verkehrsaufkommens der Straße im Korridor bei derzeitigen Besetzungsgrad auf die Schiene verlagert werden kann.“ Wird es aber nicht, wobei Lechner dagegenhält, dass man sämtliche Szenarien im Vorfeld durchgespielt habe: „Die ‚Strategische Prüfung Verkehr 2009‘ war verkehrsübergreifend, das heißt, es wurden mehrere Verkehrsträger untersucht. Es wurden auch Alternativen untersucht, zum Beispiel ob man das Problem mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewältigen könnte. Dabei hat sich die S34 als zweckmäßigste Alternative herausgestellt.“

Die nächste Etappe
Das Projekt S34 geht jedenfalls in die nächste Phase „Vorprojekt“ über. Dazu Lechner: „Wir sind gerade an der Fertigstellung des Einreichprojekts zur Umweltverträglichkeitsprüfung, in diesem Zusammenhang wird auch die Verkehrsprognose als maßgebliche Grundlage für zahlreiche Auswirkungsbeurteilungen, etwa Lärm und Luft, von der UVP-Behörde und deren Sachverständigen einer strengen Prüfung unterzogen. Die Prüfung ist für Mitte 2013 geplant und erfolgt durch unabhängige Sachbearbeiter. Dauern wird das Ganze ca. ein bis eineinhalb Jahre. Die Umweltverträglichkeitsprüfung wird auch in den Gemeinden aufliegen. Das heißt, jeder kann sie einsehen.“
Frey empfiehlt freilich auch eine Überprüfung des ursprünglichen Ausgangsmaterials, das ja überhaupt erst zur Anerkennung der Hochrangigkeit führte: „Die festgestellten Mängel und Widersprüche in den Grundlagen sollten durch unabhängige Stellen in der Verwaltung und Politik wie z. B. Rechnungshof und Volksanwalt geprüft werden. Gleichzeitig sollten die Menschen wahrheitsgetreu und seriös über die Auswirkungen einer S34 informiert werden.“
Als Laie erinnert man sich jedenfalls an Fausts Wort „Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.“ Die S34 wird zur Glaubensfrage – keine gute Idee bei einem Projekt derart fundamentalen Ausmaßes! Und eines zeichnet sich noch ab. Egal welches Ergebnis, welche Studie noch vorgelegt wird, die jeweils andere Seite wird sie nicht akzeptieren. So meint etwa Gemeinderätin Julia Schneider (Die Grünen) schon jetzt kämpferisch: „Plan B wird an die Hainburger Au erinnern. Hoffen wir, dass es nicht  soweit kommt.“ Vielleicht geht es aber auch Richtung Plan C, und Österreich erlebt, in Anlehnung an das Schlichtungsverfahren des Projekts „Stuttgart 21“, sein erstes „St. Pölten 34“. PLANUNGSPROZESS STRASSENBAU
Bevor eine Straße überhaupt gebaut wird: Im Zuge der sogenannten „Voruntersuchung“ bildet die „Strategische Prüfung Verkehr (SPV)“ die Entscheidungsgrundlage, ob eine (neue) Verbindung in den Anhang des Bundesstraßengesetzes (BStG) Eingang findet, und damit die Umsetzung beschlossen wird. Das Bundesministerium hat das Vorprojekt zur S34 nach der Strategischen Prüfung der ASFINAG im Sommer 2012 genehmigt und in das Bundesstraßengesetz aufgenommen. Aktuell läuft das Vorprojekt, im Zuge dessen die Einreichunterlagen für das UVP-Verfahren erarbeitet werden. NR Anton Heinzl|SPÖ
„Die S34 Traisental-Schnellstraße ist sinnvoll, weil mit ihr die Anbindung des Traisentals an die A1 sichergestellt wird. Damit wird die Attraktivität von Betriebsstandorten südlich von St. Pölten gesteigert. Die Folge: Die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Durch die Verlagerung des Durchgangsverkehrs von den Ortschaften entlang der B20 auf die S34 können zudem etwa bestehende und künftige Belastungen der Bevölkerung, Luftschadstoffe und Lärm, deutlich reduziert werden.“

STR Hermann Nonner|FPÖ
„Die S34 bringt eine Entlastung für die südlichen Stadtteile, die sich dies schon lange verdient haben, sowie die Hoffnung auf eine Westumfahrung. Eine Entlastung der Nord – Südachse hat für St. Pölten Priorität!“

BGM Matthias Stadler|SPÖ
„Es geht nicht darum, ob ich persönlich für oder gegen den Bau der S 34 bin. Bei objektiver Abwägung aller Punkt ist festzustellen, dass wesentlich mehr für den Bau der S34 spricht als dagegen. Mit der S34 werden die Verkehrsströme sinnvoll gelenkt und so viel als möglich auf den öffentlichen Verkehr umgeleitet, die Stadtbevölkerung entlang der Durchzugsstraßen entlastet und für die gesamte Region eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft gewährleistet.“

LH Erwin Pröll |ÖVP
„Entscheidend in der Frage des Baus sind für mich die Fakten und die regional- und verkehrspolitischen Vorteile, die sich durch den Bau der S34 ergeben werden, nämlich: Die bessere Anbindung des Traisen- und Gölsentales an die A1. Dadurch Verbesserung der Standortqualität für die Wirtschaft und zusätzliche Perspektiven für den Tourismus sowie Entlastung der Bürgerinnen und Bürger an den Landesstraßen B20 und B39 vom vermeidbaren Durchzugsverkehr, dadurch Verbesserung der Lebensqualität und Sicherheit in den betroffenen Ortsdurchfahrten.“

GR Julia Schneider|Die Grünen
„Ich bin gegen den Bau der S34, weil ich für Lebensraumerhaltung bin. Insgesamt bringt die S34 einen enormen Verlust an Lebensqualität, die S34 zerstört Existenzen! Wer z. B. ein Haus in der Nähe der S34 besitzt, wird einen großen Wertverlust aufgrund der Lärmbelästigung und der Feinstaubbelastung hinnehmen müssen. Viele Bauern werden mehr oder weniger ‚zwangsenteignet‘ – manche verlieren ihre Existenzgrundlage! Das Verkehrsaufkommen wird sich erhöhen, nicht zuletzt auch wegen des Schwerverkehrs vom und zum Industrie- und Logistikzentrum in Wörth.“

STR Bernhard WURZER|ÖVP
„Ich persönlich bin nicht davon überzeugt, ob die Westvariante ausreichend geprüft wurde. Die Folgekosten aufgrund des Umweges, die Frage der Grundstücke. Die Anbindung des Pielachtales ist wichtig, wäre aber anders lösbar gewesen. Die Frage, die sich für mich stellt, ist, ob mit einer S34 in dieser Version und der Westumfahrung für die Stadt nicht Wachstumschancen vertan werden, denn dann ist St. Pölten vom hochrangigen Straßennetz eingekesselt. Jedenfalls muss bei allen künftigen Entscheidungen die Nachhaltigkeit Vorrang haben!“