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St. Pöltens gute Seite

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Text Tobias Zuser
Ausgabe 04/2008
Erst vor kurzem brachte eine der (drei) österreichischen Qualitätszeitungen eine einseitige Reportage, die sich die Ehrenrettung der Landeshauptstadt zum Ziel gesetzt hat. Knapp 800 Wörter später war klar, dass dieser Versuch klaglos gescheitert ist. Natürlich könnte man meinen, dass der Autor eine gewisse Böswilligkeit an den Tag gelegt hat, wenn er seine Route ausgerechnet im Regierungsviertel beginnt, dem er sogleich die  niedliche Bezeichnung „niederösterreichisches La Defense“ gab. Doch auf den Punkt gebracht hat St. Pöltens Problem nur eine Person: eine ansässige Taxifahrerin, die St. Pöltner und Wiener auf ihr Einstiegsgebaren hin auseinander halten kann: Demnach erkennt man Einheimische in erster Linie daran, dass sie VORNE ins Taxi einsteigen. Gnadenlos. Da kann die Rückbank noch so schön gepolstert sein und John Cusack im Hauptabendprogramm noch so oft HINTEN einsteigen. Die St. Pöltner bleiben bei ihrer exhibitionistischen Tuchfühlung mit dem Fahrer, auch wenn sie damit eine spannende Unterhaltung provozieren, die sie eigentlich niemals führen wollten. Denn es gibt etwas, das sie immer wieder magisch in die 1. Reihe zieht und solche oberflächlichen Gespräche verkraften lässt: das ungelöste Rätsel der unverständlichen „BRSCHL-BRSCHL“-Weisheiten aus dem Funk-Orakel, die nur der Fahrer selbst zu verstehen vermag. Und bis ich herausgefunden habe wie er auf diese rätselhaften Laute mit einem bestätigenden Grunzen antworten kann, werde auch ich weiterhin VORNE einsteigen. Ohne aufzufallen. Provinz sei Dank!