Unterbelichtet
Text
Christoph Wagner
Ausgabe
Illusionen sind unangebracht, nach 5 Monaten Herbst wird es Winter. Und das bedeutet warm anziehen, v. a. für uns Pendler auf der Westbahnstrecke. Erlebnisse wie im Vorjahr stehen wieder ins Haus: Es wartet also einer dieser strahlenden Wintertage auf uns, an welchen wir mit eingezogenem Kinn am Bahnsteig einem verspäteten Zug entgegenblicken, der glitzernde Schneewolken vor sich her treibt. Einsteigen, aufwärmen und die prächtige Schneelandschaft am Fenster vorbeiziehen lassen - 10 Minuten im Schritttempo.
Dann erfolgt ein „außerplanmäßiger“ (Was sonst?) Halt in der Arktis zwischen Böheimkirchen und Kirchstetten. Nach 25 Minuten ohne Information merkt man, dass die Heizung in einem stehenden Zug nicht funktioniert. Das alles überrascht einen Routinier nicht. Hektisch telefonieren, halblaut raunzen oder gar in Panik verfallen ist die Sache von ungeübten Bahnfahrern.
Nach 45 Minuten dann doch eine Durchsage. Danach stapfen ein paar hundert Pendler durch den Tiefschnee zum Bahnhof Kirchstetten. Das ist auch für einen Routinier neu. Geteiltes Leid fördert die Kommunikation: am Bahnsteig werden ÖBB-Geschichten ausgetauscht und macht sich Galgenhumor breit. Nach 20 Minuten fährt ein gut besetzter Regionalzug ein. Die Wagons werden ellbogentechnisch gestürmt. Während der einstündigen Fahrt nach Wien kommt japanisches U-Bahnfeeling auf. Bei einer jungen Frau mag der Kreislauf nicht recht. Für sie wird ein Sitzplatz freigemacht. Irgendwann ruft ein Mädchen: "Mama, mir ist schlecht!" Es ist wohl eine Illusion, dass sich die ÖBB jemals warm anziehen müssen.