MFG - Generation Zocker
Generation Zocker


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Generation Zocker

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2013
"Das wird ja eine Diplomarbeit“, pflegt meine Frau zu sagen, wenn in ihren Augen die Recherche an einer Story ausufert. Im Falle der Klage der Stadt St. Pölten gegen die RLB über ein 2007 abgeschlossenes Swap-Geschäft, das bei einem aktuellen Marktwert von minus 86 Millionen Euro steht, ist es aber notwendig. Dabei sind im Zuge der Recherche mehr Fragen aufgetaucht, als befriedigende Antworten, wie man als Prozessbeobachter überhaupt den Eindruck gewann, dass die Streitparteien von zwei völlig unterschiedlichen Dingen sprechen. Die Materie ist komplex, der Teufel steckt im Detail.
Die Grundfrage, die sich jedem aufdrängt, ist aber relativ simpel: Wie konnte so etwas überhaupt passieren? Wie konnte ein Geschäft, das zur Bewirtschaftung eines 23,9 Millionen hohen Kredites dient, derart aus dem Ruder laufen, so dass dafür aktuell rund vier Millionen Euro an Zinsen pro Jahr zu zahlen sind – je nachdem, wie gerade das Franken-Euro Kursverhältnis steht. Mit Letzterem kommt man der Antwort schon nahe: Es handelt sich um eine Wette, und die ist bekanntlich unberechenbar.
Das Übel nahm allerdings nicht erst im Jahr 2007, als der neue Swap abgeschlossen wurde, seinen Ausgang, sondern geht bereits auf das Jahr 2003 zurück, als der Gemeinderat den „Grundsatzbeschluss“ fällte, die Schulden, wie das so schön heißt, „zu bewirtschaften“: Eine Lizenz zum Zocken. Verständlich wird dieser Schritt aus der damaligen Großwetterlage Marke „Goldgräberstimmung“. Das Geld schien auf der Straße zu liegen. Der kleine Maxi Mustermann legte sein Erspartes in Aktien an (und verlor), und selbst mit Schulden ließ sich neuerdings Geld verdienen, und zwar nicht nur als Bank, sondern als Kreditnehmer selbst! Das war einfach zu verlockend, auch für Körperschaften. St. Pölten war – wie so viele – mit von der Partie, ironischerweise sogar ein Nachzügler, weil Willi Gruber auf der Bremse stand, was ihm hinter vorgehaltener Hand rasch den in diesem Kontext wenig schmeichelhaften Titel „Bauer“ einbrachte. Er führe St. Pölten wie einen Bauernhof, nur was real ist, zähle für ihn. Tatsächlich war Gruber einer vom alten Schlag: Was man hatte, hatte man. Was man nicht hatte, hatte man nicht. 1+1=2 und nicht die Wurzel des xten Quotienten aus irgendwas. Wollte man etwas, musste man es sich entweder ersparen, oder man nahm dafür ein Darlehen mit konkreten Laufzeiten und Zinsen auf, so dass alles überschaubar blieb. Zuletzt knickte aber auch er unter dem kollektiven Druck ein. Immerhin drängten selbst übergeordnete Körperschaften und öffentliche Institute zur „aktiven Schuldenbewirtschaftung“, weil es gegenüber den nächsten Generationen unverantwortlich sei, es nicht zu tun. Aber mit Wetten?
Heute sagt die Stadt, und das ist nicht falsch, das hätten „alle“ so gemacht. Selbst im Hinblick auf ein unterschriebenes Anlegerprofil, in dem vor einem möglichen unbeschränkten Risiko gewarnt wird, bringt man zur Rechtfertigung vor, dass jeder kleine Häuslbauer mit Schweizer-Franken-Kredit Ähnliches unterzeichnen musste. Auch das stimmt.
Aber nur weil alle fehlen, heißt es ja nicht, dass dadurch die Sache als solche richtiger wird.
So betrachtet wird am Wiener Handelsgericht auch über die Generation „Zocker“ per se mitverhandelt. Eine Generation, die sich als solche gar nicht fühlte, aber am Spiel – aufgrund einer regelrechten Gehirnwäsche weichgespült – eben doch teilnahm. Eine Generation, die immer komplexere, hochriskantere Finanzkonstruktionen gebar, die aufgrund immer „liberaler“ gehandhabter „Schranken“ seitens der Politik auch an Otto Normalverbraucher, ja selbst Körperschaften, die das öffentliche Vermögen verwalten, verkauft werden konnten. Solange, bis man – wie im Falle der Novelle des STROG im Sommer 2012 – dem wieder einen Riegel vorschob. Für St. Pölten und viele andere leider zu spät.
Nachher ist man immer gescheiter, sagt die Stadt. Auch das stimmt, aber aus Fehlern wird man ja noch lernen dürfen. Und mag sein, dass sich jetzt ein paar „Bauern“ ins Fäustchen lachen, weil sie es ja schon immer gewusst haben – es ist ein bitteres Wissen, das nicht befriedigen kann, denn am Ende des Tages müssen sie die Zeche mitbezahlen.