MFG - Bodenversiegelung – ein St. Pöltner Problem?
Bodenversiegelung – ein St. Pöltner Problem?


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St. Pöltens gute Seite

Bodenversiegelung – ein St. Pöltner Problem?

Text Georg Renner , Jakob Winter
Ausgabe 09/2024
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger ist freier Journalist bei der Wiener Zeitung und DATUM.

Vergessen wir einmal die WWF-Studie, derzufolge St. Pölten die am stärksten versiegelte der 15 größten Städte Österreichs ist. Die hat tatsächlich methodische Schwächen, und außerdem scheint es mir sinnlos, die aktuelle Politik dafür verantwortlich zu machen, wie längst vergangene Gemeinderäte Flächen gewidmet und was frühere Bürgermeister genehmigt haben. Und lassen wir auch die Debatte um das neue Rewe-Verteilerzentrum beiseite: Das muss schließlich irgendwo stehen, wenn es vernünftige Auflagen gibt, kann man das schon machen.
Aber überlegen wir doch kurz einmal, was in unserer Stadt so die letzten Jahre alles genehmigt und gebaut worden ist – entgegen allen Versicherungen aus der Politik, dass Geschäfte auf der grünen Wiese doch längst der Vergangenheit angehören sollten. 
Denken wir z. B. an das Areal der ehemaligen Kopal-Kaserne. Nicht nur, dass dort der x-te Baumarkt St. Pöltens entstanden ist – ok, es ist ein freier Markt –, sondern einer, der mit dem gefühlt größten Parkplatz der Galaxie samt „Drive-In“ und sonstigen Annehmlichkeiten für motorisierte Kunden wirbt. Oder das „Fachmarktzentrum“ rund um den Metro-Neubau an der S33-Zufahrt. Oder die Geschäfte rund um den erneuerten Billa/Media Markt-Komplex. Oder das Gewerbegebiet zwischen St. Georgen und Spratzern, wo sich Business-Schachtelbau an Business-Schachtelbau reiht, jeder mit eigenem Parkplatz und ohne jede Überlegung, ob man da nicht irgendwo einen zweiten Stock hätte bauen können. Usw.
Langsam, sehr langsam, setzt sich in Österreich die Erkenntnis durch, dass Platz nicht unendlich ist – und dass Verdichtung sowohl in Wohn- als auch in Geschäftsgebieten mit Blick auf unsere Ressourcen das Gebot der Stunde ist. Und dass Gemeinden, besonders regionale Zentren, durchaus die Möglichkeit haben, hier mit Flächenwidmung und Bauauflagen zu steuern. 
Dass just die Landeshauptstadt da nicht mit gutem Beispiel vorangeht, die City stärkt und außerhalb auf die Bremse drückt, sondern weiter Supersize-Parkplätze mit angeschlossenen Markthallen zulässt, enttäuscht.

JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.

Man könnte es sich einfach machen, und die Diskussion um den Flächenfraß in St. Pölten für sinnlos erklären. Schließlich wuchs im Vorjahr keine andere Stadt in Österreich schneller. Die Zuzügler müssen irgendwo leben, befördern also den Bau von mehr Wohnungen, Kindergärten, Supermärkten und Straßen.  Debatte überflüssig? So einfach wollen wir es uns hier nicht machen.
Gerade eine Stadt, die so schnell wächst, sollte besonders achtsam mit ihrem Grund umgehen, damit sie eines Tages nicht im Beton untergeht. 
Wie das geht? Durch die Nachnutzung bereits versiegelter Flächen zum Beispiel, wie es am Areal der alten Glanzstoff-Fabrik passiert. Dort war zunächst eine Universität untergebracht, nun dient die Fläche als Boulderbar und Veranstaltungslocation. 
Das Problem: Die Nachnutzung ist meist teurer als Neubauten, die Förderungen für Revitalisierungen oft zu niedrig. Aber es tut sich was.
Zielführend ist auch, im innerstädtischen Bereich zu verdichten, anstatt am Stadtrand immer neue Siedlungsflächen zu genehmigen. St. Pölten macht beides.
Immerhin: Während andere Kommunen ihre Bewohner zu Super-Einkaufszentren in die Peripherie lotsen und damit das Sterben der Innenstädte in Kauf nahmen, ist die St. Pöltner City unter den vier Städten mit der geringsten Leerstandsquote. Noch besser schneiden laut der Analyse des Handelsverbandes Feldkirch, Mödling und die Favoritnerstraße in Wien ab. Was freilich nicht heißt, dass nicht auch am St. Pöltner Stadtrand neue Gewerbeflächen entstehen, über die man streiten kann.
Jedenfalls aber sollten wir bei der Debatte um die Flächenversiegelung nicht nur auf die Städte schielen. Denn wie der Klimaökonom Gernot Wagner in seinem Buch „Stadt. Land. Klima“ nachzeichnet, leben Städter von Haus aus klimaeffizienter als die Landbevölkerung. Grund dafür sind vor allem lange Fahrtwege und überdurchschnittlich viel Wohnfläche pro Person am Land.
Bewohner von mehrstöckigen Mehrparteienhäusern leben statistisch gesehen am bodenschonendsten.