Im Treppenhaus der Macht
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Interview mit dem Landeshauptmann! Landhausplatz 1. Das Landhausschiff lassen wir im wahrsten Sinne des Wortes linkerhand liegen und gehen ins Haus 1a, vorbei an Bruno Gironcollis großer Skulptur, welche in Baumform angeblich die vier Viertel des Landes symbolisiert. Mit dem Lift geht’s hinauf in den 6. und damit letzten Stock, on top. Dorthin also, wo es - wie es schon Randy Newman besungen hat - ziemlich lonely, einsam sein kann.
Step 1
Oben empfängt uns ein freundliches Foyer mit breiter Glasfront, die den Blick Richtung Rainersiedlung und weites Land öffnet. Wir melden uns beim Portier, der ebenfalls hinter Glas sitzt, was ein bisschen Krankenhauscharme verbreitet. Er bittet uns derweil Platz zu nehmen. Die Tür neben ihm, wo es ins Allerheiligste geht, bleibt verschlossen.
Wir machen es uns in den Lederfauteuilles gemütlich und vertreiben uns die Wartezeit mit dem Studium der Landeshauptmann-Portraits, welche eine der Wände schmücken. Irgendwann wird sich hier das Konterfei Erwin Prölls hinzugesellen, wobei er – so lässt ein überschlagsmäßiges Nachrechnen der unter den Bildern befindlichen Amtsperioden seiner Vorgänger erahnen – als der längstdienende Landeshauptmann in der Geschichte Niederösterreichs eingehen könnte. Nur mehr ein Jährchen fehlt ihm, um den 15 Jahre-Rekord von Landeshauptmann Maurer zu schnupfen. Seit 1992 ist Erwin Pröll bereits im Amt!
Step 2
Nach 10 Minuten wird die Tür geöffnet und wir betreten Niederösterreichs Area 51. Jetzt geht’s los, so denken wir beim Anblick der Tür am Ende des Tunnels, doch kurz vorher werden wir rechterhand in einen Besprechungsraum geführt. „Der Landeshauptmann ist gleich soweit!“ Step by Step – ist es der Stairway to Heaven oder jener des Orpheus hinab in den Hades? Der Raum ist witzig und gespickt mit Understatement! Wieder Bilder an den Wänden, diesmal ausschließlich welche mit Erwin Pröll. Eines zeigt ihn am Roten Platz, darunter ein verbal verwandelter Elfmeter als Subtext: „Schwarzer Mann“ auf „Rotem Platz“. Eine Karikatur des Charakterkopfes Pröll als Geschenk der Hypo Bank regt zum Schmunzeln an, während ein Foto, das den Landeshauptmann beim Feuerschlucken zeigt, einem trotz Augenzwinkern doch ein bisschen im Ungewissen lässt. „Vorsicht – ich schlucke nicht nur Feuer. In diesem Sinne viel Spaß bei Ihrer Vorsprache!“, steht da samt Unterschrift des Landeshauptmannes. Na das macht ja Mut. Kleine Anspielung, dass auch kleine Journalisten verspeist werden könnten? Die Gedanken schweifen ab. Wie wird der Landeshauptmann sein, so abseits von Kameras und öffentlichen Auftritten, woher man ihn für gewöhnlich kennt. Was ist das für ein Mensch? Ein einfacher Kerl wie du und ich? Ein leutseliger Übervater? Ein unnahbarer Landesfürst?
Step 3
Nach fünf Minuten bekommen wir eine Antwort, zumindest hinsichtlich des klassischen ersten Eindrucks. Dr. Kirchweger, Prölls Pressechef, holt uns ab. Die zuvor geschlossene Tür am Ende des Tunnels öffnet sich, Licht fließt in den düsteren Gang herein. Am Eingang erwartet uns ein lächelnder Landeshauptmann und begrüßt uns herzlich. Wir folgen in sein geräumiges, helles Büro, dessen gesamte Frontseite aus Glas ist und einen beeindruckenden Blick auf den Landhausboulevard freigibt. Abgesehen vom großen Schreibtisch, bleibt der Blick an einem großen roten Schüttbild hängen. Ein Nitsch? Während wir noch gemächlich die Schreibutensilien bereit legen, holt uns Dr. Kirchweger auf den Boden der journalistischen Realität zurück. „Der Landeshauptmann hat eine halbe Stunde Zeit, nachher ist ein Botschaftstermin.“ Eine halbe Stunde! Das ist fürwahr nicht viel, überhaupt bei einer Persönlichkeit wie Pröll, der man ja hunderttausend Fragen stellen könnte, Fragen stellen möchte! Das Gehirn beginnt zu rattern. Der ursprüngliche Dramaturgiefaden, der als Einstieg Fragen unter dem Motto „vertrauensbildende Maßnahmen“ vorsah (immerhin sind wir für Pröll ja fremde Leute, und denen soll er sich jetzt offenbaren?), wird über Bord geworfen. Mut zur Lücke ist angesagt. Kurz zu seiner Person, und zwar die private – nur angerissen versteht sich (eine halbe Stunde!). Und dann natürlich 20 Jahre Hauptstadt. Vorher will ich Dr. Pröll noch kurz das MFG vorstellen, was sich als unnötig erweist. „Natürlich kenn ich das Magazin. Ihr wart’s das mit dem Deix-Interview, oder? Ich hätt geglaubt, ich packs nicht!“, lässt der Landeshauptmann ein schallendes Lachen los. Vertrauensbildende Maßnahmen sind nicht mehr notwendig.
Step 4
Ich krame mein spärliches Wissen über Prölls Biographie hervor, die ein paar Besonderheiten aufweist. Die erste ist gleich das Geburtsdatum: 24. Dezember! Pröll, der heuer seinen 60’er feiert, ist also ein „Christkind“. Ob’s da als Kind nie Aversionen gegen das Jesuskind gab, mit dem man den Tag teilen musste und dessentwegen man wohl um ein Geschenk umfiel? „Nein, das hat mir nichts ausgemacht. Außerdem war Weihnachten in den 50’ern ja kein lukullisches Fest. Das größte Geschenk für mich war, wenn ich am Weihnachtstag mit der Mutter Schokolade schöpfen durfte - ich hab die Modeln ausgegossen – und sich die selbstgemachten Engerl dann am Weihnachtsbaum wiedergefunden haben.“ Auch heute laufe der Weihnachtstag noch nach einem „Ritual“ ab – am Vormittag ist Pröll bei „Licht ins Dunkel“ aktiv, den Abend verbringt er im Kreise der Familie. Da mag es im Übrigen durchaus lebendig zugehen, immerhin hat Pröll vier erwachsene Kinder sowie zwei Enkerl. „Das ist das größte Geschenk, wenn ich Zeit mit meinen Lieben verbringen kann!“ Das ist vielleicht – so darf man als Nichtpolitiker mutmaßen - der höchste und schmerzlichste Preis der Macht: Zuwenig Zeit fürs Privatleben. Das betrifft wohl auch die Hobbys, aber wenn doch einmal ein paar Stunden Zeit bleiben, was macht ein Landeshauptmann dann? „Jetzt im Sommer arbeit ich gern im Garten. Ansonsten bin ich sehr sportlich unterwegs, fahre Rad, spiel Tennis und geh seit etwa einem halben Jahr Nordic Walken. Das macht unglaublich Spaß, da kann man sich so richtig ausschwitzen.“
Bevorzugte Gegend dafür dürfte wohl Radlbrunn sein, nicht nur Prölls Geburtsort, sondern nach wie vor auch Wohnsitz, was einigermaßen überrascht. Irgendwie stellt man sich einen so hohen Politiker – ein Klischee, ich gestehe - doch eher in einer Großstadt denn in einem gerade knapp über 300 Einwohner zählendem Dorf mitten im Weinviertel vor. Im Falle Prölls ist die Ortstreue aber Wesenszug, der sich aufgrund des Amtes geografisch ausgedehnt hat. „Ich bin ein sehr heimatverbundener Mensch, vor allem auch emotional. Wenn ich durch dieses Land, seine Regionen fahre, mit den Leuten zusammenkomme – das ist ein unglaublich schönes Gefühl!“ Kann er das näher beschreiben? „Wie wenn man verliebt ist!“ Verliebt? Das ist eine starker Ausdruck. Unweigerlich erinnert man sich an die erste Kampagne des St. Pöltner Bürgermeisters „Ich liebe St. Pölten“. Als kritischer Geist fragt man sich da schon, ob das nicht eher Attitüde, Marketingschmäh ist? Andererseits - irgendwie nimmt man es sowohl dem Landeshauptmann als auch dem Bürgermeister ab. Warum würde man sich ansonsten solche Jobs antun?
Step 5
Dabei gab es durchaus eine Zeit, als es Pröll auch hinauszog bzw. er hinausziehen musste. So studierte er in Wien an der Universität für Bodenkultur. „Ursprünglich wollt ich Bauer werden. Da aber mein Bruder die Landwirtschaft übernommen hat, war mein nächster Wunsch, ins Agrarmanagement zu gehen.“, erklärt er die Studienwahl. Aus dem Agrarmanagement wurde dann freilich, mehr aus Zufall denn Absicht, die Agrarpolitik. „Bis 25/26 Jahre war ich nicht explizit politisch engagiert, war sozusagen Normalverbraucher. Ein einziger Abend hat alles verändert. Damals hat Sixtus Lanner eine Europadiskussion veranstaltet, an der ich teilgenommen hab. Nachher ist er zu mir gekommen und hat gesagt: Pröll, kommen Sie zu mir arbeiten!’“
Das war der Anfang einer Bilderbuchkarriere, die schließlich 1992 im höchsten Amt des Landes endete. Ein Amt, dem Pröll im Übrigen – trotz aller Umschmeichelungen, ihn für die Bundespolitik zu gewinnen – die Treue halten will. „Ich gehe mit Sicherheit als Landeshauptmann von Niederösterreich in Pension. Es gibt für mich nichts Faszinierenderes, als erster Diener dieses Landes zu sein.“
Das ist ja auch nicht gerade ein kleines Aufgabengebiet. Durchlebt man da ob der Verantwortung nicht manchmal schlaflose Nächte? Wie geht man mit soviel Macht um? „Sicher gibt es einen gewissen Erfolgsdruck, denn wenn hier eine Fehlentscheidung geschieht, wirkt sich das negativ auf das gesamte Land und die Leute aus. Ich habe gute Mitarbeiter, aber letztlich muss ich entscheiden. Da passiert es schon manchmal, dass ich dann alleine da sitz’ und dort hinauf schau’“ (Pröll zeigt auf das Kreuz über dem Eingang) „und mir alles noch einmal durchüberlege. Der Glaube gibt mir Kraft.“
Andere Grundsätze Prölls sind Geradlinigkeit „ich klopf keine flotten Sprüche. Wenn ich etwas sage, kann man sich darauf verlassen“, und gelebte Konfliktkultur, wobei Pröll diesbezüglich die Diskussionen rund um die Handymasten oder die Elite Uni als Beispiele anführt. „Ohne Konflikte gibt es keinen Erfolg, kein Vorwärtskommen.“
Letztlich komme mit der Zeit auch eine gewisse Routine. „Die fortschreitende Entwicklung von Erfahrung zu Erfahrung gibt letztlich eine gewisse Entscheidungssicherheit.“ Eines sei in der Lebens- und Berufsorganisation aber für ihn immer wichtigste Voraussetzung: Disziplin. „Zeitdisziplin, Disziplin beim Essen, Disziplin beim Sport. Disziplin ist immer angesagt!“
Step 6
Ein kurzer Blick auf die Uhr. 20 Minuten sind um. Wir sind mitten in der Politik gelandet, Zeit für St. Pölten. Wie zufrieden ist er denn mit der Entwicklung seiner Hauptstadt? „Wir haben zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung im Hinblick auf die Landeshauptstadt getroffen. Damit haben wir uns von Wien emanzipiert, mit unglaublich positiven Effekten auf Wirtschaft und Image. Vor Generationen waren wir noch die kleinen Depperl aus der Provinz, heute stehen wir mit Wien und unseren Nachbarn auf einer Augenhöhe.“ Die Entwicklung St. Pöltens während dieser 20 Jahre beurteilt er differenziert. „Die Landeshauptstadt entwickelt sich sehr gut. Bedauerlich ist, dass die Bevölkerungsentwicklung nicht in dem Maße gestiegen ist, wie erwartet. Zumal heute alle Landeseinrichtungen da sind.“ Zudem sei der finanzielle Spielraum der Stadt heute aus seiner Sicht aufgrund des zu langen Haltens am Krankenhaus sehr eingeschränkt. „Es wäre notwendig, am Image effizienter zu arbeiten, und ich glaube, dass in der Stadt nicht erkannt wurde, in moderne Infrastruktur zu investieren. Heute ist die Stadt nicht in der Lage, so leicht zu planen und zu gestalten. Aber es gibt auch viel Positives, etwa die Architektur.“
Und wenn man das Rad der Zeit um 20 Jahre vorwärts dreht – wie sieht seine Vision für die Hauptstadt aus? „2026 hätte ich gerne, dass St. Pölten eine europäisch angesehene Metropole mit angemessener Infrastruktur sowie einem modernen Management ist, und dass es zwischen Stadt und Land ein enges Miteinander gibt!“
Aha - da muss man einhaken. Die Zusammenarbeit. Schwarzes Land, rote Stadt. Immer wieder beschleicht die Bürger ja das Gefühl, dass diese Achse nicht geschmiert läuft. Ist Parteipolitik ein Hemmschuh? „Parteipolitik kann man hier nicht ins Treffen führen. Es gibt ja zum Beispiel auch eine enge Achse Michael Häupl und Erwin Pröll, die landes- und ideologieüberschreitend funktioniert. Auch mein Verhältnis zu Willi Gruber war zuletzt ausgezeichnet. Aber es ist, wie immer, wenn man Distanzen aufbaut. Das Angebot zur Zusammenarbeit ist jedenfalls da.“
Distanzen, was meint er da genau, bohren wir nach? „Es ist halt auch eine Frage des Umganges. Es gibt keine Stadt in Niederösterreich, wo durchgehend parteipolitische Plakate aufgestellt werden, welche den politischen Gegner ohne Unterbrechung schmutzig machen.“
Ja ja, die lieben Plakate - die im übrigen am meisten wohl der Bevölkerung auf die Nerven gehen. Da bekleckern sich beide Großparteien nicht mit Ruhm, wie der jüngste plakative Schlagabtausch zeigt.
Dennoch haben die St. Pöltner manchmal den Eindruck, dass sie benachteiligt werden – etwa, wenn das Regionalisierungsgesetz, welches die Stadt aus einer Reihe von Fördertöpfen wie ecoplus oder Messeförderung ausschließt, 2006 noch einmal um zwei Jahre verlängert wurde.
„Hinter dem damaligen Gesetz steckt die Philosophie der Regionalisierung, um zu vermeiden, dass andere Landesteile ins Hintertreffen geraten. Das darf keinesfalls passieren, weil umgekehrt ja die Landeshauptstadt von den Regionen getragen wird. Wir haben hier in St. Pölten rund 7 Milliarden Schilling investiert, daher sollten die Regionen parallel zum Aufbau in St. Pölten mittels kommunalpolitischer Projekten mitwachsen. Nun gilt es, in den Grenzregionen zu Tschechien zu investieren. Diesbezüglich gibt es mit der sogenannten Förderkulisse zwischen 2007-2013 Gelder aus Brüssel. Das heißt Investitionen werden mitgetragen. Für jeden Euro, den wir dort investieren, bekommen wir je einen Euro vom Bund und einen Euro von der EU. Für den Landeshauptmann ist jedes Kind gleich viel wert, und in St. Pölten wurde viel investiert.“
Stimmt schon. Aktuelle Projekte sind etwa die Eishalle oder der Bahnhofsumbau, wo die Zusammenarbeit offensichtlich funktioniert. Andere Projekte sind sozusagen am Wunschzettel der Stadt, so etwa das Stadion. Diesbezüglich räumt Pröll ein, „wenn die Stadt ein Drittel mitträgt, ist morgen Baubeginn!“. Ein anderes akutes Thema, wo man auf Unterstützung seitens des Landes hofft, ist eine neue Halle für das VAZ. Gibt es diesbezüglich eine Chance? „Das ist auch eine Frage des Verhandelns. Seinerzeit wurde das VAZ viel zu kurzfristig seitens der Stadt - aus welchem Grund auch immer – gebaut. Der Grund war nicht der glücklichste.“, verweist der Landeshauptmann auf Fehler aus der Vergangenheit. Und kann man das reparieren? „Ich hoffe sehr!“ Das ist zumindest nach dem Motto „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ kein Nein!
Step 7
„Herr Landeshauptmann, wir müssen. Der Botschafter wartet.“, untberbricht Dr. Kirchweger das Gespräch. Die halbe Stunde ist vorbei! Soviele offene Fragen - nach der Kindheit am Land, dem Umgang mit Macht, dem Verhältnis zu den Medien, die Chancen der EU-Erweiterung etc. „Sie in Ihrer Heimat Radlbrunn zu begleiten wär’ einmal interessant.“, bleibt mir am Schluss nur mehr zu fragen. Die überraschende Antwort. „Das machen wir, und dann nehmen wir uns gleich einen halben Tag lang Zeit.“ Das ist eine Ansage! Dr. Pröll begleitet uns hinaus, wo schon die Protokollführer warten. „Welche Sprache spricht der Botschafter?“, hören wir ihn noch fragen, „Englisch!“, dann schließt sich die Tür am Ende des Tunnels hinter uns und wir sind wieder in der Welt der Sterblichen.
Wordrap
Welche Musik hören Sie?
V.a. Klassik - Mozart, Beethoven, Schubert
Welchen Kinofilm haben Sie zuletzt gesehen?
Ich war das letzte Mal vor 10, 12 Jahren privat im Kino, zuletzt offiziell im cinema paradiso.
Was haben Sie zuletzt im Fernsehen gesehen?
Tatort
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Die Lebensgeschichte von Johannes XXIII
Wer wird Fußball-Weltmeister?
Argentinien
Ihr Lebensmotto?
Leben und leben lassen
Ihr Polit-Credo?
Immer ehrlich sein, zu sich und den anderen.
Mit wem würden Sie gerne essen gehen?
mit meinen Enkelkindern, der dreijährigen Anna und dem 1 jährigen Johannes
Oben empfängt uns ein freundliches Foyer mit breiter Glasfront, die den Blick Richtung Rainersiedlung und weites Land öffnet. Wir melden uns beim Portier, der ebenfalls hinter Glas sitzt, was ein bisschen Krankenhauscharme verbreitet. Er bittet uns derweil Platz zu nehmen. Die Tür neben ihm, wo es ins Allerheiligste geht, bleibt verschlossen.
Wir machen es uns in den Lederfauteuilles gemütlich und vertreiben uns die Wartezeit mit dem Studium der Landeshauptmann-Portraits, welche eine der Wände schmücken. Irgendwann wird sich hier das Konterfei Erwin Prölls hinzugesellen, wobei er – so lässt ein überschlagsmäßiges Nachrechnen der unter den Bildern befindlichen Amtsperioden seiner Vorgänger erahnen – als der längstdienende Landeshauptmann in der Geschichte Niederösterreichs eingehen könnte. Nur mehr ein Jährchen fehlt ihm, um den 15 Jahre-Rekord von Landeshauptmann Maurer zu schnupfen. Seit 1992 ist Erwin Pröll bereits im Amt!
Step 2
Nach 10 Minuten wird die Tür geöffnet und wir betreten Niederösterreichs Area 51. Jetzt geht’s los, so denken wir beim Anblick der Tür am Ende des Tunnels, doch kurz vorher werden wir rechterhand in einen Besprechungsraum geführt. „Der Landeshauptmann ist gleich soweit!“ Step by Step – ist es der Stairway to Heaven oder jener des Orpheus hinab in den Hades? Der Raum ist witzig und gespickt mit Understatement! Wieder Bilder an den Wänden, diesmal ausschließlich welche mit Erwin Pröll. Eines zeigt ihn am Roten Platz, darunter ein verbal verwandelter Elfmeter als Subtext: „Schwarzer Mann“ auf „Rotem Platz“. Eine Karikatur des Charakterkopfes Pröll als Geschenk der Hypo Bank regt zum Schmunzeln an, während ein Foto, das den Landeshauptmann beim Feuerschlucken zeigt, einem trotz Augenzwinkern doch ein bisschen im Ungewissen lässt. „Vorsicht – ich schlucke nicht nur Feuer. In diesem Sinne viel Spaß bei Ihrer Vorsprache!“, steht da samt Unterschrift des Landeshauptmannes. Na das macht ja Mut. Kleine Anspielung, dass auch kleine Journalisten verspeist werden könnten? Die Gedanken schweifen ab. Wie wird der Landeshauptmann sein, so abseits von Kameras und öffentlichen Auftritten, woher man ihn für gewöhnlich kennt. Was ist das für ein Mensch? Ein einfacher Kerl wie du und ich? Ein leutseliger Übervater? Ein unnahbarer Landesfürst?
Step 3
Nach fünf Minuten bekommen wir eine Antwort, zumindest hinsichtlich des klassischen ersten Eindrucks. Dr. Kirchweger, Prölls Pressechef, holt uns ab. Die zuvor geschlossene Tür am Ende des Tunnels öffnet sich, Licht fließt in den düsteren Gang herein. Am Eingang erwartet uns ein lächelnder Landeshauptmann und begrüßt uns herzlich. Wir folgen in sein geräumiges, helles Büro, dessen gesamte Frontseite aus Glas ist und einen beeindruckenden Blick auf den Landhausboulevard freigibt. Abgesehen vom großen Schreibtisch, bleibt der Blick an einem großen roten Schüttbild hängen. Ein Nitsch? Während wir noch gemächlich die Schreibutensilien bereit legen, holt uns Dr. Kirchweger auf den Boden der journalistischen Realität zurück. „Der Landeshauptmann hat eine halbe Stunde Zeit, nachher ist ein Botschaftstermin.“ Eine halbe Stunde! Das ist fürwahr nicht viel, überhaupt bei einer Persönlichkeit wie Pröll, der man ja hunderttausend Fragen stellen könnte, Fragen stellen möchte! Das Gehirn beginnt zu rattern. Der ursprüngliche Dramaturgiefaden, der als Einstieg Fragen unter dem Motto „vertrauensbildende Maßnahmen“ vorsah (immerhin sind wir für Pröll ja fremde Leute, und denen soll er sich jetzt offenbaren?), wird über Bord geworfen. Mut zur Lücke ist angesagt. Kurz zu seiner Person, und zwar die private – nur angerissen versteht sich (eine halbe Stunde!). Und dann natürlich 20 Jahre Hauptstadt. Vorher will ich Dr. Pröll noch kurz das MFG vorstellen, was sich als unnötig erweist. „Natürlich kenn ich das Magazin. Ihr wart’s das mit dem Deix-Interview, oder? Ich hätt geglaubt, ich packs nicht!“, lässt der Landeshauptmann ein schallendes Lachen los. Vertrauensbildende Maßnahmen sind nicht mehr notwendig.
Step 4
Ich krame mein spärliches Wissen über Prölls Biographie hervor, die ein paar Besonderheiten aufweist. Die erste ist gleich das Geburtsdatum: 24. Dezember! Pröll, der heuer seinen 60’er feiert, ist also ein „Christkind“. Ob’s da als Kind nie Aversionen gegen das Jesuskind gab, mit dem man den Tag teilen musste und dessentwegen man wohl um ein Geschenk umfiel? „Nein, das hat mir nichts ausgemacht. Außerdem war Weihnachten in den 50’ern ja kein lukullisches Fest. Das größte Geschenk für mich war, wenn ich am Weihnachtstag mit der Mutter Schokolade schöpfen durfte - ich hab die Modeln ausgegossen – und sich die selbstgemachten Engerl dann am Weihnachtsbaum wiedergefunden haben.“ Auch heute laufe der Weihnachtstag noch nach einem „Ritual“ ab – am Vormittag ist Pröll bei „Licht ins Dunkel“ aktiv, den Abend verbringt er im Kreise der Familie. Da mag es im Übrigen durchaus lebendig zugehen, immerhin hat Pröll vier erwachsene Kinder sowie zwei Enkerl. „Das ist das größte Geschenk, wenn ich Zeit mit meinen Lieben verbringen kann!“ Das ist vielleicht – so darf man als Nichtpolitiker mutmaßen - der höchste und schmerzlichste Preis der Macht: Zuwenig Zeit fürs Privatleben. Das betrifft wohl auch die Hobbys, aber wenn doch einmal ein paar Stunden Zeit bleiben, was macht ein Landeshauptmann dann? „Jetzt im Sommer arbeit ich gern im Garten. Ansonsten bin ich sehr sportlich unterwegs, fahre Rad, spiel Tennis und geh seit etwa einem halben Jahr Nordic Walken. Das macht unglaublich Spaß, da kann man sich so richtig ausschwitzen.“
Bevorzugte Gegend dafür dürfte wohl Radlbrunn sein, nicht nur Prölls Geburtsort, sondern nach wie vor auch Wohnsitz, was einigermaßen überrascht. Irgendwie stellt man sich einen so hohen Politiker – ein Klischee, ich gestehe - doch eher in einer Großstadt denn in einem gerade knapp über 300 Einwohner zählendem Dorf mitten im Weinviertel vor. Im Falle Prölls ist die Ortstreue aber Wesenszug, der sich aufgrund des Amtes geografisch ausgedehnt hat. „Ich bin ein sehr heimatverbundener Mensch, vor allem auch emotional. Wenn ich durch dieses Land, seine Regionen fahre, mit den Leuten zusammenkomme – das ist ein unglaublich schönes Gefühl!“ Kann er das näher beschreiben? „Wie wenn man verliebt ist!“ Verliebt? Das ist eine starker Ausdruck. Unweigerlich erinnert man sich an die erste Kampagne des St. Pöltner Bürgermeisters „Ich liebe St. Pölten“. Als kritischer Geist fragt man sich da schon, ob das nicht eher Attitüde, Marketingschmäh ist? Andererseits - irgendwie nimmt man es sowohl dem Landeshauptmann als auch dem Bürgermeister ab. Warum würde man sich ansonsten solche Jobs antun?
Step 5
Dabei gab es durchaus eine Zeit, als es Pröll auch hinauszog bzw. er hinausziehen musste. So studierte er in Wien an der Universität für Bodenkultur. „Ursprünglich wollt ich Bauer werden. Da aber mein Bruder die Landwirtschaft übernommen hat, war mein nächster Wunsch, ins Agrarmanagement zu gehen.“, erklärt er die Studienwahl. Aus dem Agrarmanagement wurde dann freilich, mehr aus Zufall denn Absicht, die Agrarpolitik. „Bis 25/26 Jahre war ich nicht explizit politisch engagiert, war sozusagen Normalverbraucher. Ein einziger Abend hat alles verändert. Damals hat Sixtus Lanner eine Europadiskussion veranstaltet, an der ich teilgenommen hab. Nachher ist er zu mir gekommen und hat gesagt: Pröll, kommen Sie zu mir arbeiten!’“
Das war der Anfang einer Bilderbuchkarriere, die schließlich 1992 im höchsten Amt des Landes endete. Ein Amt, dem Pröll im Übrigen – trotz aller Umschmeichelungen, ihn für die Bundespolitik zu gewinnen – die Treue halten will. „Ich gehe mit Sicherheit als Landeshauptmann von Niederösterreich in Pension. Es gibt für mich nichts Faszinierenderes, als erster Diener dieses Landes zu sein.“
Das ist ja auch nicht gerade ein kleines Aufgabengebiet. Durchlebt man da ob der Verantwortung nicht manchmal schlaflose Nächte? Wie geht man mit soviel Macht um? „Sicher gibt es einen gewissen Erfolgsdruck, denn wenn hier eine Fehlentscheidung geschieht, wirkt sich das negativ auf das gesamte Land und die Leute aus. Ich habe gute Mitarbeiter, aber letztlich muss ich entscheiden. Da passiert es schon manchmal, dass ich dann alleine da sitz’ und dort hinauf schau’“ (Pröll zeigt auf das Kreuz über dem Eingang) „und mir alles noch einmal durchüberlege. Der Glaube gibt mir Kraft.“
Andere Grundsätze Prölls sind Geradlinigkeit „ich klopf keine flotten Sprüche. Wenn ich etwas sage, kann man sich darauf verlassen“, und gelebte Konfliktkultur, wobei Pröll diesbezüglich die Diskussionen rund um die Handymasten oder die Elite Uni als Beispiele anführt. „Ohne Konflikte gibt es keinen Erfolg, kein Vorwärtskommen.“
Letztlich komme mit der Zeit auch eine gewisse Routine. „Die fortschreitende Entwicklung von Erfahrung zu Erfahrung gibt letztlich eine gewisse Entscheidungssicherheit.“ Eines sei in der Lebens- und Berufsorganisation aber für ihn immer wichtigste Voraussetzung: Disziplin. „Zeitdisziplin, Disziplin beim Essen, Disziplin beim Sport. Disziplin ist immer angesagt!“
Step 6
Ein kurzer Blick auf die Uhr. 20 Minuten sind um. Wir sind mitten in der Politik gelandet, Zeit für St. Pölten. Wie zufrieden ist er denn mit der Entwicklung seiner Hauptstadt? „Wir haben zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung im Hinblick auf die Landeshauptstadt getroffen. Damit haben wir uns von Wien emanzipiert, mit unglaublich positiven Effekten auf Wirtschaft und Image. Vor Generationen waren wir noch die kleinen Depperl aus der Provinz, heute stehen wir mit Wien und unseren Nachbarn auf einer Augenhöhe.“ Die Entwicklung St. Pöltens während dieser 20 Jahre beurteilt er differenziert. „Die Landeshauptstadt entwickelt sich sehr gut. Bedauerlich ist, dass die Bevölkerungsentwicklung nicht in dem Maße gestiegen ist, wie erwartet. Zumal heute alle Landeseinrichtungen da sind.“ Zudem sei der finanzielle Spielraum der Stadt heute aus seiner Sicht aufgrund des zu langen Haltens am Krankenhaus sehr eingeschränkt. „Es wäre notwendig, am Image effizienter zu arbeiten, und ich glaube, dass in der Stadt nicht erkannt wurde, in moderne Infrastruktur zu investieren. Heute ist die Stadt nicht in der Lage, so leicht zu planen und zu gestalten. Aber es gibt auch viel Positives, etwa die Architektur.“
Und wenn man das Rad der Zeit um 20 Jahre vorwärts dreht – wie sieht seine Vision für die Hauptstadt aus? „2026 hätte ich gerne, dass St. Pölten eine europäisch angesehene Metropole mit angemessener Infrastruktur sowie einem modernen Management ist, und dass es zwischen Stadt und Land ein enges Miteinander gibt!“
Aha - da muss man einhaken. Die Zusammenarbeit. Schwarzes Land, rote Stadt. Immer wieder beschleicht die Bürger ja das Gefühl, dass diese Achse nicht geschmiert läuft. Ist Parteipolitik ein Hemmschuh? „Parteipolitik kann man hier nicht ins Treffen führen. Es gibt ja zum Beispiel auch eine enge Achse Michael Häupl und Erwin Pröll, die landes- und ideologieüberschreitend funktioniert. Auch mein Verhältnis zu Willi Gruber war zuletzt ausgezeichnet. Aber es ist, wie immer, wenn man Distanzen aufbaut. Das Angebot zur Zusammenarbeit ist jedenfalls da.“
Distanzen, was meint er da genau, bohren wir nach? „Es ist halt auch eine Frage des Umganges. Es gibt keine Stadt in Niederösterreich, wo durchgehend parteipolitische Plakate aufgestellt werden, welche den politischen Gegner ohne Unterbrechung schmutzig machen.“
Ja ja, die lieben Plakate - die im übrigen am meisten wohl der Bevölkerung auf die Nerven gehen. Da bekleckern sich beide Großparteien nicht mit Ruhm, wie der jüngste plakative Schlagabtausch zeigt.
Dennoch haben die St. Pöltner manchmal den Eindruck, dass sie benachteiligt werden – etwa, wenn das Regionalisierungsgesetz, welches die Stadt aus einer Reihe von Fördertöpfen wie ecoplus oder Messeförderung ausschließt, 2006 noch einmal um zwei Jahre verlängert wurde.
„Hinter dem damaligen Gesetz steckt die Philosophie der Regionalisierung, um zu vermeiden, dass andere Landesteile ins Hintertreffen geraten. Das darf keinesfalls passieren, weil umgekehrt ja die Landeshauptstadt von den Regionen getragen wird. Wir haben hier in St. Pölten rund 7 Milliarden Schilling investiert, daher sollten die Regionen parallel zum Aufbau in St. Pölten mittels kommunalpolitischer Projekten mitwachsen. Nun gilt es, in den Grenzregionen zu Tschechien zu investieren. Diesbezüglich gibt es mit der sogenannten Förderkulisse zwischen 2007-2013 Gelder aus Brüssel. Das heißt Investitionen werden mitgetragen. Für jeden Euro, den wir dort investieren, bekommen wir je einen Euro vom Bund und einen Euro von der EU. Für den Landeshauptmann ist jedes Kind gleich viel wert, und in St. Pölten wurde viel investiert.“
Stimmt schon. Aktuelle Projekte sind etwa die Eishalle oder der Bahnhofsumbau, wo die Zusammenarbeit offensichtlich funktioniert. Andere Projekte sind sozusagen am Wunschzettel der Stadt, so etwa das Stadion. Diesbezüglich räumt Pröll ein, „wenn die Stadt ein Drittel mitträgt, ist morgen Baubeginn!“. Ein anderes akutes Thema, wo man auf Unterstützung seitens des Landes hofft, ist eine neue Halle für das VAZ. Gibt es diesbezüglich eine Chance? „Das ist auch eine Frage des Verhandelns. Seinerzeit wurde das VAZ viel zu kurzfristig seitens der Stadt - aus welchem Grund auch immer – gebaut. Der Grund war nicht der glücklichste.“, verweist der Landeshauptmann auf Fehler aus der Vergangenheit. Und kann man das reparieren? „Ich hoffe sehr!“ Das ist zumindest nach dem Motto „Die Hoffnung stirbt zuletzt“ kein Nein!
Step 7
„Herr Landeshauptmann, wir müssen. Der Botschafter wartet.“, untberbricht Dr. Kirchweger das Gespräch. Die halbe Stunde ist vorbei! Soviele offene Fragen - nach der Kindheit am Land, dem Umgang mit Macht, dem Verhältnis zu den Medien, die Chancen der EU-Erweiterung etc. „Sie in Ihrer Heimat Radlbrunn zu begleiten wär’ einmal interessant.“, bleibt mir am Schluss nur mehr zu fragen. Die überraschende Antwort. „Das machen wir, und dann nehmen wir uns gleich einen halben Tag lang Zeit.“ Das ist eine Ansage! Dr. Pröll begleitet uns hinaus, wo schon die Protokollführer warten. „Welche Sprache spricht der Botschafter?“, hören wir ihn noch fragen, „Englisch!“, dann schließt sich die Tür am Ende des Tunnels hinter uns und wir sind wieder in der Welt der Sterblichen.
Wordrap
Welche Musik hören Sie?
V.a. Klassik - Mozart, Beethoven, Schubert
Welchen Kinofilm haben Sie zuletzt gesehen?
Ich war das letzte Mal vor 10, 12 Jahren privat im Kino, zuletzt offiziell im cinema paradiso.
Was haben Sie zuletzt im Fernsehen gesehen?
Tatort
Welches Buch haben Sie zuletzt gelesen?
Die Lebensgeschichte von Johannes XXIII
Wer wird Fußball-Weltmeister?
Argentinien
Ihr Lebensmotto?
Leben und leben lassen
Ihr Polit-Credo?
Immer ehrlich sein, zu sich und den anderen.
Mit wem würden Sie gerne essen gehen?
mit meinen Enkelkindern, der dreijährigen Anna und dem 1 jährigen Johannes