MFG - Ahoi Niederösterreich, Ahoi Piraten
Ahoi Niederösterreich, Ahoi Piraten


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St. Pöltens gute Seite

Ahoi Niederösterreich, Ahoi Piraten

Ausgabe 05/2012

Wer die letzten Wahlen in Deutschland und auch Österreich verfolgt hat, weiß mittlerweile, dass Piraten nicht mehr ausschließlich auf dem Wasser zuhause sind. Seit dem ersten Mai hat nun auch Niederösterreich seine Piratenfraktion. Ein Lokalaugenschein der Gründungsveranstaltung in Neulengbach.

Fast im Zentrum Niederösterreichs liegt der Gründungsort der Piraten Landesorganisation, ähnlich symbolträchtig ist mit dem 1. Mai auch das Datum gewählt.
Nach einer kurzen Vorankündigung per Mail begebe ich mich relativ unvoreingenommen ins Gasthaus „Schmankerl“, um mitzuerleben, wie die Landesorganisation aus der Taufe gehoben wird. Auffallend und entgegen des weitläufigen Klischees, dass es sich bei den Piraten insbesondere um ein Jugendphänomen handle, überrascht vor allem die bunte Mischung an Personen, die sich hier versammelt hat. Von jung bis alt ist alles vertreten, einige tragen Hemden, andere wiederum T-Shirts auf denen ein großes „P“ in Segelform prangt – das Logo der Piraten. In einem abgetrennten Raum werden die letzten Vorbereitungen für die formelle Gründung getroffen. Laptops werden hochgefahren, Mitgliederlisten werden durchgegeben und Anträge vorbereitet. Auf jedem Tisch befindet sich ein Tagesordnungsprotokoll sowie ein kleiner Folder, der die Piraten von A bis Z kurz erläutert. Bunter Haufen
Ich geselle mich zu den übrigen Piraten, die sich an einem Tisch im Gastgarten versammelt haben. Es sind zum Teil Mitglieder der Landesorganisation Wien, die hier zwar nicht stimmberechtigt sind, aber dafür die Gelegenheit zum Gedankenaustausch nutzen. Und zwar nicht nur untereinander, sondern auch, und vor allem, mit interessierten Außenstehenden. Einer davon ist ein evangelischer Pfarrer, der sich noch mit den Piraten unterhalten möchte „bevor ihr alle korrupt seid“. Die Bemerkung wird mit Spaß, aber durchaus auch dem Bewusstsein aufgenommen, dass die Vorschusslorbeeren, die die Partei durch einige Erfolge derzeit genießt, erst bestätigt werden müssen.
An diesem Tisch zeigen sich Prinzipien, die derzeit so gar nicht in den Sinn kommen wollen, wenn es um das politische Geschehen geht. Keine Ausflüchte, kein Beschwichtigen und Respekt für die jeweils andere Meinung herrschen vor. Gelebte Basisdemokratie sozusagen. Die Probleme dieses Konzepts werden drinnen beim formellen Prozedere aber ebenso evident. Anträge werden nicht einfach durchgewunken, jeder kann seine Meinung äußern – und tut das auch. Die Moderatorin zeigt sich geduldig, doch man merkt, dass sie erleichtert ist, als nach langwierigen Diskussionen endlich ein Konsens gefunden wird. Vermittelnd versucht sie Beiträge zusammenzufassen und abzukürzen, denn auch wenn es nach der Gründung Landesvorstände gibt, haben diese dasselbe Mitspracherecht wie alle anderen Piraten auch. Sie besitzen also keine formelle Macht, ihre eigenen Anliegen durchzusetzen, ohne eine Mehrheit davon zu überzeugen. Die größte Stärke ist also zugleich auch die die größte Schwäche der Piraten: Während man von einer großen Meinungsvielfalt profitiert, gestaltet sich der Prozess der Konsensfindung mühsam und langwierig.
Die Piraten wären nicht die ersten, die am idealistischen Modell völliger Basisdemokratie gescheitert wären, wie auch ein Pirat selbst einräumt. „Auch die Grünen haben als basisdemokratische Bewegung begonnen. Jetzt sind sie davon meiner Meinung nach weit entfernt!“ Diesen „Fehler“ möchte man nicht begehen, weshalb die Piraten aktuell vor allem mit sich selbst beschäftigt sind und der Frage, wie sie Basisdemokratie und offene politische Kultur auf Dauer sichern können. „Im Moment entstehen die Strukturen, die wir dann mit Inhalten füllen müssen. Das alles ist ein Experiment und keiner kann sagen, wie es ausgehen wird oder wohin es sich entwickelt.“ Die richtigen Piraten?
Die Bürger fordern mehr Transparenz in der Politik, die arrivierten Parteien schicken ihre Jugendorganisationen mit Demokratiepaketen vor, und mit den Piraten heftet sich gleich eine ganze Partei diese – nicht ganz neuen – Themen auf die Flagge. Ein Vorfeldmatch Jungparteienvertreter gegen Piraten.
In Mödling treffe ich Dominic Piegsa alias „Flynn“, einen der frisch gewählten Vorstände der niederösterreichischen Piratenpartei. Er hat klare Vorstellungen davon, wie Politik aussehen soll bzw. weiß er zumindest, wie er sie nicht haben möchte.
Zum viel beschworenen Schlagwort „mehr Transparenz“, das dieser Tage allerorten durch den medialen Äther schwirrt, hat er eine klare wie radikale Meinung: „‘Mehr Transparenz‘ ist ja schlichtweg lächerlich! Das heißt ja nur, dass ich alles, was ich verstecken möchte, irgendwo hinräume, und den Rest geb ich halt frei. Also wenn Transparenz, dann totale Transparenz!“ Basisdemokratie
Ähnlich kompromisslos geben sich die Piraten auch in ihrem Verständnis von Demokratie. Basisdemokratische Strukturen möchte man schaffen, sämtliche Funktionen sollen in der Partei ehrenamtlich organisiert werden. Für die FPÖ, die aktuell ebenfalls mit dem Schlachtruf „mehr direkte Demokratie“ durch die Lande zieht, mehr Schein als Sein. So meint Stefan Berger vom Ring Freiheitlicher Jugendlicher: „Die Basisdemokratie wird in dieser Partei ja auch nur intern gelebt.“ Spitzer Nachsatz: „Was sich ja auch darin ausdrückt, dass sie sich seit ca. 2006 in Österreich zu organisieren versuchen.“ Piegsa widerspricht. Die eingeführten Stammtische sollen dazu beitragen, dass sich eine breitere Öffentlichkeit mit Politik beschäftigt und sich an den Diskussionen beteiligt!
Gegenwind bläst den Piraten auch von Seiten der JVP St. Pölten entgegen. So meint Markus Krempl selbstischer: „Wir sind die besseren Piraten“, und bemängelt vor allem das Fehlen mittel-und langfristiger Strukturen in der Partei. Alibijugendliche
Dem hält Pirat Bernhard Hayden, 17, indirekt entgegen, dass die Jungparteien ohnedies nur Alibivereine der eigentlichen Mutterpartei seien. „Ich sehe es generell kritisch, dass sich die Parteispitze von der Basis inhaltlich wie organisatorisch abhebt. Die Jugend ist ein wichtiger Faktor, um interne Reformen in den Parteien durchzuführen, festgefahrene Strukturen zu lockern und neue Themenbereiche innerhalb der Partei zu etablieren“, merkt er kritisch an. Losgelöst verhalle dies aber ungehört. Alte Ideen, neuer Anlauf
Gelassener und anerkennender reagiert Tobias Schweiger, Bundesobmann der Jungen Grünen, auf die Piraten. So seien ihre Konzepte durchaus gut, wenn auch nicht neu. Aktuell schwämmen sie eben auf einem medialen Hype, weshalb sie naturgemäß mehr Beachtung finden.
Was Piegsa auch gar nicht in Abrede stellt: „Ich lehne mich jetzt einmal aus dem Fenster und sage, dass wir bei der nächsten Wahl gewählt werden. Egal wie gut oder schlecht wir uns anstellen. Einfach nur, weil der Frust über die etablierten Parteien mittlerweile so groß ist.“ Freilich ist er nicht so naiv, um nicht auch die damit zusammenhängenden Herausforderungen zu erahnen. „Diese Stimmen bekommen wir aber nur einmal, dann müssen wir beweisen, dass wir auch etwas bewirken können!“
Und das haben die Piraten vor. Who's afraid of the pirates?
So ihre Gedanken über die Piraten machen sich nolens volens auch die Stadtpolitiker. Spätestens seit dem Einzug der neuen Kraft ins Innsbrucker Stadtparlament muss bewusst sein, dass es sich nicht nur um ein überregionales Phänomen handelt.
Nach außen hin strahlen St. Pöltens Mandatare Gelassenheit aus. Gefährdet fühlt sich niemand durch die Piraten. Zum einen, wie etwa FP Klubobmann Klaus Otzelberger glaubt, weil „die Piraten im linken Lager fischen“, also ohnedies in dem der Mitbewerber. Zum anderen, wie Bürgermeister Matthias Stadler einräumt, „bei Gemeinderatswahlen schon immer, diverse Listen angetreten sind. Das ist nichts Neues auf Kommunalebene.“ Vizebürgermeister Matthias Adl ortet gerade darin sogar einen Vorteil. „Kommunalpolitiker sind einfach näher am Bürger dran. Und das ist eigentlich schon eine ganz gute Antwort auf eine Bewegung wie die Piraten, die sich anonymer, insbesondere im Netz entfaltet.“
Das heißt aber nicht, dass man die neue Gruppierung nicht ernst nimmt, wie die grüne Frontfrau Nicole Buschenreiter klarstellt. „Als politisch interessierte Bürgerin haben auch politische Mitbewerber meine Aufmerksamkeit.“ Dennoch, und dieses Mantra beten alle Parteien, konzentriere man sich primär auf die eigene Partei. „Die Grünen werden weiterhin ihre Anliegen – Umwelt, Partizipation, Nachhaltigkeit – vertreten.“ Otzelberger argumentiert in seltener Übereinstimmung ähnlich: „Die FPÖ wird weiterhin konsequent den eingeschlagenen Weg weitergehen. Da wir die Bürger ernst nehmen und uns deren Sorgen und Problemen widmen, sind wir auch erfolgreich.“
Damit schneidet er zugleich eine der naheliegenden Wurzeln des „Phänomens Piraten“ an, dass sich nämlich viele Bürger von den „Altparteien“ vielfach nicht mehr ernst genommen fühlen. „Nichts ist derzeit frustrierender, als die Reaktion der etablierten Politik auf Krisen aller Art. Nur logisch, wenn da Bewegungen weltweit neu entstehen“, ist Buschenreiter überzeugt.
Matthias Stadler wiederum ortet eine gewisse Vielschichtigkeit des Phänomens. Zum einen speise es sich aus der aktuellen Transparenz- und Korruptionsdebatte in Österreich selbst, zum anderen „geht es aber auch um eine generelle Zeitströmung, der Forderung nach uneingeschränkter Freiheit und Transparenz.“ Diesbezüglich würden zwei Ansätze aufeinanderprallen: Einerseits, wie es die Piraten als praktisch einzigem Programmpunkt fordern, die völlige Freiheit im Netz, „auf der anderen Seite stellen sich aber ebenso Fragen wie jene nach geistigem Eigentum, Cyberkriminalität u. ä.“ Fragen, die nicht mehr an Ländergrenzen enden, „sondern nur durch ein weltweites Regelwerk gelöst werden könnten.“ Und genau das bringe die etablierte Politik auf Nationalebene unter Druck. Allerdings auch, wie Adl überzeugt ist, die Piraten selbst. „Die totale Transparenz ist halt nicht so einfach, wie die Streitigkeiten innerhalb der Piraten über den Umgang mit persönlichen Daten ihrer Vertreter gezeigt haben. Es stimmt sicher, dass die etablierten Parteien ihre eigenen Strukturen hinterfragen müssen, aber umgekehrt zeigt sich, dass es ganz ohne Strukturen eben auch nicht geht.“ Und die Theorie, so ist Bürgermeister Stadler überzeugt, sei halt ein anderes Paar Schuhe als die Realität. „Jetzt gibt es einen Hype, aber letztlich werden auch solche Strömungen daran gemessen werden, welches Programm sie umsetzen.“
Matthias Adl setzt die Ursprünge des aktuellen Hypes tiefschwelliger an. „Wenn ich im Umgang mit politischen Parteien negative Erfahrungen mache, werde ich eher geneigt sein, Bewegungen wie den Piraten näherzutreten.“ Deshalb sei Gebot der Stunde eine Bewegung der Parteien auf die Wähler zu, Teilhabe, persönliche Gespräche. „Da können sich die Bundespolitiker durchaus ein Scheiberl von der Kommunalpolitik abschneiden.“
Damit befindet man sich aber auch direkt im Fahrwasser der aktuellen Generaldebatte um „mehr Demokratie“. Nicole Buschenreiter hat diesbezüglich ganz konkrete Vorstellungen. „Ich persönlich bin für eine radikale Reform des österreichischen Staatswesens: Weg mit den neun Landesgesetzgebungen, mehr klare nationale Zielvorgaben in allen Politikbereichen, dafür größtmögliche Subsidiarität in allen Belangen – Stichwort Schulautonomie. Weiters Bürgerforen sowie Volksbefragungen auf Gemeindeebene zu wesentlichen Themen. Und mehr direkte Demokratie.“ Die „Patenschaft“ für letztere reklamiert quasi Klaus Otzelberger für seine Partei. „Die FPÖ tritt schon seit langem für mehr direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild ein.“
Dem widerspricht auch nicht Matthias Adl, wenngleich er relativiert. „Es wird ja gerne unser Nachbar Schweiz zitiert. Nur dort gibt es ebenfalls Parteien! Ich denke, wir brauchen von beidem etwas, darauf läuft es letztlich hinaus, und damit hätten die Piraten, selbst wenn es sie dann vielleicht gar nicht mehr geben mag, jedenfalls ihren Dienst an der Demokratie getan!“