Integration für Fortgeschrittene
Text
Petra Pfeiffer
Ausgabe
„Das Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen ist unsere Zeit, damit müssen wir umgehen“, so Renate Kienzl, Direktorion der Volksschule Radlberg. „Miteinander statt Nebeneinaner“, sagt Kindergartenleiterin Lydia Bacher. Ein Lokalaugenschein zum Thema Integration in der Volksschule Radlberg und im Kindergarten Pestalozzistraße in Spratzern.
Bunte Zeichnungen zieren die Wände der Volksschule Radlberg und machen das Gebäude lebendig. Die schrille Glocke läutet die Pause ein, Stimmengewirr und Kinderlachen ertönen durch die Gänge.
33 Schüler besuchen derzeit den Unterricht, darunter acht Kinder mit Migrationshintergrund. „Der gemeinsame Alltag ist für die Kinder sehr wohltuend“, so Renate Kienzl, Direktorin der Volksschule Radlberg. Dieser gerät jedoch oft ins Wanken. Dann, wenn wieder über Nacht ein Kind aus der Flüchtlingsstelle Radlberg die Schule verlassen muss. „Heuer war es so, dass nur wenige Tage nach Schulbeginn ein Kind aus der vierten Klasse gehen musste – anderer Wohnort, anderer Schulsprengel.“ Knapp eine Woche später der nächste Fall, diesmal betraf es ein afghanisches Kind. „Wir wissen es im Voraus nicht“, erklärt Kienzl. Die Situationen sind dann immer sehr emotional und lösen Unverständnis aus. „Solche Beschlüsse sind weder für das betroffene Kind noch für die Klassenkameraden förderlich“, erklärt die Pädagogin, und weiter: „Es war nicht einfach, den Kindern zu erklären, dass Amir (Name von der Redaktion geändert) nicht mehr bei uns sein kann.“ Dabei hatte Amir „Glück“. Der beliebte Schulkamerad aus der vierten Klasse und seine Familie haben ein neues Zuhause in St. Pölten erhalten. „In diesem Fall hat eine Lebensverbesserung stattgefunden, was sehr erfreulich ist. Anders, wenn keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird.“
41 Kinder, darunter etwa ein Drittel mit Migrationshintergrund, besuchen derzeit den Kindergarten Pestalozzistraße in Spratzern. Ein reger Wechsel wie in Radlberg ist hier nicht der Fall, nur „manchmal ist es ungewiss, wie lange die Kinder bleiben“, so Kindergartenleiterin Lydia Bacher.
Alltag flexibel gestalten
Der Schulunterricht in Radlberg wird in zwei Klassen (1. und 2. bzw. 3. und 4.) im sogenannten Abteilungsunterricht geführt. Diese Unterrichtsform und die geringe Schüleranzahl lassen Flexibilität zu, die einen integrativen Alltag ermöglichen. „Wir müssen alle Kinder aufnehmen – egal ob sie Deutsch sprechen oder nicht.“ Kommt ein nicht-deutschsprachiges Kind neu an die Schule, stimmen sich Renate Kienzl und ihr Lehrerinnenteam spontan ab. „Wir jonglieren täglich und handeln so, wie es Sinn macht“, meint sie pragmatisch. „Es kommt vor, dass Kinder zwar kein Deutsch sprechen, dafür gut rechnen können. Dann wird zum Beispiel das Kind in Mathematik in der dritten Schulstufe und in Deutsch in der ersten Schulstufe unterrichtet.“ Ohne die Sprache zu sprechen, ist Integration aber schwer möglich. Dolmetscher gibt es keine, der Kontakt zu den Eltern der Migrationskinder ist kaum vorhanden. „Die Eltern haben andere Sorgen und sind froh, dass die Kinder gut in der Schule aufgehoben sind.“
Dolmetscher gibt es auch im Kindergarten Spratzern keine, bei nicht-deutschsprachigen Kindern helfen sich die Pädagoginnen mit Zeichensprache weiter „Wir klatschen Begriffe im Takt, betonen Wörter und Silben sehr genau oder reden mit Händen und Füßen“, berichtet Bacher. Einmal in der Woche kommt ein „multikultureller Mitarbeiter“. Der junge Mann hat türkische Wurzeln, seine Familie lebt seit mehreren Generationen in Österreich. Er unterstützt bei sprachlichen Barrieren und wirkt im Kindergartenalltag mit. „Regelmäßiger Kontakt“ und eine „gute Vertrauensbasis“ verbindet die Kindergartenpädagoginnen mit den Eltern der Kinder.
„Unterricht soll Spaß machen und wir wollen den Kindern etwas bieten“, führt Kienzl aus. Viele Projekte werden während des Schuljahres durchgeführt. Bei „unsere Wurzeln“ sammelten die Kinder Fotos ihrer Urgroßeltern. Dabei stellten sie viele Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Kulturen fest. Bei einer Schulveranstaltung kochten Kinder und Eltern ihre landestypischen Speisen. Damit die Kinder „raus kommen“ wird einmal im Monat in einer Schauküche gemeinsam gekocht. „Jedes Kind übernimmt eine Aufgabe, bei schön gedecktem Tisch essen wir gemeinsam.“ Vor einigen Wochen wurde „das Kinderkochbuch – eine Kochgeschichte“, welches im Unterricht gestaltet wurde, der Öffentlichkeit präsentiert. Ausflüge in die St. Pöltner Innenstadt und regelmäßige Vorstellungen im Landestheater begleichen kulturelle Defizite, die bei in- als auch ausländischen Kindern vorhanden sind.
Der Gemeinschaftsgedanke wird auch im Kindergarten gelebt. „Anlässlich unseres Jahresschwerpunktes ‚Natur gemeinsam erleben’ haben Eltern mit ihren Kindern bei uns im Garten Sträucher und Stauden gepflanzt“, erzählt Bacher. Wanderungen oder gemeinsame Feste mit den Eltern werden regelmäßig organisiert.
Vorurteile, Schwiergkeiten und religiöse Feste
Mit Vorurteilen wird die Schulleiterin immer wieder konfrontiert. Etwa, dass die Migrationskinder finanziell mehr Unterstützung bekommen als andere. Auf taube Ohren stieß Kienzl, als sie sich um Gymnasiumplätze für zwei türkische Kinder bemühte. „Mit Ehrgeiz, Willen und Einsatz hat das Geschwisterpaar bei uns die Volksschule absolviert und Gymnasiumniveau erreicht.“ Für den Jungen konnte ich – trotz vieler Telefonate – keinen Gymnasiumplatz auftreiben, aber ich bin mir sicher, dass er seinen Weg machen wird!“ Seine Schwester kam in einer Privatschule unter.
Kopfschüttelnd beschreibt Kienzl auch eine abstruse, von der Schulordnung vorgesehene Maßnahme: Diese sieht vor, den römisch katholischen Unterricht zu reduzieren, wenn mehr als die Hälfte der Kinder an der Schule Migrationshintergrund haben. Der römisch katholische Unterricht wird ersatzlos gestrichen, „obwohl ihn die Kinder lieben. Wir bieten auch islamischen Unterricht an, darum verstehe ich die Kürzung nicht.“
Auch im Kindergarten Pestalozzistraße werden christliche Werte vermittelt. Glaubensgeschichten vorgelesen, christliche Feste gemeinsam gefeiert. „Wir besprechen alles im Vorfeld mit den Eltern, respektieren andere Religionen und wollen nichts aufzwingen. Beim traditionellen Martinsfest oder der Advenzkranzweihe steht es Eltern anderer Religionsbekenntnisse frei, ob ihre Kinder am Fest teilnehmen oder nicht“. Auf Ablehnung ist Bacher bislang nicht gestoßen, im Gegenteil: „Ein türkisches Kind interessierte sich sehr für die Jesusgeschichten, ein anderes Mal übernahmen muslimische Kinder in einem Gruppenspiel christliche Rollen.“
Der Duden definiert Integration als „die Herstellung einer Einheit aus Differenziertem“. Beide Pädagoginnen und ihr Team leben danach. „Es ist unsere Zeit – manche können es, manche nicht“, resümiert Kienzl.
33 Schüler besuchen derzeit den Unterricht, darunter acht Kinder mit Migrationshintergrund. „Der gemeinsame Alltag ist für die Kinder sehr wohltuend“, so Renate Kienzl, Direktorin der Volksschule Radlberg. Dieser gerät jedoch oft ins Wanken. Dann, wenn wieder über Nacht ein Kind aus der Flüchtlingsstelle Radlberg die Schule verlassen muss. „Heuer war es so, dass nur wenige Tage nach Schulbeginn ein Kind aus der vierten Klasse gehen musste – anderer Wohnort, anderer Schulsprengel.“ Knapp eine Woche später der nächste Fall, diesmal betraf es ein afghanisches Kind. „Wir wissen es im Voraus nicht“, erklärt Kienzl. Die Situationen sind dann immer sehr emotional und lösen Unverständnis aus. „Solche Beschlüsse sind weder für das betroffene Kind noch für die Klassenkameraden förderlich“, erklärt die Pädagogin, und weiter: „Es war nicht einfach, den Kindern zu erklären, dass Amir (Name von der Redaktion geändert) nicht mehr bei uns sein kann.“ Dabei hatte Amir „Glück“. Der beliebte Schulkamerad aus der vierten Klasse und seine Familie haben ein neues Zuhause in St. Pölten erhalten. „In diesem Fall hat eine Lebensverbesserung stattgefunden, was sehr erfreulich ist. Anders, wenn keine Aufenthaltsgenehmigung erteilt wird.“
41 Kinder, darunter etwa ein Drittel mit Migrationshintergrund, besuchen derzeit den Kindergarten Pestalozzistraße in Spratzern. Ein reger Wechsel wie in Radlberg ist hier nicht der Fall, nur „manchmal ist es ungewiss, wie lange die Kinder bleiben“, so Kindergartenleiterin Lydia Bacher.
Alltag flexibel gestalten
Der Schulunterricht in Radlberg wird in zwei Klassen (1. und 2. bzw. 3. und 4.) im sogenannten Abteilungsunterricht geführt. Diese Unterrichtsform und die geringe Schüleranzahl lassen Flexibilität zu, die einen integrativen Alltag ermöglichen. „Wir müssen alle Kinder aufnehmen – egal ob sie Deutsch sprechen oder nicht.“ Kommt ein nicht-deutschsprachiges Kind neu an die Schule, stimmen sich Renate Kienzl und ihr Lehrerinnenteam spontan ab. „Wir jonglieren täglich und handeln so, wie es Sinn macht“, meint sie pragmatisch. „Es kommt vor, dass Kinder zwar kein Deutsch sprechen, dafür gut rechnen können. Dann wird zum Beispiel das Kind in Mathematik in der dritten Schulstufe und in Deutsch in der ersten Schulstufe unterrichtet.“ Ohne die Sprache zu sprechen, ist Integration aber schwer möglich. Dolmetscher gibt es keine, der Kontakt zu den Eltern der Migrationskinder ist kaum vorhanden. „Die Eltern haben andere Sorgen und sind froh, dass die Kinder gut in der Schule aufgehoben sind.“
Dolmetscher gibt es auch im Kindergarten Spratzern keine, bei nicht-deutschsprachigen Kindern helfen sich die Pädagoginnen mit Zeichensprache weiter „Wir klatschen Begriffe im Takt, betonen Wörter und Silben sehr genau oder reden mit Händen und Füßen“, berichtet Bacher. Einmal in der Woche kommt ein „multikultureller Mitarbeiter“. Der junge Mann hat türkische Wurzeln, seine Familie lebt seit mehreren Generationen in Österreich. Er unterstützt bei sprachlichen Barrieren und wirkt im Kindergartenalltag mit. „Regelmäßiger Kontakt“ und eine „gute Vertrauensbasis“ verbindet die Kindergartenpädagoginnen mit den Eltern der Kinder.
„Unterricht soll Spaß machen und wir wollen den Kindern etwas bieten“, führt Kienzl aus. Viele Projekte werden während des Schuljahres durchgeführt. Bei „unsere Wurzeln“ sammelten die Kinder Fotos ihrer Urgroßeltern. Dabei stellten sie viele Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Kulturen fest. Bei einer Schulveranstaltung kochten Kinder und Eltern ihre landestypischen Speisen. Damit die Kinder „raus kommen“ wird einmal im Monat in einer Schauküche gemeinsam gekocht. „Jedes Kind übernimmt eine Aufgabe, bei schön gedecktem Tisch essen wir gemeinsam.“ Vor einigen Wochen wurde „das Kinderkochbuch – eine Kochgeschichte“, welches im Unterricht gestaltet wurde, der Öffentlichkeit präsentiert. Ausflüge in die St. Pöltner Innenstadt und regelmäßige Vorstellungen im Landestheater begleichen kulturelle Defizite, die bei in- als auch ausländischen Kindern vorhanden sind.
Der Gemeinschaftsgedanke wird auch im Kindergarten gelebt. „Anlässlich unseres Jahresschwerpunktes ‚Natur gemeinsam erleben’ haben Eltern mit ihren Kindern bei uns im Garten Sträucher und Stauden gepflanzt“, erzählt Bacher. Wanderungen oder gemeinsame Feste mit den Eltern werden regelmäßig organisiert.
Vorurteile, Schwiergkeiten und religiöse Feste
Mit Vorurteilen wird die Schulleiterin immer wieder konfrontiert. Etwa, dass die Migrationskinder finanziell mehr Unterstützung bekommen als andere. Auf taube Ohren stieß Kienzl, als sie sich um Gymnasiumplätze für zwei türkische Kinder bemühte. „Mit Ehrgeiz, Willen und Einsatz hat das Geschwisterpaar bei uns die Volksschule absolviert und Gymnasiumniveau erreicht.“ Für den Jungen konnte ich – trotz vieler Telefonate – keinen Gymnasiumplatz auftreiben, aber ich bin mir sicher, dass er seinen Weg machen wird!“ Seine Schwester kam in einer Privatschule unter.
Kopfschüttelnd beschreibt Kienzl auch eine abstruse, von der Schulordnung vorgesehene Maßnahme: Diese sieht vor, den römisch katholischen Unterricht zu reduzieren, wenn mehr als die Hälfte der Kinder an der Schule Migrationshintergrund haben. Der römisch katholische Unterricht wird ersatzlos gestrichen, „obwohl ihn die Kinder lieben. Wir bieten auch islamischen Unterricht an, darum verstehe ich die Kürzung nicht.“
Auch im Kindergarten Pestalozzistraße werden christliche Werte vermittelt. Glaubensgeschichten vorgelesen, christliche Feste gemeinsam gefeiert. „Wir besprechen alles im Vorfeld mit den Eltern, respektieren andere Religionen und wollen nichts aufzwingen. Beim traditionellen Martinsfest oder der Advenzkranzweihe steht es Eltern anderer Religionsbekenntnisse frei, ob ihre Kinder am Fest teilnehmen oder nicht“. Auf Ablehnung ist Bacher bislang nicht gestoßen, im Gegenteil: „Ein türkisches Kind interessierte sich sehr für die Jesusgeschichten, ein anderes Mal übernahmen muslimische Kinder in einem Gruppenspiel christliche Rollen.“
Der Duden definiert Integration als „die Herstellung einer Einheit aus Differenziertem“. Beide Pädagoginnen und ihr Team leben danach. „Es ist unsere Zeit – manche können es, manche nicht“, resümiert Kienzl.