Genre-Wechsel BITTE
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
02/2025
Ich weiß nicht, vielleicht geht es Ihnen ja wie mir, aber ich habe gerade einen Wahlkampf-Overload, zumal „Wahlkampf“ zum Dauerzustand geworden ist und sich allmählich zu einem Konflikt um alles, was wir bislang für gesichert hielten – Demokratie, Toleranz, Zusammenhalt – auswächst. Die Zuseher, vulgo Bürger, werden darob immer fahriger, unversöhnlicher und gehässiger.
Dabei, ich gestehe, war der Klick auf diverse Medienkanäle die letzten Monate so etwas wie mein allmorgendlicher Adrenalin-Kick: Wie geht’s weiter bei meinen zwei Lieblingsreality-Soaps? Die tragik-komische, bisweilen skurril anmutende österreichische Provinzposse „Die Bundesregierung“ sowie der actiongeladene, testosterontriefende Blockbuster „TRUMP – Make America Bad Again“. Mittlerweile ist meine Schaulust aber Ernüchterung bis Bestürzung gewichen. Nach Folge 150 bei „Die Bundesregierung“ macht das Warten auf ein vermeintliches „Happy End“ nicht mehr wirklich Spaß, zumal in der Zwischenzeit die Produktionskosten für Österreich derart aus dem Ruder laufen, dass die Serie ohnedies bald wieder abgesetzt und durch eine neue, bei weitem brutalere ersetzt werden könnte. Und „Trump – Make America Bad Again“ hält zwar, was der Drehbuchautor versprochen hat, dass dies aber in derartiger Skrupellosigkeit passiert, hat die Realsatire rasch ins Horror-Surreale abdriften lassen, was Unbehagen und Zukunftsangst erzeugt. Dass viele Seher beider „Formate“ zudem völlig unreflektiert in den Ruf nach „Disruption“ einstimmen und dabei übersehen, dass sie selbst bald davon betroffen sein könnten, trägt auch nicht zur Beruhigung bei.
Unterhaltsam ist das alles nicht mehr, auch wenn – das ist das Fatale und mit Schuld an der Misere – viele Medien (seit dem Internet um ein Vielfaches beschleunigt) die Inszenierung, nein Pervertierung von Politik als Show noch stärker auf die Spitze treiben als es weiland Neil Postman bereits für das Fernsehzeitalter prophezeit hatte. Es ist eine regelrechte Industrie rund um das „Produkt“ Politik als quoten-, also gewinnbringendes Entertainment entstanden. Zig Duelle, Elefantenrunden, Einzelportraits, danach Analysen, Talksendungen, Sondersendungen mit Experten jeglicher Art. Jede kleine Pimperlwahl wird mittlerweile zum Event aufgeblasen. Die Burgenlandwahl österreichweit im ORF? Echt jetzt? Was kommt als nächstes – die Gemeinderatswahl von Gramatneusiedl? Statt der erhofften Transparenz und Orientierung, werden wir von der Überfülle erschlagen, eingelullt. Die substanzielle Information wird zugemüllt, Politiker mutieren im vermeintlich notwendigen Perfektions- und Inszenierungszwang, entsprechen zu müssen und ja keine Fehler zu machen, zu floskeldreschenden Automaten, die jegliche Authentizität verlieren. Man sehnt sich nach einer Pause – aber das Karussell dreht sich munter weiter, und schon steht die nächste „Soap“ vor der Tür: „Die Gemeinderatswahl“.
Offiziell wählt St. Pölten zwar erst im Jänner 26 (auch Spätherbst wäre dem Fristenlauf gemäß möglich), aber wer den „Pilot“ im letzten Gemeinderat am 24.02.2025 mit verfolgt hat, weiß – wir sind schon mittendrin statt nur dabei im Wahlkampf. Und auch hier ist keine Kuschelsoap zu erwarten, sondern eher ein trister Film noir in scharfem Schwarz-weiß. Denn hörte man den Mandataren zu, so konnte man den Eindruck gewinnen, dass die regierende SPÖ in den Augen der Opposition alles falsch gemacht hat, und umgekehrt die Opposition in den Augen der SPÖ ausschließlich St. Pölten schlecht reden möchte. Beides ist Blödsinn. Im Zuge der Sitzungen fielen „Nettigkeiten“ wie Lügner, Angstmache, Phrasendrescher, anarchistisch, für Blöd halten, tiefstes Niveau ... Die politischen Drehbuchschreiber argumentieren dann immer gerne, dass man eben „spitz formulieren“ müsse. Nur – muss man nicht! Tatsächlich wünschen wir uns eine staubtrockene Dokuserie, mit sachlichen Debatten, Konstruktivität, gegenseitigem Respekt und leiseren Tönen, was im übrigen auch für die Zuseher zutrifft. Aber mir ist schon klar, da sind wir jetzt mittendrin in Fantasy.