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Christina Engel-Unterberger – Persönlicher grüner Hotspot


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Christina Engel-Unterberger – Persönlicher grüner Hotspot

Text Johannes Reichl , Michael Müllner
Ausgabe 05/2025

Oppositionsarbeit in einem absolut regierten Biotop ist hartes Brot – wie auch Christina Engel-Unterberger als grüne Neo-Gemeinderätin vor gut fünf Jahren erfahren musste. Nicht nur, dass die Grünen nach der Wahl durch eine Reduzierung der Mitgliederanzahl plötzlich aus allen Gemeinderatsausschüssen rausflogen, wurde die Fraktionssprecherin bei ihrem ersten Besuch als nicht stimmberechtigter Gast auf die Zuschauertribüne verbannt. Kommunalpolitik ist trotzdem eine ihren großen Leidenschaften, „weil mein Chef ist ja nicht der rote Bürgermeister, sondern die Leute, die uns gewählt haben.“ Einigermaßen überraschend kam daher ihre Ankündigung, dass sie sich nach den nächsten Wahlen aus dem Gemeinderat zurückzieht.


Und, dürfen Sie bei den Ausschusssitzungen schon bei den anderen am Tisch sitzen?
Ja, mittlerweile sitze ich unten (lacht). Aber es sind viele Kleinigkeiten. Wir haben zum Beispiel im Rathaus keinen eigenen Raum – ÖVP und FPÖ sehr wohl. Und es war bislang nicht möglich – auch wenn ich das in regelmäßigen Abständen beim Vizebürgermeister und auch der IT deponiere – dass wir Zugang zum WLAN im Rathaus erhalten. Tatsächlich machen wir einen persönlichen Hotspot. Das sind so kleine Machtspielchen der SPÖ, wo man uns unsere Rolle als Opposition spüren lassen möchte. Da denk ich mir schon bisweilen: Das darf doch nicht wahr sein! 

Stellt man sich da nicht bisweilen die Sinnfrage? Als Beobachter der Gemeinderatssitzungen bekommt man den Eindruck, dass fast alle Anträge der Opposition abgelehnt werden.
Die angenommenen kann ich tatsächlich an der Hand abzählen, eingebracht haben wir sicher um die 50. Aber die SPÖ geht schon manchmal mit. Etwa bei unverfänglichen überregionalen Themen, wie etwa einer Anti-Atom-Resolution, oder bei Materien, wo der öffentliche Druck zu groß geworden ist, wie zuletzt bei der Streusalzverordnung. Aber selbst wenn das meiste abgelehnt wird, heißt dies ja nicht, dass die Eingaben sinnlos sind. Oft poppen sie halt nur mit Zeitverzögerung – dann als SPÖ-Vorschlag – wieder auf, wenn ich etwa an das Abgehen von PVC-Rohren hin zu umweltfreundlicheren Alternativen denke oder daran, dass auch acht Meter Straßenbreite ausreichen. Das sind schon grüne Erfolge, auch wenn man die Urheberschaft vielleicht nicht mehr sieht.

Auf Bundesebene war man in der Regierung, konnte also umsetzen – trotzdem wurde man bei der letzten Nationalratssitzung abgewählt und ist in die Krise geschlittert.
Ich würde nicht von Krise sprechen – diese hatten wir 2017, als wir aus dem Nationalrat rausgeflogen sind. Das war schon ein Schock, wobei wir das Ruder dann recht rasch wieder herumreißen konnten und 2019 sogar in die Regierung eingezogen sind. Das war damals freilich im Zuge eines positiven Gesamtklimas: Fridays For Future ist groß geworden, die Menschen haben sich für Klimathemen interessiert. Da war klar, dass es Zeit ist, Verantwortung zu übernehmen und unsere Anliegen in die Regierung hineinzutragen. Es ist ja auch durchaus, selbst wenn das im Zuge der Corona-Pandemie untergegangen ist, viel weitergegangen für den Klimaschutz.

Honoriert wurde das offensichtlich nicht. Viele Grünwähler schienen eher irritiert bis ernüchtert.
Ich habe parteiintern oft kritisiert, dass wir quasi nur über die Vorderbühne gesprochen haben, also öffentlich kommuniziert, was gelungen ist, zu wenig aber über die Hinterbühne – also über jene Dinge, die wir hinter den Kulissen sehr wohl gefordert haben, die aber am Nein des Koalitionspartners gescheitert sind. Ich hab zum Beispiel oft gehört: „Wahnsinn, was die Grünen bei Abschiebungen zulassen!“ Viele dachten, wir treiben diese Themen (Anm.: Menschenrechte) gar nicht voran – haben wir aber natürlich. Aber in einer Regierung bist du Teil des politischen repräsentativen Systems und musst Kompromisse schließen. Das haben nicht alle eingesehen. Diesbezüglich sind unsere Wähler generell kritischer als jene anderer Parteien. Ich finde es etwa immer wieder unglaublich, was sich die ÖVP alles leisten kann, und die Wähler halten ihr trotzdem die Treue – das wäre bei den Grünen undenkbar.

Warum?
Weil wir ein anderes Selbstverständnis haben. Wir sind keine klassische Partei, sondern eine Bewegung mit einer breiten außerparlamentarischen Basis, die sich aktiv einbringt und mitgestalten will. Unsere Grund DNA war und ist es, die Anliegen der Menschen von der Straße ins Parlament zu bringen. Als Mandatar in einer repräsentativen Demokratie wirst du da auch zur Projektionsfläche von Wünschen der Wähler, es werden hohe Erwartungen an dich gestellt, und du stehst stetig im Scheinwerferlicht. Das ist auch auf Kommunalebene nicht anders, nur musst du da vielleicht nicht soweit wegfahren, wenn du mal eine Pause davon brauchst.

Sie haben die „Straße“ angesprochen. Die Grünen gehen ja oft Hand in Hand mit Bürgerinitiativen, das kennen wir auch aus St. Pölten – vermischt sich da Straße und Mandat? 
Das zivilgesellschaftliche Engagement ist im Grunde die Basis unserer Bewegung schlechthin, daraus speist sie sich. Für Veränderungen braucht es aber auch die politische Bühne, egal ob jetzt im Parlament oder im Gemeinderat. Ich seh das als sich ergänzende Systeme – man kann die Themen sozusagen nicht nur der Straße überlassen, ebenso wenig aber auch nicht nur den Mandataren - die muss man bisweilen schon auch von außen anstupsen. Ich kann daher durchaus den Frust bei manchen verstehen, wenn sie den Eindruck gewinnen, die Politik tut zu wenig oder ihr ist die Dringlichkeit etwa des Klimawandels zu wenig bewusst und daher auf die Straße gehen.

Wobei es ja unterschiedliche Formen des Protests gibt. Fridays For Future etwa wurde eher positiv wahrgenommen, während die Aktionen der Letzten Generation – Stichwort Klimakleber – viele als zu radikal ablehnen. Trotzdem legitim?
Ich würde es persönlich nicht so machen, aber ja, den Protest an sich halte ich für legitim. Zugleich gibt es Gesetze, die angewandt werden, wenn es zu Übertretungen kommt – da vertraue ich auf den Rechtsstaat. Wir brauchen da sicher nicht irgendwelche – wie es populistisch etwa von ÖVP und FPÖ im Landtagswahlkampf gefordert wurden – neuen Gesetze gegen „Klimaterroristen“. Der Terminus allein ist schon eine Zumutung.

„Terror“ empfanden viele im Sinne von Zwang, wenn sie etwa unfreiwillig im Stau steckten. War der Protest der Letzten Generation so betrachtet der Klimasache tatsächlich hilfreich?
Analytisch würde ich sagen – ja und nein. Ja, weil das Thema in die Öffentlichkeit gerückt und auf seine Wichtigkeit, ja Dringlichkeit hingewiesen wurde. Nein, weil diese Form des Protests von vielen negativ empfunden wurde, freilich auch, weil es Populisten so aufgeladen und Stimmung dagegen gemacht haben – um sich um die notwendige Auseinandersetzung mit den legitimen Inhalten zu drücken. Es ist aber nicht so, dass die unterschiedlichen Klimabewegungen ihre Aktionen nicht laufend evaluieren und anpassen würden. Mich fasziniert etwa, dass die Lobau-Besetzer nach der Räumung des Camps ihr Know-how in das Gemeinschaftsprojekt mit der Gewerkschaft Vida einbringen, und sich für bessere Arbeitsbedingungen der Busfahrer einsetzen – also Klima und Soziales miteinander denken, weil sie begreifen, dass es für eine nachhaltige Wendung hin zu öffentlicher Mobilität auch bessere Bedingungen braucht, damit ausreichend Menschen diesen Beruf gern ergreifen. Das geht von der WC-Infrastruktur über die Arbeitszeiten bis hin zum Gehalt. Gerade über die Ausschreibungen haben wir da auch als Gemeinden einen gewissen Hebel, diese Bedingungen zu beeinflussen.

Verstellt aber nicht auch der Eindruck der „ewig moralisierenden Grünen“, die mit dem erhobenen Zeigefinger dastehen und schlechtes  Gewissen verbreiten, bisweilen den Blick auf die Anliegen?
Prinzipiell geht es darum, aufzurütteln, nicht darum, den Leuten ein schlechtes Gewissen zu machen von wegen „du bist individuell schuld an der Misere“. Das ist schon vor allem eine gesamtgesellschaftliche und politische Aufgabe, dass die Politik, in unserem Fall auch die Gemeinde, jene Grundlagen schafft, die zum Beispiel klimafreundliche Mobilität nachhaltig ermöglichen. Wir als Politik müssen die die Hausaufgaben machen, dann nutzen die Menschen diese auch.

Wohl genau deshalb sind Sie vor fünf Jahren in die Politik und bei den Grünen eingestiegen, um – wie Sie gesagt haben – nicht nur von der Bande aus Ezzes zu geben. Trotzdem ziehen Sie sich nun nach der nächsten Wahl überraschend aus dem Gemeinderat zurück – warum?
Es war ein langer Entscheidungsprozess, denn Gemeindepolitik ist einerseits unglaublich sinnstiftend, andererseits aber auch herausfordernd. Ich habe gemerkt, dass es mich viel Kraft kostet, Politik, FH-Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Deshalb möchte ich mich wieder voll und ganz auf meine Tätigkeit an der FH St. Pölten fokussieren. Auch wenn ich selbst kein Mandat mehr anstrebe, werde ich den Wahlkampf der Grünen als Parteisprecherin mit voller Kraft unterstützen. Erleichtert wird mir dieser Schritt durch das Wissen, dass Walter Heimerl-Lesnik und Paul Purgina wieder kandidieren – so ist für Kontinuität und frischen Wind gesorgt.
 
Kontinuität kann man auch der Debatte um den Domplatz nicht absprechen, der im vorletzten Gemeinderat wieder Thema war. Nach wie vor ein heißes Eisen? 
Beim Domplatz hat man die Chance, welche die Neugestaltung gebracht hat, leider nicht genutzt, auch aus einer gewissen Sturheit heraus. Warum ist es zu keinen Nachbesserungen gegenüber dem ersten Entwurf gekommen, obwohl dazwischen über zehn Jahre vergangen sind? Wir haben etwa mehrmals einen Antrag auf nochmalige Prüfung der Bepflanzung von Bäumen eingebracht – der wurde nicht einmal zugelassen. Nun ist der Platz wie er ist und man muss versuchen, das Beste daraus zu machen – da haben wir viel Luft nach oben, wobei Parkplätze sicher keine Option sind! Aber neben den wenigen Großveranstaltungen könnte man auch mehrere kleinere mit St. Pöltner Künstlerinnen und Künstlern umsetzen, man sollte über die Ausdehnung der Marktzeiten – bis hin zur Idee eines Abendmarktes – nachdenken, vielleicht würde auch die Zulassung fixer Marktstände für Belebung sorgen, ebenso weitere gastronomische Angebote. Dann ist natürlich Begrünung unbedingt notwendig, vor allem auch Schattenmöglichkeiten und Sitzgelegenheiten, die nicht – wie aktuell – jetzt irgendwo am Rand in der prallen Sonne situiert sind, sondern wirklich zum Verweilen anregen. Außerdem brauchen wir attraktive Spielmöglichkeiten für Kinder. Also man könnte schon einiges machen!

Die FPÖ hat zuletzt wieder eine Nutzung als Parkplatz gefordert, auch der Grüne Loop – die Promenaden-Neugestaltung – wird von FPÖ und ÖVP eher als Innenstadtvertreibungsprogramm denn eines zur Belebung wahrgenommen.
Vorweg – wir haben allein in der Innenstadt 3.100 Tiefgaragenplätze! Parkplätze sind beim Handel zwar sicher ein Thema, aber bei weitem nicht, wie wir es in Gesprächen wahrnehmen, das einzige und auch nicht das größte. Viele Wirtschaftstreibende wünschen sich viel mehr vor allem mehr Kommunikation seitens der Kommune, die ärgern sich, wenn etwa von einem Tag auf den anderen plötzlich eine Baustelle vor ihrem Geschäft ist, ohne dass sie irgendwer darüber informiert hat. Was abgeht ist eine Gesamtschau und ein Gesamtkonzept: Wo will man hin mit der Innenstadt, wie kann man sie attraktivieren. Dazu bedarf es – und ich verstehe nicht, warum es ein solches Instrumentarium nicht schon längst gibt – eines Dialogforums, in dem Experten, Anrainer, Kaufleute, Gemeinde zusammensitzen und sich laufend austauschen. Die Plattform Innenstadt erfüllt das – warum auch immer – bislang nicht wirklich.

Der Grüne Loop regt aber viele Bürger auf. Die Fantasie, dass man dort gerne verweilt bringen die wenigsten auf, stattdessen ist der Tenor „und für dieses Ergebnis mussten die schöne Allee und die Parkplätze weichen?!“
Wir haben den Grünen Loop mit Überzeugung mitgetragen, weil die zugrundeliegenden Pläne vielversprechend und sinnvoll sind, er zudem in einem partizipativen Prozess entwickelt wurde. Um die gewünschten Effekte zu erzielen, muss man aber alle Schritte umsetzen – das heißt gleichzeitig auch die Verkehrsberuhigung der Innenstadt realisieren, sonst funktioniert das Gesamtkonzept nicht. Diesbezüglich ist schade, wenngleich organisatorisch verständlich, dass der Loop in einzelnen Abschnitten und nicht gleich in einem umgesetzt wird. Daher wirkt aktuell vieles wie Stückwerk, teils – ähnlich wie beim Domplatz – nicht bis zu Ende gedacht. Aber auch hier gilt: Ich muss parallel die anderen notwendigen Belebungsschritte setzen: Begrünung, Gastronomie, Aktivitäten und ein öffentliches Verkehrssystem, das bis an die Stadtgrenzen hinausreicht, mit Park & Ride-Anlagen an den Stadteinfahrten, einem Bussystem mit dementsprechender Taktung und Haltestellendichte, einem gut ausgebauten Radwegnetz, so dass Bürger einfach aus allen Stadtteilen in die Innenstadt kommen können. 

Eine Wiederauferstehung feiert auch die S34-Debatte. Ministerin Gewessler, die das Projekt sis­tiert hat, ist selbst Geschichte, Verkehrslandesrat Udo Landbauer hat unlängst eine rasche Umsetzung gefordert. 
Wir Grüne waren als einzige Partei von Anfang an strikt gegen die S34 Und es hat sich nichts geändert: Es ist völlig zukunftsvergessen und unzeitgemäß, heute eine vierspurige Autobahn mitten durch ein potenzielles Naturschutzgebiet bauen zu wollen und dabei massenhaft wertvolle landwirtschaftliche Nutzfläche zu vernichten, dies fußend auf 40 Jahre alte Verkehrsprognosen, die nachweislich so nie eingetreten sind! Eine Umsetzung wäre daher grob fahrlässig, die negativen Konsequenzen immens! Wir brauchen sicher keine Schnellstraße, die das glatte Gegenteil bewirkt: noch mehr Verkehr, nicht weniger! Gerade in Zeiten der Budgetkrise wären die hunderten Millionen Euro, die diese paar Kilometer Straße kosten würden, besser in Klimaschutz, Bildung, Wohnen, etc. investiert.

Die Belastungen für die Anrainer stehen aber außer Streit – was wäre die Alternative, eine Slimversion?  
Es braucht dort überhaupt keine Straße, auch keine Umfahrungsstraße! Stattdessen hätte die Stadt die Chance nutzen sollen, dass die für die S34 vorgesehenen Mittel zweckgewidmet in den Ausbau klimafreundlicher Alternativen gesteckt werden – ich denke da natürlich an den Ausbau der Bahn, die seriöse Prüfung – und zwar nicht nur als Marketinggag des Bürgermeisters – eines O-Bus Konzeptes oder eines Straßenbahnkonzeptes, die Umsetzung von Park & Ride Anlagen am Stadtrand sowie die Einführung von Carsharing-Modellen. Passiert ist nichts.

Aber wäre da nicht die grüne Ministerin gefordert gewesen?
Also die konkrete Planung ist nicht Aufgabe der Ministerin. Da sind schon Vorschläge von Land und Stadt gefordert, die aber offensichtlich kein Interesse daran hatten, weil sie an diesem Wahnsinnsprojekt ja festhalten möchten. Man geht damit aber komplett an den Bedürfnissen der Bürger vorbei. Wir haben Tausende Unterschriften dagegen gesammelt, ich habe mit Hunderten Leuten geredet – nie hat jemand gesagt „wir brauchen unbedingt eine Schnellstraße!“ Daher ist unsere grundlegende Forderung, dass die S34 endlich aus dem Bundesstraßengesetz herausgenommen wird – und dass man sich seitens der Stadt vom „Lückenschluss“ zum Gewerbegebiet einschließlich REWE verabschiedet.

Eine Verstandesfrage: Nehmen wir an, dass das REWE-Lager tatsächlich nicht kommt – dann handelt es sich bei dem Areal ja noch immer um ein Gewerbegebiet und es werden dann halt vielleicht mehrere kleinere Projekte umgesetzt mit möglicherweise aber denselben Effekten. 
Um das klar festzuhalten: Wir sprechen uns dort generell gegen Betriebsansiedlungen oder wie immer geartete Verbauung aus, weil das schlicht ein Überflutungsgebiet ist und eine wichtige Rolle als Retentionsfläche erfüllt, wie wir ja leider zuletzt gesehen haben.  
Nach dem verheerenden Hochwasser noch immer am REWE-Lager festhalten zu wollen entbehrt jeder sachlichen Grundlage und kann bestenfalls als Beleg irrationaler Sturheit des Bürgermeisters gewertet werden. Und da reden wir ja noch nicht einmal vom extremen Verkehrsaufkommen, das die Umsetzung des Projekts mit sich brächte. Ich bin daher überzeugt, dass REWE selbst am Ende des Tages einsieht, dass das dort keinen Sinn macht.

Ein anderes heißes Eisen betrifft die Mülldeponie, wo ganz offensichtlich jahrelang unbehandelter Müll gelagert wurde. Hätte sich das die Stadt ersparen können, wenn sie die MBA nicht verkauft hätte?
Im Nachhinein betrachtet war der Verkauf der MBA an einen privaten Betreiber natürlich denkbar ungüns­tig, zumal man dies scheinbar ohne verbindliche Zusagen und Auflagen gemacht hat. Es ist unbegreiflich, dass im Laufe der Zeit zahlreiche Einzelbescheide des Landes ergangen sind, die aus der ursprünglichen Anlage – ohne ein ordentliches Genehmigungsverfahren – de facto eine komplett andere entstehen haben lassen: Die Müllmengen wurden extrem erhöht, neue Müllarten zugelassen, die Importmengen erhöht. Die Spitze des Eisberges war schließlich – wie Greenpeace aufgedeckt hat – die illegale Deponiepraxis, die für jene, die immer über die Geruchsbelästigung klagten und abgewimmelt wurden, wie ein Schlag ins Gesicht wirkt. Da muss man schon von einem Versagen der Aufsichtsbehörde des Landes sprechen, und auch von einem moralischen des Bürgermeisters, weil man stets auf die Zuständigkeit des Landes verwiesen hat, anstatt auch von sich aus proaktiv für die Bürger mehr Druck beim Betreiber zu machen – die versprochene Halle etwa gibt es bis heute nicht. Und wenn man den Betreiber jetzt noch immer relativieren hört, dann fällt mir eigentlich nur ein: „Dreist – dreister – Zöchling!“ Die haben offensichtlich spekuliert, dass den Gegnern irgendwann das Geld ausgeht – aber dank unseres Unterstützungsfonds für Bürgerinitiativen haben wir langen Atem bewiesen.

Einen Steinwurf weiter soll das Polizeisicherheitszentrum entstehen. Warum sind die Grünen – auch unter dem Aspekt kurze Wege, Nähe Bahnhof – eigentlich gegen den Standort? Verstehen Sie den Vorwurf, dass dann manche sagen: Die Grünen sind sowieso gegen alles, die pfeifen auf Stadtentwicklung?
Macht so eine Einrichtung in Niederösterreich Sinn? Ja! Macht sie in der Landeshauptstadt Sinn? Ja. Macht sie an diesem Standort Sinn? Nein, wenn man die eigenen Planungen ernst nimmt. Im integrierten Stadtentwicklungskonzept ist das Areal als Siedlungserweiterungsgebiet vorgesehen – nun verwässert man die eigenen Leitlinien und klotzt das riesige Polizeisicherheitszentrum hinein mit all den substanziellen Auswirkungen wie etwa erhöhtem Verkehrsaufkommen. Als Bürgermeister hätte ich daher nach einem anderen Standort gesucht. Aber ich orte da ein grundlegendes Problem: Es ist ja nicht so, dass es an sinnvollen und durchdachten Planungsgrundlagen fehlen würde in der Stadt. Oft werden diese aber von der Politik selbst konterkariert, da muss man dann schon fragen, was sind diese Pläne wert, wenn sie nicht eingehalten werden? 

Die Grünen sind also nicht generell wachstumsfeindlich und möchten nicht, wie etwa die ÖVP, das Wachstum mit einem vorübergehenden Baustopp im Wohnbau einhegen?
Nein, Wachstum an sich ist nicht das Problem, solange man Sorge trägt, dass die Infrastruktur mitwächst. Das ist eine Frage sinnvoller Planung, funktionaler Durchmischung: Nehmen wir die WWE-Gründe, die jetzt ohnedies in der Luft hängen. Aber dort muss ich mit dem Wohnbau gleichzeitig einen Nahversorger, einen Kindergarten, eine Anbindung an den öffentlichen Verkehr etc. mitentwickeln. Wir sprechen von der Stadt der kurzen Wege – dann müssen wir das aber auch erfüllen und politisch so umsetzen. 
Die grundsätzliche Frage in Sachen Wachstum ist ja, nach welchen Parametern ich sie ausrichte: Geht es mir wirklich nur darum, die Einnahmen aus der Kommunalsteuer zu erhöhen, oder sind vielleicht auch andere Ziele relevant, die ich priorisiere und dementsprechend im Budget abbilde. Diese muss ich in Folge aber auch auf Basis klarer Indikatoren laufend auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen, sodass ich nachjustieren kann. Wir brauchen ein Wirkungscontrolling!

Ein schöner Übergang zum Budget. Das Land hat die Stadt aufgefordert, einen Konsolidierungspfad vorzulegen, weil der Haushalt offensichtlich aus dem Ruder gelaufen ist. Welche Gründe orten Sie dafür, und wo würden die Grünen konkret sparen?
Was wir schon immer kritisiert haben ist, dass man kontinuierlich zusätzliche Ausgaben getätigt hat – die SPÖ hat, ganz banal gesagt, nicht über ihre, sondern über unsere Verhältnisse gelebt. 4,1 Millionen Euro Marketingbudget für reine Selbstinszenierung etwa sind ein Wahnsinn! 6 Millionen Euro für die Überdachung des Karmeliterhofes nicht minder. Die Spange Wörth mit veranschlagten 2,1 Millionen Euro würden wir streichen. 13,4 Millionen für den Bau des Kinderkunstlabors sind ebenfalls diskussionswürdig im Hinblick auf die Frage, ob die Kultureinrichtung auf Sicht diese Ausgaben tatsächlich rechtfertigt. Diesbezüglich war auch die Tangente mit 17 Millionen Euro reinem Programmbudget leider eine vertane Chance, weil auch hier die Nachhaltigkeit endenwollend scheint. Es ist jedenfalls zu wenig, immer nur zu lamentieren, dass man die Gemeinden insgesamt besser ausstatten muss – ja, muss man, natürlich! Aber wir müssen schon auch unsere eigenen Hausaufgaben machen und in unserem Einflussbereich sorgfältig wirtschaften – das ist nicht geschehen! 

Stünden die Grünen im Fall der Fälle trotzdem als Koalitionspartner der SPÖ zur Verfügung? 
Ich denke, wir haben immer bewiesen, dass wir keine Fundamentalopposition betreiben, sondern konstruktive Sachpolitik. Wir sind von Gestaltungswillen durchdrungen, ergäbe sich also die Möglichkeit unter fairen Arbeitsbedingungen mitzuregieren, wären wir sicher nicht verschlossen – unsere roten Linien wie REWE oder S34 sind aber auch bekannt.

Utopie-Szenario zum Abschluss: Die Grünen regieren mit absoluter Mehrheit – wie würde St. Pölten nach der nächsten Legislaturperiode aussehen?
Das Rathaus würde als offenes BürgerInnenhaus wahrgenommen und Partizipation wäre nicht nur auf ausgewählte, genehme Bereiche beschränkt, sondern gelebte Kultur in allen Segmenten. Auch das Informationsfreiheitsgesetz wäre ehrlich umgesetzt, Transparenz eine Selbstverständlichkeit.
Wir hätten um Zulassung des Truppenübungsplatzes in Völtendorf als NATURA 2000 Gebiet angesucht, das REWE-Areal wäre zu Grünland rückgewidmet, die S34 endgültig abgesagt und klimafreundliche Mobilität würde absolute Priorität genießen.
Als Pendant zur wirtschaftslastigen Plattform St. Pölten gäbe es genauso gut etablierte Dialogforen in den Bereichen Bildung, Soziales, Gesundheit, Kultur. 
Und mit der Opposition gäbe es einen konstruktiven Austausch auf Augenhöhe, Kritik würde nicht gleich als Majestätsbeleidigung empfunden sondern vorurteilsfrei angehört und im Fall der Fälle auch aufgegriffen. Alle Fraktionen im Gemeinderat dürften in allen Ausschüssen vertreten sein und alle Mandatare bekommen das Passwort für das WLAN im Rathaus (lacht). 

ZUR PERSON
Christina Engel-Unterberger wurde 1982 in Graz geboren. Sie studierte Sozialarbeit an der FH Joanneum Graz, seit 2017 lehrt sie als Dozentin an der FH St. Pölten. Bei den Grünen engagiert sie sich seit 2020, als Spitzenkandidatin führte sie die Partei 2021 mit 8% zu ihrem besten Gemeinderatswahlergebnis. Engel-Unterberger ist Stadträtin und Fraktionssprecherin, nach der nächsten Wahl zieht sie sich zurück.