MFG - Eindeutig zweideutig
Eindeutig zweideutig


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Eindeutig zweideutig

Text Johannes Mayerhofer
Ausgabe 06/2024

Der aktuelle City Retail Health Check 2024 des Handelsverbandes sorgte in St. Pölten zuletzt für politische Turbulenzen. 28 % Handelsfläche sind demnach in den letzten 10 Jahren in der St. Pöltner City verloren gegangen. Jüngste Filial-Schließungen in der City von Triumph, Libro oder auch Nentwich haben ebenfalls nicht gerade zur guten Laune beigetragen.

Grund für Weltuntergangsstimmung? MFG nahm mit Rainer Will, Geschäftsführer des Österreichischen Handelsverbandes, die Studienergebnisse genauer unter die Lupe und sprach mit ihm über aktuelle Schwierigkeiten sowie Aussichten des inländischen Handels, etwaigen Reformbedarf und vieles mehr. 
Und wie so oft, offenbarte sich beim näheren Hinblicken ein durchaus differenziertes Bild der Lage. 

St. Pölten hat laut Ihrem CRHC in zehn Jahren 28 Prozent seiner Handelsflächen verloren. Umgekehrt gibt es Städte mit vergleichbarer Einwohnerzahl, die deutlich zugelegt haben: Dornbirn verzeichnete im selben Zeitraum plus sechs Prozent. Was sind hier aus Ihrer Sicht die Faktoren, dass gerade St. Pölten derart krachen gegangen ist?
Ich würde keinesfalls sagen, dass St. Pölten „krachen gegangen“ ist. Betrachtet man rein die Leerstandsquote, schneidet St. Pölten im Vergleich zu den meisten österreichischen Innenstädten sogar sehr erfreulich ab und liegt mit nur 2,7 Prozent leer stehender Geschäftslokale auf Platz vier unter den 24 wichtigsten innerstädtischen Einkaufsbereichen des Landes. Doch St. Pölten ist ein gutes Beispiel dafür, dass sich der Handel analog zum Kundenverhalten permanent verändert. In der Vergangenheit befand sich mit Leiner ein extrem großes Möbelhaus mitten am Rathausplatz, dem zentralen Platz der Landeshauptstadt. Der Platz ist heute geprägt von Gastronomie und Veranstaltungen. Vom Flair her erinnert er immer mehr an eine italienische Piazza. Das ist nicht mehr der richtige Platz, um Möbel zu verkaufen. Diese eine Schließung ist hauptsächlich dafür verantwortlich, dass St. Pölten ein gutes Viertel seiner Verkaufsflächen verloren hat. Rechnet man die Leiner-Schließung heraus, beträgt der Rückgang der Verkaufsflächen gerade zwei Prozent.

Ein heißes Politik-Eisen in Sachen Innentadt-Handel ist die Frage der Parkplätze und das Thema Autofreiheit. Und wieder zeigen Beispiele wie Dornbirn: Autofreie City und gut funktionierendes Handelstreiben schließen sich nicht aus.
Dazu gibt es mehrere Dinge zu sagen: Eine Fußgängerzone kann für ein Modegeschäft oder eine Schmuckboutique vielleicht gut funktionieren, für einen großen Verbrauchermarkt oder ein Möbelhaus aber weniger. Der Einkauf im Modegeschäft passt leicht in eine Einkaufstasche, die man dann gemütlich bis nach Hause, zum Parkplatz oder zum öffentlichen Verkehrsmittel tragen kann. Beim Wocheneinkauf mit Getränkekisten oder beim Kauf größerer Elektrogeräte ist man für den Transport aber oft auf ein Auto angewiesen, darum werden sich solche Betriebe eher nicht in einer Fußgängerzone ansiedeln. Zweitens hängt viel vom Einzugsgebiet und von der Verkehrsinfrastruktur ab. Dornbirn ist das wirtschaftliche Herz des Rheintals, mit 270.000 Einwohnern eine der am dichtesten besiedelten Regionen Österreichs, das mit öffentlichen Verkehrsmitteln hervorragend erschlossen ist. Für St. Pölten trifft das hingegen weniger zu. Vor allem Kunden von außerhalb reisen deshalb zum weitaus überwiegenden Teil mit dem Auto an.

Wie ist Ihre Einschätzung: Kann eine City bezüglich der Schrumpfung des Handels ein „Plateau“ erreichen, ab dem es, wenn schon nicht bergauf, zumindest nicht mehr steil bergab geht? Ein gewisser Bedarf an Handelsgeschäften wird doch immer bestehen? Wie sehen Sie die diesbezügliche Zukunft in der St. Pöltner Innenstadt?
Der Einzelhandel hat extrem schwierige Jahre hinter sich. In der Corona-Pandemie mussten weite Teile des Handels ihre Geschäfte in etwa ein halbes Jahr hindurch geschlossen halten, wenn man alle Lockdowns zusammenrechnet. Deshalb und aus Angst vor Ansteckung wichen viele Konsumenten auf den Online-Handel aus. Die letzten beiden Jahre waren dann durch eine beispiellose Teuerungskrise gekennzeichnet, wodurch sich viele Menschen nur die lebensnotwendigen Einkäufe leisten konnten oder wollten. Entsprechend war auch der Handel eher auf dem Rückzug als am Expandieren. Jetzt scheint eine Erholung in Griffweite: Die Kaufkraft ist heuer stark gestiegen, die Inflation hat sich normalisiert und der Optimismus kehrt Stück für Stück zurück. 
Dass der stationäre Handel hochrelevant bleibt, zeigt auch ein Blick über den großen Teich: In den USA gibt es heute so viele stationäre Läden wie niemals zuvor. Die Menschen legen weiterhin großen Wert auf persönliche Kommunikation und auf Konsum in ihrem Umfeld. Wir sind also optimistisch. Und St. Pölten hat da als wachsende Stadt keine so schlechten Karten.

Laut HV ist die Handelsbranche innerhalb der EU nur in Frank-reich stärker reguliert als in Österreich. Welche Deregulierungsmaßnahmen haben aus Ihrer Sicht Priorität und sollten auf alle Fälle umgesetzt werden? 
Der angesprochene Vergleich stammt nicht von uns, sondern von der EU-Kommission selbst. Sowohl bei der Unternehmensgründung als auch im täglichen Betrieb schneidet Österreich dabei weit schlechter ab als der Durchschnitt der europäischen Länder. Ein Beispiel: Die Mietvertragsgebühr, wo jeder gewerbliche Mieter bereits bei Abschluss des Mietvertrages, also noch vor Eröffnung des Geschäfts, tausende Euro vorab an den Staat bezahlen muss, ist einmalig in Europa. Zweites Beispiel: In nur zwei europäischen Ländern ist der Faktor Arbeit mit so hohen Steuern und Abgaben belastet wie in Österreich. Gerade für so einen beschäftigungsintensiven Wirtschaftszweig wie den Handel – wir sind mit gut 700.000 Beschäftigten der größte privatwirtschaftliche Arbeitgeber Österreichs – ist das eine große Hürde.

Welche empirischen Erkenntnisse gibt es überhaupt bezüglich eines Zusammenhangs zwischen (De)Regulierung/Entbürokratisierung und einem florierenden Handel?
Laut einer aktuellen Unternehmensbefragung sind 88 Prozent der KMU der Ansicht, dass regulatorische Hindernisse ihre Kosten erhöhen, 73 Prozent sehen negative Auswirkungen auf die Rentabilität und 70 Prozent berichten, dass regulatorische Unterschiede ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen. Aufgabe des Handels ist es, sich mit ganzer Kraft um die Bedürfnisse seiner Kunden zu kümmern. Tatsächlich kämpfen wir derzeit aber mit einem wahren Tsunami an neuen Gesetzespaketen, die viele unserer Ressourcen binden, etwa Lieferketten-Sorgfaltspflicht, Verpackungsverordnung, Recht auf Reparatur, Ökodesign-Verordnung, Zahlungsverzugsverordnung, Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie etc. Natürlich braucht jede Wirtschaft auch Regeln. Doch derzeit laufen wir Gefahr, dass wir vor lauter neuen Regelungen keine Zeit für unser Kerngeschäft haben.