MFG - Kulturhauptstadt 2024: Ja! JUGEND-Kulturhauptstadt 2024: ?
Kulturhauptstadt 2024: Ja! JUGEND-Kulturhauptstadt 2024: ?


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St. Pöltens gute Seite

Kulturhauptstadt 2024: Ja! JUGEND-Kulturhauptstadt 2024: ?

Text Thomas Winkelmüller
Ausgabe 06/2018

St. Pölten soll Kulturhauptstadt werden. Etwas Polieren hier und einige neue Ideen da, dann klingt das Unternehmen realistisch. Stellt sich die Frage: Kann sich die Stadt den Titel genauso für ihre Jugendkultur verdienen?

Frequency-Festivalgelände vor einigen Jahren, Morgenstunden – Michael Duscher (Bild unten) irrt entlang der Traisen durch den Campingpark auf der Suche nach Kaffee und Frühstück. Sein Weg endet irgendwo zwischen Herrenplatz und Rathaus. „Bis zu diesem Zeitpunkt war mir gar nicht bewusst, dass St. Pölten eine so schöne barocke Innenstadt hat“, erzählt der 49-Jährige, seitdem habe es ihn immer wieder hierher gezogen. Duscher wird wohl noch öfter über seine damaligen Entdeckungen nachdenken: Heute ist er Geschäftsführer in dem Team, das aus St. Pölten die europäische Kulturhauptstadt 2024 formen will. Gemeinsam mit den Bewohnern von St. Pölten wag es den nächsten Schritt für die Stadt.
„Zweimal Nieder-, zweimal Ober­österreich, zwei Männer und zwei Frauen“, stellt Michael Duscher das Kernteam vor. Ihr Büro liegt etwas versteckt im ersten Stock eines Gebäudes neben dem Rathaus. Von dort aus koordinieren sie, wie St. Pölten sich den Titel sichern kann. Sie erstellen eine Kulturstrategie für 2030 und die Bewerbung der Landeshauptstadt, planen Veranstaltungen und machen Werbung für das Projekt. All das soll „unter aktiver Bürgerbeteiligung“ geschehen. Mit seinem Bestreben steht das Team rund um Duscher nun vor einer Herausforderung, bei der die Stadt schon lange nicht wirklich auf einen grünen Zweig kommt: St. Pöltens Jugend ansprechen.
St. Pöltner Innenstadt, Mittwoch, kurz nach Mitternacht. Das gelbe Licht der Straßenlaternen am Rathausplatz leuchtet nur noch leicht. Um diese Uhrzeit ist St. Pölten eine Stadt in Stille, das barocke Flair verspürt niemand mehr. Kaum ein Mensch ist auf den Straßen unterwegs. Wenn ein paar Leute herumwandern, dann entweder angetrunken aus dem Narrenkastl oder weil sie bei Freunden zu Besuch waren. Recht viel mehr Möglichkeiten gibt es in St. Pölten während der Woche kaum – wenn es um Jugendliche geht, ganz sicher nicht. Für eine Universitäts- und Schulstadt eher suboptimal. Diesen Makel gilt es bis 2024 auszubessern. Das wissen alle Beteiligten. Duscher und die NÖ Kulturlandeshauptstadt GmbH müssen nun einmal herausfinden, was St. Pölten seinen Jugendlichen bietet.

"Ganz ehrlich? Mich berührt das keinen Zentimeter, ob St. Pölten den Titel bekommt. Nach der Matura bin ich sowieso weg!" ALMA (16), Schülerin

In der Innenstadt können sie am Nachmittag Kaffee trinken oder Shisha rauchen, am Abend ins Narrenkastl auf Spritzer und Bier gehen. Die Jüngeren verbringen ihre Zeit rund um die Seen oder im Steppenwolf, gleich daneben der Freiraum als Konzertlocation. Das Highlight: Am Stadtrand stehen zwei Discotheken, fast nebeneinander. Von der Stadt aus erreichen Besucher sie eher mit dem Taxi als zu Fuß. Der Eintritt ins La Boom für Volljährige, im Warehouse manchmal sogar ab 14. In Letzterem variiert die Musik, von Drum & Bass bis Rock, in seinem Gegenstück weniger. Dafür schwingen dort hauseigene Stripper während der „Ladies Night“ jeden Donnerstag ihr Glied über dem Gesicht einer baldigen Maturantin. Währenddessen dürfen sie und ihre Freundinnen bis 23 Uhr umsonst Krug um Krug Bacardi-Cola leeren, bis der Besitzer dann die Männer in die Disco lässt. Und hier endet die Reise für St. Pöltens Jugendliche wieder, es sei denn, sie geht mit dem Zug nach Wien.
Auf Kritik an diesem Freizeitprogramm erwidern so manche gerne mit den einleitenden Worte: „Es gibt ja eh …“ und listen dann die eben genannten Orte auf, und sie haben recht, es gibt sie. Vielleicht liegt gerade hier eines der Probleme: Es gibt sie immer noch, starr und unflexibel wie eh und je. Ganz gleich, wo die Jugendlichen hingehen, sie wissen, was sie bekommen. Das kann gut und schlecht sein. Ein St. Pöltner Projektmitarbeiter reflektiert die Veränderungen im Nachtleben der Stadt mit ehrlichen Worten: „So viel in den letzten Jahren weitergegangen ist, so wenig ist auch weitergegangen. Ich glaub wir können unsere Ansprüche ruhig noch hoch halten!“ Duscher und sein Team sollen nun gemeinsam mit der Stadt zum Laufen bringen, was still steht. Die Frage lautet nur: Wie?
Mit Umfragen und Recherchen hat die Kulturlandeshauptstadt GmbH analysiert, wo angesetzt werden kann. Eine ihrer Schlussfolgerungen: Es fehlt an konsumfreien Zonen in der Stadt, vor allem für Jugendliche mit weniger Geld. „Alles andere als der McDonalds am Bahnhof, der ja diesen Ort einnimmt, ist ein Gewinn“, meint Andi Fränzl, einer der sogenannten „Visionary Advisers“, die als Berater für das Projekt fungieren. Er stellt sich Ateliers, Experimentierräume oder Workspaces als Alternative vor, Hauptsache weg von den jetzigen Orten. Ebenso fehlt ein neues Tanzlokal in der Innenstadt für die Jugendlichen und Studenten von St. Pölten.
Außerdem: Der Wunsch nach klarer Kommunikation der Angebote. Dieses Anliegen dröhnt aus allen Ecken der Stadt. Die Bewohner wollen einen Eventkalender, der sämtliche Informationen an einem Ort sammelt. Wolfgang Matzl ist Jugendkoordinator der Landeshauptstadt St. Pölten und sieht nun eine Chance den leeren Raum zu füllen: „Wir haben ein gutes Angebot, aber ein Problem bei der Vermarktung und da sind wir nicht alleine. Das beklagen viele. Die Bewerbung als Kulturhauptstadt passt da perfekt rein.“ Wie kann so ein Newsletter ausschauen? Zuerst einmal muss er optisch etwas hermachen. Die Qualität des Designs und der Grafik sollte den Zeitgeist treffen und Jugendliche ansprechen, am einfachsten indem er von Jugendlichen gemacht wird – Stichwort Bürgerbeteiligung. Zwar gibt es im St. Pölten Konkret einen Eventkalender online, nur wirkt er ausbaufähig.

"Kulturhauptstadt lass ich mir einreden, aber das „Jugend“ müssten‘s momentan streichen. Aber ich glaub: Da geht was!" SIMON (20), student


Um Jugendliche zu erreichen ist ohnedies eines unausweichlich: Social Media Kanäle ausbauen. St. Pölten Konkret habe keine, aus juristischen Gründen, erklärt der Jugendgemeinderat Thomas Kainz. Er erzählt, dass laut einer Umfrage vier von fünf Leuten das St. Pölten Konkret Heft in der Hand halten und anschauen würden. Das mag stimmen, aber vielleicht die falschen vier, wenn es darum geht junge Menschen anzusprechen. „Ich kenn keinen Jungendlichen der da reingeschaut hat“, erzählt Sidal Keskin, designierte CO-Vorsitzende der alevitischen Jugend in St. Pölten. Sie ist 22 und sieht das Potenzial ihrer Stadt: „St. Pölten wirkt auf den ersten Blick eher klein und fein und erst auf den zweiten merkt man, was die Stadt bringt.“ Das sei nicht unbedingt etwas Schlechtes, „man muss ja keine Großstadt sein um ein großes Angebot zu bieten.“
Newsletter und Social Media schön und gut, es gibt einen noch effektiveren Weg das Interesse der Jugend zu wecken: Beteiligung in der Entstehung. „Wenn Jugendliche direkt involviert sind, ganz gleich ob als Einzelperson, Jugendverbindung oder Verein, vernetzt sich die Idee Kulturhauptstadt von selbst“, ist sich Ali Firat, Gemeinderat in St. Pölten, sicher. Michael Duscher sieht das nicht anders: „Wir haben vor, die Bewerbung in Begleitung von Projekten einzureichen.“ Im August plant Duscher eine Summer School in Zusammenarbeit mit der NDU und Universitäten aus dem östlichen Teil der EU, und gemeinsam mit den Studenten der FH soll ein Bewerbungsvideo gedreht werden, soviel ist einmal spruchreif.
Was weiter alles kommen soll? Im Moment wird noch analysiert und besprochen. St. Pölten darf jedenfalls gespannt sein, welche Projekte die NÖ Kulturlandeshauptstadt GmbH in der ältesten Stadt Österreichs für die Jugend schaffen kann oder noch wichtiger: Was sie gemeinsam MIT ihr schaffen kann.

So funktioniert Kulturhauptstadt
Um die Vorauswahl erfolgreich zu absolvieren, muss bis Ende 2018 eine vorläufige Bewerbungsunterlage erstellt werden. Im Februar 2019 veröffentlicht die Jury eine Shortlist für die in die engere Auswahl gekommenen Bewerber. Diese müssen ihre Konzepte dann detaillierter ausarbeiten und bis Dezember 2019 an die Jury übermitteln. Darauf erfolgt die endgültige Auswahl zur Kulturhauptstadt Ende des kommenden Jahres.
Die EU vergibt den Titel „Kulturhauptstadt Europas“ jährlich an mindestens zwei Städte aus je einem west- und einem osteuropäischen Mitgliedsland sowie einem potenziellen Beitrittsland. Alle sieben Jahre, so auch im Jahr 2024, werden drei Städte ausgezeichnet. Eine europäische Expertenjury entscheidet anhand definierter Kriterien wie der Langzeitstrategie des Projektes, Einbindung der Bevölkerung oder der Europäischen Dimension, an wen der Titel geht.
Welche Staaten eine Kulturhauptstadt stellen, wird im Voraus festgelegt. Österreich war 2003 mit Graz und 2009 mit Linz an der Reihe und ist 2024 erneut in der Auswahl. Die beiden österreichischen Vertreterinnen hatten damals Budgets um die 50-70 Millionen Euro, wobei die EU sich mit 1,5 Millionen Euro beteiligt. Für den Rest kommt meist eine Stadt-/Land-/Bund-Drittelung auf, unterstützt von diversen anderen Geldern aus Sponsoring oder Ticketing.
Bis 31. Dezember 2018 können interessierte Städte ihre Bewerbung abgeben. Voraussichtlich werden Dornbirn und die Rheintalstätte, sowie Bad Ischl mit einigen Städten aus dem Salzkammergut als Konkurrenten antreten. Eine Bewerbung Klagenfurts steht in Raum, ist aber unsicher.

KONTAKTE
NÖ Kulturlandeshauptstadt GmbH
Rathausplatz 1, 3100 St. Pölten
Tel.: 02742 / 908080 273
E-Mail: office@st-poelten2024.eu
Geschäftsführer
Michael Duscher (49 Jahre)
Projektmanager
Jakob Redl (34 Jahre)
Thomas Kainz (31 Jahre)
Jugendgemeinderat der Stadt

Tel.: +43 664 6100276
E-Mail: thomas.kainz@st-poelten.gv.at
Wolfgang Matzl
Jugendkoordinator der Stadt

Tel.: +43 664 6100179
E-Mail: wolfgang.matzl@st-poelten.gv.at

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Foto Wingedwolf-Fotolia.com

Nasko und Kulturhaupstadt ist dabei naheliegend, ja beinahe zwingend. Immerhin war er es, der die junge Landeshauptstadt, die er ein Vierteljahrhundert kulturell wie kein anderer Politiker mitprägte, bereits im Vorfeld der Bewerbung zur europäischen Kulturhauptstadt  2003 ins Spiel brachte und dafür entweder – noch als positivste Reaktion – ungläubiges Kopfschütteln erntete, vor allem aber Häme bis hin zum Vorwurf des Größenwahns. Eine Europäische Kulturhauptstadt St. Pölten,  ...