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St. Pöltens gute Seite

Möge die Mission gelingen

Text Beate Steiner
Ausgabe 12/2022

St. Pölten möchte vorzeigen, wie Ballungszentren dazu beitragen können, dass Österreich klimaneutral wird. Die Klima-Strategie zeigt auf über 100 Seiten auf, was zu tun ist, um die Stadt „Fit4Urban Mission“ zu machen.


Lokale Wege für globale Ziele benennt das Dokument, an dem neben Mitarbeitern des Magistrats und des Landes NÖ externe Experten und Initiativen mitgearbeitet haben. „Alle müssen an einem Strang ziehen“, spricht Projektleiterin Carina Wenda einfach aus, was nicht einfach ist. 
Unterschiedliche Interessen, fehlende Information, verschiedene Erwartungen, persönliche Bedürfnisse, führen zu Zielkonflikten. Stichwörter: Parkplatz oder Baum, Bus oder Privat-Pkw, Schnellstraße oder Wachtelkönig. „Wollen wir unseren Grünraum konservieren und uns regional versorgen oder weiter wohnen, wie es viele lieben – im neuen Einfamilienhaus, damit neue Flächen versiegelt, zusätzlichen Verkehr produzieren und weitere Infrastruktur herstellen? Daran zeigt sich das Konfliktfeld im Kontext Stadtentwicklung und Klimawandel“, sagt Daniela Allmeier vom Planungsbüro Raumposition, eine der Autorinnen der Klimastrategie. 
Die Stadtplanerin weist darauf hin, dass das Auto das Stadtleben in den vergangenen 50 Jahren grundlegend verändert hat. „Die Autoorientierung hat massiv unsere Raumentwicklung beeinflusst und unsere Städte wie Gemeinden geprägt.“ Das alte Erbe schleppen wir allerdings mit: Baugründe, die schon vor Jahrzehnten gewidmet wurden, Alt-Projekte, die nicht von heute auf morgen verändert werden können. „Die Debatte muss breiter angelegt, die Sachlagen hinterfragt werden“, sagt Allmeier, denn es reiche nicht aus, was wir derzeit tun: „Wir haben keine Zeit, müssen aber eine 180-Grad-Drehung machen.“
Ob das gelingen kann, entscheidet die Politik – sie muss Rückendeckung geben und die notwendigen Ziele klar vertreten. In fünf Bereichen, definiert die Klimastrategie: Energie/Gebäude/Wärme, Mobilität, Stadtplanung, Bewusstseinsbildung/Kommunikation sowie Veränderung der Verwaltungsstruktur.

Energie & Wärme 
Klimaziele erreichen kann nur, wer eine Energiewende schafft. Und da hat St. Pölten keine schlechten Startpositionen mit der Fernwärme und ausreichend Flächen für Windräder und Sonnenkollektoren. Die Fernwärme sollte allerdings schnellstmöglich ohne Gas und möglichst wenig Müllverbrennung auskommen, empfiehlt die Klima-Strategie – wie auch GLOBAL 2000. „Müll sollte aus unserer Sicht vermieden, und wenn das nicht geht, recycelt werden“, erklärt Johannes Wahlmüller, Klima- und Energiesprecher von GLOBAL 2000. Statt Müllverbrennung könnten Großwärmepumpen, Solarenergie und Geothermie viel stärker eingesetzt werden.  „Diese innovativen Technologien, deren Umsetzung in Linz und Wien bereits geplant wird, sieht man in der St. Pöltner Strategie noch in ferner Zukunft“, schlägt Wahlmüller eine Änderung der Prioritäten vor: „Die St. Pöltner Stadtregierung sollte den Landesenergieversorger EVN stärker dazu animieren, nicht nur in alten Kategorien der Müllverbrennung zu denken.“ 
Ein bisserl besser geht sofort: Die Fernwärmeleitungen werden laufend erneuert, haben daher weniger Wärmeverlust, was den Erdgasverbrauch reduziert, erklärt Fernwärme-Geschäftsführer Anton Waxenegger.
Wo die Fernwärme nicht hinkommt, sollte klimaschonend Energie erzeugt werden und die Stadt eine Vorreiterrolle einnehmen. Tipps dazu finden sich in der Klima-Strategie, vom Ausbau der Energieberatung über das Anbringen von Photovoltaik auf öffentlichen Gebäuden bis zur Abwärmenutzung aus der Industrie. 
Den Bedarf an Heizwärme senken können thermische Sanierungen von Wohngebäuden – bei einer Sanierungsrate von drei Prozent um rund 20 Prozent bis 2030. Aber nicht jedes Haus darf außen wärmegedämmt werden, etwa weil es denkmalgeschützt ist oder das den Bebauungsbestimmungen in einer Schutzzone widerspricht – wieder ein Zielkonflikt. „Auch beim Bauen muss man abwägen – wo muss ich kompromisslos sein, wo kann ich großzügiger sein. Dieses Dilemma sollte man sichtbar machen“, empfiehlt Daniela Allmeier. Ali Acik von der Stadtplanung erläutert: „Wie wir mit unseren schützenswerten Gebäuden umgehen wollen und die Energiefrage gelöst werden kann, erfordert wohl künftig eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über Werte.“ Jedes Gebäude lege Zeugnis ab über vergangene Epochen und Kulturen ab. Daher sei das „Einpacken“ nicht die einzige Lösung, um baukünstlerisch wichtige Gebäude zukunftsfit zu machen: „Photovoltaik-Anlagen sind bei Schutzzonen möglich – außerhalb der Einsehbarkeit vom öffentlichen Raum“, versichert St. Pöltens Stadtplanungschef Jens de Buck.

Mobilität & Verkehr
Der motorisierte Individualverkehr spuckt Jahr für Jahr mehr Treib­hausgase in die St. Pöltner Luft. „Daher ist die Verkehrswende dringend erforderlich, um die Klimakrise zu bekämpfen“, bekräftigt Projektleiterin Carina Wenda. Verkehrswende, das heißt Förderung nachhaltiger Mobilität: Rad fahren, zu Fuß gehen, mit Öffis fahren. Mit einem Zielkonflikt-Dauerbrenner:

Schnellstraße oder keine Schnellstraße
„Der Politik muss hier endlich auch bewusstwerden, dass ein gleichzeitiges Bekenntnis zum Klimaschutz und ein bedingungsloses Festhalten an der S34 nicht möglich ist, denn das wäre im übertragenen Sinne, gleichzeitig mit einer Friedensvereinbarung die nächste Bombe zu zünden“, drückt Dieter Schmid­radler, Obmann des  Vereins „Verkehrswende“, das Anliegen der Klima-Initiativen drastisch aus. In einem offenen Brief an Bürgermeister Matthias Stadler fordern diese den Stadtchef auf, „sich von der weiteren Forcierung der S34 zu distanzieren.“ Die Stadt hat Strafrechtsexperten Alois Birklbauer konsultiert, der urteilte, dass Bund und ASFINAG rechtlich verpflichtet sind, die Schnellstraße zu errichten. Ein Widerspruch der S34 zum NÖ Klimaschutzprogramm oder zum Pariser Klimaschutzabkommen bestehe nicht. 
Wie es mit der S34 weitergeht, ist ungesichert. Sicher ist: Verkehrswende in St. Pölten heißt, dass der private Pkw-Verkehr reduziert wird, die Parkplätze verringert werden. Das hat zur Folge, dass Straßenflächen neu definiert werden. „Wir haben nur eine bestimmte Straßenbreite zur Verfügung. Daher müssen die Flächen zwischen den Mobilitätsformen neu verteilt werden, zugunsten der Fußgänger und Radfahrer, also der aktiven Mobilität, und zulasten des motorisierten Individualverkehrs“, erklärt Carina Wenda. 
Der neue Domplatz wird etwa einen wertvollen Beitrag zur Mobilitätswende leisten, ist Manuel Hammel aus der Stadtplanung überzeugt: „Einige Zeit nach der Umgestaltung wird sich kaum jemand mehr vorstellen können, wie ein derartig attraktiver, zentraler Platz als Parkplatz ‚verschwendet‘ werden konnte – genauso, wie wir es schon beim Rathausplatz erlebt haben.“ Und für die Radfahrer soll einiges getan werden in den nächsten zehn Jahren. Dazu gehört der lückenlose Ausbau des bestehenden Radroutennetzes hin zu einem Radwegenetz. „Nur wenn ich sicher, attraktiv, komfortabel und ohne erheblichen Zeitverlust von A nach B gelange, werde ich diesen Weg nicht mit dem Auto zurücklegen“, so Hammel. Zur Attraktivierung gehören auch Radservicestationen, die Öffnung von Einbahnstraßen für den Radverkehr, ein Lastenrad-Sharing-Angebot, aber auch verkehrsberuhigte Bereiche vor Schulen.
Letztere hat der Gemeinderat im Vorjahr mit dem Masterplan „Aktive Mobilität“ beschlossen, denn Fußgänger- und Begegnungszonen erhöhen die Sicherheit für die Kinder – und die Fläche wird für Begrünungsmaßnahmen frei. „Eine verkehrsberuhigte Schulstraße setzt allerdings ein gezieltes Umfeldmanagement mit ‚Elternhaltestellen‘ voraus, da sonst im umliegenden Straßennetz ein Verkehrschaos entstehen kann“, weiß Manuel Hammel.
Das alles funktioniert übrigens in klimafreundlichen Städten wie Rotterdam, Münster und Kopenhagen deshalb ohne nennenswerten Widerstand, weil die Bevölkerung schon länger vom Privat-Pkw entwöhnt wurde und an wenige Parkplätze, ein gut ausgebautes Radwegenetz, funktionierende Öffis und kurze Wege zum Einkaufen gewöhnt ist, erklärt Manuel Hammel. Allerdings sind auch diese Kommunen nur in Teilbereichen ihres Gebiets Musterstädte, so Hammel. Was damit zusammenhängt, dass ein Stadtzentrum andere klimafreundliche Maßnahmen erfordert als Randbezirke.

Stadtzentrum & ländlicher Raum
Verdichteter Siedlungsraum in der Nähe von gut erreichbaren Öffis hat einen deutlich geringeren Energieverbrauch als verstreute Siedlungen. St. Pölten hat beides, einen urbanen Stadtkern, aber auch rural geprägte Stadtteile. Das integrierte Stadtentwicklungskonzept kennt 27 Stadtteile, „wobei sich die weitere Siedlungsentwicklung auf die Kernstadt konzentriert“, erklärt Jens de Buck. Die bestehende Stadt soll sich in Lagen verdichten, die durch den öffentlichen Verkehr bereits gut erschlossen sind. „Dadurch werden die bestehenden Stadtteile gestärkt, das städtische Wachstum nimmt weniger Flächen in Anspruch und der Gedanke der Stadt der kurzen Wege wird fortgeführt“, so de Buck. 
Während im ländlichen Raum die Infrastruktur die Stadtplanung beschäftigt, hat das Stadtzentrum andere Klimawandel-Sorgen. Hier müssen Grünräume entwickelt werden, um Hitze zu reduzieren. 

Kühlung & Grünräume
Die Traisen ist St. Pöltens natürliche Kaltluftschneise. Langfristig planerisches Ziel ist ein „Grünes Netz“ in der Stadt, das einen wichtigen Beitrag zur Klimawandelanpassung darstellt und die Lebensqualität verbessert. Das Grüne Netz, das sind begrünte Straßen, Alleen, Promenaden, auch begrünte Dachflächen. „Bei der Entwicklung neuer Flächen muss in Zukunft großes Augenmerk auf die Minimierung der Versiegelung gelegt werden – beispielsweise im Wegebau innerhalb von Parkanlagen mittels sogenannter wassergebundener Decken“, sagt Jens De Buck. Regenwasser kann dort versickern, sie werden gerade im Sturm 19 Park und entlang der Traisen gebaut. 
„Die öffentlichen Grünräume müssen wir wie unseren Augapfel hüten“, mahnt Daniela Allmeier, denn entsiegeln von Flächen ist nur mit großem Aufwand, manchmal überhaupt nicht möglich. „Dass eine neue Grünfläche mit großen Bäumen entsteht, ist schwer umsetzbar – auch wegen der Materialien und Schadstoffe, die durch die Versiegelung in den Boden gelangt sind“, erklärt Carina Wenda.
Auch in Straßen mit Einbauten unterm Pflaster können sich Bäume nicht optimal entwickeln, und nicht über einem Bodendenkmal – am Domplatz. Die Baumwurzeln würden die archäologischen Funde zerstören, betont Wenda die Vorgaben des Bundesdenkmalamts. Flachwurzler sind laut Bundesdenkmalamt allerdings sehr wohl möglich. Die Diskussion über den zentralen Platz, der nutzungsoffen sein soll, mit einem flexiblen Möblierungskonzept, sieht Expertin Daniela Allmeier als positive Entwicklung: „Die Entscheidung für die Gestaltung ist vor zehn Jahren gefallen. Damals war die Debatte eine andere – da hat noch niemand zu wenige Bäumen bei einer Platzgestaltung kritisiert, sondern dass die Parkplätze damit wegfallen. Die Bevölkerung fordert jetzt Qualitäten ein und Beiträge zur Klimawandelanpassung. Und das ist gut so.“
Und die Leute sind jetzt ganz schnell beim Be- und Verurteilen von Aktivitäten, betiteln manches Vorhaben als Greenwashing. „Das wäre nur dann zu unterstellen, wenn hinter der Klima-Rahmenstrategie kein aufrichtiges Commitment der Stadtpolitik stehen sollte – wovon wir jedoch nicht ausgehen wollen“, meint Dieter Schmidradler, der auch bestätigt, dass die zahlreichen Initiativen des Netzwerks „Klimahauptstadt 2024“ in den Entwicklungsprozess der Klima-Rahmenstrategie eingebunden waren.
Und Carina Wenda denkt, dass städtische Entwicklung das Abwägen verschiedener öffentlicher Interessen bedingt, wodurch eben Zielkonflikte nicht ausgeschlossen werden können. „Das bedeutet, dass man es nicht immer jedem/jeder recht machen kann. Ich kann allerdings nur betonen, dass das Thema ernst genommen wird. Die aktuellen Projekte, wie die Bewerbung zur Pionierstadt, die Neugestaltung der Promenade, die Entwicklungen neuer Parkanlagen verdeutlichen diese Absichten.“

Bewusstseinsbildung & Kommunikation
Wie geht’s weiter mit der Klimaschutz-Strategie? „Zur Umsetzung der Klimaschutz-Strategie brauchen wir den Mut und die Bereitschaft jeder und jedes Einzelnen, im Umwelt- und Klimaschutz bei sich selbst anzufangen und auf privater und beruflicher Ebene alles zu unternehmen, hier Bewegung ins Spiel zu bringen“, sagt Klima-Aktivist Schmidradler. Die Initiativen „arbeiten intensiv daran, möglichst alle maßgeblichen Stakeholder zu erreichen und zu verbinden, um eine solche Aufbruchstimmung zu unterstützen.“ Für das Netzwerk „Klimahauptstadt 2024“ wäre es besonders wichtig, dass auch die führenden Persönlichkeiten aus St. Pöltens Politik und Wirtschaft sich ihrer Verantwortung und Vorbildwirkung bewusstwerden und ihrerseits den Wendepunkt in St. Pöltens Umwelt- und Klimapolitik glaubwürdig gegenüber der Bevölkerung und den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vermitteln.
Seit dem Beitritt zum Klimabündnis gebe es bereits umfassende Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung, sagt Carina Wenda. In Zukunft sollen diese Initiativen und Angebote ausgebaut werden, etwa durch eine Kommunikations- und Bildungsoffensive in Schulen, durch Beteiligungsprogramme, aber auch durch magistratsinterne Weiterbildungen. Im Magistrat wird gerade eine Klima-Koordinationsstelle eingerichtet.
„Positive Botschaften haben positive Auswirkungen“, weiß Daniela Allmeier: „Wenn wir uns anpassen müssen, dann hat das auch nicht nur negative Auswirkungen – weniger Autos bewirken breitere Gehsteige und mehr Bäume in der Stadt.“ Die Stadtplanerin nennt als positives Beispiel die Grätzl-Oasen in Wien, wo Parkplätze zu grünen und kühlenden Bausteinen wurden und die Bürger eigene Ideen umsetzen konnten. „Das hat auch soziale Aspekte, stärkt die Nachbarschaft, bildet Bewusstsein.“
St. Pölten ist stolz auf sein Best-Practice-Beispiel, den VCÖ-Preis-gewürdigten „Grüne Loop“: Mobilität, Freiraum und Natur werden statt der ehemaligen Promenade ab 2023 verbunden. Viele Best-Practice-Beispiele aus anderen Städten zeigt die Klima-Rahmenstrategie auf, und über hundert Vorschläge, um St. Pölten klimafit zu machen.
Sollte damit die Bewerbung zur Pionierstadt erfolgreich sein, bekäme die Stadt Bundesunterstützung von rund zwei Millionen Euro. Möge die Mission gelingen!

FIT4URBAN MISSION
Initiative des Umweltministeriums, die neun Städte bei der Entwicklung von Klimaneutralitäts-Konzepten begleitet. Am einjährigen Bearbeitungsprozess nach St. Pöltens erfolgreicher Bewerbung beteiligten sich bis zu 20 Magistratsabteilungen und über 60 Stakeholder. Ergebnis ist die Klimastrategie. Als vom Ministerium anerkannte „Pionierstadt“ könnte St. Pölten finanzielle Mittel zur Umsetzung der Strategie lukrieren.