MFG - Nach Ibiza kommt St. Pölten
Nach Ibiza kommt St. Pölten


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Nach Ibiza kommt St. Pölten

Text Michael Müllner
Ausgabe 06/2024

Die einen schimpfen ihn einen Kriminellen, die anderen möchten ihm ein Denkmal errichten. Julian Hessenthaler hat für die Veröffentlichung des Ibiza-Videos bezahlt. Fünf Jahre nach dem Politbeben, zwei Jahre nach seiner rechtskräftigen Verurteilung erzählt er über seine Zeit in St. Pölten und wie es so weit kam.

 

Die Westbahn aus Wien fährt pünktlich am Bahnsteig 5 ein. Aus dem Zug steigt Julian Hessenthaler. Wir treffen ihn fünf Jahre nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos. Die Aufnahmen brachten die Regierung Kurz/Strache zu Fall – und Hessenthaler nach einem großangelegten Ermittlungsverfahren vor Gericht. Seine Haftstrafe wegen Drogenhandels ist abgesessen. Doch bevor wir uns bei einem Kaffee über seine Zukunftspläne unterhalten, stehen wir am Bahnhofplatz und blicken zurück – auf seine Zeit in der St. Pöltner Jus­tizanstalt und seinen Gerichtsprozess. 

Im März 2022 wurden Sie nach sieben Verhandlungstagen im Schwurgerichtssaal des Landesgerichts St. Pölten zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Wir hätten Sie heute gerne in diesem Saal fotografiert, dieses Mal aber eben nicht auf der Anklagebank, sondern vom Zuschauerbereich aus. Leider hat uns das Landesgericht das Fotografieren im Gerichtsgebäude nicht gestattet.
Das wundert mich nicht, dass die mich nicht mehr dort haben wollen. Aber wir können ja vorbeispazieren? 

Sie verbrachten den Großteil der Haft in dieser Justizanstalt. Hatten Sie einen Bezug zu St. Pölten?
Ich glaube ich war einmal auf einer Autobahntankstelle, aber hatte sonst keine Berührungspunkte. Ich kannte St. Pölten überhaupt nicht. Als die Staatsanwaltschaft Wien beantragt hatte den Prozess nach St. Pölten zu verlegen, war ich darum auch völlig überrascht. Begründet wurde die Zuständigkeit des Landesgerichts St. Pölten damit, ich hätte auf einer Raststation in Haag Drogen übergeben. Mein Verdacht ist ja, dass sich der Staatsanwalt bei den in Frage kommenden Richtern in St. Pölten mehr Chancen ausgerechnet hat. 

Aber der Zufall entscheidet, wer was verhandelt.
Der Staatsanwalt ist in St. Pölten sehr gut vernetzt. Es gibt nur eine überschaubare Anzahl an in Frage kommenden Strafrichtern. Ich bin mir sicher, dass er sich wohler dabei gefühlt hat, das Verfahren hier zu führen.

Wie haben Sie den Strafprozess erlebt?
Ehrlich gesagt, mir war sehr bald klar, dass ich verurteilt werde. Das ganze Ermittlungsverfahren war darauf angelegt, dass man irgendetwas findet. Es wurde ein absurder Aufwand betrieben, um mich anklagen zu können. Dabei wurde auch völlig skrupellos gegen mein Umfeld vorgegangen. Es wurden sinnlose Ermittlungsschritte gesetzt, die nur darauf abgezielt haben, mein Umfeld und damit auch mich unter Druck zu setzen. Ich wurde ja nicht wegen des Ibiza-Videos angeklagt, man brauchte einen anderen Vorwand. Den fand man in schwachsinnigen Vorwürfen, ich hätte Drogen gehandelt.

Sie wurden rechtskräftig verurteilt, bestreiten den vorgeworfenen Drogenhandel aber weiterhin. Die Verurteilung baut auf zwei Belastungszeugen aus dem Drogen-Milieu, spielt aber auch im Umfeld von verdeckten Polizei-Informanten. Sie haben immer wieder betont, kein Vertrauen in die österreichischen Behörden zu haben. Hatten Sie schlechte Erfahrungen als V-Mann der Polizei gemacht? 
Ich habe kein Problem mit Polizistinnen und Polizisten. Aber insbesondere in Bezug auf das Bundeskriminalamt habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Ich war im In- und Ausland als Sicherheitsberater tätig, habe dabei beispielsweise auf ganz legalem Weg für Auftraggeber Personen durchgecheckt, habe Informationen gesammelt und bewertet. Dafür ist ein gutes Netzwerk wichtig. Ich habe auch Berührungspunkte mit Ermittlungsbehörden gehabt und konnte vieles wahrnehmen, aber ich war kein V-Mann, also kein verdeckter Ermittler. Das wollte ich nie, weil es etwas mit einem macht. Die Welt wird nicht unbedingt besser, wenn man einen kleinen Dealer an die Polizei ausliefert. Also, das war nie meine Welt. 

Es gab zwei Belastungszeugen: Slaven K. und dessen Ex-Lebensgefährtin Katarina H. Beide haben mit Drogen gehandelt und gaben an, dass ein Teil dieser Drogen von Ihnen geliefert wurde. Warum sollten die beiden Sie fälschlich belasten?
Wir haben im Verfahren ganz viele Ungereimtheiten aufgezeigt, die Gerichtsprotokolle lesen sich dazu recht abenteuerlich. Slaven war ein ehemaliger Arbeitskollege. Besser gesagt, wir hatten beide unsere eigenen Projekte und Kunden, arbeiteten selbstständig. Aber wir hatten den gleichen Chef und waren so immer wieder in Kontakt. Slaven war sehr gut mit der Polizei vernetzt. Ein Anruf bei ihm hat mir oft lange Ermittlungsarbeit erspart, weil er schnell Infos liefern konnte. Also ein nützlicher Kontakt, aber keine Freundschaft in diesem Sinne. Das Ganze lief so, dass ich nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2017 einen langen Urlaub in Spanien angetreten habe. Ich wusste, dass in Wien die Hölle los sein wird. Meine Befürchtung war, dass die Ermittlungsbehörden mehr Energie aufwenden würden, die Video-Macher zu finden, als die Probleme zu ermitteln, die im Video zutage treten. So kam es dann ja auch. Sie wollten unbedingt irgendwas finden, um mich als Kriminellen darzustellen.

Ihr Umfeld wurde intensiv durchleuchtet. Dabei stießen die Behörden auf Slaven und Katarina und fanden in deren Kellerabteil eine Menge Kokain.
Und dann wird diese Frau, die ich nur sehr oberflächlich kannte, elf Mal von der Kriminalpolizei einvernommen. In jedem Protokoll sagt sie etwas anderes. Bis es irgendwann passt und man daraus eine Anklage mit einer Strafdrohung zimmern kann, die hoch genug ist, um auch die deutschen Behörden im Rechtshilfeweg ermitteln zu lassen. Zu der Zeit war ich nämlich schon in Berlin. Nicht untergetaucht, wie oft behauptet wird. Nein, ich habe dort normal gelebt, gearbeitet, hatte einen Anwalt. Aber die Österreicher brauchten irgendwas, damit die Deutschen meine Kommunikation überwachen und mich letztlich nach Österreich ausliefern. 

Die Belastungszeugin gab in der Hauptverhandlung an, dass sie psychische Probleme habe und zur vermeintlichen Tatzeit stark drogensüchtig war. Ihre Aussagen vor dem Gericht waren so wirr, dass man ihr nicht folgen konnte und mehrere Anläufe brauchte. Der vorsitzende Richter stellte fest, dass es erst mit einer später zugezogenen Dolmetscherin möglich war, sie halbwegs verständlich zu vernehmen. Er wunderte sich, wie die polizeilichen Einvernahmen zuvor ohne Dolmetsch überhaupt möglich waren. Aber welchen Grund hätte sie, unrichtige Beschuldigungen zu erheben?
Darüber kann ich nur spekulieren. Ihre Erinnerungen sind sicher sehr zweifelhaft, das hat man ja gesehen, da war nichts strukturiert und klar. Aber vielleicht hat man ihr etwas angeboten, wenn sie mich falsch belastet.

Als Sie noch in Deutschland auf freiem Fuß waren, stand Slaven K. in Salzburg vor Gericht. In seinem Verfahren bestritt er, dass Sie einer seiner Drogenlieferanten gewesen wären und widersprach damit den Aussagen von Katarina H. Aber kaum waren Sie in Österreich in U-Haft, änderte er seine Aussage und gab vor der Polizei an, dass Sie ihm sehr wohl Kokain verkauft hätten. Welches Motiv hätte er für eine Falschbelastung?
Sein Netzwerk zu den Behörden ist sehr gut und ich bin mir sicher, es war für ihn kein Nachteil, dass er nach seinem Schuldspruch diese falschen Behauptungen gegen mich aufgestellt hat. Er hatte damals sicher das Ziel, möglichst rasch bedingt aus der Haft rauszukommen. Das hat er ja auch hinbekommen.

In Ihrem Strafprozess wurde Slaven K. als Zeuge gehört. Er gab an, dass seine Mutter, die in Serbien lebt, bedroht wurde. Zwei unbekannte Männer hätten sie heimgesucht und ihr ausgerichtet, ihr Sohn solle sich gut überlegten, was er in Österreich vor Gericht aussagen würde. Das deutete er als Drohung in Ihrem Auftrag, darum habe er Sie in seiner Verhandlung gedeckt.
Ich habe die Mutter von Slaven K. nicht bedroht oder bedrohen lassen. Aber wenn er Drogen gekauft hat, kann ich mir schon vorstellen, dass seine Dealer nicht wollten, dass er aussagt. So wie diese Bedrohung geschildert wurde, sehe ich keinen Anhaltspunkt, wieso man davon ausgeht, dass ich das beauftragt haben soll. Da gibt es sicher genug andere, denen man das gleiche Motiv unterstellen könnte. Und es ist auch unsinnig, dass diese Bedrohungslage augenblicklich wegfällt, sobald ich in U-Haft in Österreich war. Hätte ich den Willen und die Mittel gehabt, jemanden in Serbien unter Druck zu setzen, dann hätte ich diesen Druck doch erst recht nach meiner Inhaftierung auch aus dem Gefängnis heraus aufrechterhalten können. 

Sie haben darauf bestanden, dass diese Mutter vom Gericht als Zeugin mittels Videoschaltung einvernommen wird. Das war offenbar ein komplexer Behördenaufwand und wirkte so, als würde man das Verfahren unnötig in die Länge ziehen. 
Die ganze Geschichte mit der Mutter ist mir bis heute suspekt. In allen Einvernahmen vor der Polizei und bei seinem eigenen Prozess in Salzburg sagt Slaven, dass ich ihm keine Drogen verkauft habe. Erst als er seine Fußfessel beantragt, ändert er seine Aussage in diesem Punkt und belastet mich. In meiner Verhandlung erzählt Slaven dann, er habe seine Mutter ganz kurz vor seiner eigenen Gerichtsverhandlung von der U-Haft aus angerufen um zu fragen, wie es ihr gesundheitlich geht. Dabei hat sie ihm erzählt, dass diese Männer dagewesen wären und er sich überlegen solle, was er in seinem Prozess aussagt. Auf unsere Frage hin, sagte die Mutter aus, dass Slaven sie von Wien aus angerufen habe. Wir wissen anhand der Dokumentation aber, dass der Anruf kurz vor der Verhandlung geführt wurde und da war Slaven bereits nach Salzburg überstellt. Das Gespräch hat keine zwei Minuten gedauert. Also, wenn ich erfahre, meine Mutter wird bedroht, dann dauert das Gespräch sicher länger. All diese Diskrepanzen wurden vom Gericht nicht wirklich hinterfragt und gewürdigt. Wie so vieles in diesem Verfahren.

Sprechen wir über Gert Schmidt, der auch als Zeuge in Ihrem Verfahren auftrat. Er ist Lobbyist für den Glücksspielkonzern Novomatic. Schmidt betreibt auch einen Blog und hatte es sich zum Ziel gemacht, die Ibiza-Hintermänner aufzudecken. Als man über Ihre Rolle in der Öffentlichkeit noch nichts wusste, bezahlte Schmidt 55.000 Euro an Slaven K. und einen weiteren Bekannten um an Informationen über Sie zu kommen. Später übernahm Schmidt auch die Rechtsanwaltskosten für Slaven K. für seinen Drogenprozess in Salzburg. Ihre Verteidigungslinie war, dass diese Leistungen eine mögliche Entlohnung für die Falschaussage des Slaven K. darstellen, womit auch ein Konnex zu den Mächtigen im Raum stand, die mit der Veröffentlichung des Videos so gar keine Freude hatten. In der Urteilsbegründung hielt der Vorsitzende fest, dass dieser Konnex nicht ersichtlich sei. Die Zahlungen erfolgten lange bevor bei Slaven K. überhaupt Drogen gefunden wurden.
Diese Verbindung zeigt jedenfalls auf, welche Machenschaften gelaufen sind. Ich habe eine weitere Erklärung für das Verhalten von Slaven, die aber sehr komplex ist, weshalb wir das im Prozess nicht rüberbringen konnten: Slaven hatte Schmidt falsche Informationen über mich verkauft. Als Schmidt das bewusst wurde, hatte er Slaven in der Hand. Was Slaven nicht gebrauchen konnte, war ein weiterer Strafprozess wegen Betrugs. Dafür hätte aber Schmidt als Opfer in Erscheinung treten müssen, was er seltsamerweise nie gemacht hat. 

Sie sehen sich als Justizopfer. Tatsächlich waren viele Prozessbeobachter erstaunt, dass die widersprüchlichen und fragwürdigen Aussagen der beiden Belastungszeugen für eine Verurteilung reichen. Haben Sie mit einem Freispruch gerechnet, zumindest im Zweifel?
Mir war von Anfang an klar, dass ich verurteilt werde. Sobald ich den Richter in einer nicht öffentlichen Haftprüfung kennengelernt hatte, war mir klar, worauf es hinausläuft. Manche haben mir dann empfohlen, ich soll halt einfach meinen Mund halten, reumütig wirken und ein falsches Geständnis ablegen. Dann würde ich eine geringe Strafe bekommen und hätte bald alles hinter mir. Aber das war für mich keine Option. Ich wusste, wie das Ermittlungsverfahren gelaufen ist. Ich hatte meine Erfahrungen mit dem System. Es ging nur darum, dass sie mich einen Kriminellen nennen können.

Es verging kein Verhandlungstag ohne dass Ihre Verteidiger hitzige Wortgefechte mit dem vorsitzenden Richter führten. Einer der beiden, Oliver Scherbaum, meinte emotional, er sei nicht hier um die Sympathie des Richters zu erlangen. Besonders reumütig haben Sie tatsächlich nicht gewirkt.
Da ich von einem Schuldspruch ausging, entschied ich mich, dass wir hier nicht nur für dieses Gericht verhandeln, sondern auch für die Öffentlichkeit. Ich hatte kein Problem damit, dass meine Verteidiger die Widersprüche und Unglaublichkeiten im Ermittlungsverfahren und der Anklage zu Sprache bringen. Wir wollten möglichst viele Tatsachen aufzeigen.

Der Vorsitzende meinte an einem Verhandlungstag, Ihre Verteidigung würde mit Beweisanträgen das Verfahren verlängern und man müsse über eine mögliche Überhaft nachdenken. Als Beobachter konnte man das als Hinweis sehen, dass Sie selbst bei einem Schulspruch mit einer bedingten Gefängnisstrafe bald heimgehen würden, wenn es nur endlich ein Urteil gäbe. Letztlich wurden es dann aber doch dreieinhalb Jahre. Wären es nur drei gewesen, wäre eine bedingte Strafe möglich gewesen und Sie wären nach der Urteilsverkündung heimgegangen. Waren Sie zu frech?
Manche haben gemeint, du wirst sehen, nach der Urteilsverkündung gehst du heim, die U-Haft wird dir ja angerechnet. Da habe ich nur gelacht und gesagt, warten wir’s ab. Ich hatte da meine begründeten Zweifel – und so kam es dann auch. Vielen wäre es wohl egal gewesen, wie lange ich sitze, Hauptsache ich werde verurteilt. Aber im Lauf der Verhandlung hatte ich schon den Eindruck, dass es dem Vorsitzenden auch um die Strafhöhe ging. Mich würde interessieren, wie die Beratung der Laienrichter mit dem Berufsrichter abgelaufen ist. Die Schöffen haben sich im Prozess ja nie zu Wort gemeldet und ich konnte sie daher gar nicht einschätzen. Für mich war anhand der Prozessführung klar, dass mich der vorsitzende Berufsrichter verurteilen will. Nach der mündlichen Verkündung war es dann auch sehr rasch schriftlich ausgefertigt. Meiner Meinung nach war es Großteils schon geschrieben, bevor es gefällt wurde. 

Die Justiz reagiert in der Regel nicht auf derartige Feststellungen und Vorwürfe, somit kann man in der Berichterstattung auch nicht deren Standpunkt darstellen. Tatsache ist: Das Urteil wurde von allen österreichischen Instanzen bestätigt. 
Zahlreiche Prozessbeobachter, auch aus dem Ausland, haben das Verfahren ebenso kritisiert, wie mehrere Nichtregierungsorganisationen, beispielsweise Amnesty International. Ich habe jedenfalls im März 2023 eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht. Ich will prüfen lassen, ob ich ein faires Verfahren bekommen habe. Wenn sich das Gericht inhaltlich mit dem Verfahren beschäftigt, wovon ich eigentlich ausgehe, erwarte ich mir davon schon etwas.

Nach dem Foto vorm Landesgericht schlägt Julian Hessenthaler vor: „Machen wir eine Runde um den Block?“ Gemeinsam umrunden wir das Gerichtsgebäude und die angrenzende Justizvollzugsanstalt. Hier verbrachte Hessenthaler den Großteil seiner Untersuchungs- und Strafhaft. Es ist Freitag mittags, da starten einige ins Wochenende. Freundlich grüßen ihn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der JVA, diesen prominenten Insassen haben sie nicht vergessen. „Nicht schon wieder?!“, scherzt einer im Vorbeigehen. „Sicher nicht“, antwortet Hessenthaler. Wir stehen vor der Gefängnismauer. Hessenthaler erinnert sich an die Zeiten, als er hinter dieser Mauer stand.

Wie ging es Ihnen hinter diesen Mauern?
Es war natürlich unfassbar schwierig. Mir hat geholfen, dass ich versucht habe mit der Zeit vor der Haft möglichst abzuschließen. Man muss die Welt vor dem Gefängnis bis zu einem gewissen Grad vergessen. Das ist natürlich nicht nur für einen selbst sehr schwierig. Sondern auch für das Umfeld, für Familie und Freunde. Die tun sich den ganzen Aufwand an um dich zu besuchen und dann hast du eine halbe Stunde Zeit und redest durch eine Glasscheibe nur oberflächlich daher, weil du einerseits weißt, dass du natürlich abgehört wirst und sie irgendeinen Punkt suchen, mit dem sie dich psychologisch fertigmachen können, andererseits weil du für dich selber diesen Schutzpanzer anziehen musst, um das alles zu überstehen. Man darf sich nicht auf das einlassen, was draußen auf dich wartet. Am schlimmsten ist das gerade für die ganzen Väter, die draußen Familie haben. Die leiden elendig. So seltsam es klingt, es hilft, wenn man die Welt draußen ausblendet. 

Sie waren verhältnismäßig lange in U-Haft. Wird man da zum Profi?
Ich habe manche sogar zwei Mal in U-Haft kommen gesehen. Die waren wieder draußen und sind dann schon wieder gekommen. Natürlich entsteht eine gewisse Routine, aber es war keine schöne Zeit. Ich empfand meine Zeit in St. Pölten auch schwieriger, als die Zeit in Wien. 

Warum? 
Die Anstalt ist sehr alt, also das ist räumlich einfach eine Tatsache. Kleine Zellen, sehr hohe Fenster ohne Ausblick. Sechs Männer auf wenigen Quadratmetern, das kann nur zu Spannungen führen. In St. Pölten wird auch sehr strikt auf die Einhaltung aller möglichen Regeln geachtet, das ist mir im Vergleich zu Wien stark aufgefallen. Es gibt ja nicht für alle Insassen die Möglichkeit zu arbeiten. Wer nicht arbeitet, der ist 23 Stunden am Tag in der Zelle. Wenn du dich dann in dieser einen Stunde an der frischen Luft beim Hofrundgang an die Wand lehnst und den Fuß gegen die Wand stellst, dann gibt es dafür eine Strafe. Das sind dann tatsächlich so eine Art von Strafzetteln, die verteilt werden. Ich hatte in Wien die Aufgabe in meinem Stock diese Zettel an die Insassen auszuteilen. Darum hatte ich einen guten Überblick, wer wegen welcher Kleinigkeit abgestraft wurde. Es gibt auch eigene Zellen, wenn sich jemand schlecht benommen hat. Da wird man dann im Keller in Einzelhaft genommen. In St. Pölten gibt es tatsächlich lange Wartelisten, bis wieder was frei wird und man dann dort seine Strafe antreten kann. 

Wie ist der menschliche Umgang in einer Justizanstalt? 
Naja, man sieht natürlich Grüppchenbildungen. In der einen Ecke tratschen die ganzen Dealer. In der anderen stehen die ganzen Einbrecher. Schwierig ist es natürlich auch für die Bediensteten, das ist alles andere als ein leichter Job. 

Einige Leute haben Sie vorhin freundlich gegrüßt? 
Ja, klar, wir sind alle Menschen. Es gibt immer solche und solche. Ich habe den Eindruck es gibt im Prinzip drei Typen von Bediensteten. Die einen sind hauptsächlich deswegen da, weil sie hier Macht ausüben können, bei denen kann schon mal auch etwas Sadismus mitschwingen. Dann gibt es jene, die einfach komplett resigniert haben, die sagen dir auch ganz trocken ins Gesicht, dass sie wissen, dass das System kaputt ist, aber denen geht einfach alles am Arsch vorbeigeht und sie sehen ihre Tätigkeit einfach als gutbezahlten Job. Und dann gibt es da noch meistens recht junge Beamte mit einem großen Engagement – aber da fiel mir oft auf, dass diese nach einem Jahr ständig nach Alkohol riechen, weil sie den Job sonst scheinbar nicht mehr packen würden. 

Hat man Sie schlecht behandelt?
Ich hatte sicher einen besonderen Status, gerade zu Beginn hatten sie bestimmt Angst um mich. Das hätte ihnen noch gefehlt, wenn mir im Gefängnis was passiert wäre. Es gab sogar mal Besuch von der Volksanwaltschaft, da standen auch alle ganz angespannt in der Nähe und haben zugehört, was ich denen erzähle. Wenn man so lange dort ist, bekommt man genug mit. Ich hatte das Glück, dass ich in der Anstalt arbeiten konnte und somit etwas Abwechslung hatte. Irgendwann habe ich mitbekommen, dass mein Vorgesetzter am Arbeitsplatz ein FPÖ-Personalvertreter war. Ich habe ihn dann gefragt, warum er mich überhaupt in seinen Betrieb geholt hat, er hätte mich ja auch leicht ablehnen können. Aber das war ihm egal, da konnte er schon differenzieren.

Scheinbar haben Sie sich nicht so schlecht benommen, sonst hätte Ihnen die Anstalt wohl keine Fußfessel genehmigt. 
Es war absehbar, wann ich bedingt entlassen werde. Ich hätte sagen können, die sechs Wochen warte ich noch ab, da zahlt sich der Aufwand für die Fußfessel gar nicht aus. Aber ich war mir nicht sicher, ob die bedingte Entlassung durchgeht und dann hätte ich zumindest als Plan B die Fußfessel gehabt. Demnach stand der ganze Aufwand schon dafür. Ich musste dafür einen Job und eine Wohnung für mich auftreiben. In St. Pölten haben alle Firmen abgewunken, sie hatten Angst vor Nachteilen im Umgang mit Behörden, wenn sie mich beschäftigen würden. Auch eine Wohnung zu finden, war gar nicht einfach. Letztlich musste meine Mutter eine Wohnung mieten unter dem Vorwand, dass ihr Sohn ein paar Monate auf Praktikum in St. Pölten sein würde. Naja, es war ja nicht ganz falsch. Ich habe dann in dieser Zeit am Kremserberg gewohnt und bin zum Arbeiten nach Wien gependelt. Es wird genau vorgegeben, wann man wo sein darf. Spontanität gibt es nicht. Auch die Einkäufe sind genau vorgegeben, ich musste auf die Minute genau planen, wann welcher Bus zum Traisenpark und wieder retour fährt, damit ich meine Besorgungen machen kann. Und wenn man einen geplanten Freigang mit der Fußfessel hat, dann ist das wirklich ein Freigang, also im Freien, da darf man nicht sagen, so jetzt setze ich mich in ein Kaffeehaus. So gesehen war ich froh, als die sechs Wochen vorbei waren.

Mittlerweile sind wir in der Innenstadt angekommen. Wir sprechen kurz über den oft menschenleeren Domplatz, die Entwicklung St. Pöltens rund um das Kulturjahr 2024. Dann wird es Zeit für einen Kaffee am Herrenplatz. Vereinzelt schauen Passanten genau und überlegen, ob sie richtig sehen. Manche sehen wohl einen verurteilten Drogendealer, der ihren Polit-Idolen eine Falle stellte. Andere sehen einen Helden der Zivilgesellschaft, der korruptes Verhalten von Mächtigen dingfest gemacht hat und an dem deshalb ein Exempel statuiert wurde – nicht zuletzt um zukünftige Whistleblower einzuschüchtern.

Die Veröffentlichung des Ibiza-Videos ist nun fünf Jahre her, im Herbst wird gewählt. Wie geht es Ihnen heute? 
Ich bin besorgt, was die nächste Wahl bringt. Es gibt genügend Menschen, die mit mir eine Rechnung offen haben. Man wird sehen, wie sich alles entwickelt. Aber an sich geht es mir gut. Ich habe einen Job und ich habe gute Perspektiven für mein weiteres Leben. 

Mit Ihrer Videofalle auf Ibiza wollten Sie den Beweis erbringen, dass Strache empfänglich ist für korruptes Verhalten. Erzählen Sie uns nochmals kurz, wie es dazu kam?
Ganz kurz erzählt: Ein Freund von mir ist Rechtsanwalt. Einer seiner Mandanten war ein enger Mitarbeiter von Heinz-Christian Strache. Er hatte belastendes Material über Strache, aber die Polizei hat auf dieser Grundlage nicht ermittelt. Wir wollten deshalb mit den Treffen in Wien und später in Ibiza einen Videobeweis für Straches Verhalten erzeugen. Mein Job war es, diesen Videobeweis zu bringen. Anfangs war das ein Job, mit der Zeit gewann ich auch die Überzeugung, dass das für unsere Gesellschaft ein wichtiger Beitrag ist, dass es nötig ist, dass solche Dinge an die Öffentlichkeit kommen.

Es wird immer wieder spekuliert, dass es darüber hinaus noch Motive oder Auftraggeber gibt. Auch in Ihrer Verhandlung wurde versucht nach-zuweisen, dass Sie finanzielle Probleme hätten und Geldnot einerseits ein Motiv für das Ibiza-Video gewesen sein könnte, andererseits für die behaupteten Drogendelikte. 
Auch wenn es jede Verschwörungstheorie zerstört, es gibt keine geheimen Hintermänner oder Absichten. Wir haben das Video auch nicht verkauft. Es stimmt, dass der Rechtsanwalt eine Zeit lang versucht hat, im Gegenzug für das Video auch Geld zu lukrieren, aber nicht für ihn oder für mich, sondern um einen Fonds zu speisen, aus dem man Anwaltskosten oder auch eine Art Rente zahlen könnte, für den möglichen Whistleblower. Es stand ja im Raum, dass der Vertraute von Strache letztlich doch auspackt und zur Polizei geht. Dann wäre er wohl seinen Job bei der FPÖ losgewesen und dafür hätte man ihn mit diesem Fonds etwas absichern können. Ich hatte bis zur Veröffentlichung des Ibiza-Videos und der dann erfolgten Verfolgung durch die Behörden keine gröberen finanziellen Probleme. Und auch der Rechtsanwalt hatte sicher keinerlei finanzielles Motiv, das Video zu Geld zu machen, es geht ihm finanziell nicht schlecht. 

Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu diesem Anwalt? 
Während meiner Haft hatten wir lange keinen Kontakt. Das war auch bewusst meine Entscheidung, dass ich ihn sozusagen aus der Schusslinie nehmen wollte. Teilweise hatten wir im Verlauf des Projektes unterschiedliche Meinungen, aber die sind alle geklärt. Wir sind Freunde und haben ein sehr gutes Verhältnis.

Was waren das für Differenzen?
Ich wollte das Video unbedingt vor der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2019 veröffentlichen, einfach weil ich das als ganz wichtigen Beleg fand, wie Populisten wirklich sind. Er war der Meinung, wir sollten noch ein paar Monate warten, weil dann auch sämtliche ohnehin nicht veröffentlichten Videos, die wir in Wien aufgenommen hatten, verjährt gewesen wären. Das wäre sozusagen aus juristischer Perspektive eine weitere Absicherung gewesen, dass gegen uns keine Ermittlungen möglich gewesen wären. Im Rückblick nicht ganz unrichtig. 

Die Ibiza-Affäre wurde als vierteilige Fernsehserie verfilmt. Waren Sie mit der Darstellung Ihrer Person durch Nicholas Ofczarek zufrieden? 
Man wusste ja nichts über mich und es ging nicht darum, meine Person authentisch widerzugeben. Es ging darum zu zeigen, was das Video zeigt und wieso es so ungemein wichtig war, dass es veröffentlicht wurde. Ich kannte aber natürlich auch das Drehbuch und war mit der Veröffentlichung einverstanden.

Wird es eine zweite Staffel geben? Die Geschehnisse rund um Ihren Gerichtsprozess würden ja genug Material hergeben.
Konkret ist nichts geplant. Ich bin immer wieder mal mit Leuten im Gespräch und kann mir schon gut vorstellen, dass eines Tages das richtige Projekt entsteht. Aber vorerst habe ich andere Wünsche.

Was wären das für Wünsche? 
Ich habe in meinem Gerichtsprozess, aber auch danach immer wieder klar artikuliert, was ich als falsch und hoch problematisch erlebt habe. Viele Experten und Beobachter teilen diese Einschätzung. Und dennoch gibt es nicht mal im Ansatz den Versuch, das Ganze aufzuarbeiten. Ich verstehe das wirklich nicht. Wenn sie sich sicher sind, dass meine Vorwürfe falsch sind, wieso richten sie dann nicht eine Kommission ein, die alles untersucht und transparent darlegt, dass alles seine Richtigkeit hat? Und wenn man bemerkt, dass etwas falsch gelaufen ist, dass die Energie in die falsche Richtung kanalisiert wurde und dass Beamte mit falschen Motiven agiert haben, wieso hat man dann in diesem Land nicht die nötige Fehlerkultur um daraus zu lernen und besser zu werden?

ZUR ERINNERUNG: DAS IBIZA-VIDEO
Rund sieben Stunden besuchten der damalige FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache und sein Klubobmann Johann Gudenus während ihres Ibiza-Urlaubs eine angeblich reiche Russin. 
Diese Oligarchen-Nichte gab vor, millionenschwere Investitionen in Österreich tätigen zu wollen. In einzelnen Passagen der rund siebenstündigen Aufzeichnung hört man Strache über eine mögliche Zusammenarbeit mit der Russin sinnieren. Strache wusste nicht, dass er einer Videofalle aufsaß. Er sprach über Möglichkeiten seine Partei geheim zu finanzieren und dachte darüber nach, dass ein Wahlsieg leichter möglich wäre, wenn die Russin die Kronen Zeitung kaufen würde und er sich somit redaktionellen Einfluss sichern würde. Es stand auch im Raum, dass bei einer FPÖ-Regierungsbeteiligung staatliche Aufträge an die Russin fließen würden. 

Aufnahme und Veröffentlichung führten zu keinen strafrechtlichen Anklagen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war die FPÖ bereits in Regierungsverantwortung, Strache war Vizekanzler. In Folge der Veröffentlichung traten er und Gudenus zurück. Der damalige FPÖ-Innenminister Herbert Kickl weigerte sich aber zurückzutreten, weshalb der damalige ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz die Koalition beendete und es zu Neuwahlen kam. Aus diesen Vorfällen ergaben sich zahlreiche Verdachtslagen und Ermittlungsstränge für die Staatsanwaltschaft (Casinos-Causa, Chat-Affäre, Thomas Schmid, et cetera).

ZUR AKTE: JULIAN HESSENTHALER
Julian Hessenthaler wurde 1980 in Wien geboren. 
Er war als Sicherheitsberater in Österreich und im Ausland tätig, in München betrieb er selbstständig eine Sicherheitsberatungsagentur. 

Nach der Veröffentlichung des Videos, das die Ibiza-Affäre im Mai 2019 auslöste, wurde gegen Hessenthaler als Organisator und Produzent des Videos ermittelt. Vorwürfe des Drogenhandels führten im Dezember 2020 zur Auslieferung von Deutschland nach Österreich. Von September 2021 bis März 2022 wurde am Landesgericht St. Pölten verhandelt, wegen des Besitzes eines gefälschten Führerscheins und Drogenhandels wurde 
er zu einer Haftstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Im März 2023 wurde er bedingt entlassen. 

Er arbeitet in Wien zum Thema Open-Source-Intelligence (OSINT), unter anderem in einem Research Lab an der Universität für Angewandte Kunst.