Es beginnt immer irgendwo
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Es gibt da diesen gern als pubertäre, allzu idealistische Phrase abgetanenen Spruch „Träume nicht dein Leben, sondern lebe deinen Traum“, wobei er zur „Phrase“ wohl nur deshalb degradiert ist, weil es einer gehörigen Portion Glücks, Hartnäckigkeit und vor allem Mutes bedarf, um ihn zu realisieren. Ulrich Reinthaller scheint dieses Kunststück gelungen zu sein, wie eine Reise auf den „Phönixberg“ nahelegt.
Unser Weg führt ins Pielachtal. Abfahrt St. Pölten, vorbei an Ober-Grafendorf, den Industriegeländen von Glöckel und Teich, Hofstetten-Grünau, Mainburg, Rabenstein. Je weiter wir uns ins Tal vorwärtskämpfen, umso steiler werden die Hänge ringsum, auf denen gelassen Kühe grasen. Als Kind, das oft in die Region kam, hegte ich stets die Befürchtung, dass sie irgendwann einmal abstürzen könnten – was sie selbstverständlich nie taten. Irgendwann taucht rechterhand ein Wegweiser „Phönixberg“ auf, der mir aus Kindheitstagen unbekannt ist. Ein Name, der die Fantasie beflügelt und das Kopfkino anwirft – die Geschichte vom Vogel Phönix, der zu Asche verbrennt, im letzten Moment aber ein Ei legt, aus dem neues Leben hervorgeht. Der ewige Kreislauf. Die stete Erneuerung. Wir folgen eisern den Hinweisschildern wie uns auf der Homepage aufgetragen wurde: „BITTE HALTEN SIE SICH AB RABENSTEIN/PIELACH NICHT MEHR AN IHR NAVIGATIONSGERÄT, sondern folgen den Hinweisschildern Seminar.Kunst.Haus Phönixberg. (Google glaubt uns zu kennen, führt Sie jedoch in ein anderes Tal.)“ Wir müssen uns ganz old school auf Analogie verlassen, und das ist für den Ort und seine Einschreibung, wie sich weisen wird, durchaus schlüssig. Die Straße wird nun zusehends enger und schlängelt sich den Berg hinauf. Entgegenkommen darf uns jetzt niemand, denke ich mir, und im Winter ist Allrad definitiv von Vorteil. Schließlich geht der Asphalt in Schotter über. Wir fahren an einem Fahrverbotsschild „Privatstraße“ vorbei, darunter der Hinweis „Zufahrt für Seminargäste gestattet“. Das letzte Stück führt uns durch dichten Wald, der die umliegende Landschaft verschluckt bis er uns nach ein paar Minuten Fahrtzeit wieder ausspuckt – und wir plötzlich im Paradies gelandet sind: Vor uns breiten sich, soweit das Auge reicht, die sanften Hügel des Alpenvorlandes aus, alles steht in saftigem Grün, Almwiesen fallen leicht den Hang hinab, zwei Raubvögel, vielleicht Bussarde, kreisen über uns. Es ist still hier oben, man hört nur das Rascheln des Windes in den umgebenden Wäldern, das Knacken von Holz, und die Luft ist frisch wie an einem Spätherbsttag, obwohl es Mitte August ist. „Mein Herz hat zu klopfen begonnen und ich war ganz weg, welche Energie von diesem Ort ausgeht“, erinnert sich Ulrich Reinthaller, der Hausherr, an seine Eindrücke, als er hier das erste Mal heraufkam. Das war 1995. Reinthaller, als Schauspieler aus diversen Serien, Filmen und vom Theater her bekannt, war damals in einer Serie in Deutschland engagiert. „Ich war ständig auf Achse, hatte im Jahr an die 300 Flüge. Im ersten Jahr findest du das ja noch aufregend, im zweiten ist es schon Routine, und im dritten Jahr kommst du dir vor wie ein Hausmeister, der von einer Straßenbahnstation zur nächsten hetzt. Im Grunde genommen hatte ich kein Zuhause.“ Irgendwann entwickelte sich in ihm deshalb die Sehnsucht nach einem Fixpunkt, nach Verortung, Ruhe – und die Idee eines Zweitwohnsitzes im Mostviertel. „Das hab ich meinem Vater nachgemacht“, lächelt er, „denn der hatte ein Almhaus in der Scheibbser Gegend, das wir als Kinder geliebt haben – ein herrlicher Ort voller Menschen und Gespräche.“ In einer Zeitung stieß er auf eine verheißungsvolle Annonce „Einsames Almhaus mit Panoramablick“ – kein leeres Versprechen, wie sich herausstellen sollte: „Als ich hier heraufkam, war es Liebe auf den ersten Blick!“
Der Phönixberg
Eine Liebe, die eine beständige werden sollte. Denn während sein ursprünglicher „Lebensentwurf eines klassischen Wochenendhauses für die Familie“ im Laufe der Jahre, wie die Ehe, obsolet wurde, ist ihm das Haus bis heute geblieben und entwickelte, wenn man so möchte, eine Eigendynamik – woran freilich auch eine andere Liebe, nämlich jene zu Barbara Pachl-Eberhart, nicht unwesentlich Anteil trug. „Sie hat sofort vom Phönixberg gesprochen.“ Gemeinsam entwickelten sie die Idee vom Seminar.Kunst.Haus. Das Gebäude wurde „gemeinsam mit einem Architekten, der zu einem guten Freund geworden ist“ praktisch komplett neu errichtet – einzig das alte, steingemauerte Kellerstöckl nebenan vermittelt heute noch eine Ahnung, wie das Almhaus vormals ausgesehen haben könnte. Heute erstrahlt es in neuem Glanz: Weite offene Fenster, lichtdurchflutete Räume, die überall die atemberaubendsten Blicke preisgeben, Holzterrassen, die zum Verweilen einladen, ein duftender Kräutergarten, Steinmauern und -wege, viel Holz. Barbara Pachl-Eberhart schreibt auf ihrer Homepage voll Überzeugung: „Ganz objektiv – das schönste Haus der Welt!“ Und man versteht ihre Begeisterung.
Verändert hat sich freilich nicht nur die Örtlichkeit, sondern über die Jahre hinweg auch Reinthallers prinzipieller Lebenszugang. „Ich wollte meinen Beruf nicht länger von meinem Privatleben trennen, das gehört für mich alles zusammen, ich bin ja immer dieselbe Person.“ Von den ständigen Reisen hatte er irgendwann genug, ebenso von einer gewissen Enge des Theaterensemblebetriebes. „Natürlich hast du, wenn du in einem fixen Ensemble spielst, Sicherheit, so wie ein Beamter etwa. Aber das hat mich eingeschränkt – deshalb hab ich mir irgendwann gedacht: ‚Riskier etwas! Nimm dein Leben in die Hand, und vertrau darauf, dass du auch so interessant bleibst.‘“ Und so ist es auch gekommen, mit dem qualitativen Vorteil – wenn vielleicht auch unter Inkaufnahme größerer finanzieller Risken – der Rückgewinnung der Entscheidungsfreiheit über das eigene Handeln. Heute nimmt Reinthaller nur mehr Projekte an, die ihm gefallen und die zu ihm passen – wie im Vorjahr etwa die Hauptrolle in Peter Turrinis „Aus Liebe“ im Theater an der Josefstadt, diverse Film- und Fernseharbeiten, Rezitationsabende oder erst unlängst in Arbogast in Vorarlberg „ein lyrisches Dialogforum zu Rilkes erster Duineser Elegie“. Gerade im Fall von Letzterem kommt man dann schon ziemlich dem nahe, was Reinthaller in einer Art universalistischer Weltsicht versucht. „Das ist das Schöne – dass ich da die Kunst direkt mit Dialog verbinden kann. Ich lese die Gedichte, im Anschluss versuchen wir gemeinsam in einem offenen Kreisgespräch die darin innewohnenden Schätze zu heben.“ Und Dialog, Kommunikation, Verständigung stellen DIE fundamentalen Grundingredienzien seines Lebens dar, was sich alleine daran zeigt, dass sich Reinthaller ab 2010 zum Dialogprozessbegleiter nach David Rohm ausbilden ließ „weil mir die Schauspielerei zu wenig war.“ Seither hält er auch Vorträge und Seminare, und aus diesem Grundbedürfnis erklärt sich auch der Phönixberg, den er mit seiner Partnerin sukzessive zum Seminarzentrum ausgebaut hat. 2011 gründete er dafür eine eigene Firma, 2013 fand das erste „Dialogikum Phönixberg“ statt, im Zuge dessen übers ganze Pielachtal verteilt Dialoge und Vorträge angeboten wurden. Dazwischen finden am Phönixberg Seminare statt, und immer wieder lädt Reinthaller bemerkenswerte Persönlichkeiten in die Region ein – am 22. September etwa Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee.
Eine Liebe, die eine beständige werden sollte. Denn während sein ursprünglicher „Lebensentwurf eines klassischen Wochenendhauses für die Familie“ im Laufe der Jahre, wie die Ehe, obsolet wurde, ist ihm das Haus bis heute geblieben und entwickelte, wenn man so möchte, eine Eigendynamik – woran freilich auch eine andere Liebe, nämlich jene zu Barbara Pachl-Eberhart, nicht unwesentlich Anteil trug. „Sie hat sofort vom Phönixberg gesprochen.“ Gemeinsam entwickelten sie die Idee vom Seminar.Kunst.Haus. Das Gebäude wurde „gemeinsam mit einem Architekten, der zu einem guten Freund geworden ist“ praktisch komplett neu errichtet – einzig das alte, steingemauerte Kellerstöckl nebenan vermittelt heute noch eine Ahnung, wie das Almhaus vormals ausgesehen haben könnte. Heute erstrahlt es in neuem Glanz: Weite offene Fenster, lichtdurchflutete Räume, die überall die atemberaubendsten Blicke preisgeben, Holzterrassen, die zum Verweilen einladen, ein duftender Kräutergarten, Steinmauern und -wege, viel Holz. Barbara Pachl-Eberhart schreibt auf ihrer Homepage voll Überzeugung: „Ganz objektiv – das schönste Haus der Welt!“ Und man versteht ihre Begeisterung.
Verändert hat sich freilich nicht nur die Örtlichkeit, sondern über die Jahre hinweg auch Reinthallers prinzipieller Lebenszugang. „Ich wollte meinen Beruf nicht länger von meinem Privatleben trennen, das gehört für mich alles zusammen, ich bin ja immer dieselbe Person.“ Von den ständigen Reisen hatte er irgendwann genug, ebenso von einer gewissen Enge des Theaterensemblebetriebes. „Natürlich hast du, wenn du in einem fixen Ensemble spielst, Sicherheit, so wie ein Beamter etwa. Aber das hat mich eingeschränkt – deshalb hab ich mir irgendwann gedacht: ‚Riskier etwas! Nimm dein Leben in die Hand, und vertrau darauf, dass du auch so interessant bleibst.‘“ Und so ist es auch gekommen, mit dem qualitativen Vorteil – wenn vielleicht auch unter Inkaufnahme größerer finanzieller Risken – der Rückgewinnung der Entscheidungsfreiheit über das eigene Handeln. Heute nimmt Reinthaller nur mehr Projekte an, die ihm gefallen und die zu ihm passen – wie im Vorjahr etwa die Hauptrolle in Peter Turrinis „Aus Liebe“ im Theater an der Josefstadt, diverse Film- und Fernseharbeiten, Rezitationsabende oder erst unlängst in Arbogast in Vorarlberg „ein lyrisches Dialogforum zu Rilkes erster Duineser Elegie“. Gerade im Fall von Letzterem kommt man dann schon ziemlich dem nahe, was Reinthaller in einer Art universalistischer Weltsicht versucht. „Das ist das Schöne – dass ich da die Kunst direkt mit Dialog verbinden kann. Ich lese die Gedichte, im Anschluss versuchen wir gemeinsam in einem offenen Kreisgespräch die darin innewohnenden Schätze zu heben.“ Und Dialog, Kommunikation, Verständigung stellen DIE fundamentalen Grundingredienzien seines Lebens dar, was sich alleine daran zeigt, dass sich Reinthaller ab 2010 zum Dialogprozessbegleiter nach David Rohm ausbilden ließ „weil mir die Schauspielerei zu wenig war.“ Seither hält er auch Vorträge und Seminare, und aus diesem Grundbedürfnis erklärt sich auch der Phönixberg, den er mit seiner Partnerin sukzessive zum Seminarzentrum ausgebaut hat. 2011 gründete er dafür eine eigene Firma, 2013 fand das erste „Dialogikum Phönixberg“ statt, im Zuge dessen übers ganze Pielachtal verteilt Dialoge und Vorträge angeboten wurden. Dazwischen finden am Phönixberg Seminare statt, und immer wieder lädt Reinthaller bemerkenswerte Persönlichkeiten in die Region ein – am 22. September etwa Friedensnobelpreisträgerin Leymah Gbowee.
Dialogbereitschaft
Mittels seiner Arbeit möchte Reinthaller „die uralte Kulturtechnik des Dialoges“ vermitteln und mutet dabei ein wenig wie ein Umweltschützer an, der sich für den Erhalt einer vom Aussterben bedrohten Art einsetzt. Denn die Erosion von „wirklichem“ Dialog ist unübersehbar. „Die Kultur der Stammtische, der Gespräche am Kaffeehaustisch – diese Formen von direktem Dialog werden immer weniger“, so Reinthaller, wofür er auch die zunehmende Digitalisierung der Welt mitverantwortlich macht. „Früher gab es kein Fernsehen, kein Internet, kein Social Media – das hat in den letzten Jahren überhand genommen.“ Das Paradoxe dabei: In der vermeintlichen Fülle des Sichmitteilens und des ständigen Kommunizierens bleibt der eigentliche Dialog, das Zwiegespräch auf der Strecke – mit letztlich fatalen Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Gesellschaft. „Heute laufen ‚Dialoge‘ eher ab wie Verkaufsgespräche. Es geht um Wissen, um Effizienz, um Kompetenz, um Fokussierung auf ein Ergebnis, das oft einzig darin besteht, seine eigenen Interessen und Positionen durchzusetzen, wenn man so möchte auch Macht auszuüben – denn der, der mehr weiß, obsiegt über jenen, der weniger weiß. Mit wirklichem Dialog hat das aber nichts zu tun.“ Dieser breitet sich vielmehr in ein offenes, wenn man so will vages Feld ohne Sicherheitsnetz aus. „Da geht es um Neugier, um Offenheit, um Leidenschaft. Ich frage: ‚Was steht an?‘, und lasse mich überraschen, was im Dialog selbst drin steckt und was am Ende rauskommt, ganz ohne Erwartungen.“ Reinthaller spricht diesbezüglich von der „Kunst des Staunens“, die mitunter mehr mit Fragenstellen denn Antwortgeben zu tun hat, jedenfalls immer ausgangsoffen ist und die sich demütig bewusst ist, „dass wir eigentlich herzlich wenig wissen – und das braucht uns keine Angst zu machen!“
Mittels seiner Arbeit möchte Reinthaller „die uralte Kulturtechnik des Dialoges“ vermitteln und mutet dabei ein wenig wie ein Umweltschützer an, der sich für den Erhalt einer vom Aussterben bedrohten Art einsetzt. Denn die Erosion von „wirklichem“ Dialog ist unübersehbar. „Die Kultur der Stammtische, der Gespräche am Kaffeehaustisch – diese Formen von direktem Dialog werden immer weniger“, so Reinthaller, wofür er auch die zunehmende Digitalisierung der Welt mitverantwortlich macht. „Früher gab es kein Fernsehen, kein Internet, kein Social Media – das hat in den letzten Jahren überhand genommen.“ Das Paradoxe dabei: In der vermeintlichen Fülle des Sichmitteilens und des ständigen Kommunizierens bleibt der eigentliche Dialog, das Zwiegespräch auf der Strecke – mit letztlich fatalen Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Gesellschaft. „Heute laufen ‚Dialoge‘ eher ab wie Verkaufsgespräche. Es geht um Wissen, um Effizienz, um Kompetenz, um Fokussierung auf ein Ergebnis, das oft einzig darin besteht, seine eigenen Interessen und Positionen durchzusetzen, wenn man so möchte auch Macht auszuüben – denn der, der mehr weiß, obsiegt über jenen, der weniger weiß. Mit wirklichem Dialog hat das aber nichts zu tun.“ Dieser breitet sich vielmehr in ein offenes, wenn man so will vages Feld ohne Sicherheitsnetz aus. „Da geht es um Neugier, um Offenheit, um Leidenschaft. Ich frage: ‚Was steht an?‘, und lasse mich überraschen, was im Dialog selbst drin steckt und was am Ende rauskommt, ganz ohne Erwartungen.“ Reinthaller spricht diesbezüglich von der „Kunst des Staunens“, die mitunter mehr mit Fragenstellen denn Antwortgeben zu tun hat, jedenfalls immer ausgangsoffen ist und die sich demütig bewusst ist, „dass wir eigentlich herzlich wenig wissen – und das braucht uns keine Angst zu machen!“
Zivilisationskritik
Wenn man Reinthaller fragt, wann dieser Erosionsprozess seiner Meinung nach seinen Ausgang genommen hat, setzt er bei der Zeit der Aufklärung an. „Damals begannen in Folge religiöse und autoritäre Missbräuche überhand zu nehmen. Unter dem Primat des Verstandes schüttete man das Kind mit dem Bade aus – die Folge war eine zusehende Mechanisierung der Welt.“ Der Mensch als Maschine, die Welt als Algorithmus, Effizienz und Leistung als alles durchdringende Doktrinen – das kommt einem ziemlich bekannt vor und erfüllt viele zunehmend mit einem Gefühl von Unbehagen. In Reinthallers Augen wurde die – wenn man es so nennen möchte – heilige Dreieinigkeit der Kommunikation Geist-Mystik-Kunst zugunsten einer Überbetonung des Verstandes aufgebrochen, „und das kann die grausamsten Folgen zeitigen, wie wir gesehen haben.“ Dabei ist Reinthaller keinesfalls geistes-abweisend, „ich liebe den operativen Verstand der westlichen Kultur“, aber er ist Fürsprecher einer angemessenen Balance, eines Bewusstseins, „dass zum Verstand eben auch die Seele dazugehört. Es geht nicht nur um Ratio, um Leistung oder darum, erster zu werden. Denken wir an eine Symphonie: Da würde auch keiner danach streben, erster zu werden, sondern danach, dass sie schön klingt.“
Aus dieser Weltsicht und durch sein aktives Handeln formuliert und lebt Reinthaller wie von selbst eine Form von Zivilisationskritik, die freilich nicht lehrmeisterlich oder aggressiv daherkommt, sondern durch das Angebot eines nachhaltigen Gegenmodells eine bessere Welt auf Schiene bringen möchte. Die Politik, vielfach ebenfalls „zur Gänze an Effizienz und am Rechenstift orientiert“, sei in einer krisenhaften Zeit wie der heutigen so sehr damit beschäftigt, „die Welt irgendwie in Angeln zu halten und Erste Hilfe zu leisten“, dass bei der Suche nach Auswegen oft der Weitblick fehle. „Man müsste fragen, an welchem Punkt war das, was wir verloren haben und ab dem es falsch gelaufen ist – und das war vielleicht nicht einen Schritt vorher, sondern schon fünf.“ Dabei habe seine Arbeit aber nichts mit Tagespolitik oder der Lösung aktueller Konflikte zu tun. „Ich bin ja kein Notfallmediziner – das ist nicht unsere Aufgabe.“ Gesellschaftspolitisch relevant ist sie aber allemal. „Unsere Aufgabe ist es in einem größeren Kontext den Acker zu pflügen, den Humus zu bereiten, auf dem etwas Neues gedeihen kann, Fragen zu stellen, wirkliche Dialoge zu führen und dazu anzustiften, offen zu sein – da möchten wir selbstverständlich auch die Politik einbinden und einladen.“
Wenn man Reinthaller fragt, wann dieser Erosionsprozess seiner Meinung nach seinen Ausgang genommen hat, setzt er bei der Zeit der Aufklärung an. „Damals begannen in Folge religiöse und autoritäre Missbräuche überhand zu nehmen. Unter dem Primat des Verstandes schüttete man das Kind mit dem Bade aus – die Folge war eine zusehende Mechanisierung der Welt.“ Der Mensch als Maschine, die Welt als Algorithmus, Effizienz und Leistung als alles durchdringende Doktrinen – das kommt einem ziemlich bekannt vor und erfüllt viele zunehmend mit einem Gefühl von Unbehagen. In Reinthallers Augen wurde die – wenn man es so nennen möchte – heilige Dreieinigkeit der Kommunikation Geist-Mystik-Kunst zugunsten einer Überbetonung des Verstandes aufgebrochen, „und das kann die grausamsten Folgen zeitigen, wie wir gesehen haben.“ Dabei ist Reinthaller keinesfalls geistes-abweisend, „ich liebe den operativen Verstand der westlichen Kultur“, aber er ist Fürsprecher einer angemessenen Balance, eines Bewusstseins, „dass zum Verstand eben auch die Seele dazugehört. Es geht nicht nur um Ratio, um Leistung oder darum, erster zu werden. Denken wir an eine Symphonie: Da würde auch keiner danach streben, erster zu werden, sondern danach, dass sie schön klingt.“
Aus dieser Weltsicht und durch sein aktives Handeln formuliert und lebt Reinthaller wie von selbst eine Form von Zivilisationskritik, die freilich nicht lehrmeisterlich oder aggressiv daherkommt, sondern durch das Angebot eines nachhaltigen Gegenmodells eine bessere Welt auf Schiene bringen möchte. Die Politik, vielfach ebenfalls „zur Gänze an Effizienz und am Rechenstift orientiert“, sei in einer krisenhaften Zeit wie der heutigen so sehr damit beschäftigt, „die Welt irgendwie in Angeln zu halten und Erste Hilfe zu leisten“, dass bei der Suche nach Auswegen oft der Weitblick fehle. „Man müsste fragen, an welchem Punkt war das, was wir verloren haben und ab dem es falsch gelaufen ist – und das war vielleicht nicht einen Schritt vorher, sondern schon fünf.“ Dabei habe seine Arbeit aber nichts mit Tagespolitik oder der Lösung aktueller Konflikte zu tun. „Ich bin ja kein Notfallmediziner – das ist nicht unsere Aufgabe.“ Gesellschaftspolitisch relevant ist sie aber allemal. „Unsere Aufgabe ist es in einem größeren Kontext den Acker zu pflügen, den Humus zu bereiten, auf dem etwas Neues gedeihen kann, Fragen zu stellen, wirkliche Dialoge zu führen und dazu anzustiften, offen zu sein – da möchten wir selbstverständlich auch die Politik einbinden und einladen.“
Dialogikum
Um diesen Ansatz nachvollziehbar zu gestalten, genügt ein Blick auf das Thema des nächstjährigen Dialogikums: „Bildung“. „Da geht es uns vordergründig nicht um PISA, um die Neue Mittelschule oder dergleichen, sondern primär um die Grundfrage, was Bildung überhaupt ist, wie wir damit umgehen, was wichtig sein könnte; wie wir unsere Kinder bilden, und jene, die unsere Kinder ausbilden. Und es geht um die Frage: ‚War‘s das schon, oder kann man vielleicht auch etwas Neues denken?‘“ Dazu werden wieder eine Reihe von Dialogen, Seminaren und Vorträgen stattfinden – und dies, wie bereits in diesem Jahr, über das ganze Pielachtal verteilt. Denn die Botschaft, wenn man so möchte, kommt an. Das Interesse am Phönixberg, das Bedürfnis nach Dialog, Gedanken- und Herzensaustausch ist groß. „Bei unserem Chill-Out Tag am 13. Juli sind plötzlich neun Firmen auf mich zugekommen, die mitarbeiten möchten!“, freut sich Reinthaller über die positive Resonanz. Und er freut sich über die rasche Annahme innerhalb der Region, die längst zu seiner Heimat geworden ist „Ich verbringe über die Hälfte des Jahres am Phönixberg! Ich kenne die knorrigen Obstbäume, den Geruch des Fallobstes, atme mit der Gegend mit. Ich bin einer von hier!“ Dass er dennoch für seine Ideen viel Überzeugungsarbeit leisten musste und muss, findet er ganz normal. „Natürlich haben anfangs einige gedacht ‚Naja, ein Träumer‘, aber das ist das Los der Pioniere, dass man bisweilen gegen die Wand läuft und sich Beulen holt. Aber ich bin hartnäckig geblieben und habe Entzündungsreden gehalten, und umso schöner ist es, wenn es dann tatsächlich Feuer fängt und etwas Neues entsteht.“ Etwas, von dem Reinthaller noch gar nicht genau weiß, welche Gestalt es am Ende des Tages annehmen wird – es könnte aber durchaus in Richtung Philosophicum Lech, Goldegger Dialoge oder Forum Alpbach gehen, „das Ernst Molden 1944 ja auch gegründet hat, weil damals einige dachten ‚He, Moment, irgendetwas läuft schief.‘ Wer weiß, vielleicht wird das Pielachtal ja einmal bekannt als ‚Region des Dialoges‘? Warum nicht – es beginnt immer irgendwo!“
Dem Phönixberg wohnt jedenfalls noch, wie es Reinthaller formuliert, „der Zauber des Neuanfangs inne“, und dies ist auch schlüssig. Denn nachdem der Phönix dem Feuer entsteigt, breitet er seine Schwingen aus und fliegt davon. Wohin, das weiß man nicht so genau – die Welt steht ihm noch offen. Ulrich Reinthaller
Schauspieler (Wiener Burgtheater, Film und Fernsehen)
Auszeichnungen: Deutscher Bundesfilmpreis, Max-Ophüls-Preis, Medien-Preis BAMBI für beste Serienhauptrolle
Rezitationsauftritte in zahlreichen bedeutenden Konzertsälen im deutschsprachigen Raum. Rilke: „Duineser Elegien“, Puschkin: „Eugen Onegin“, Goethe/Pugnani: „Werther“, Dostojewski: „Der Großinquisitor“
2004 – 2012: Drei Rilke CDs (ORF, Solo Musica), Prämiierung „beste CD“
2007: TV-Dokumentation „Bis ans Ende der Welt – Auf dem Jakobsweg mit Ulrich Reinthaller“.
Zahlreiche Gastauftritte und Podiumsdiskussionen zu philosophischen Themen der Neuen Zeit (u.a. Goethe-Universität Frankfurt, Karl-Franzens-Universität Graz, Bleepkongress)
Vater zweier Töchter
2009: Errichtung Seminar.Kunst.Haus Phönixberg, 2011: Firmengründung
2013: Eröffnung des „Dialogikum Phönixberg“
Um diesen Ansatz nachvollziehbar zu gestalten, genügt ein Blick auf das Thema des nächstjährigen Dialogikums: „Bildung“. „Da geht es uns vordergründig nicht um PISA, um die Neue Mittelschule oder dergleichen, sondern primär um die Grundfrage, was Bildung überhaupt ist, wie wir damit umgehen, was wichtig sein könnte; wie wir unsere Kinder bilden, und jene, die unsere Kinder ausbilden. Und es geht um die Frage: ‚War‘s das schon, oder kann man vielleicht auch etwas Neues denken?‘“ Dazu werden wieder eine Reihe von Dialogen, Seminaren und Vorträgen stattfinden – und dies, wie bereits in diesem Jahr, über das ganze Pielachtal verteilt. Denn die Botschaft, wenn man so möchte, kommt an. Das Interesse am Phönixberg, das Bedürfnis nach Dialog, Gedanken- und Herzensaustausch ist groß. „Bei unserem Chill-Out Tag am 13. Juli sind plötzlich neun Firmen auf mich zugekommen, die mitarbeiten möchten!“, freut sich Reinthaller über die positive Resonanz. Und er freut sich über die rasche Annahme innerhalb der Region, die längst zu seiner Heimat geworden ist „Ich verbringe über die Hälfte des Jahres am Phönixberg! Ich kenne die knorrigen Obstbäume, den Geruch des Fallobstes, atme mit der Gegend mit. Ich bin einer von hier!“ Dass er dennoch für seine Ideen viel Überzeugungsarbeit leisten musste und muss, findet er ganz normal. „Natürlich haben anfangs einige gedacht ‚Naja, ein Träumer‘, aber das ist das Los der Pioniere, dass man bisweilen gegen die Wand läuft und sich Beulen holt. Aber ich bin hartnäckig geblieben und habe Entzündungsreden gehalten, und umso schöner ist es, wenn es dann tatsächlich Feuer fängt und etwas Neues entsteht.“ Etwas, von dem Reinthaller noch gar nicht genau weiß, welche Gestalt es am Ende des Tages annehmen wird – es könnte aber durchaus in Richtung Philosophicum Lech, Goldegger Dialoge oder Forum Alpbach gehen, „das Ernst Molden 1944 ja auch gegründet hat, weil damals einige dachten ‚He, Moment, irgendetwas läuft schief.‘ Wer weiß, vielleicht wird das Pielachtal ja einmal bekannt als ‚Region des Dialoges‘? Warum nicht – es beginnt immer irgendwo!“
Dem Phönixberg wohnt jedenfalls noch, wie es Reinthaller formuliert, „der Zauber des Neuanfangs inne“, und dies ist auch schlüssig. Denn nachdem der Phönix dem Feuer entsteigt, breitet er seine Schwingen aus und fliegt davon. Wohin, das weiß man nicht so genau – die Welt steht ihm noch offen. Ulrich Reinthaller
Schauspieler (Wiener Burgtheater, Film und Fernsehen)
Auszeichnungen: Deutscher Bundesfilmpreis, Max-Ophüls-Preis, Medien-Preis BAMBI für beste Serienhauptrolle
Rezitationsauftritte in zahlreichen bedeutenden Konzertsälen im deutschsprachigen Raum. Rilke: „Duineser Elegien“, Puschkin: „Eugen Onegin“, Goethe/Pugnani: „Werther“, Dostojewski: „Der Großinquisitor“
2004 – 2012: Drei Rilke CDs (ORF, Solo Musica), Prämiierung „beste CD“
2007: TV-Dokumentation „Bis ans Ende der Welt – Auf dem Jakobsweg mit Ulrich Reinthaller“.
Zahlreiche Gastauftritte und Podiumsdiskussionen zu philosophischen Themen der Neuen Zeit (u.a. Goethe-Universität Frankfurt, Karl-Franzens-Universität Graz, Bleepkongress)
Vater zweier Töchter
2009: Errichtung Seminar.Kunst.Haus Phönixberg, 2011: Firmengründung
2013: Eröffnung des „Dialogikum Phönixberg“