MFG - „Das grössere Ganze im Auge behalten“
„Das grössere Ganze im Auge behalten“


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

„Das grössere Ganze im Auge behalten“

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2014

Hermann Dikowitsch ist Leiter der Abteilung Kunst und Kultur des Landes Niederösterreich. Mit MFG sprach er über die Hintergründe des Abzuges der Landeskunst von St. Pölten nach Krems, über das „Haus der Geschichte“ und warum niemand ein Bekenntnis des Landes zur Kultur der Hauptstadt anzweifeln könne.

Auf welchen konkreten Überlegungen und Beschlüssen fußt der Schritt, die Kunstsektion des NÖ Landesmuseums nach Krems zu verlegen und dort eine Landesgalerie/Sammlermuseum in der Höhe von 35 Millionen Euro zu errichten, zugleich um drei Millionen Euro ein Haus der Geschichte in St. Pölten?
Der Neuordnung der Sammlungs- und Ausstellungsstrategie geht eine langfristige, mehrjährige Vorbereitung voraus. Ihren Ausgang nahm diese Umstrukturierung mit der Empfehlung des niederösterreichischen Kultursenates, derzufolge eine klarere Ausrichtung der Museumslandschaft in Niederösterreich gefordert wurde. Dieser Empfehlung wurde nun Rechnung getragen und ein Maßnahmenpaket eingeleitet. Zur Konzentration von thematischen Schwerpunkten wurden die Ausstellungszentren „Carnuntum“ mit der archäologischen Sammlung aus der Römerzeit, das „MAMUZ“ in Mistelbach und Asparn/Zaya mit der Ur- und Frühgeschichtesammlung sowie das „Museumsdorf Niedersulz“ mit der Volkskundesammlung ausgebaut. In logischer Konsequenz folgt nun die Erweiterung der Kunstmeile Krems mit Bildender Kunst und eine Schwerpunktsetzung auf Natur- und Landeskunde im Landesmuseum Niederösterreich in St. Pölten. Ein österreichweit einzigartiges Haus der Geschichte wird künftig eine dauerhafte Darstellung der Landesgeschichte von Niederösterreich als historisches Kernland der Republik Österreich präsentieren. Auf Grundlage der neu erstellten Strategie für die Sammlungen des Landes Niederösterreich wurden die genannten Schwerpunktsetzungen sowohl in Krems als auch in der Landeshauptstadt von der Landesregierung und dem Niederösterreichischen Landtag beschlossen.

In St. Pölten hat sich inzwischen massiver Protest gegen diesen Schritt gebildet, eine Unterschriftenliste ist im Umlauf. Überrascht Sie dieser Gegenwind? Können Sie ihn nachvollziehen?
Ich habe Verständnis für die Bedenken von Einzelpersonen für diese Veränderungen. Einen massiven Protest kann ich jedoch nicht orten. Die Ausstellungs- und Museumslandschaft ist heute eine ganz andere als jene vor zwanzig Jahren, weshalb eine entsprechende Adaptierung erforderlich wurde. Es gibt von einer Vielzahl an Kulturinteressierten ein äußerst positives Echo und eine breite Zustimmung zur geplanten Neuordnung der Museumslandkarte. Von renommierten Kulturexperten wird sie als herausragender Meilenstein für das Kulturgeschehen Niederösterreichs befürwortet. Diese Entscheidung wurde durch den St. Pöltener Bürgermeister Mag. Matthias Stadler und durch den Kremser Bürgermeister Dr. Reinhard Resch mitgetragen und gemeinsam mit Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll präsentiert.
Das Gesamtprojekt „Museum Niederösterreich“ wird der Landeshauptstadt St. Pölten einen großen Nutzen und eine enorme Aufwertung bringen. Wir erwarten uns dadurch einen weiteren Anstieg der Besucherzahlen und damit verbunden eine wirtschaftliche Wertschöpfung für die Landeshauptstadt.

Warum wurde diese Causa gänzlich ohne öffentlichen Diskurs geführt? War die Kommunikation – um es einmal euphemistisch auszudrücken – nicht äußerst unglücklich?
Wir haben bei dieser Neupositionierung die betroffenen Institutionen miteingebunden, die ihre Positionen eingebracht haben. Eine neue Museumsordnung wurde vom niederösterreichischen Kultursenat einstimmig beschlossen, einem Gremium, das sich aus Vertretern aller wesentlichen Kunstsparten und -richtungen zusammensetzt. Es wird natürlich auch in Zukunft Bildende Kunst in der Landeshauptstadt vertreten sein. Sei es themenbezogen im Rahmen der Neupräsentation der Landesgeschichte oder auf der Ausstellungsbrücke im Niederösterreichischen Landhaus. Außerdem ist eine Aufwertung des Niederösterreichischen Dokumentationszentrums für moderne Kunst in St. Pölten angedacht, was mit der Stadtgemeinde sowie dem Leiter des Dokumentationszentrums, DDDr. Leopold Kogler, akkordiert ist.

In der Diskussion wurde schnell die Provinzialismuskeule geschwungen und eine Neiddebatte unterstellt. Die Kritisierten ihrerseits sagen genau umgekehrt, es sei provinziell, gießkannenmäßig einen Flickenteppich zu schaffen anstelle sich zu zentral etablierten Hauptstadteinrichtungen zu bekennen – in anderen Bundesländern sei ein derartiger Schritt undenkbar. Wie sehen Sie das?
Unser Ziel ist es abseits von „Besitzstandwahrung“ das größere Ganze im Auge zu behalten und nachhaltig zu planen. Demnach verfolgen wir eine Kulturpolitik, die den Fokus nicht nur auf den Zentralraum legt, sondern Kulturangebote im ganzen Land forciert und ermöglicht. Auch in anderen Ländern geht man mittlerweile von einer Zentralisierung ab und eröffnet wichtige Museen in den Regionen, zum Beispiel in Frankreich mit einem zweiten Louvre in Lens oder einem zweiten Centre Pompidou in Metz. Mit einer Galerie Niederösterreich am Standort der Kunstmeile Krems verstärken wir die Stärken dort, wo sie bereits erfolgreich bestehen. Zudem kann niemand ein Bekenntnis des Landes zur Kultur in der Landeshauptstadt ernsthaft anzweifeln. Man denke dabei an den Kulturbezirk mit dem Landesmuseum, dem Festspielhaus, dem Landesarchiv und der Landesbibliothek oder dem Landestheater und der Bühne im Hof sowie weiteren maßgeblich vom Land Niederösterreich unterstützten Aktivitäten wie etwa dem Cinema Paradiso. Jede dieser Einrichtungen spielt eine große Rolle im heimischen Kulturgeschehen und untermauert die Bedeutung der Landeshauptstadt für Niederösterreich. In einem nächsten Schritt wird dieses umfassende Angebot um den Bereich der Landeskunde erweitert, der bisher im Landesmuseum gänzlich unterrepräsentiert war. Ein Bedürfnis, das auch von den Besuchern des Landesmuseums immer wieder betont wurde und dem nun entsprechend Folge geleistet wird.

Der Grundentwurf Holleins war ursprünglich auf doppelt soviel Fläche ausgelegt, die aber aus Kostengründen halbiert wurde – Platz, der im Landesmuseum danach fehlte. Das Haus wurde innerhalb von nur zehn Jahren – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die Präsentation der Kunst – mehrmals umgebaut. Nun schafft man, auch unter dem Hinweis fehlender Platzressourcen, mehr Fläche für die Landeskunst ... in Krems. Ist das nicht widersinnig und macht zugleich die vorherigen Umbauten zu einem Akt reiner Geldvernichtung?
Sie dürfen einen wichtigen Faktor nicht außer Acht lassen: Die Landessammlung hat in den letzten beiden Jahrzehnten durch Schenkungen, Erbschaften und Überlassungen sowie durch Ankäufe eine starke Dynamisierung erfahren und ist dadurch massiv angewachsen. Unser Anliegen ist es, diese Kunstschätze nicht in Depots verschwinden zu lassen, sondern der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dafür werden zusätzliche Ausstellungsflächen benötigt. Nach dem Prinzip, die eigenen Stärken zu stärken sowie die öffentlichen Mittel effizient und bestmöglich für das Land Niederösterreich einzusetzen, fiel die Wahl auf eine Erweiterung der Kunstmeile Krems, die sich in den letzten zwanzig Jahren als Ausstellungszentrum für nationale und internationale Kunst bewegt und heute als wichtige erfolgreiche Bereicherung des europäischen Ausstellungswesens bezeichnen kann. Das Landesmuseum wurde bereits vor ein paar Jahren um einen zusätzlichen Sonderausstellungsbereich für landeskundliche Themen erweitert, der nun ausgebaut wird. Und die neue Gastronomie sowie die barrierefreie Zugangsmöglichkeit sind aus dem heutigen Angebot des Landesmuseums nicht mehr wegzudenken.

Die NÖKU hat zuletzt aus Kostengründen bestimmte Einrichtungen gestrichen wie z.B. Klangturm St. Pölten, das Festival Kontraste in Krems etc. Die vorhandenen Institutionen sind zum Sparen verpflichtet – zugleich wird nun die Museumslandschaft in Niederösterreich um 38 Millionen Euro ausgebaut. Wie erklärt man das den Mitarbeitern, wie erklärt man es v.a. den Steuerzahlern angesichts angespannter Budgets? Wie werden die zwei neuen Museumsprojekte in Krems und St. Pölten finanziert?
Wir gehen im Kulturbereich besonders sorgsam und effizient mit den Mitteln der öffentlichen Hand um. Auf der einen Seite werden kulturelle Aktivitäten permanent evaluiert und Konsequenzen daraus gezogen. Auf der anderen Seite können knappe Budgets nicht zugleich Stillstand bedeuten, denn damit würden wir im Wettbewerb mit anderen Regionen sofort in Rückstand geraten. Kultur ist in Niederösterreich mittlerweile auch zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. Alleine durch die Bautätigkeit im Kulturbereich hat das Land Niederösterreich durch Investitionen von 300 Millionen Euro ein Ausgabenvolumen in der Höhe von insgesamt einer Milliarde Euro mit ausgelöst und alleine durch die Baumaßnahmen 5.700 Arbeitsplätze in Niederösterreich geschaffen bzw. abgesichert. Auch durch die neuen Investitionen wird die Wirtschaft und in weiterer Folge der Tourismus beider Regionen angekurbelt.

Was hat den Ausschlag für ein „Haus der Geschichte“ gegeben? Nach außen hin wirkt der Entschluss ja aufs Erste wie eine Alibihandlung, um eine Kompensation für das Abwandern der Kunst aus St. Pölten zu schaffen. Was steckt für eine Idee dahinter?
Für Museen ist es entscheidend, dass diese nicht vom Stillstand, sondern von der Weiterentwicklung leben. Es ist niemandem geholfen, wenn nicht permanent über Verbesserungen nachgedacht wird. Das trifft auch auf die zeitgemäße Präsentation eines Landesmuseums zu, um den Anforderungen der Besucher gerecht zu werden. Aufgrund der unterrepräsentierten Landesgeschichte gab es seit Jahren Überlegungen, diesen Bereich im Landesmuseum auszubauen. Zudem ist diese Maßnahme Teil der niederösterreichischen Sammelstrategie, der eine langfristige Planung vorausgeht.

Ein „Haus der Geschichte“ scheiterte bisher auf Bundesebene auch an einem fehlenden, sinnvollen Museumskonzept. Hat man ein solches in Nieder-östereich nunmehr gefunden? Wie sieht dieses im Detail aus?
Ich werde nicht den Umgang des Bundes mit einem Haus der Geschichte kommentieren. In Niederösterreich gehen wir einen eigenständigen, erfolgreichen Weg. Das Landesmuseum, in dem nun ein Haus der Geschichte eingerichtet wird, soll die bedeutenden Ereignisse des Landes von der Urgeschichte bis hin zur Gegenwart der Bevölkerung näherbringen, wobei ein wesentlicher Schwerpunkt auf den Bereich der Zeitgeschichte gelegt wird, der ein wachsendes Interesse bei den Menschen hervorruft.
Die Konzepte für die Dauerausstellung werden unter breiter wissenschaftlicher Einbindung erarbeitet und zu gegebenem Zeitpunkt der Öffentlichkeit präsentiert. Es wird mit Sicherheit keine Ausstellung der herkömmlichen Art, sondern eine spannende und interaktive Präsentationsform unter Einbeziehung modernster Medien mit einem besonderen Augenmerk auf die Vermittlungstätigkeit.

Welchen Grundstock wird man für das neue „Haus der Geschichte“ finden – eine eigentliche Sammlung besteht dafür ja bislang nicht. Wird auch Kunst, als Teil und zwecks Dokumentation der historischen Entwicklungen, „exemplarisch“ Teil dieses Museums sein?
Die für eine Präsentation erforderlichen Exponate befinden sich teilweise in öffentlichen, aber auch in privaten Sammlungen. Erfahrungsgemäß konnten auch über Sammelaktionen, wie etwa der Staatsvertragsausstellung auf der Schallaburg, viele interessante Leihgaben zusammengetragen werden. Die Auswahl der Exponate wird von einem wissenschaftlichen Kuratorenteam erfolgen, dem ich jetzt noch nicht vorgreifen möchte. Ich gehe aber davon aus, dass hier themenbezogen auch Werke der Bildenden Kunst einbezogen werden.