MFG - Jäger des verlorenen Schatzes
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St. Pöltens gute Seite

Jäger des verlorenen Schatzes

Text Michael Käfer
Ausgabe 11/2013

Zwei Institutionen – zwei runde Jubiläen, ein Jubiläumsjahr: 2013 feiert man 150 Jahre NÖ Landesarchiv, 200 Jahre Landesbibliothek. Seit zwei Jahren sind der kollektive Erinnerungsspeicher und die Büchersammlung nun wieder zusammengeführt, unter der Leitung eines Direktors.

Geschichte ist im Büro von Archivdirektor Willibald Rosner allgegenwärtig. Neben seinem Schreibtisch und unzähligen Büchern steht eine „alte Aktenkrax´n“, wie das hölzerne Gestell, ein früheres Aktentransportmittel, von Rosner genannt wird, und auf der Wand dahinter hängen historische Abbildungen. Es blicken der letzte kaiserliche Statthalter von Niederösterreich, Oktavian Regner Freiherr von Bleyleben, Erzherzog Eugen als Deutschmeister und der erste Direktor des Regierungsarchives, Albert Starzer, geschichtsträchtig auf Rosner herab.
Bewahren, Bewerten, Sichern und Erschließen
„Starzer hat sich aufgehängt, das einzige, was man als Archivdirektor tun kann“, scherzt Rosner über den irdischen Abgang einer seiner Vorgänger. Er selbst, der Deutsch und Geschichte mit Ausbildung zum Archivar studierte und zehn Jahre beim Bundesheer diente, ist da, wie sein Sarkasmus schon erkennen lässt, von gefestigterer Natur. „Bei der Armee hab ich viel gelernt, auch den Umgang mit aussichtlosen Situationen“, so der anerkannte Spezialist auf dem Gebiet der Fortifikationsgeschichte (Festungsbau) und der Franzisko-josephinischen Ära mit Blick auf Landgemeinden. Seine Lieblingsburg Aggstein hatte er zu Kinderzeiten als dreiteiliges Modell mit kleinen Plastikfiguren – getreu dem Motto der Archivare „Bewahren, Bewerten, Sichern und Erschließen“.
1988 kam er ans Institut für Landeskunde, seit 2005 ist der „Alt- oder Ostösterreicher“ mit galizischen, most- und waldviertlerischen sowie burgenländischen Wurzeln Direktor des Landesarchives. Durch Synergien, wie man politischer Sprachdiktion entnehmen darf, hat er seit zwei Jahren nun auch die Leitung der Landesbibliothek über.
Beginn als „Ständische Büchersammlung“
Deren Gründungsdatum liegt 200 Jahre zurück. Unter dem Namen „Ständische Büchersammlung“ war seinerzeit eine kleine Anzahl von Büchern, die zum Gebrauch der niederösterreichischen Stände (Klerus, Hoher Adel und Städte) bestimmt war, in den Sitzungssälen des damaligen Landhauses zu finden. „Mit 88 Werken ein sehr mythischer Beginn. Erst mit der Übernahme durch den Dichter Ignaz Franz Castelli im Jahre 1833 wurde aus dieser Sammlung eine Bibliothek mit fixem Ankaufsprogramm“, erzählt Rosner von den Anfängen der Landesbibliothek.
Diese befand sich übrigens in Wien, genauso wie die zweite Station der heute größten Bibliothek des Landes – erst 1997 wurde sie in den St. Pöltner Neubau übersiedelt. Dort befindet sie sich heute genau gegenüber dem Landesarchiv im Regierungsviertel – wie zwei Zwillinge wirken die beiden Gebäude, eine direkte Verbindung gibt es allerdings nicht. Trennung und Wiedervereinigung von Landesbibliothek und Landesarchiv waren im Laufe der Geschichte immer wieder ein Thema. „Man teilte oft auch das gemeinsame Schicksal, von der Kulturabteilung geschluckt zu werden“, so Rosner.
„Sermones aurei des sanctis“
Heute ist die Bibliothek für jedermann öffentlich zugänglich, es können an die 360.000 Bücher zu sämtlichen Wissensgebieten gelesen und entlehnt, rund 22.000 Kartenblätter und 100.000 topographische Ansichten benützt werden. Zu den Schätzen der Bibliothek zählt ihr ältestes Buch, die „Sermones aurei des sanctis“ des Leonardus de Utinus. Es beinhaltet Predigten und wurde 1475, kurz nach der Erfindung des Buchdrucks, in Venedig gedruckt.
Ein ganz besonderes Stück ist auch das lateinische Marienandachtsbuch des Michel François, das am 20. März 1501 in Schrattenthal geschaffen wurde und als ältestes gedrucktes Buch aus dem heutigen Niederösterreich gilt. Die „Schedelsche Weltchronik“ aus dem Jahre 1493 mit 1809 Holzschnitten, reiht sich als die prominenteste der acht im Haus vorhandenen Inkunabeln (Wiegendrucke) nahtlos in die Reihe bedeutender Schriftwerke ein.
Da kann das Lieblingsstück von Rosner aus dem Landesarchiv nicht ganz mithalten. „Es ist ein handgeschriebenes Kochbuch aus dem 18. Jahrhundert, aus dem Osten Österreichs.“
Das älteste Archivgut
Dagegen hat man in den Archivbeständen mit der Gründungsurkunde des Klosters Erla und einer Schenkungsurkunde aus dem Jahre 1162 des Kaisers Friedrich Barbarossa Objekte, die dem ältesten Buch aus der Landesbibliothek über 300 Jahre voraus sind. Zu den skurrilsten Objekten gehört neben einer Skizze zu einem Verkehrsunfall aus dem 18. Jahrhundert – wo ein besoffener Kutscher zwei Damen, eine davon tödlich, niederfuhr und mit vier Wochen Herrschaftsarbeit und 15 Rutenstreichen eher glimpflich davonkam – auch ein Mickey Mouse Heft als Aktenbeilage.
Urkunden und Handschriften, ja ganze Herrschaftsarchive sind archivarische Objekte der Begierde. „Wir sind so etwas wie die Jäger des verlorenen Schatzes!“, meint Rosner.
Dass ein Objekt übrigens zum Archivgut wird, dazu bedarf es einer Ortsveränderung. Solange etwa ein Schriftgut in einer Kanzlei oder Behörde aufbewahrt wird, ist es in der Registratur. „Erst wenn es von der Behörde an uns abgegeben wird, wird es Archivgut.“
Diese archivarische Unterscheidung macht es u. a. auch schwierig, den genauen Zeitpunkt der Gründung eines Landesarchives zu bestimmen. „1518 erfahren wir von der Existenz eines Briefg´wölbs im Alten Landhaus. Das wird es aber vermutlich schon 1513 beim Ankauf des Hauses in der Herrengasse gegeben haben“, wäre für Rosner auch 500 Jahre Archivjubiläum hypothetisch denkbar.
Nicht ganz einfach, da das heutige Archiv aus zwei historischen Registraturen, jener der Stände und jener der Regierung, und deren Archiven entstanden ist. Diese beiden wurden 1940 zusammengelegt, kein besonders geeignetes Datum, Jubiläum zu feiern. Da passt das Jahr 1863, als die Ständische Registratur aus der neuen Registratur herausgelöst und ein Archiv-Fachdienst eingerichtet wurde – die Definition als wissenschaftliche Anstalt – schon eher als Gründungsjahr.
Dient die Bibliothek vorrangig der Volksbildung, so ist es seit 150 Jahren die Hauptaufgabe des Landesarchivs, historisches Material zu sammeln und für die wissenschaftliche Forschung aufzubereiten. Hier findet man mittelalterliche Urkunden, wichtige historische Akte, aber auch jüngeres Schriftgut, das beispielsweise von Gerichten zur Rechtsprechung herangezogen werden kann.
„Bibliothekare verwalten Bücher, Archivare lesen wirklich“, erklärt Rosner zum Schluss scherzhaft den Unterschied zwischen Archiv und Bibliothek. Aber das ist sicherlich nicht der Hauptgrund, warum es Jahrzehnte, beinahe Jahrhunderte gedauert hat, dass man nun, unter einem administrativen Dach, gemeinsam feiern kann.
Mit Internet und vernetzten Bibliothek- und Archivsystemen („ein Traum von mir wäre ein Archivverband“, so Rosner) stellt man sich jetzt vereint einer neuen Zeitepoche.