MFG - Weil eine Gruppe möchte ich sein
Weil eine Gruppe möchte ich sein


MFG - Das Magazin
St. Pöltens gute Seite

Weil eine Gruppe möchte ich sein

Text Michael Müllner
Ausgabe 09/2021

Verbringst du genügend Zeit in den richtigen Facebook-Gruppen, bekommst du garantiert mit, was St. Pölten bewegt. Egal ob Klatsch und Tratsch, Erfahrungsaustausch und Hilfestellung oder dieheißesten News – knapp ein Drittel der St. Pöltnerinnen und St. Pöltner ist online dabei. Doch wissen alle, worauf sie sich dabei einlassen?

Smartphones verbinden uns rund um die Uhr mit dem Internet. Soziale Medien wie Facebook begleiten uns durch den Tag und sind zu universellen Kommunikationsinstrumenten geworden: Wir informieren uns im Newsfeed über Neuigkeiten aus aller Welt, bekommen mit, was sich im Freundeskreis tut und chatten mit Kollegen. Besonders die sogenannten Gruppen hat Facebook in den letzten Jahren weiterentwickelt und herausgeputzt. Mit Erfolg, wie mehr als 16.000 Mitglieder in St. Pöltens größter Facebook-Gruppe („Was ist los in St. Pölten“) zeigen. Gut moderierte Gruppen mit einer kritischen Größe an aktiven Usern nehmen es locker mit der Bedeutung von regionalen Zeitungsausgaben auf, wie Medienwissenschaftler Jan Krone im nebenstehenden Interview ausführt. Doch was macht ihren Reiz aus und was treibt die Admins an?

Was ist los in St .Pölten?
Seit 2013 stieg Ricardo Zanot schleichend zum Admin auf, als sich die Gründerin von „Was ist los in St. Pölten“ zurückzog. Heute ist er Herr über 16.000 Mitglieder. „Dass eine Diskussion über Corona nicht ausartet, dem musst du schon gewachsen sein“, lacht er, wenn er auf die kontroversesten Themen der letzten Jahre zurückblickt. „Das Potential der Gruppen ist das Bedürfnis der Menschen, sich mitzuteilen. Menschen wollen loswerden, was sie betrübt. Bei uns wird man als Mitglied aufgenommen, erst dann kann man mitlesen und schreiben. Das schafft etwas Intimität und die Leute reden sehr offen, teilweise zu offen. Als Moderator muss ich dann bremsen und an die Spielregeln erinnern.“
Aber kann man es allen recht machen? „Es gibt immer auch Kritik. Anfangs wurde ich oft als Diktator beschimpft, aber langsam checken die Leute, dass es mir nicht um Zensur geht, sondern um die Art und Weise, wie man formuliert. Ich akzeptiere beispielsweise keine pauschalen Beschimpfungen von Bevölkerungsgruppen. Und momentan kommt es sehr häufig vor, dass bei anfangs ganz unverfänglichen Themen plötzlich irgendwer in die Corona-Richtung überleitet und dann geht es ab. Reizthemen sind derzeit: Corona, Impfen und Ausländer. Zum Moderieren braucht man einen guten Überblick, was in der Stadt passiert. Bei hitzigen Diskussionen muss man eine gewisse Ruhe reinbringen. Dass es bei uns unterm Strich relativ gesittet zugeht, das ist hart erkämpft.“ Die Kunst ist den richtigen Moment zu erkennen, wann man eingreift. Manche Themen eskalieren rasch: „Es kann sein, dass ich eine Stunde nicht aufs Handy schau und schon beschimpfen sich fünfzig Leute gegenseitig.“ Greift er dann ein, folgen Fragen: Warum wurde das Posting vom Moderator überhaupt freigeschalten, warum ein kritischer Beitrag gelöscht? „Eine Linie zu finden, die für die Allgemeinheit erträglich ist und die noch administrierbar ist, das ist die echte Herausforderung“, so Zanot, dem dabei hilft, sich in die Menschen hinein zu versetzen, um möglichst viel Verständnis zu haben, denn: „Große Gruppen sind immer heterogen, da muss man auch ertragen, dass manche andere Meinungen haben oder sich schwer tun, ihre Meinung zu artikulieren. Doch genau diesen Diskurs zu fördern, ist der eigentliche Zweck dieser Gruppe.“ Und ein paar wenige Aufhusser und Randalierer muss man nach erfolglosen Verwarnungen letztlich vor die virtuelle Tür setzen.
Das Durchsetzen von Spielregeln ist auch Eigenschutz. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, auch virtuelle Kommentare können verletzten oder verärgern – bis hin zu rechtlichen Konsequenzen für die Beteiligten. Zanot: „Vieles ist rechtlich relevant. Wir versuchen dann alle zusammenzubringen. Dank der Gruppe lassen sich Lösungen oft viel rascher erzielen, als wenn man alles offline regeln müsste.“ Auch die Polizei liest in der Gruppe mit und tauscht sich mit dem Admin aus. „Kaum gibt es eine Schießerei, wird schon darüber geschrieben – lange bevor die ersten Pressemeldungen kommen. In Kooperation mit der Polizei können wir aktuell informieren, was wirklich Sache ist.“

Leben in STP & Umgebung
Was früher der Tratsch nach dem Kirchgang oder der Blick in die Lokalzeitung war, ist heute das Surfen in der Facebook-Gruppe. Romana Drexler hat im Juli 2019 ihre Gruppe „Leben in St. Pölten & Umgebung“ gegründet und mittlerweile über 8.000 Mitglieder. „Damals hatte ich im Beruf viel zu tun und irgendwann habe ich bemerkt, dass ich dadurch wenig vom Geschehen um mich herum mitbekomme. Das war meine Intention die Gruppen zu gründen, ich wollte über Alltägliches am Laufenden bleiben und einen Ort schaffen, an dem Menschen ihre Meinungen austauschen. Drexler und Zanot kennen sich seit Jahren und stehen im freundschaftlichen Austausch, beide Gruppen scheinen ihren Platz gefunden zu haben. Was denn die größten Aufregerthemen in St. Pölten sind? „Am häufigsten kommt das Zu-Betonieren, insbesondere im Hinblick auf Wohnungsbau. Und natürlich: Corona und Fremdenfeindlichkeit – man muss immer damit rechnen, dass irgendwo ein Kommentar kommt und dann geht es los.“ Auch über Dienstleistungsbetriebe wird liebend gerne diskutiert – vom höchsten Lob bis zur niederschmetternden Kritik ist alles dabei. „Gerade wenn jemand kritisiert wird, geht es mir um eine ausgewogene Diskussion. Ich bin für Meinungsfreiheit, aber die Gruppe soll nicht dazu dienen, dass man anderen etwas Schlechtes tut. Online fehlt uns das Menschliche, die Mimik, die Gestik – umso wichtiger ist ein guter Ton und respektvoller Umgang“, erklärt Drexler ihren Zugang.
Doch ist es nicht schlicht menschlich, dass uns „bad news“ besonders interessieren? „Ganz sicher nicht. Ich beobachte die Reichweite der einzelnen Beiträge. Lob und positive Geschichten werden sehr gerne gelesen und bekommen viele Likes. Bei Negativem gibt es vielleicht mehr Kommentare, aber die Reichweite insgesamt ist nicht höher.“ Den Erfolg der Gruppe kann man am Schlusssatz der Administratorin festmachen: „Wenn mir heute jemand etwas Neues erzählen will, dann weiß ich das schon immer – aus meiner Gruppe“, lacht sie. Und freut sich besonders über Berichterstattung lokaler Medien, wenn diese Themen aus ihrer Facebook-Gruppe aufgreifen.

FACEBOOK-GRUPPEN ALS RELEVANTE PLAYER IM GESELLSCHAFTLICHEN DISKURS
FH-Professor Jan Krone forscht und lehrt an der FH St. Pölten, Department Medien und Digitale Technologien.

Welchen Stellenwert haben Facebook-Gruppen mit 16.000 Mitgliedern für eine Stadt mit rund 55.000 Einwohnern?
Es handelt sich dabei wohl um eine Mischung aus kommunikativ-gesellschaftlichen Systemen und publizistischen Mediensystemen. Technisch gesprochen ist der Rezipient gleichzeitig auch Kommunikator. Bei klassischen Medien hat man den passiven Leser oder Zuseher, bei Facebook-Gruppen sind die Nutzer sowohl lesende Empfänger als auch aktiv schreibende oder Likes-gebende Sender. Wenn wir nun von einer Reichweite mit 16.000 Mitgliedern ausgehen, dann ist das bei einem Verbreitungsgebiet wie St. Pölten zweifelsfrei eine signifikante Plattform zur Information und Meinungsbildung. Möglicherweise ist diese Plattform damit sogar „stärker“ als die St. Pöltner Stadtausgaben von NÖN oder den Bezirksblättern. Auch wenn diese Gruppen in der Medienforschung noch unzureichend erfasst sind, haben sie zweifelsfrei den Charakter von starken Lokalmedien.

Überschätzt man nicht die Bedeutung solcher Gruppen?
Eher wird die Wirkung unterschätzt. Meiner Meinung nach ist die sogenannte „Medienwirkungsvermutung“ sogar größer als bei klassischen Medien, da Facebook-Gruppen ein hohes „Nutzer-Involvement“ haben. In diesen Gruppen herrscht ein Gefühl der Nähe, die Partizipation ist einfach – ganz ohne viel Aufwand für den Nutzer. Quasi beiläufig entstehen so relevante Player für den gesellschaftlichen Diskurs.

Also gehört die Zukunft des Diskurses Facebook & Co?
Klassische Medien neigen jedenfalls dazu, das Geschehen und den Stellenwert dieser Gruppen zu unterschätzen oder zu dämonisieren, vielleicht auch weil man sich im Wettbewerb zu sozialen Medien wähnt. Die Entwicklung ist jedenfalls nicht abgeschlossen. Facebook etwa gilt als „dying platform“, die junge Zielgruppe ist dort nur mehr sehr schwach vertreten, sie hält sich lieber auf Instagram oder TikTok auf. Außerdem besteht das vergleichbare Phänomen der „Dark Social“-Gruppen, also geschlossener Informationskanäle bzw. Messenger-Gruppen wie WhatsApp, Signal oder Telegram. Dort finden sich zudem jüngere Zielgruppen ein.

Facebook baute die Gruppen-Funktionalität zuletzt aus und scheint auch aus wirtschaftlichen Motiven auf große Gruppen zu setzen.
Für die Plattformbetreiber haben diese Gruppen natürlich eine besondere ökonomische Bedeutung, weil die Nutzer regelmäßig in diese Gruppen zurückkehren und durch das Mitlesen eine lange Verweildauer entsteht. Zudem erhalten die Konzerne valide soziodemographische Daten, die sie für ihre personalisierte Werbevermarktung gut gebrauchen können.

Und welchen Nutzen hat die Gesellschaft insgesamt?
Neben dem Informationsgewinn im Lokalen wird dem User auch oft eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs und auch an demokratischen Prozessen ermöglicht. Eine Vertiefung von Informationen ist kanaltypisch. Es ist eine durchaus zentrale Frage, dass wir als Gesellschaft diese Bedeutungen auch erfassen können. Und die Menschen selber müssen unterscheiden können zwischen privater, halb-öffentlicher und öffentlicher Kommunikation. Denken wir an die beliebte Metapher mit dem Wirtshausbesuch. Wenn Privates privat bleiben soll, dann verlangt öffentliche Kommunikation nach entsprechendem Bewusstsein, dass man jetzt eben nicht mehr privat kommuniziert – und somit vielleicht auch inhaltlich oder sprachlich angepasst kommuniziert.

Gerade dieses Bewusstsein scheint aber oft schwach ausgeprägt, dass man in Facebook-Gruppen eben nicht mehr im privaten Rahmen agiert.
Es ist etwas anachronistisch, dass für Kommunikationsplattformen noch nicht exakt die gleichen Gesetze gelten wie für redaktionelle Medienunternehmen. Manche Haftungen sind etwa noch eingeschränkt. Dabei wirken viele Social-Media-Plattformen mit Community-Regeln und AGBs genauso redaktionell auf Inhalte ein wie klassische Medien­unternehmen. In meiner Wahrnehmung sind sich Moderatoren oder Administratoren von derartigen Gruppen oft der Dimension ihres eigenen Wirkens gar nicht bewusst. Sie haben de facto die Funktion einer Chefredaktion, nur ohne Bewusstsein oder gar Ausbildung dafür.

ONLINE GELTEN DIE GLEICHEN REGELN WIE OFFLINE
Paul Eberstaller forscht als Universitätsassistent am Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien vor allem im IT-Recht.

Welche Spannungsfelder entstehen online?
Sehr häufig geht es um Beleidigungen oder üble Nachrede. Dabei gelten online im Wesentlichen die gleichen Regeln wie offline. Auch im Internet darf ich niemanden beleidigen. Der Unterschied ist meistens die Öffentlichkeit. Am Stammtisch kriegt es der Beleidigte vielleicht nicht mit, oder er ist weniger geneigt, die Beleidigung gerichtlich zu verfolgen. Im Internet erreicht man schnell mehr Menschen – und es ist gespeichert und leicht nachlesbar. Dazu kommt, dass man als Inhaber eines Social-Media-Accounts Medieninhaber im Sinne des Mediengesetzes ist. Das heißt, wenn ich auf meinem Profil etwas behaupte, dann gilt der gleiche Maßstab wie bei klassischen Medien. Das ist beispielsweise relevant, wenn man schreibt, dass ein Politiker verurteilt wurde. Da macht der Zusatz, dass die Verurteilung noch nicht rechtskräftig ist, einen gewaltigen Unterschied. Denkbar ist dann etwa eine Klage nach dem Mediengesetz, diese wird meistens zivilrechtlich vom vermeintlich Geschädigten angestrengt, aber vor einem Strafgericht verhandelt. Da geht es dann im Wesentlichen um Entschädigungszahlungen als Form von Schadenersatz und natürlich um die Kosten für derartige Verfahren – das kann mitunter teuer werden. Aber auch strafrechtliche Konsequenzen können drohen. So stehen etwa auf Beleidung im Extremfall bis zu drei Monate Haft, auf üble Nachrede sogar bis zu sechs Monate.

Wie kann man sich gegen unliebsame Postings wehren?
Alle Medien, auch Facebook-Gruppen, benötigen ein Impressum. Dort findet man die verantwortlichen Ansprechpersonen und kann sie kontaktieren. Grundsätzlich ist auch eine Haftung der Administratoren oder Moderatoren denkbar, beispielsweise wenn sie Inhalte stehen lassen, die auch für einen Laien als rechtlich problematisch erkennbar sind. Jedoch sind diese Betreiber nicht verpflichtet von sich aus ständig alle Kommentare zu überwachen. Da muss man dann schon aktiv werden und den Admin darauf ansprechen oder Beiträge melden. Sobald der Admin den relevanten Kommentar sieht und er auch als Laie ein Problem erkennen kann, müsste er handeln, um nicht ebenso haftbar zu sein.

Was müssen Moderatoren unter dem Aspekt der Meinungsfreiheit zulassen und was dürfen sie zensurieren?

Grundsätzlich sind nur Staaten an die Meinungsfreiheit gebunden, sofern es nicht zulässige Einschränkungen gibt, etwa zum Schutz von Persönlichkeitsrechten. Private Betreiberfirmen wie Facebook selbst oder Administratoren, die Gruppen verwalten, sind dahingehend nicht gebunden. Sie können sich aussuchen, welche Meinungen oder Inhalte sie zulassen – und was oder wem sie eben keinen Raum geben wollen.

FAKTENKASTEN – DIE STP-GRUPPEN IM PORTRAIT

Was ist los in St. Pölten?
Mitglieder: 16.202 Personen
Erstellt: 1. November 2011
Mastermind: Ricardo Zanot
Beiträge im August 2021: 743 Beiträge

Leben in St. Pölten & Umgebung
Mitglieder: 8.242 Personen
Erstellt: 27. Juli 2019
Mastermind: Romana Drexler
Beiträge im August 2021: 410 Beiträge