Wohn-Bau-Boom noch ohne Wohn-Bau-Blase
Text
Beate Steiner
Ausgabe
St. Pölten ist Lieblingsstadt der Wohnungsbauer. Es ist günstig, gut gelegen und hat Wohnqualität. Daher ist es auch Lieblingsstadt vieler Wohnungssuchender.
Kräne dominieren die Silhouette der Stadt, vermitteln, dass ganz St. Pölten eine einzige große Baustelle ist. Und der Eindruck täuscht nicht – vor allem der Wohnbau boomt in der wachsenden niederösterreichischen Metropole. 1.726 Wohneinheiten werden derzeit errichtet, 4.333 weitere sind in Planung. Zu viele? Nein, sagt Georg Edlauer, Fachverbandsobmann der Wirtschafts- und Vermögenstreuhänder in der Wirtschaftskammer, „eine Überhitzung kann ich nicht feststellen.“ Aber eine harmonische Steigerung. „Das Angebot ist ein bisserl vor der Nachfrage. Das ist gut so. Denn wer nachfragt und nichts bekommt, kommt nicht wieder.“ Im Übrigen sehe man daran auch, wie Markt funktioniert: „Die Wohnbauleistung steigt, die Mieten bleiben gleich, weil das Angebot passt. Es gibt allerdings noch zu wenig Eigentum, wie es von einer bestimmten Klientel gesucht wird, daher steigen die Preise.“
Auch Norbert Steiner, Obmann der Wohnungsgenossenschaft Alpenland, sieht den Bau-Boom nicht in einer Bau-Blase enden: „Es wird zwar Vollgas gebaut und wir merken, dass die Wiener Bauträger einfallen. Aber St. Pölten ist halt attraktiv für Investoren.“ Derzeit läuft alles noch in einem vernünftigen Maß, „ein Problem für die Stadtentwicklung ist nur die lange Zeit, die der Magistrat für Baugesuche braucht“, so Steiner.
Bis zum Jahr 2025 will die Stadt auf 65.000 Einwohner wachsen, bestätigt Stefan Haiderer von der Wohnservicestelle des Magistrats. Das sei ein verträgliches Ausmaß und bedeute, dass die nötige Infrastruktur dem Tempo der Wohnraumschaffung voraus sein muss. „Unser Ziel ist es, dass wir jedes Jahr den Bedarf an neuen Wohnungen decken können, um massiven Preissteigerungen entgegenzuwirken.“
Das ist bis jetzt gelungen – St. Pölten rittert sich im Immobilienpreisspiegel Jahr für Jahr mit Eisenstadt um den letzten Platz bei den Hauptstädten. Eine ideale Voraussetzung für Investoren und Hausbauer.
Beteiligt an St. Pöltens rasanter Entwicklung als Wohnstadt sind Genossenschaften genauso wie Versicherungen. Und auch private Investoren haben die Vorzüge von Österreichs jüngster Hauptstadt entdeckt: Günstige Grundstückspreise, zu wenige Eigentumswohnungen, hervorragende Infrastruktur, eine geniale Lage mit bester Verkehrsanbindung (in 33 Minuten ist man mit der Bahn mitten in Wien) und noch günstigere Miet- und Kaufpreise als die Städte im Speckgürtel der Bundeshauptstadt sind für viele Ansiedlungswillige überzeugende Argumente.
Und daher auch für Immobilienentwickler.
"Die Wohnbauleistung steigt, die Mieten bleiben gleich, weil das Angebot passt." Georg Edlauer, WKO-Fachverbandsobmann
Platzhirschen und Player
Heimische Wohnungsgenossenschaften sorgen seit Jahrzehnten dafür, dass die St. Pöltner ein Dach über dem Kopf haben, allen voran die Allgemeine Gemeinnützige Wohnungsgenossenschaft. 218 Wohnungen und 26 Reihenhäuser der St. Pöltner Genossenschaft entstehen aktuell, darunter „Junges Wohnen“ in der Karl Pfeffer-Gasse. „Dafür kann man sich schon bewerben“, berichtet Direktor Willi Gelb. 740 weitere Wohneinheiten sind verteilt über das Stadtgebiet geplant, fast alles geförderter Wohnbau, aber erstmals sind auch Eigentumswohnungen dabei, und zwar in der Hötzendorfstraße in der Innenstadt. „Uns ist Qualität wichtig“, betont der Genossenschafts-Direktor, und: „Wir bauen halt auf St. Pöltner Art – und ein bisserl Willi Gelb ist auch immer dabei.“
Der erste Genossenschafts-Chef, der sich an Eigentumswohnungen gewagt hat, war Wilhelm Haberzettl mit seiner BWS-Gruppe. Er ließ die alte Gebietskrankenkasse in der Dr. Karl-Renner-Promenade abreißen. Ende 2018 sollen die dort in die Höhe wachsenden 112 frei finanzierten Wohnungen bezogen werden. „Die sind ein Verkaufshit, es war ein echtes G’riss um die Wohnungen – es sind praktisch alle verkauft“, strahlt Haberzettl, der aus diesen Erfahrungen gelernt und einen Teil der 185 entstehenden BWSG-Wohnungen in der Maximilianstraße nicht vermietet, sondern ebenfalls als Eigentumswohnungen verkauft: „Jetzt läuft’s!“
Mit 14 frei finanzierten Maisonetthäusern am Kupferbrunnberg ist die Wohnungsgenossenschaft Alpenland am Wohnungseigentumsmarkt dabei, nur mehr drei davon sind frei. Am gleichen Standort errichtet Alpenland 26 Eigentumswohnungen und 28 geförderte Mietwohnungen. Weiters im Angebot der Wohnungsgenossenschaft: Junges Wohnen in der Hermann Gmeiner Gasse und das Wohnquartier „Am Mühlbach Ost“. In die 350 Wohneinheiten in einem Mix aus Miet- und Eigentumswohnungen mit einem vielfältigen Freiraumangebot soll ein gemischtes Klientel aus Jung und Alt einziehen.
Planend und bauend aktiv sind auch die Hypo NÖ mit 720, die WET mit 320 und die Niederösterreichische Versicherung mit 50 Einheiten. Die NV war einer der ersten Immobilienentwickler, die das Potential der Traisenstadt erkannte, „weil St. Pölten Zuzugsstadt ist“, so Generaldirektor Hubert Schultes voll Überzeugung. „Unser erstes markantes Projekt war wohl das NV Center.“ Die Versicherung engagiert sich dabei nur in der Innenstadt, Projekte in der Wiener Straße, der Fuhrmannsgasse und am Hammerweg werden in Kürze eingereicht: „Mit der Vermarktung haben wir kein Problem.“
Etwas außerhalb der Altstadt und trotzdem in bester Lage ist ein neues Wohnquartier mit 500 Wohnungen geplant, und zwar auf dem WWE-Areal südlich der Viehofner Seen. Baustart dafür soll 2019 sein. Mit der „Glanzstadt“, dem Großprojekt auf dem ehemaligen Fabriksgelände der Glanzstoff, gestaltet die Domus Liegenschaftsverwaltungs-Gesellschaft als Eigentümerin die Zukunft des Nordens der Stadt mit: In den nächsten 15 bis 20 Jahren sollen hier 1.300 Wohnungen und Raum für rund 1.000 Arbeitsplätze entstehen.
Noch vorher setzt Domus allerdings vis-a-vis an der Herzogenburger Straße ein Projekt mit 200 Wohnungen um. Die ersten 90 Wohnungen sollen im kommenden Jahr fertig sein.
Das nächste neue Grätzl entsteht zwischen Bahnhof und Universitätsklinikum: Der Wiener Immobilien-Entwickler CORAG Real Estate errichtet auf dem ehemaligen Jägerbau-Areal zwischen Bahnhof und Universitätsklinikum das Quartier Zentral mit insgesamt 200 Wohnungen.
Auch Jägerbau befasst sich neben Projektgestaltung und Firmenansiedlungen mit Wohnen, und zwar „mit einer ausgewogenen Mischung aus Miete und Eigentum“, so Jäger Immo-Geschäftsführer Richard Pasteiner. Vorzeigeprojekt ist derzeit eine der originellsten Planungen der Stadt: In die ehemalige Tanzfabrik in Unterradlberg werden Singlewohnungen gebaut, daneben sollen Eigentumshäuser entstehen.
"Wir bauen halt auf St. Pöltner Art – und ein bisserl Willi Gelb ist auch immer dabei." Willi Gelb, Direktor Allg. Wohnungsgenossenschaft
Immer mehr Private
Nicht nur Wohnungsgenossenschaften und Immobilienentwickler, auch private Investoren setzen auf den Wohnbauboom in St. Pölten: Direkt am Linzer Tor weichen das Erd-Haus sowie das ehemalige Nachtlokal in der Karl-Renner-Promenade einem neuen Wohnbau. Eine St. Pöltner Gruppe rund um Rechtsanwalt Markus Mayer, Autohaus-Besitzer Franz Mayer, Manager Hans Langenbach und Projektentwickler Andreas Muschik investiert hier vier Millionen Euro in 30 Eigentumswohnungen, ein Geschäftslokal sowie eine Tiefgarage. Mit den Bauarbeiten wird im Herbst begonnen.
Das als „Kleiderbauer-Haus“ bekannte alte NÖ Pressehaus am Beginn der Linzer Straße hat der Wiener Rechtsanwalt Helmut Rieger gekauft. Er will das ursprünglich von der Immofinanz geplante Projekt mit 30 Wohneinheiten umsetzen.
Umgesetzt wird in der Innenstadt auch ein schon lange geplantes Wohnprojekt: Die Verbauung des Karmeliterhofareals. 2020, zehn Jahre nach den ersten Planungen, sollen dort, im Zentrum der Stadt, 160 Wohnungen fertiggestellt sein. Gewandelt hat sich das Projekt in all den Jahren mehrmals, Eigentümer ist jetzt die Bank Austria Real Invest, Projektentwickler Peter Lengersdorff. Zum Projekt gehört auch eine Tiefgarage mit ursprünglich einmal angedachten drei Parkebenen. Dass die Garage nicht nur für die Bewohner reserviert ist, sieht Plattform-STP-2020-Obmann Josef Wildburger als absolute Notwendigkeit: „Eine öffentliche Tiefgarage mit ausreichend Stellplätzen für Kurzparker mit Ausgang Richtung Rathausplatz ist ein Schlüsselprojekt aus dem Masterplan und würde alle noch offenen Innenstadtparkanforderungen befriedigen.“
Die Dimension der Garage unter dem Karmeliterhof wird also nicht diskutiert. Wenig zu diskutieren gibt es über das äußere Erscheinungsbild eines städtischen Wohnprojekts. Wenn sich ein Bauherr an den Bebauungsplan hält, kann er seine persönlichen Vorlieben ausleben. Denn § 56 der NÖ Bauordnung besagt ziemlich nebulös, dass Bauwerke so zu gestalten sind, dass sie in einem ausgewogenen Verhältnis mit bestehenden Bauwerken im Bezugsbereich stehen. „Bei uns sind zum Beispiel stehende Fenster üblich und nicht liegende“, verdeutlicht St. Pöltens Stadtplaner Jens de Buck, oder: „Die Fassaden am Rathausplatz sind alle pastellfarben.“ Allerdings: Geschmackspolizei gibt es keine. „Geschmäcker sind nun mal verschieden, das macht die Sache schwierig. Wir sind beratend aktiv, versuchen, ein akzeptables Maß zu entwickeln.“
Beste Maßnahme gegen eine allzu hässliche Stadterweiterung sind für de Buck Architektenwettbewerbe. „Da gibt es dann eine Vielzahl an Lösungsvorschlägen. Und eine qualifizierte Mehrheit entscheidet darüber, was realisiert wird, nämlich das am besten geeignete Projekt.“ Diese Wettbewerbe brächten einen reinen Mehrwehrt, sowohl für das Stadtbild als auch für Bauträger. Diese würden Wettbewerbe zu unrecht oft als Kostentreiber sehen, „dieser Meinung schließt sich die Politik leider gerne an. Der Mehrwert wird nicht beachtet“, so der Stadtplaner. Als Positivbeispiel nennt es Bauten der Wohnungsgenossenschaft Alpenland. „Sie haben spektakuläre Projekte verwirklicht.“ Bei geförderten Objekten ist ein Bauträger dem Gestaltungsbeirat des Landes verpflichtet, ergänzt Alpenland-Obmann Norbert Steiner. Auch der ehemalige Hauptstadtplaner findet einen Wettbewerb der Ideen gut: „Ich bin der Überzeugung, dass man auf Qualität schauen sollte.“ Steiner kritisiert, dass St. Pölten die einzige Hauptstadt Österreichs ist, die keinen Gestaltungsbeirat hat. „Sogar Krems und Amstetten haben einen, das täte auch St. Pölten gut anstehen.“
Damit die Silhouette der Stadt angenehm ins Auge sticht, wenn dann die Kräne verschwunden sind.
Entwicklung der Immobilienpreise
1987 zahlte man in St. Pölten für eine Wohnung in sehr guter Lage bis 70 Schilling pro Quadratmeter, das sind rund 5 Euro. 2017 kostet ein Quadratmeter Wohnen in sehr guter Lage durchschnittlich 8,57 Euro. 1989 zahlte man für eine Eigentumswohnung in Bestlage 12.000 Schilling pro Quadratmeter, das sind 872 Euro. 2017 kann man St. Pöltens Wohn-Quadratmeter um 1.875 Euro kaufen. Wichtig: Die Inflationsrate seit 1987 beträgt fast 90 Prozent.
"Wir merken, dass die Wiener Bauträger einfallen. Aber St. Pölten ist halt attraktiv für Investoren." Norbert Steiner, Obmann Wohnungsgenossenschaft Alpenland