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St. Pöltens gute Seite

Solidarität

Text Johannes Reichl
Ausgabe 02/2008
Ich grüble seit Wochen, wie ich die Glanzstoff-Malaise beurteilen soll. Ich komme auf keinen grünen Zweig. Was nämlich wirklich schockiert, ist nicht das Unglück an sich (weil wir zum Glück daran vorbeigeschrammt sind), sondern der politische Umgang damit: Eine Bankrotterklärung, weil die Causa eines lehrt (und diese Lehre ist bitter, ja zum Kotzen): Nicht einmal eine Krise dieses Ausmaßes reicht aus, damit die Politiker dieser Stadt sowie jene des Landes (wo kommen die auf einmal her?) ihre politischen Scharmützel zugunsten seriöser Sachlichkeit hintanstellen. Da war man sich neben peinlichen Presseaussendungen nicht zu schäbig, an die Belegschaft, die unmittelbar unter dem Eindruck der Katastrophe und des gefährdeten Arbeitsplatzes stand, Flugblätter zu verteilen, worin der politische Gegner verunglimpft wird. In diesen Momenten hatte man nichts Besseres zu tun? Als Glanzstoff-Arbeiter hätte ich denjenigen, der mir soetwas in die Hand gedrückt hätte, aufgefordert, es sich sonst wohin zu stecken.
Die Stadtverantwortlichen boten durch ihr hatschertes Agieren leider noch Munition, weil man anfangs keine klaren Worte fand. Der einzige Beamte, der Tacheles redete (und aufgrund seiner Kompetenz einer solchen Krise gewachsen gewesen wäre) wurde dafür „geprügelt“ und erklärte sich darob für befangen (oder „wurde er dazu erklärt“?). Plötzlich stand man ohne Experten da! Der Versuch, die Entscheidungsverantwortung dem Umweltministerium umzuhängen, scheiterte. Zuletzt wurde eine externe Expertin zugezogen – soll also diese „entscheiden“. Man wird, egal wie die Antwort ausfällt, auf eine Meinung von außen verweisen können und die Hände quasi in Unschuld waschen. Leadershipment sieht anders aus.
Worüber in allem Geifer überhaupt nicht gesprochen wurde, sind Fakten (die einmal erhebenswert wären) und legitime Fragen: Etwa wie viel an Millionen hat uns der Betrieb der Glanzstoff als Steuerzahler schon gekostet (die damals marode Fabrik wurde bereits 1982 und 1994 mit Millionen Steuergeldern gerettet, im übrigen – welch Zufall – stets vor Wahlen)? Wie viel an Image- und Werbeverlust? Wie viel an Menschen, die aufgrund des faulen Eiergestanks nicht zugezogen sind – und welche negativen Auswirkungen zeitigte dies auf den Finanzausgleich (über Jahre, also um Nachwuchs potenziert)? Wie viele Touristen hat ihr Odem abgeschreckt? Und welche Auswirkungen hat der Betrieb wirklich auf die Gesundheit?
Ebenso legitim sind aber auch folgende Fragen: Wie viel bringt die Glanzstoff an Steuereinnahmen? Was würde mit den 350 Beschäftigten passieren, wenn das Werk schließt? Was mit ihren Familien – und dann reden wir plötzlich von über 1.000 Personen? Welche Auswirkungen hätte dies – nachdem es auch viele Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund gibt – auf das Zusammenleben der Stadt und die Integrationspolitik? Wollen wir im Norden wirklich Pariser Vorortzustände riskieren (nicht weil es um Ausländer geht, sondern dann um sehr arm und reich)?
Wenn wir ehrlich sind, gibt es aktuell keine Alternative zur Glanzstoff. So wenig wir sie lieben mögen, aber die Fabrik ist Teil St. Pöltens. Und diese bzw. ihre Arbeitnehmer brauchen jetzt unsere Solidarität. Und wahre Solidarität tut eben weh. Solidarisch müssen in der Causa alle sein: Die Bevölkerung mit den Arbeitnehmern. Das Unternehmen mit der Stadt, indem es (im Gegensatz zu früheren Zeiten) das Umwelt- und Gesundheitsproblem ernst nimmt.
Eine Gruppe hat unsere Solidarität aber verspielt und täte gut daran, sie durch Seriosität, Verantwortungsbewusstsein und Leadershipment zurückzuerobern: Die Politik. Dann kommen wir vielleicht doch noch auf einen grünen Zweig und verlieren nicht gänzlich den Glauben in unsere Volksvertreter.