Chronologie einer Lachnummer
Text
Johannes Reichl
Ausgabe
Was – ja, als dem Humor zugewandter Mensch entscheide ich mich denn doch fürs Lachen ob des dankenswerter Weise gratis dargebrachten Politkabaretts – löst also meine diesmalige Heiterkeit aus?
Etwas Banales wie die Einladung zu einer Pressekonferenz über die vor einigen Jahren von Stadträtin Ulrike Nesslinger ins Leben gerufene „Musikalische Innenstadt“, die mittlerweile von der Marketing St. Pölten GmbH veranstaltet und durchgeführt wird. Wobei von Banalität kann natürlich nur ein unbedarfter Bürger wie ich reden, denn in Wahrheit handelt es sich um hochexplosiven politischen Sprengstoff, wie ich Hascherl erst allmählich zu durchschauen begann... und das kam so:
Am 27. April, 8:43 Uhr flatterte vom Pressesprecher der ÖVP eine Einladung zur „Präsentation musikalische Innenstadt 2015“ ein:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
ich darf Sie im Namen von Stadträtin Ulrike Nesslinger zur Präsentation der „Musikalischen Innenstadt“ 2015 einladen. Die Präsentation findet diesen Mittwoch, 29. April, um 9:30 Uhr im Gasthof Graf, Bahnhofplatz 7, 3100 St. Pölten statt.
Unter anderem gemeinsam mit Wirte 3100-Obmann Leo Graf und Vizebürgermeister Ing. Matthias Adl wird die Stadträtin dabei das Programm der diesjährigen Saison sowie Neuerungen rund um die „Musikalische Innenstadt“ präsentieren.
Ich freue mich auf Ihr Kommen und verbleibe mit freundlichen Grüßen,
Florian Krumböck, BA
Volkspartei St. Pölten
Pressesprecher
3100 St. Pölten, Völklplatz 2
florian.krumboeck@vpnoe.at
www.vpnoe.at“
www.facebook.com/vpnoeat
www.twitter.com/vpnoeat“
Als Journalist nahm man die ÖVP-Einladung zur Kenntnis, wunderte sich allerdings einen Augenblick, weil es erst vor ein paar Wochen einen Disput gegeben hatte, dass die „Musikalische Innenstadt“ keine Parteiveranstaltung ist und auch nicht in den Geruch einer ebensolchen kommen darf. Soweit so gut.
Das dürfte freilich auch hinter den Kulissen für Rumoren gesorgt haben, denn am selben Tag, um 15:11, schickte der ÖVP-Pressesprecher ein neuerliches Mail selben Betreffs an die Medien aus:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
ich wurde dazu angehalten Sie im Zusammenhang mit der Einladung zur Präsentation der „Musikalischen Innenstadt“ 2015 darauf hinzuweisen, dass die Veranstaltungsreihe eine persönliche Initiative von Stadträtin Ulrike Nesslinger ist und keine Veranstaltungsreihe der Volkspartei St. Pölten. Für diesbezügliche Rückfragen stehe ich Ihnen persönlich gerne zur Verfügung.
Nichtsdestotrotz hoffe ich Sie bei der Präsentation diesen Mittwoch, 29. April, um 9.30 Uhr im Gasthof Graf begrüßen zu dürfen.
Mit freundlichen Grüßen,
Florian Krumböck“
Ja, ich gebs zu, da zogen meine Mundwinkel das erste Mal Richtung Himmel und ich musste herzhaft lachen. Welch Bösewicht hatte den Armen nur dazu „angehalten“? Aber die Häme war NATÜRLICH völlig unangebracht, weil sich bei dieser zum Staatsakt mutierenden Causa im Hintergrund wahre Dramen abzsuspielen begannen. Der Veranstalter, die Marketing St. Pölten GmbH, soll nämlich – wie gemauschelt wird – in Reaktion bei der Behörde ihr Ansuchen um Veranstaltungsbewilligung für die „Musikalische Innenstadt“ storniert haben! Und an die Stadträtin erging ein Ultimatum, dass diese vermeintliche politische Vereinnahmung überhaupt nicht geht, wobei man ihr dankenswerter Weise ein paar Optionen anführte, wie sie das Schlammassel wieder bereinigen könne.
Eine Rute, die der Stadträtin ob der Gefährdung ihres jahrelang liebevoll aufgezogenen Kindes (und damit wohl auch der damit einhergehenden ebenso liebgewonnenen Selbstinszenierungs-Bühne) das Blut in den Adern gefrieren ließ, und so flatterte am 28. April, um 23.15 Uhr ein Mail unter dem Betreff: „Neuer Termin Präsentation Musikalische Innenstadt 2015“ ein - diesmal nicht vom ÖVP Pressesprecher ausgesandt, sondern vom persönlichen Account der Politikerin:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
als Initiatorin der Veranstaltungsreihe Musikalische Innenstadt teile ich Ihnen mit, dass auf besonderen Wunsch der Innenstadt Plattform die Präsentation des Programms 2015 nun im Beisein von Bürgermeister Matthias Stadler am Donnerstagnachmittag stattfinden wird.
Der genaue Ort sowie Zeitpunkt wird Ihnen von der Marketing St. Pölten GmbH mitgeteilt.
Ganz freundliche Grüße
Ulrike Nesslinger"
Dass sie dabei in der Hitze Gefechts, ein paar zuvor eingeladene Journalisten auszuladen vergaß... jo mei, das kann doch wirklich mal passieren. Wer aber denkt, dass die Peinlichkeit damit ausgestanden war – aber aber meine Herrschaften... wir sind in St. Pölten! Nun folgte nämlich der Tragödie zweiter Teil unter dem Motto „Das Imperium schlägt zurück“.
Denn wenn du glaubst es geht nicht mehr, kommt eine neuerliche „Einladung zum Pressegespräch: Musikalische Innenstadt“ daher, und zwar am 29. April:
„Musikalische Innenstadt
Unter dem Titel „Musikalische Innenstadt“ lädt die insBesondere Innenstadt St. Pölten ihre Gäste bei entspanntem Lounge- und Chill-out-Sound in die zahlreichen Schanigärten.
Neben den kulinarischen Schmankerln erfreuen zahlreiche Termine mit erfrischender Background-Musik die Herzen aller BesucherInnen.
Wir informieren über das Programm.
Ihre Gesprächspartner
Bürgermeister Mag. Matthias Stadler
Stadträtin Ulli Nesslinger, Organisation
Leo Graf, Obmann der Wirte 3100
DI (FH) Matthias Weiländer; Geschäftsführer der Marketing St. Pölten GmbH
Datum: 30. April 2015 um 14.30 Uhr
Ort: Rathaus St. Pölten, Bürgermeisterzimmer (1. Stock)
3100 St. Pölten, Rathausplatz 1
Für Kaffee und Kuchen ist gesorgt.
Mit freundlichen Grüßen
Martin Koutny
Pressesprecher, Chefredakteur St. Pölten Konkret
Magistrat St. Pölten
Rathausplatz 1, 3100 St. Pölten
Tel: +43 2742 333-3032
E-Mail: medienservice@st-poelten.gv.at
Web: www.st-poelten.gv.at “
Und, entdecken Sie die kleinen Unterschiede? Diesmal lud die insBesondere Innenstadt ein (was ja naheliegend ist als Veranstalter), ausgeschickt wurde seitens des Medienservice (also vom Magistrat St. Pölten) und NATÜRLICH durfte der Bürgermeister an vordester Front, sprich als erster Redner nicht fehlen! Vom ursprünglich beteiligten schwarzen Vize-Bürgermeister war nichts mehr zu finden. Und – ja, das atmet schon ein bisserl den Geruch von Demütigung – um schon mal ordentlich klotzig klar zu machen, wer da das Sagen hat und wie das abzulaufen hat und überhaupt – die Pressekonferenz fand nunmehr im Allerheiligsten, dem Bürgermeisterzimmer statt, also quasi im Wohnzimmer des Häuptlings... aber eh auf ganz gemütlich, bei Kaffee und Kuchen, und Tante Ulli darf auch ein bisserl was erzählen...
Ja ja, so ist das mit der lieben, niveauvollen Politik in St. Pölten. Aber es ist halt wirklich wichtig, dass man weiß, wem man was zu verdanken hat, wer was initiiert, finanziert, dirigiert... Da hört sich so ein Konzert doch gleich viel fröhlicher und beschwingter an, wenn man weiß, dass da Ulli Nesslinger und NATÜRLICH irgendwie auch der Bürgermeister dahinterstecken, und dass alles völlig unpolitisch ist, weils ja zum Glück nur um die Musik geht. Wobei, Moment mal! Was ist eigentlich mit uns, den Bürgern? Nachdem als Veranstalter der Musikalischen Innenstadt ja die Marketing St. Pölten GmbH fungiert, steckt da unser Steuergeld mit drin – von uns redet aber keiner! SKANDAL! Das geht so überhaupt nicht! Wir fordern sofort das Anbringen folgenden sachdienlichen Hinweises auf Servietten, Gläsern, Zahnstochern und selbstverständlich den Instrumenten der an der Musikalischen Innenstadt teilnehmenden Musiker, damit unsere Rolle gewürdigt wird:
„Musikalische Innenstadt auf Initiative von Stadträtin Ulrike Nesslinger unter absoluter Berücksichtigung von Bürgermeister Matthias Stadler sowie unwesentlicher finanzieller Beteiligung der Bürger St. Pöltens, durchgeführt von der InsBesondere Innenstadt.“
Einladung zur Pressekonferenz folgt... wer sie ausschickt, da müss ma uns noch zusammenstreiten. Sie wird jedenfalls sicher "InsBesondere" - das ist wenigstens mal ein Slogan, der auf St. Pölten wirklich passt... und jetzt hab ich doch Kopfweh bekommen und muss ein paar Tränen zerdrücken, weils in all der Lächerlichkeit so traurig ist, und das erinnert mich wieder an eine Diskussionsrunde anno dazumal unter Beteiligung von „Gott hab ihn selig“ Günther Nenning, der ob der dargebotenen Kleinkariertheit seiner St. Pöltner Mitdiskutanten irgendwann laut aufseufzte, theatralisch mit den Augen rollte und lauthals coram publico wissen ließ: „Ihr seid alle fuuuuuurchtbar!“