BRAUCHT ES IN ST. PÖLTEN EINE LEERSTANDSABGABE?
Text
Georg Renner
, Jakob Winter
Ausgabe
GEORG RENNER
Der Wilhelmsburger arbeitet als Journalist bei der „Kleinen Zeitung“.
„Eine Leerstandsabgabe soll Eigentümer zwingen, zu tun, was sie ohnehin wollen.“
Eine Leerstandsabgabe ist ein Unding – weil sie Eigentümer zu etwas zwingen soll, das eigentlich absolut in deren Interesse liegt. Niemand lässt Häuser oder Wohnungen aus Jux absichtlich leerstehen. Natürlich will jeder, der Wohn- oder Geschäftsraum sein Eigen nennt, dass dieser genutzt wird und ihm über Miete oder Pacht auch ein Einkommen beschert. Ja, es mag vereinzelt „Spekulationswohnungen“ geben, bei denen ferne Eigentümer auf Gewinne durch langfristige Wertsteigerung hoffen. Das ist aber generell eher ein Problem des Luxussegments und damit keines, dessen Lösung schnell zur massiven Vermehrung leistbaren Wohnraumes beitragen würde. Eine Leerstandsabgabe auf solche Immobilien vor dem Hintergrund des Wunsches nach billigeren Immobilien für alle wäre eine grobe Themenverfehlung.
Wenn jemand in der Masse der Objekte nicht vermietet, hat das Gründe: dass man sich die Sanierung nicht leisten kann; dass eine Vermietung nicht kostendeckend möglich wäre; oder dass man weiß, dass man einen anstrengenden Mieter im Fall, dass man das Objekt in ein paar Jahren anderweitig braucht, vielleicht nicht mehr hinausbekommt. Solche Anliegen gälte es zuerst anzugehen, zum Beispiel mit einer grundlegenden Bereinigung, Vereinfachung und ja, auch Aufweichung des Mietrechts, die es Eigentümern leicht macht, ihre Objekte zu bewirtschaften. Über Förderungen, die die Sanierung leerstehender Wohnungen schmackhaft machen. Über Bewusstseinsbildung und Servicestellen, die solche Vorhaben – vor allem in Innenstädten – einfacher machen.
Wenn die öffentliche Hand all diese Hausaufgaben erledigt hat, kann man vielleicht über eine Leerstandsabgabe nachdenken. Bis dahin wird – vor allem, was das Mietrecht angeht – aber noch viel Wasser die Traisen hinunterfließen. Und selbst, wenn es so weit kommt, wird eine solche Abgabe keine Wunder bewirken. Von ein paar hundert Euro mehr im Jahr – und viel mehr wird nicht zumutbar sein – wird sich ein Spekulant, der schon jetzt für seine leere Wohnung Erhaltungskosten und Abgaben zahlt, kaum abschrecken lassen.
JAKOB WINTER
Aufgewachsen in St. Pölten, emigriert nach Wien, Redakteur beim „profil“.
„Andere Städte haben auch geschafft den Leerstand zu erheben.“
Im St. Pöltner Gemeinderat wurde kurz vor dem Jahreswechsel eine sehr österreichische Debatte geführt. Auf der Tagesordnung stand das Problem von leerstehenden Wohnungen und die Frage, ob eine Strafzahlung für Eigentümer – eine sogenannte Leerstandsabgabe – eine Lösung wäre, um die Besitzer dazu zu drängen, ihre Apartments schneller zu vermieten; und nicht auf steigende Preise zu spekulieren. Die Skurrilität daran: Weder Befürworter (SPÖ, Grüne, Neos) noch Gegner (ÖVP, FPÖ) dieser Abgabe wissen, wie viele Wohnungen in der Landeshauptstadt ungenutzt sind. Emotion statt Evidenz, das reichte beiden Seiten als Entscheidungsgrundlage. Das Argument, dass Zahlen zu Leerständen schwierig zu erheben sind, zählt nicht. Andere Städte haben es schließlich auch geschafft. In Salzburg war eine Wohnbauforscherin im Jahr 2015 besonders kreativ: Sie errechnete den Leerstand anhand des Stromverbrauchs. Deutlich präziser geht derzeit Innsbruck vor: Jeder gemeldeten Person wird eindeutig eine Wohnung zugeordnet, um zu ergründen, welche Wohnungen leer stehen. Aktuellster Zwischenstand vom November 2021: Beinahe jede zehnte Wohnung dürfte unbewohnt sein, in einer Zeit, in der Wohnraum immer knapper wird. Es ist also verständlich, wenn Städte darüber nachdenken, wie sie leeren Bestand für Wohnungssuchende mobilisieren können. Berlin erfand bereits vor acht Jahren ein sogenanntes Zweckentfremdungsverbot für Leerstände und ganzjährige Airbnb-Vermietungen. An die 10.000 Wohnungen sollen so auf den Markt zurückgeführt worden sein. In einer Stadt mit 3,7 Millionen Einwohnern wohlgemerkt. Das zeigt: Es gibt durchaus Potenziale zu heben, die Maßnahme allein kann die Wohnungsmisere allerdings nicht lösen.
Was heißt das alles für St. Pölten? Ganz einfach: Die Stadt sollte dringend den Leerstand erheben. Liegt der Wert über jenen drei Prozent, den die Wohnbauforschung als „gesund“ definiert, weil es laufend zu Umzügen und Renovierungen kommt, kann sich die Stadt konkrete Gedanken über eine Abgabe machen.