MFG - Sexnachhilfe für Priester
Sexnachhilfe für Priester


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St. Pöltens gute Seite

Sexnachhilfe für Priester

Text Johannes Reichl
Ausgabe 06/2010

Was im ersten Moment vielleicht provokant klingt, entbehrt keiner stringenten Logik. Das, worüber man nicht Bescheid weiß, obwohl es für die persönliche wie die berufliche Seelsorge von eminenter Bedeutung ist, muss man lernen. Davon ist jedenfalls Sexualtherapeutin Elisabeth Widensky überzeugt und hat unter dem Titel „A und Ω der Heiligen Sexualität“ ein Seminarprogramm für Priester entwickelt, das sie der Diözese St. Pölten vorgelegt hat. Ein Gespräch über patriarchale Strukturen, das verlorene Wissen über heilige Sexualität und warum gerade Priester prädestiniert wären, diese unters Volk zu bringen.

Warum sind wir Ihrer Meinung nach gerade in den letzten Jahren vermehrt mit Missbrauchsfällen in der Kirche konfrontiert?
Wir erleben derzeit allgemein einen Übergang vom Patriarchat zum Matriarchat. Das Patriarchat steht für Trennung, Hierarchie, Besitz, Vorgesetzter, Untergebener. Das Matriarchat steht für das Leben schlechthin. Im Matriarchat wird man daher Phänomene wie Inzest, Vergewaltigung und dergleichen nie finden, weil das Leben sozusagen nichts davon hat, während sie im Patriarchat geradezu eine logische Konsequenz sind. Dadurch, dass das Patriarchat aufbricht, werden die Vorgesetzten heute nicht mehr gedeckt. Die Untergebenen, die Opfer wehren sich, klagen an.

Aber warum – so zumindest der Eindruck – in überproportionalem Maße in Kirchenkreisen. Sind Priester eine größere „Risikogruppe“?
Sie sind eine größere Risikogruppe insofern, dass derlei heute eben durch das erwähnte Aufbrechen der Hierarchien gerade in solchen Institutionen einfach leichter auffliegt. Aber derlei passiert parallel leider überall. Nehmen wir Fritzl. Und solche Fälle gibt es in Tausenden Familien. Wie viele Jahrhunderte wurden die Töchter einfach von ihren Vätern verkauft, mussten jemanden heiraten, den sie nicht einmal kannten. Die Frau als Besitztum – das ist heute leider noch immer nicht vollends überwunden.

Wozu die katholische Kirche wesentlich beigetragen hat?
Die Kirche hat während der Inquisition das Wissen um die heilige Sexualität und das Frauenwissen in Europa ganz systematisch zerstört. Die Opfer waren vielfach Hebammen und andere Frauen, also just jene, die am meisten über die Sexualität Bescheid wussten. Das fehlt uns heute. Es liegt in der Natur der Sache, dass jede Autorität versucht Sexualität zu unterdrücken, denn Sexualität ist nicht berechenbar, nicht beherrschbar.

Ist aufgrund dieser Frauen- und vermeintlichen Sexfeindlichkeit die Kirche vielleicht besonders im Fokus?
Nun man kommt zumindest in eine schwierige Position, wenn man als Kirche – und ich sage jetzt ganz bewusst im Gegensatz zu Jesus – das Recht zu haben glaubt, sich massiv in das Sexualleben der Menschen einzumischen, ohne selbst aber eine Erfahrung hierin zu haben oder darüber lernen zu wollen. Noch dazu, wo die Kirche sozusagen den zweiten Teil der Sexualität, nämlich die Frau, überhaupt nicht integriert. Dabei schuf Gott sicher nicht zufällig Mann UND Frau.
In Sachen Sexualität herrscht vielfach Orientierungslosigkeit, Unsicherheit in unserer Gesellschaft. Und dann propagiert die Kirche so Dummheiten, wie dass nur der Trauschein eine Beziehung heiligt, dass der einzige Sinn von Sex die Fortpflanzung ist, dass die Verwendung von Kondomen Sünde sei. Das führt soweit, dass aktuell im Vatikan eine eigene Arbeitsgruppe untersucht, unter welchen Bedingungen vielleicht dann doch ein Präservativ erlaubt sein könnte. Das ist doch absurd, zumal das Personen untersuchen, die von der Heiligkeit der Sexualität keine Ahnung haben.

Sie sprechen von verlorenem Wissen – aber widerspricht das nicht dem sexuellen Overload unserer Tage?
Heute ist alles sexualisiert, das stimmt schon, aber das heißt nicht, dass es Wissen um die Sexualität gibt, und schon gar nicht über die Heiligkeit der Sexualität. Selbst Sexualtherapeuten und Mediziner wissen oft erschreckend wenig. Viele können ihnen zwar exakt sagen, wie man eine Frau bzw. einen Mann umoperiert, aber ein Wissen um Sexualität insgesamt, um das Zusammenspiel von Körper, Geist und Seele, haben sie nicht – alleine wenn ich mir den Wahnsinn von Genitalkorrekturen anschaue. Dabei gibt es 16 verschiedene Genitaltypen, aber das wissen viele Experten nicht! Stattdessen wird so getan, als wären alle Frauen und Männer gleich und damit auch ihre Sexualität, was nicht der Fall ist.
Heute schieben wir lieber Paare in eine CT-Röhre, und schauen, welches Zentrum im Hirn wann aufleuchtet und wundern uns, dass sich die Probanden „nicht so entspannen können“. Die Sexualität wird zerstückelt, zergliedert, Einzelphänomene penibelst untersucht, aber der Gesamtzusammenhang fehlt. Das eigentliche Wissen über Sexualität ist in Europa verlorengegangen, deshalb sind wir auch echt mies drauf.

Ist das eines der Grunddilemma, auch in der Seelsorge?
Selbstverständlich. Und es ist fatal, wenn man das weitergibt. Ich erinnere mich etwa mit Schaudern zurück, als ich als junge Frau ein Gespräch zwischen einem Priester und einem jungen Paar mit angehört habe: Das Pärchen war ganz selig und vertraute sich dem Priester an: „Wir hatten wunderbaren Sex.“ Seine Antwort: „Ja, bewahrt das in schöner Erinnerung, da ist euch einmal im Leben Gottes Gnade zuteil geworden.“ Einmal? So ein Schwachsinn! Das ist nicht Gottes Gnade, sondern das kann man herstellen, lernen! Immer wieder – und gerade so Gott näher kommen! Ein Mensch kann nur so argumentieren, wenn er keine Ahnung hat.

Aber das erklärt ja noch nicht kirchliche Missbrauchsfälle an sich, oder?
Tatsächlich passiert ein Großteil der Übergriffe zunächst, weil die Geistlichen gar keine Ahnung haben, wann überhaupt Sexualität fließt. Ich hab im Spital, im Gefängnis, in der Praxis mit Menschen gearbeitet, ich hab immer gewusst, mit welcher Energie ich zum Beispiel jemanden angreife. Greife ich auf ein Glied, um es zu säubern, oder um es zu erregen – das sind zwei gänzlich verschiedene Dinge. Aber Geistliche können anfangs oft nicht unterscheiden. Für mich war Groer ein Paradebeispiel. In dieser Causa hatten alle recht: Groer, der nicht wusste, wie es sich für die Opfer anfühlt und was er ihnen da antut. Und natürlich die Opfer, weil sein Handeln für sie der totale Übergriff war, der sie ihr Leben lang verfolgt.

Aber es bleibt ja nicht bei Ausrutschern?
Die Frage ist: Wann wird eine Handlung zum Missbrauch? Spätestens ab dem Zeitpunkt, wo man selbst merkt, dass es einen erregt und wenn man in Folge, in diesem Bewusstsein, ein Programm entwickelt, um immer öfter in Situationen zu kommen, um diese Neigungen auszuleben, also wenn zum Beispiel plötzlich jeden Tag Eichelwaschen auf dem Programm steht – dann sind wir mittendrin im Missbrauch, zumal wenn es in patriarchalen Strukturen abläuft, also Lehrer – Schüler, Vorgesetzter – Untergebener.

Was wollen Sie den Geistlichen genau vermitteln?
Mein Hauptanliegen ist darzulegen, was die heilige, die gesundmachende Sexualität ist, und was im Gegensatz dazu destruktive Sexualität ist. Dabei muss man sich bewusst sein, dass Sex das Hauptregulativ für unseren Energiehaushalt ist, also von eminenter Bedeutung.
Jeder, der berufen ist, geistig und seelsorgerisch zu wirken, muss daher im Besonderen darüber Bescheid wissen. Er muss wissen, was zwischen Mann und Frau abläuft, muss eine Idee davon haben. Er muss auch die Unterschiede kennen. Und er kann lernen, wie er mit seiner eigenen Sexualität umgeht. Allerdings ist das nicht mit einem einmaligen Alibivortrag abgetan, sondern das muss persönlichkeitsbegleitend von statten gehen.

Sie sprechen immer von der Heiligkeit der Sexualität, was kann man sich darunter vorstellen?
Es gibt doch nichts Schöneres, als Sex zu benützen, um mit Gott in Kontakt zu treten. Nach wunderschönem Sex ist man selig, erfüllt, hat das Gefühl des Heils, der Ganzheit, Gott erlebt zu haben, ihm nah zu sein. Dieses Heil, diese Besonderheit, dieses Göttliche müsste gerade die Kirche ihren Gläubigen vermitteln. Ich halte Geistliche aufgrund ihrer seelsorgerischen Stellung sogar für geradezu prädestiniert, diese heilige Sexualität zu leben und sie auch weiterzugeben und weiterzuvermitteln.

Aber verlangt man da nicht ein bisschen viel – zumal römisch katholische Priester ja quasi zur Asexualität verdammt werden.
Ein Mensch kann nicht nicht sexuell sein. Die grundlegende Frage ist, was Sex überhaupt ist, was da passiert? Einfach formuliert geht es darum, dass du deine Energie mit einer anderen Energie mischt und so noch mehr Energie entsteht. Und das kann sich durchaus auch im Glauben, in der Liebe an Gott manifestiere, auf spiritueller Ebene. Ich würde sogar sagen, Gott ist ein Superpartner.
Nehmen wir den Dalai Lama, das ist ein durch und durch sexueller Typ, aber auch er lebt bewusst allein. Einmal darauf angesprochen, warum er keine Frau hat, meinte er lächelnd „Das wäre mir zu mühsam!“ Aber trotzdem weiß er, wovon er redet. Er kennt die Sexualität.

Das heißt, Sie wollen Priester nicht nur Sex vermitteln, sondern auch dazu anhalten, Sex zu leben?
Die Frage ist: Wie kann er seine Sexualität leben, wie kann er sie in diesen Einmannbetrieb integrieren. Wenn ihm das gelingt, ist er ein Spitzenpriester. Dann kann er auch damit umgehen, dass z. B. in den Kirchenreihen Frauen sitzen, die ihn schmachtend anschauen und hat nicht das Gefühl, dagegen kämpfen zu müssen. Gerade dagegen anzukämpfen ist gefährlich, die Erfahrung zeigt, dass oftmals gerade in diesem falschen Kampf, in dem Gefühl vom Sex bedroht zu werden, Übergriffe passieren.

Was passiert Ihrer Meinung nach, wenn die Kirche Ihr Angebot und ähnlich derart gelagerte nicht annimmt?
Wenn die Kirche jetzt nicht reagiert, dann wird sie in Zukunft überhaupt nicht mehr funktionieren. Dann wird sie weiter massiv Gläubige verlieren, und es wird immer schwerer werden, Priester zu finden.


Infos zum Thema:
Das Programm
A und Ω der Heiligen Sexualität 1

Ursprung des Lebens
Wo beginnt Sexualität? Wo endet sie?
Wann ist Sexualität heilig?
Was passiert bei Sexualität?
Was ist spirituelle Sexualität?
A und Ω der Heiligen Sexualität 2
Als Mann und Frau erschuf Er sie!
Unterschiedliche Lebenswerte, Energien,
Wahrnehmungen, Triebfedern, Zugänge zur
Sexualität, Mechanismen
A und Ω der Heiligen Sexualität 3
Integration von Sexualität
Warum ist unser Geschlecht wichtig?
Welche Bedeutung hat Dein Geschlecht im Glauben?
Wie Lust-freundlich bin ich?
A und Ω der Heiligen Sexualität 4
Genitale Sexualität
Vieles aus der Praxis
Geschlechts-Typologien
Orgasmusarten & Orgasmus-Levels
A und Ω der Heiligen Sexualität 5
Alles ist aus der Frau geboren
Spezifische Frauenthemen aus dem Alltag
A und Ω der Heiligen Sexualität 6
Nütze Deine Sexualität
Jeder bestimmt seine Energien
Mit praktischen Übungen!!!

Zur Person:
Mag. Elisabeth Widensky, 2009 mit dem kirchlichen „Pro Ecclesia et Pontifice“-Ehrenorden ausgezeichnet, betreibt seit 1995 eine eigene Praxis in Wien und Dietmanns. Die studierte Psychologin war in ihrer langjährigen beruflichen Karriere als Telefonseelsorgerin, Pflegehelferin, Fußpflegerin, in der Altenhilfe etc. tätig. Widensky baute verschiedene Vereine und Institutionen mit auf, so u. a. das 1. Integrierte Nachbarschaftszentrum Wien 17,  die Selbsthilfewerkstatt, Regenbogen – Selbsthilfegruppe zur Hilfestellung bei glückloser Schwangerschaft. Sie arbeitete im Psychosozialen Dienst der Stadt Wien, in der Justizanstalt Göllersdorf für geistig abnorme Rechtsbrecher oder im IGP Wien 18. Widensky erfüllt unterschiedliche Lehraufträge und hat sich u.a. in Energetik, Organtherapie, Tantra, Yoga weitergebildet.